Profilbild von Dreamworx

Dreamworx

Lesejury Star
offline

Dreamworx ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Dreamworx über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.03.2021

"Im Abschied ist die Geburt der Erinnerung." (Salvador Dali)

Ein neuer Anfang
0

1957 Berlin. Mehr als ein Jahrzehnt liegt der Krieg bereits zurück, die Mariendorfer Frauenklinik erstrahlt in neuem Glanz und kann sich aufgrund ihres guten Rufes über einen regen Zulauf freuen. Margot, ...

1957 Berlin. Mehr als ein Jahrzehnt liegt der Krieg bereits zurück, die Mariendorfer Frauenklinik erstrahlt in neuem Glanz und kann sich aufgrund ihres guten Rufes über einen regen Zulauf freuen. Margot, Edith und Luise sind nach all den Jahren immer noch eng befreundet und stehen kurz vor dem Abschluss ihres Berufslebens. Die Hebammenausbildung wird nach langer Zeit wieder in der Klinik eingeführt, so dass sich Oberhebamme Luise vor Bewerbungen kaum retten kann und sich für 10 neue Anwärterinnen entscheiden muss. Edith ist aus der Schweiz zurückgekehrt und deren Tochter Jule konnte ebenfalls einen Platz ergattern. In Helga und Marion findet sie bald nicht nur Leidgenossinnen, sondern auch enge Freundinnen. Währenddessen sucht Margot Ablenkung von ihren trüben Gedanken und schwingt das Tanzbein. Luise kümmert sich dagegen gemeinsam mit ihrer Liebe Max um vier gerettete Pflegekinder. Aber auch in der Klinik gibt es die täglichen Herausforderungen…
Linda Winterberg hat mit „Ein neuer Anfang“ den letzten Band ihrer historischen Hebammen-Saga vorgelegt, der zum Abschluss die 50er Jahre und deren Aufbruchsstimmung spannend einfängt, aber ebenso die Freundschaft von Luise, Margot und Edith noch einmal aufleben lässt, deren Beruf sie mit Leib und Seele vereinnahmt. Der flüssige, farbenfrohe und atmosphärisch-dichte Erzählstil lässt den Leser an den Seiten kleben und katapultiert in die damalige Zeit, um sich dort als unsichtbare Vierte an die Fersen der drei Hauptprotagonistinnen zu heften und deren Schicksale hautnah mitzuerleben. Dabei verknüpft die Autorin wieder meisterlich bildhaft die historischen Ereignisse mit ihrer Handlung. In den 50er Jahren waren Abtreibungen strafbar und die Frauen meist so verzweifelt, dass sie sich in dubiose Hände begaben, um das ungewollte Kind loszuwerden, was viele von ihnen aufgrund von Pfuscherei das Leben kostete. Zudem wären sie als ledige Mütter an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden, was sie praktisch zu solch einer Entscheidung zwang. Auch das Rollenbild der Frau hat sich gedreht. Nachdem die Frauen während und nach dem Krieg hart anpacken mussten, ist es nun wieder davon geprägt, sich dem Mann unterzuordnen, den Haushalt zu führen und die Kinder zu erziehen. Auch, wenn Luise, Edith und Margot der älteren Generation angehören, sind sie doch selbstsicher genug, sich nichts sagen zu lassen. Und die neue Generation steht bereits in den Startlöchern, um ihren Weg zu gehen, wenn sie auch noch einigen Nachholbedarf an Wissen haben.
Lebendig inszenierte Charaktere, die mit glaubhaften menschlichen Ecken und Kanten aufwarten, wachsen dem Leser schnell ans Herz, der ihnen gerne folgt und sowohl ihre Schicksale als auch ihre jeweilige Gefühlslage teilt. Luise ist resolut und trägt ihr Herz auf der Zunge. Ihre Gradlinigkeit ist für manche vielleicht nicht immer einfach, jedoch in ihrem Beruf unerlässlich. Sie ist engagiert und hilfsbereit. Margot hat noch an ihrem Verlust zu knabbern, doch lässt sie sich nicht hängen, sondern sucht Zerstreuung beim Tanzbeinschwingen. Auch an Edith sind die Jahre nicht spurlos vorbeigegangen, jedoch wirkt sie immer noch selbstsicher und besitzt ein gewisses Feuer. Aber auch Max, Jule, Helga und Marion wissen in ihren zugedachten Rollen zu überzeugen.
Mit „Ein neuer Anfang“ wird zwar das Ende der Hebammen-Saga eingeläutet, jedoch darf der Leser die liebgewonnenen Protagonistinnen noch einmal begleiten und nebenbei den damaligen Zeitgeist schnuppern. Eine fesselnde Geschichte gespickt mit akribischer Recherche macht den Abschied nicht leicht, lässt den Leser aber nach der Lektüre zufrieden zurück. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 07.03.2021

"Nichts zu sagen... sagt manchmal am meisten aus." (Emily Dickinson)

Klaras Schweigen
0

2018 Freiburg. Seit einem Schlaganfall bangt die 43-jährige Miriam um ihre Oma Klara, denn nach dem Unfalltod ihrer Eltern kam sie als Zweijährige zu ihr und wuchs dort liebevoll behütet auf. Nun muss ...

2018 Freiburg. Seit einem Schlaganfall bangt die 43-jährige Miriam um ihre Oma Klara, denn nach dem Unfalltod ihrer Eltern kam sie als Zweijährige zu ihr und wuchs dort liebevoll behütet auf. Nun muss sich Miriam um Klara kümmern und als sie endlich die erlösende Nachricht bekommt, dass Klara wieder erste Worte von sich gibt, eilt sie sofort in die Reha. Als sie ihre Großmutter Klara Worte stammeln hört, kann sie es zuerst gar nicht glauben, denn Klara spricht auf einmal Dialekt durchzogenes Französisch. Wie ist das möglich? Da Klara immer das Sprechen immer noch sehr schwer fällt, nimmt sich Miriam vor, den Dingen selbst auf den Grund zu gehen und Nachforschungen in Bezug auf die Vergangenheit anzustellen. Ein alter Brief ihres Großvaters Eduard von 1951 bringt sie schon bald über Konstanz nach Saint Malo in die französische Bretagne. Nach und nach gelingt es ihr, nicht nur ihrer Familiengeschichte ein neues Gesicht zu geben, sondern auch ein 70 Jahre altes Geheimnis zu lüften…
Mit „Klaras Schweigen“ setzt Bettina Storks die Messlatte einmal mehr ein Stück weiter nach oben, die mit ihren Vorgängerromanen bereits eine beachtliche Höhe erreicht hat. Mit flüssigem, bildgewaltigem und gefühlvollem Erzählstil präsentiert sie dem Leser eine Geschichte über zwei parallel laufende Zeitebenen. Neben Miriams Gegenwart und Spurensuche im Jahr 2018 wird die Handlung vor allem gefüllt mit Klaras Vergangenheit, deren schwierigen Familienverhältnissen und jeder Menge Zeitgeschichte der Nachkriegszeit in der französischen Besatzungszone, dem diffizilen Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich, den damalig herrschenden gesellschaftlichen Gepflogenheiten sowie dem sich nach und nach offenbarenden Geheimnis, das Klara so lange für sich behalten hat. Schon der Prolog aus dem Jahr 1944 katapultiert den Leser mitten hinein in die Geschichte, die ihn dann regelrecht an den Seiten kleben lässt, bis das Ende erreicht und das Geheimnis gelüftet ist. Storks großes Talent, akribisch recherchierten historischen Hintergrund mit ihrer Handlung zu verknüpfen, lässt den Leser auch in diesem Roman wieder Geschichte leibhaftig miterleben. Während der Leser sich mitten in Klaras Familie niederlässt, erlebt er die extrem fromme katholische Mutter, aber auch den tyrannischen Vater, der dem Alkohol zuspricht und seinen Hass auf die Franzosen offen zur Schau stellt, dann sogar seine eigene Tochter vor die Tür setzt. Immer wieder überrascht Storks mit gelungenen Wendungen, die dem Leser die Spannung bis zum Ende der Geschichte erhalten.
Die Charaktere sind ebenfalls ausgesucht detailliert in Szene gesetzt und mit Leben gefüllt. Individuelle menschliche Eigenschaften lassen sie glaubhaft und authentisch wirken, so dass der Leser sich neugierig an ihre Fersen heftet und regen Anteil an ihrem Schicksal nimmt. Miriam ist eine fürsorgliche und warmherzige Frau mit einer intelligenten Neugier, die Puzzleteile zusammenzusetzen. Klara eine fleißige junge Frau, die sich gegen ihren Vater auflehnt, die große Liebe unter ungünstigem Stern erlebt und teuer dafür bezahlen muss. Ihre Schwester Lotte ist eine unangenehme Person, die mit unbedachten Worten ein Drama ausgelöst hat. Klaras Mutter Adelheid ist sehr gläubig, während ihr Vater ein unzufriedener Despot ist, der sich ungerecht behandelt fühlt und andere dafür verantwortlich macht. Pia ist Miriam eine gute und verlässliche Freundin, aber auch Großvater Eduard, Pascal und weitere Protagonisten spielen wichtige Rollen in dieser Geschichte.
„Klaras Schweigen“ ist eine hervorragend recherchierte Geschichte, die von der ersten bis zur letzten Seite fesselt und den Leser durch eine Achterbahn der Gefühle jagt. Dramatisch, tragisch, lebendig, gefühlvoll und vor allem tiefgründig lässt Storks den Leser nicht vergessen, was gut erzählte Geschichten können: begeistern! Absolute Leseempfehlung für ein Wahnsinnsbuch, mal wieder! Chapeau – es geht doch immer noch besser!!!

Veröffentlicht am 07.03.2021

"Glücklich allein ist die Seele, die liebt." (Johann Wolfgang von Goethe)

Die Roseninsel
0

Nach dem Tod ihrer wunderbaren Eltern Hannes und Peggy sowie der familieneigenen Buchhandlung hat Buchhändlerin Emma jeglichen Anker verloren. Nur die „Liebesliste“ ihrer Mutter und ihre beste Freundin ...

Nach dem Tod ihrer wunderbaren Eltern Hannes und Peggy sowie der familieneigenen Buchhandlung hat Buchhändlerin Emma jeglichen Anker verloren. Nur die „Liebesliste“ ihrer Mutter und ihre beste Freundin Marie geben ihr noch den nötigen Halt und lassen sie nicht mit dem Leben hadern. Eine Reise nach London, um auf den Spuren ihrer Eltern zu wandeln, die sich dort kennengelernt haben, soll sie auf andere Gedanken bringen. Doch dann nimmt der Aufenthalt dort eine völlig neue Richtung. In einem Park liest Emma den kleinen Mischlingshund Jimmy auf, der sie in das Haus der wohlhabenden Allingtons führt, wo Emma sofort von der älteren verwitweten Hausherrin Ava herzlich aufgenommen wird. Die beiden Frauen bauen schnell ein inniges Vertrauensverhältnis auf, so dass Ava für Emma nicht nur ihr Haus und Herz öffnet, sondern ihr auch das Angebot unterbreitet, die Bibliothek in ihrem Cornwall’schen Landsitz Rosewood Manor für ihren geliebten Sohn Ethan zu aktualisieren und zu bestücken. Emma kann ihr Glück kaum fassen und macht sich voller Vorfreude auf den Weg nach Cornwall. Kaum hat sie sich auf dem Anwesen eingerichtet, steht unerwartet Ethan in der Tür, der über Emmas Anwesenheit nicht gerade erfreut ist. Aber vor Amors Pfeilen ist niemandes Herz je sicher…
Gabriele Diechler hat mit „Die Roseninsel“ einen wunderschönen, romantischen Liebesroman vorgelegt, der den Leser nicht nur zu einer herrlichen Auszeit ins malerische Cornwall einlädt, sondern ihm in ihrer unvergleichlichen Art auch einmal mehr die Augen öffnet, was Liebe wirklich bedeutet. Mit ihrem warmherzigen, farbenfrohen und poetischen Erzählstil lotst sie den Leser in ihre tiefgründige und komplexe Geschichte hinein, der sich neben Auszügen aus Peggys „Liebesliste“ nicht nur der gegenwärtigen Lage von Emma gegenübersieht, sondern auch durch geschickt platzierte Rückblenden in die Vergangenheit von der Begegnung und der wundervollen Beziehung zwischen Emmas Eltern Peggy und Hannes erfährt. Emma, die in dem schützenden Kokon einer alles umfassenden innigen Herzensliebe aufgewachsen ist, steht auf einmal ganz allein da und wünscht sich für sich selbst nichts sehnlicher, als ebenso eine Beziehung wie die ihrer Eltern. Peggy und Hannes haben sich schon bei ihrer ersten Begegnung als Seelenverwandte „erkannt“, was auch ihrem Umfeld nicht verborgen blieb, denn ihre Liebe umschloss dieses vorbehaltlos wie eine warme Kuscheldecke mit ein. Davon zeugt auch Peggys Liebesliste. An der Umbruchsstelle ihres Lebens nimmt sie in England die Spur ihrer Eltern auf, um ihnen noch einmal ganz nah zu sein, aber auch, um sich selbst neu zu sortieren. Man sagt ja „Unverhofft kommt oft, man muss nur bereit dafür sein.“ So trifft es auch Emma und dank der offenen und lebensbejahenden Erziehung ihrer Eltern ist Emma in der Lage, selbst schwierigste Situationen und Herzensdinge auf ihre Art zu meistern. Unvorhergesehene Wendungen sowie schöne Dialoge lassen den Leser durch die Zeilen rauschen, weil er gar nicht genug von dieser herzerwärmenden Geschichte bekommen kann.
Ein buntes Potpourri an lebendigen Charakteren, die neben glaubwürdigen menschlichen Eigenschaften auch jede Menge Charme versprühen, nimmt den Leser sofort in ihre Mitte, der mit ihnen bangt, hofft, lacht und weint. Emma ist eine offene und warmherzige Frau auf der Suche. Marie ist eine wunderbare Freundin, impulsiv und für alles zu haben. Ava besticht mit Fürsorge, Eleganz und Großzügigkeit. Sally ist die gute Seele und Jasper ein Chauffeur der besonderen Art. Ethan ist ein Mann voller Inspiration und vor allem mit einem großen Herzen. Clemmie trägt ihr Herz auf der Zunge. Bee schleicht sich mit ihrer Plapperei sofort ins Leserherz. Aber allen voran steht Jimmy als Herzensbrecher und kleiner Kuppler!
„Die Roseninsel“ ist nicht nur eine wundervolle Liebesgeschichte, sondern ein tiefgründiges Buch über Verlust, Vertrauen, wahre Freundschaft, geöffnete Herzen und die einzig wirklich wichtigen Dinge im Leben, die wir im Alltag viel zu oft vergessen. Absolute Leseempfehlung für ein wunderbares Kleinod – besser geht es nicht – Chapeau!

Veröffentlicht am 06.03.2021

"Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft." (Wilhelm von Humboldt)

Stay away from Gretchen
0

Der bekannte Nachrichtensprecher Tim Monderath lebt gern als Single in Köln und genießt sein Leben mitsamt allen Freiheiten, die es zu bieten hat. Einzig die zunehmende Verwirrtheit seiner 84-jährigen ...

Der bekannte Nachrichtensprecher Tim Monderath lebt gern als Single in Köln und genießt sein Leben mitsamt allen Freiheiten, die es zu bieten hat. Einzig die zunehmende Verwirrtheit seiner 84-jährigen Mutter Greta macht ihm Sorgen, denn die alte Dame vergisst immer mehr die Gegenwart. Als sich ihr Zustand weiter verschlechtert, bleibt Tim nichts anderes übrig, als sich mehr um Greta zu kümmern. Alte Fotos und Briefe aus der Vergangenheit lassen ihn nach und nach die Geschichte seiner Mutter erfahren, die in dem ostpreußischen Eylau ihre Kindheit verbracht hat, um dann im Zweiten Weltkrieg vor den Russen zu fliehen und nach Heidelberg kam. Beim Anblick eines Fotos von einem Mädchen dunkler Hautfarbe allerdings bringt Greta zum Verstummen und gibt Tom Rätsel auf. Was hat es mit dem Kind auf sich und was hat seine Mutter damit zu tun?
Susanne Abel hat mit „Stay away from Gretchen“ einen sehr empathischen und gefühlvollen Roman vorgelegt, der gleich mehrere diffizile Themen (wie Demenz, Krieg, Rassismus und Flucht) beinhaltet und gleichzeitig ein Frauenschicksal anhand geschichtlicher Ereignisse Revue passieren lässt. Der flüssige, bildgewaltige und einfühlsame Erzählstil lässt den Leser abwechselnd mal Tom wie einen Schatten in der Gegenwart folgen, um sein Umfeld und sein Leben kennenzulernen, führt ihn aber auch durch eine Reise in die Vergangenheit in Gretas Lebenslauf hinein, wo er ihre Erlebnisse und das ihrer Familie aus erster Hand miterlebt. Während sich Tom mit der Verwirrtheit seiner Mutter beschäftigen muss, die sich als Demenz herausstellt, erfährt er Dinge über Greta, von denen er bisher nichts wusste. Alte Geheimnisse drängen an die Oberfläche, die aufgrund der geschichtlichen Gegebenheiten lange verschüttet blieben und ihre Hüter gezeichnet haben. Die Autorin versteht es wunderbar, Gretas Geschichte mit historischen Fakten zu verweben, so dass der Leser mit ihr nicht nur die harten Zeit der Flucht aus Ostpreußen miterlebt, sondern auch in den Heidelberger Schwarzmarkt eintaucht und Gretas bittersüße Liebe zu einem farbigen GI hautnah miterlebt. Aber auch die Flüchtlingsbewegung im Jahr findet ihren Platz in dieser Geschichte und lässt die Handlung so sehr lebendig wirken. Gerade Toms Bemühungen um seine Mutter und der Austausch zwischen den beiden, wenn Greta klare Momente hat, sind unheimlich nahbar beschrieben und schicken den Leser durch ein wahres Wechselbad der Gefühle. Dies ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass die Autorin aus einem Schatz an eigenen Erfahrungen schöpfen konnte.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und in Szene gesetzt. Mit ihren sehr glaubwürdigen menschlichen Eigenheiten wachsen sie dem Leser schnell ans Herz, der sich gut in sie hineinversetzen und mit beiden Seiten fühlen kann. Tim ist beruflich erfolgreich, führt ein ausgefülltes Leben, wobei ihm Ungebundenheit und Freiheit unheimlich wichtig sind. Die Gebrechlichkeit seiner Mutter passt nicht in sein Konzept, doch muss er sich um sie kümmern. Was erst eher unwillig aussieht und ihn eher hartherzig wirken lässt, entpuppt sich nicht nur als Angst vor Lebensveränderungen, sondern auch vor Verlust. Mehr und mehr kümmert er sich fürsorglich und liebevoll um Greta, taucht in ihr Leben ein, erfährt mehr über seine eigenen Wurzeln und vor allem über den Schmerz, den Greta all die Jahre verdrängt hat. Greta hat so viele Schicksalsschläge ertragen müssen, dass ihr Vergessen eine Art Flucht vor den vergangenen Dingen ist. Auch Gretas Großeltern spielen eine wichtige Rolle in dieser Geschichte.
„Stay away from Gretchen“ ist ein wunderbarer Schicksalsroman, der mit vergangener Historie und gesellschaftlichen Normen eng verknüpft ist. Authentisch, berührend und vor allem großartig erzählt, klingt dieser tiefgründige Roman noch lange nach der letzten Seite nach. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 27.02.2021

Swinging Sixties am Starnberger See

Die Wunderfrauen
0

60er Jahre Starnberg. Die Nachkriegsjahre sind vorbei, in Deutschland hat das Wirtschaftswunder Einzug gehalten. Der Lebensmittelladen von Luise Dahlmann brummt, denn sie verliert die Wünsche ihrer Kunden ...

60er Jahre Starnberg. Die Nachkriegsjahre sind vorbei, in Deutschland hat das Wirtschaftswunder Einzug gehalten. Der Lebensmittelladen von Luise Dahlmann brummt, denn sie verliert die Wünsche ihrer Kunden nie aus den Augen. Neben der vielen Arbeit denkt Luise immer wieder über Veränderungen und neue Konzepte nach, um sich gegenüber der Konkurrenz zu behaupten. Helga Löw, Luises ehemalige Freundin, ist inzwischen studierte Frauenärztin und kommt mit ihrem Sohn David zurück nach Starnberg, um dort eine Stelle in der Seeklinik anzutreten. Marie Brandstetter ist inzwischen dreifache Mutter und kämpft auf dem Hof in Leutstetten allein an allen Fronten. Annabel von Thaler hat ihr zweites Kind bekommen, Töchterchen Marlene kam allerdings mit einer Fehlbildung zur Welt, was Annabel in eine Krise stürzt. Während jede Frau ihre Päckchen zu tragen hat und sie sich gegenseitig zu stützen suchen, beginnt in Deutschland die Zeit der Swinging Sixties…
Stephanie Schuster lädt den Leser mit „Von allem nur das Beste“ ihrer historischen Trilogie um die Wunderfrauen Luise, Marie, Helga und Annabel ein, sich erneut unter die Damen zu mischen und diese einen weiteren Lebensabschnitt zu begleiten. Der flüssig-leichte, bildhafte und fesselnde Erzählstil lässt den Leser in die Seiten abtauchen, wo er durch einen vielversprechenden Prolog schon vor ein Rätsel gestellt wird, das sich im Verlauf der Geschichte auflösen wird und schon einmal die Spannung schürt. Durch abwechselnde Perspektiven findet sich der Leser immer wieder an der Seite einer der Frauen wieder, um ihre derzeitige Lebenslage und ihren Alltag aufzuschnappen sowie die zwischenmenschlichen Beziehungen zu den anderen mitzuerleben. Die Autorin lässt auch neue technische Errungenschaften (z.B. eine Waschmaschine), die medizinische Entwicklung und den gesellschaftspolitischen Umbruch in Deutschland sehr gut in ihre Handlung miteinfließen. Themen wie Geburtenkontrolle durch die Pille, die Contergan-Fälle, Rock’n’Roll sowie die Hippiebewegung in Berlin spiegeln den Zeitgeist von damals wunderbar wieder, aber auch die Beschreibungen des Lebensmittelladens, der Seeklinik sowie der Landschaft fangen die damals herrschende Atmosphäre sehr gut ein.
Die Charaktere sind facettenreich und realitätsnah gestaltet, haben sich weiterentwickelt und umgarnen den Leser mit ihrer Lebendigkeit, der sich gern wieder interessiert an ihre Fersen heftet um mit ihnen die wilden 60er zu erleben. Luise ist die geborene Verkäuferin und ein Arbeitstier, ständig mit neuen Ideen und aufmerksam um ihre Kunden und ihre Tochter bemüht. Sie besitzt ein großes Herz und kümmert sich auch liebevoll um andere. Marie ist 24 Stunden für andere da, dabei fehlt ihr immer öfter die Zeit für sich selbst. Annabel hilft Luise im Laden, um Abwechslung in ihr Leben zu bringen. Die Geburt ihrer Tochter lässt sie hadern und führt auch zu Problemen in ihrer Ehe. Helga ist eine für ihre Zeit sehr fortschrittliche Ärztin, die sich damit allerdings nicht überall Freunde macht.
„Von allem nur das Beste“ ist eine sehr unterhaltsame und kurzweilige Fortsetzung. Das Wiedersehen mit den vier Wunderfrauen ist herrlich, ebenso der Streifzug durch die Sechziger Jahre. Die Autorin zieht hier gekonnt alle Register und bietet dem Leser nicht nur Liebe, Schicksalsschläge und Freundschaft an, sondern auch einen sehr gut recherchierten historischen Hintergrund, so dass der Leser eine tolle Zeitreise antritt, während er die Lebenswege der Frauen begleitet. Absolute Leseempfehlung!