Die Geschichte:
Paul Glaser wächst als Katholik in Maastricht auf und erst später in seinem Leben beginnt er, sich über seine Familiengeschichte Gedanken zu machen: er hat jüdische Wurzeln, über die sein Vater allerdings beharrlich schweigt.
Durch Kontakte mit anderen Verwandten gelingt es ihm schließlich, vieles aus der Vergangenheit zu rekonstruieren und den Verbleib einiger Angehöriger während des Zweiten Weltkriegs zu klären.
Die herausragendste Persönlichkeit ist dabei seine Tante Roosje, eine Frau mit unheimlich viel Mut, Tatkraft, Optimismus und einer bewegenden Geschichte …
Meine Meinung:
Vor solchen Büchern habe ich immer sehr viel Respekt, denn man erlebt als Leser emotional meist recht hautnah, aber doch aus sicherer Entfernung die echte Geschichte eines realen Menschen.
In “Die Tänzerin von Auschwitz” erzählt uns Paul Glaser nicht nur aus seinem eigenen Leben, sondern vor allem hat er aus Gesprächen mit Zeitzeugen, alten Briefen und anderen Dokumenten ein Porträt seiner Tante Roosje geschaffen, das tief bewegt. Er hat sie sogar noch einmal selbst kennenlernen dürfen, aber leider blieb es bei einem kurzen Besuch.
Roosje wurde 1914 in den Niederlanden geboren und wuchs nicht nur dort, sondern auch einige Jahre in Deutschland auf. Ihr Vater war ein erfolgreicher Unternehmer, Roosje selbst gründete später mit ihrem Partner eine beliebte Tanzschule.
Musik, Poesie und vor allem Tanz waren Rosies Leben, sie hat – egal in welcher schlimmen Situation auch immer sie sich befand – Gedichte verfasst, Lieder komponiert, Choreografien kreiert und ihre eigene Geschichte zu Papier gebracht.
Dass von allen im Zweiten Weltkrieg besetzten Ländern in den Niederlanden der prozentual höchste Anteil der jüdischen Bevölkerung getötet wurde, war mir neu. Erschreckende 72 Prozent (die Dunkelziffer liegt noch höher), die wohl auch aufgrund tatkräftiger Mithilfe eifriger Bürger durch Verrat an ihren jüdischen Nachbarn, Kollegen, ja sogar Partnern begünstigt wurden.
Rosie konnte da gut mitfühlen, denn auch sie wurde mehrfach verraten. Sie war von ihrem Land, der Königsfamilie und den Behörden zutiefst enttäuscht, denn sie hatte nie den Eindruck, dass von dieser Seite große Hilfe zu erwarten gewesen wäre, eher im Gegenteil. Sogar nach dem Krieg wurden ihr nur Steine in den Weg gelegt, von Wiedergutmachung keine Spur. Umso besser war ihre Entscheidung, nach Schweden auszuwandern.
Das Eindrucksvolle an Rosie ist wirklich, dass sie sich immer an die unterschiedlichsten Situationen in ihrem Leben angepasst hat, wie ein Chamäleon, das immer die Farbe seiner Umgebung annimmt, um sich zu tarnen und dadurch zu überleben. Und Rosie hat vieles überlebt: grausame medizinische Versuche im Konzentrationslager, die Arbeit in der Gaskammer und in verschiedenen Rüstungsbetrieben, Hunger, Krankheiten, unsagbares Leid und den Tod zahlreicher liebgewonnener Freunde und Familienangehöriger.
Rosie lehrt uns, das Leben zu lieben und immer das Beste draus zu machen. Und vor allem zeigt sie uns, dass – nicht nur im Krieg – hinter der Fassade eines Feindes ein echter Freund stecken kann … und leider auch umgekehrt. Man sollte ohne Vorurteile an die Menschen herangehen, denn oft liegt man mit dem ersten Eindruck doch falsch.
Und sie hat sich auch niemals gescheut, alle Chancen, die sich ihr geboten haben, zu ergreifen. Manchmal muss man die Rücksichtnahme und Zurückhaltung eben vergessen, wenn es ums eigene Überleben geht.
Das Buch habe ich in einem Rutsch gelesen, denn es hat mich sehr gefesselt und bewegt. Ganz toll sind auch die vielen Fotos im Mittelteil, die ein lebendiges Bild von Rosie und einigen anderen Personen ermöglichen.
Fazit:
Ein aufmunterndes Zeitzeugnis, das uns zeigt, dass man nie aufgeben sollte im Leben.