Profilbild von Archer

Archer

Lesejury Star
offline

Archer ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Archer über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Der Höllenhund aus dem Moor

Sherlock Holmes und der Hund von Baskerville
0

Okay, ich denke, diese Geschichte kennt prinzipiell jeder, selbst Lese- und Holmesmuffel, denn die ist bestimmt öfter verfilmt worden als jeder andere Klassiker. Ich benutze absichtlich das Wort Klassiker, ...

Okay, ich denke, diese Geschichte kennt prinzipiell jeder, selbst Lese- und Holmesmuffel, denn die ist bestimmt öfter verfilmt worden als jeder andere Klassiker. Ich benutze absichtlich das Wort Klassiker, denn zu denen gehört dieses Buch zweifelsfrei.
Trotzdem fasse ich noch mal kurz zusammen:
Sir Henry, der junge Erbe von Baskerville Hall, hat nicht nur ein Problem. Zum einen verschwinden immer wieder Sachen von ihm, obwohl er gerade erst aus Amerika eingetroffen ist, und dann ist da noch die Legende von dem Höllenhund, der bis jetzt noch jeden seiner Vorfahren geholt hat. Kein Wunder, ist doch sein Onkel unter mysteriösen Umständen gestorben und Zeugen schwören Stein auf Bein, dass sie neben der Leiche des Lords riesige Pfotenabdrücke gefunden hätten. Holmes behauptet, keine Zeit für diesen Fall zu haben und schickt seinen treuen Freund und Mitstreiter mit dem jungen Sir Henry mit, um auf ihn aufzupassen und ihm regelmäßig Bericht zu erstatten. So ist Watson tatsächlich auf sich allein gestellt, und er kommt dabei dem Geheimnis des Haushälterehepaars von Baskerville Hall auf die Spur und erlebt im Moor seltsame Begegnungen und unangenehme Überraschungen.

Watson mal auf sich gestellt, kann das gutgehen? Auf jeden Fall. Watson ist nicht der dickliche, unbeholfene, dümmliche Sidekick von Holmes, als der er so oft in Filmen dargestellt wird. Er war im Afghanistankrieg und bei allen gefährlichen Situationen ist er ein Mann, der die Nerven behält. Natürlich zieht er andere Schlüsse aus seinen Beobachtungen als Holmes, aber das sind genau die Schlüsse, die jeder normale Mensch ziehen würde. Und natürlich lässt Holmes ihn auch nicht zu lange im Stich.
Immer wieder schön, dieses Buch zu lesen, selbst beim dutzendsten Mal: großes Kino in Buchform.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Gewaltig an Gewicht, Gedanken und Worten

Mörder und Marder
0

Henry Hoff, von dem man annehmen könnte, dass er der Ich-Erzähler des ersten Matzbach-Abenteuers ist, hat wieder einmal eine Begegnung mit seinem fetten, reichen, scharfsinnigen Freund Matzbach. Und dabei ...

Henry Hoff, von dem man annehmen könnte, dass er der Ich-Erzähler des ersten Matzbach-Abenteuers ist, hat wieder einmal eine Begegnung mit seinem fetten, reichen, scharfsinnigen Freund Matzbach. Und dabei lädt er ihn ein: auf eine Hütte im Nirgendwo (oder auch Westerwald), im tiefsten Winter, abgeschieden von der Welt. Ein paar Ex-Kommilitonen treffen sich dort noch immer einmal jährlich, die zusammen die "brotlose Kunst" - Philosophie - studiert haben. Matzbach hat eh nichts Besseres zu tun und willigt ein, allein schon um sich mit den Leuten misszuverstehen und zu streiten. Dabei beobachtet er, wie die alten Freunde miteinander lachen, Schneemänner bauen, Tarotkarten legen, zu einander ins Bett hüpfen ... und plötzlich einen Toten unter sich haben. Nichts kommt dem Dickwanst gelegener, denn ein bisschen langweilig war ihm schon.

So steht er also vor der Aufgabe, diesen Mord zu klären, der einerseits durch den heftigen Schneefall begünstigt wurde, andererseits für den Mörder auch extrem hinderlich ist. Matzbach philosophiert sich mit Henry durch den Fall, unterstützt von Hexen, Mardern, nicht immer hilfreichen Freunden Henrys, Eiszapfen, Tarot und jeder Menge Alk und Essen. Klar, dass es wieder zu Wortgefechten zum Niederknien kommt, man als Leser nicht immer die Gedanken des Universaldilettanten verfolgen, sich aber immer amüsieren kann. Und was ein Mord mit Schneemännern zu tun hat, findet man irgendwann auch noch heraus.

Ja, ich finde die Reihe um Matzbach extrem cool, und dieses Buch ist wohl mein Lieblingsbuch, das ich mit einer klaren Empfehlung weiterreiche.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Elfen? Gibt's doch gar nicht ...

Silfur - Die Nacht der silbernen Augen
0

Fabio und Tom sind zwei Brüder, die sich ähnlicher kaum sein könnten, obwohl sie keine Zwillinge sind. Und doch unterscheiden sie sich in fast jeder Hinsicht. Tom ist hochbegabt, sportlich, wächst wie ...

Fabio und Tom sind zwei Brüder, die sich ähnlicher kaum sein könnten, obwohl sie keine Zwillinge sind. Und doch unterscheiden sie sich in fast jeder Hinsicht. Tom ist hochbegabt, sportlich, wächst wie ein Riesenbambus und hat einen schnellen Draht zu allen anderen. Fabio hingegen, obwohl der Ältere von beiden, scheint gar nicht wachsen zu wollen, er hat Probleme in der Schule und hängt am liebsten vorm Rechner. Sie begleiten ihre Eltern nach Island, als ihr Vater dort Arbeit bekommt, und lernen sofort Elin kennen, die Tochter ihrer Vermieterin. Elin ist anders als alle anderen Mädchen, wild, ungestüm, mit verrückten Einfällen. Tom und sie sind fast sofort Freunde, während Fabio sich ausgegrenzt fühlt. Das wird auch nicht besser, als er anfängt, Kinder zu sehen, die kein anderer zu sehen vermag, und sich plötzlich die Katastrophen um ihn herum häufen. Er begreift, dass er elfensichtig ist und kommt einem ungeheuerlichen Geheimnis auf die Spur - doch um den Fluch, der mit diesem Geheimnis verbunden ist, zu lösen, braucht er die Hilfe seines Bruders, Elins und ja - auch der Elfen.

Ich weiß, dass einigen der Einstieg in das Buch zu langatmig war, dass mehr Action gefordert wurde oder zu wenig Elfiges auftauchte. Für mich war das Tempo genau richtig, denn so konnte ich ausgiebig die beiden Jungs, ihre Eltern, die Isländer inklusive Elin kennen- und nach einiger Zeit auch schätzenlernen. Blazon hat die Gabe, Leute zu zeichnen, die gleichzeitig menschlich fehlerhaft und doch extrem sympathisch sind, selbst die anfangs nur aggressiv wirkenden Elfen gehören dazu. Mit ihrer Originalität und verrückten Einfällen hat sich mich echt begeistern können - zum Beispiel mit der Elfencam oder dem geheimen Elfennetz. Richtig großartig war die Beziehung zwischen den Brüdern, das neidisch sein auf die Fähigkeiten des anderen, und doch die unverbrüchliche Freundschaft zwischen den beiden.

In diesem Buch gibt es kein Liebesgeschnulze (wäre auch ein bisschen arg zeitig), aber es geht um Vertrauen, das Überwinden von Vorurteilen, die Stärke von Freundschaft und dass es manchmal auch ein Happy End gibt. Starkes Kinderbuch, das problemlos auch Erwachsenen gefällt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Wenn dein Land plötzlich nicht mehr dein ist

Ein endloser Albtraum (Doppelband: Morgen war Krieg / Die Toten der Nacht)
0

Das ist mal ein Buch, das ich immer wieder lesen kann, obwohl es eigentlich ein Jugendbuch ist. Eigentlich deshalb, weil es zwar um eine Gruppe von Jugendlichen geht, diese aber von einem Tag auf den anderen ...

Das ist mal ein Buch, das ich immer wieder lesen kann, obwohl es eigentlich ein Jugendbuch ist. Eigentlich deshalb, weil es zwar um eine Gruppe von Jugendlichen geht, diese aber von einem Tag auf den anderen erwachsen werden müssen.

Elli, die Ich-Erzählerin, und ihre Freunde leben im australischen Outback. Für diese Jugendlichen ist Traktor fahren oder Wurzeln sprengen so normal wie für unsere Großstadtkids das Skaten. In den Ferien beschließen sie, weit in die Berge zu fahren und dort zu campen. Zuerst ist alles so, wie es sich gehört. Lagerfeuer, Romantik, Spiele, Abenteuer. Doch dann hört Elli eines Nachts Flugzeuge über sie hinwegdröhnen, und als sie morgens aufwachen, ist das nicht mehr ihr Land. Eine fremde Nation (die nie genauer beschrieben wird, was ich sehr cool finde, denn eigentlich ist es doch egal, wer einen anderen überfällt) ist gewaltsam und kriegerisch in Australien eingedrungen und hat das Land übernommen. Sie töten, sie rauben, sie sperren die Menschen in Konzentrationslager. Für Elli und ihre Freunde beginnt ein gnadenloser Kampf ums reine Überleben, und sie haben nur einen Vorteil auf ihrer Seite: Sie kennen sich hier aus und sie wissen, dass man aus den einfachsten Dingen die mörderischsten Waffen bauen kann.

Der Schreibstil ist einfach nur klasse. Marsden, der ja ein Mann ist, bringt die Figur der Elli so überzeugend rüber, dass man keine Sekunde an ihr zweifelt. Ihre Freunde sind - ohne Klischees zu übermäßig zu bedienen - die üblichen Jugendlichen von nebenan. Der Coole, die Schüchterne, die Frau, die nicht mal in den Busch ohne ihr Make-up gehen kann. Trotzdem sind sie so lebendig, als würden sie tatsächlich irgendwo um die Ecke wohnen. Der Krieg ist grausam, und das wird auch so beschrieben. Die Acht sind keine Superheldentruppe, sie töten, sie werden verletzt, sie bluten, sind dreckig. Die Beschreibungen sind so eindringlich, dass man selbst die Fliegen summen hören kann, wenn wieder einmal Tote gefunden werden.

Ich finde, dieses Buch sollte Schullektüre werden. Erstens hätte dann mal einer Spaß dabei, zweitens lernt man auch was. Krieg hat nichts mit Helden zu tun - es geht immer um wirtschaftliche Interessen, und es gibt niemals Sieger, nur Verlierer.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Hinterkaifeck als Kammerspiel

Tannöd
0

Tannöd - einen besseren Titel hätte die Autorin für dieses Buch nicht finden und verwenden können. Denn dort, abgeschieden von der Dorfgemeinschaft, lebt die Familie Danner, eine seltsame Familie, die ...

Tannöd - einen besseren Titel hätte die Autorin für dieses Buch nicht finden und verwenden können. Denn dort, abgeschieden von der Dorfgemeinschaft, lebt die Familie Danner, eine seltsame Familie, die kaum jemand wirklich kennt und über die höchstens Gerüchte im Umlauf sind, samt deren Magd. Doch eines Tages sind sie tot, alle miteinander, selbst die kleinen Kinder wurden auf brutalste Weise erschlagen. Wer könnte für diese grausame Tat infrage kommen? Jemand aus dem Dorf? Ein Fremder, der zufällig vorbei kam? Mehrere Täter? Hier kommt die Interviewerin ins Spiel, welche ins Dorf kommt und einfach die Menschen befragt. Nachbarn (im Sinne von denjenigen, die am nächsten wohnen, denn Tannöd ist außerhalb der Dorfgemeinschaft), der Priester, Klassenkameradinnen der Tochter.

Sie kommen alle zu Wort, und das Geniale daran ist, dass damit jeder seine eigene Stimme bekommt, seine eigene Art zu sprechen, zu denken. Während die Befragten ihren Monolog über die Ermordeten halten, lernt man nicht nur die Opfer dieses Verbrechen kennen, sondern auch den Sprecher, die Dörfler, die Umgebung, ja, selbst die Beziehungen untereinander in der Gemeinschaft. Was die Geschichte so authentisch wirken lässt, ist, dass tatsächlich ein Hauch von Authenzität besteht, denn die Autorin hat sich an dem realen Mordfall Hinterkaifeck orientiert, der offiziell nie aufgeklärt wurde. Ich weiß, dass viele Leser diese Art von Schreibstil und vor allem die Gebete dazwischen nervig fanden, mich hat es einfach nur reingezogen in die Geschichte und mitgenommen in eine Zeit und Welt, die zwar immer noch existiert, aber von den meisten von uns auf diese Weise gar nicht wahrgenommen wird. Klasse Debüt, gut umgesetzt.