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Veröffentlicht am 27.02.2021

Eine Familiengeschichte voller Geheimnisse auf zahlreichen Zeitebenen

Die vier Gezeiten
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Adda und Eduard Kießling leben seit Jahrzehnten auf Juist. Nach dem Krieg hat Addas Mutter Joanne dort das Hotel de Tiden wieder aufgebaut, das inzwischen von Eduard geleitet wird. Dieser war außerdem ...

Adda und Eduard Kießling leben seit Jahrzehnten auf Juist. Nach dem Krieg hat Addas Mutter Joanne dort das Hotel de Tiden wieder aufgebaut, das inzwischen von Eduard geleitet wird. Dieser war außerdem lange der Bürgermeister von Juist und soll in wenigen Tagen für seine Verdienste rund um den Schutz des Wattenmeers mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet werden. An diesem Ereignis nehmen natürlich auch die auf der Insel lebenden Töchter Theda und Frauke teil, und sogar Marijke, die Jüngste, ist aus Amerika angereist.

Mitten in die Proben platzt Helen herein, die Adda wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Sie ist den Hinweisen ihrer Adoptivmutter von Neuseeland nach Juist gefolgt, um mehr über ihre leibliche Mutter herauszufinden. Doch die Kießlings geben sich verschlossen. Kann eine von Addas Töchtern die Mutter sein, oder gibt es über andere Verwandtschaftsstränge eine Erklärung für die Ähnlichkeit? Als einzige sucht Adda das Gespräch mit Helen und stößt bei ihren Recherchen auf eine Vielzahl an Geheimnissen.

Das Buch beginnt mit einer Szene aus dem Jahr 1978, in dem eine Frau einen Abschiedsbrief verfasst und ins Watt geht, um zu ertrinken. Wer dies ist und warum wird erst einmal nicht erklärt. Stattdessen springt das Buch ins Jahr 2008, wo Helen bei den Proben zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Dr. Eduard Kießling auf die versammelte Familie trifft und Verwirrung auslöst. Die ablehnende Reaktion der Familie sorgte bei mir für Unverständnis. Warum interessiert sich niemand dafür, auf welchem Weg Helen mit Adda verwandt ist, deren Ähnlichkeit frappierend ist?

Schon bald wird deutlich, dass die Familie voller Geheimnisse steckt. Ein Ausruf ihrer dementen Mutter Joanne beim Anblick Helens bringt Adda dazu, nachzubohren. In klaren Momenten schildert Joanne ihr die Situation auf Juist im Jahr 1934, als sie die Tochter des Hausmeisters der vornehmen „Schule am Meer“ war. Adda erinnert sich selbst zudem an ihre Zeit in Dresden in den letzten Tagen des Krieges und der Rückkehr nach Juist in den 1950er Jahren.

Die Geschichte springt zwischen dem Jahr 2008 und den Rückblicken hin und her. Dabei enthüllen sich allmählich überraschende Aspekte der Familiengeschichte, über die viele Jahrzehnte lang geschwiegen wurde. Bei der Vielzahl der auftretenden Personen mit teils ähnlichen Namen (wie Onno und Okke) fiel es mir bisweilen schwer, den Überblick zu behalten.

Das Buch behandelt eine große Bandbreite unterschiedlicher Themen wie den Zweiten Weltkrieg und die Judenverfolgung, Enteignung in der DDR, den damaligen Umgang mit Homosexualität, die Situation in Westberlin nach dem Bau der Mauer, die Verschmutzung der Nordsee und vieles mehr. Hinzu kommen zahlreiche unglückliche Lieben, aus denen sich die meisten der Geheimnisse ergeben. Die zahlreichen Einblicke sind zwar interessant, aber für meinen Geschmack wäre weniger mehr gewesen.

Was dafür zu kurz kommt ist ein genaueres Kennenlernen von Addas Töchtern und Helen. Die Geschichte fokussiert sich hauptsächlich auf Joannes und Addas Lebensgeschichte, während man über die Töchter weniger erfährt, als ich es mir erhofft hätte. Auch Helens Suche macht lange keine Fortschritte. Die Auflösung kommt schließlich sehr schnell und das Ende fand ich zu abrupt.

„Die vier Gezeiten“ ist ein Familienroman über vier Generationen. Die Lebensgeschichten der Frauen werden stückweise enthüllt und eine Vielzahl an Geheimnissen wartet darauf, gelüftet zu werden. Ein Roman für alle, die komplexe Familiengeschichten auf mehreren Zeitebenen mögen!

Veröffentlicht am 25.02.2021

Geschichte über drei ganz verschiedene Frauen, die sich in einem Kulturzentrum in Kansas begegnen

Die Bücherfrauen
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In der Kleinstadt New Hope in Kansas steht ein Kulturzentrum, das ehemals eine Bibliothek war. Ihr Bau wurde wie viele andere Bibliotheken auf der ganzen Welt vom Philanthrop Andrew Carnegie finanziert. ...

In der Kleinstadt New Hope in Kansas steht ein Kulturzentrum, das ehemals eine Bibliothek war. Ihr Bau wurde wie viele andere Bibliotheken auf der ganzen Welt vom Philanthrop Andrew Carnegie finanziert. Angelina, die seit zehn Jahren an ihrer Dissertation zu den Carnegie-Bibliotheken arbeitet, kehrt nach vielen Jahren an diesen Ort zurück. Sie möchte vor allem mehr über ihre verstorbene Großmutter herausfinden, die damals wichtige Rolle bei der Eröffnung der Bibliothek gespielt hat.

Im Kulturzentrum trifft Angelina auf Traci, die als Gastkünstlerin aus New York angereist ist und ein Geheimnis hat: Sie ist vor Bettwanzen und ihrem Vermieter geflohen und hat keine Erfahrung im Unterrichten. Jetzt soll sie sich um die Quassel-Quilter und die Querulanten kümmern. Erstere sind an Klatsch und Tratsch interessierte Frauen, letztere rebellische Teenager, die nicht freiwillig da sind. Am Treffen der Quassel-Quilter nimmt schließlich auch Gayle teil, die aus dem benachbarten Prairie Hill stammt, das von einem Tornado vor kurzem gänzlich zerstört wurde.

Die Geschichte wird abwechselnd aus den Perspektiven der drei Frauen erzählt, die neu in New Hope sind. Wegen des Tornados gibt es keine freien Hotelzimmer mehr, sodass Angelina bei der Bibliothekarin Elena unterkommt, als diese hört, wer ihre Großmutter ist. Trotz der freundlichen Aufnahme erweist sich die Recherche als schwierig, denn die Aufzeichnungen ihrer Großmutter sind nicht auffindbar und einige Bewohner scheinen etwas zu wissen, wollen aber nicht darüber reden. Durch Angelinas Arbeit an ihrer Dissertation erfuhr ich Interessantes über die Carnegie-Bibliotheken, die mir vor der Lektüre kein Begriff waren.

Traci ist ein Charakter voller Selbstzweifel. Sie schafft großartige Kunstwerke aus alten Sachen und Müll, fühlt sich aber wie eine Hochstaplerin, da sie die Referenzen erfunden hat, mit denen sie den Job als Gastkünstlerin erhalten hat. Ihre Arbeit mit den Quassel-Quiltern und den Querulanten wird auf abwechslungsreiche Art und Weise geschildert. Vor allem die Teenager, die Traci zum Teil an sich selbst erinnern, stellen sie vor ganz schöne Herausforderungen. Auch Gayle, deren Kapitel kürzer sind als die der anderen beiden, ist voller Zweifel. Nach dem Tornado weiß sie nicht, ob sie auf den Trümmern ihres alten Heims etwas Neues bauen oder wegziehen soll.

Die drei Frauen treffen bei den Quassel-Quiltern aufeinander. Der Fokus liegt aber weniger auf der Frauenfreundschaft, sondern mehr darauf, jede auf ihrem eigenen Weg zu begleiten und ihrer Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie es für sie weitergehen soll. In gemütlichem Tempo wird von dem neuen Leben erzählt, das die drei in New Hope aufbauen.

„Die Bücherfrauen“ ist eine Feelgood-Geschichte mit schönen und nachdenklich stimmenden Momenten und ohne allzu großes Drama. Ein lesenswertes Buch über Neuanfänge, in dem eine ehemalige Bibliothek der Dreh- und Angelpunkt ist.

Veröffentlicht am 22.02.2021

Jahre zwischen Hoffnung und Sorge

Jugend
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„Jugend“ von Tove Ditlevsen ist der zweite Teil ihrer Kopenhagen-Trilogie. Nachdem die Autorin mich in „Kindheit“ mit ihrer Art und Weise des Erzählens fesseln konnte, war ich gespannt, mehr über ihre ...

„Jugend“ von Tove Ditlevsen ist der zweite Teil ihrer Kopenhagen-Trilogie. Nachdem die Autorin mich in „Kindheit“ mit ihrer Art und Weise des Erzählens fesseln konnte, war ich gespannt, mehr über ihre Zeit als Jugendliche zu erfahren. Der zweite Teil beginnt nach Toves Schulabschluss mit der Aufnahme ihrer ersten Arbeitsstelle und endet 1939 kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit einem wichtigen Ereignis für Toves zukünftige schriftstellerische Karriere.

Mit Toves Eintritt ins Arbeitsleben beginnt für sie eine neue, schwierige Zeit. Die erste Anstellung verliert sie schon nach wenigen Stunden, doch die nächste Stelle ist nicht viel besser. Tove muss hauptsächlich putzen, eine Arbeit, die sie anstrengend und langweilig findet. Wenn sie schon nicht das Gymnasium besuchen darf, dann will sie doch wenigstens in einem Büro arbeiten. Ihre entsprechenden Bewerbungen bleiben jedoch ohne Erfolg. Der Ton ist härter in dieser Zeit, sie schreibt keine Gedichte und auch für philosophische Überlegungen, die den vorherigen Band prägten, fehlt Tove der Sinn.

Nach einer Weile wird der Ton wieder lebhafter, denn Tove tritt eine neue Arbeitsstelle in einem Büro an. Dort muss sie zwar die anspruchslosesten Aufgaben übernehmen, darf dafür aber an der Schreibmaschine üben. Außerdem findet sie eine neue Freundin, mit der sie bis zehn Uhr ausbleiben und tanzen gehen darf. Die Begegnung mit einem Mann, der in den Krieg ziehen wird, inspiriert sie zu einem Gedicht von neuer Qualität und Reife.

Die Autorin vermittelt über ihre Art des Erzählens auf gelungene Weise die jeweilige Stimmung. Dieser Band ist schlichter und weniger träumerisch als sein Vorgänger, der mir insgesamt noch etwas besser gefallen hat. Tove schwankt zwischen Hoffnung und Sorge. Auf der einen Seite wachsen ihre Freiheiten und sie arbeitet daran, endlich ein Gedicht zu veröffentlichen. Auf der anderen Seite verliert sie immer wieder ihre Arbeitsstelle und ein neuer Weltkrieg droht. Das Leben im Kopenhagen der 1930er Jahre mit seinen Licht- und Schattenseiten wurde durch Tove Ditlevsens Schilderungen lebendig und bin nun sehr gespannt auf „Abhängigkeit“, den letzten Band der Trilogie.

Veröffentlicht am 06.02.2021

Jetzt DAVE!

DAVE - Österreichischer Buchpreis 2021
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Ein Forschungskomplex in der Zukunft: Hier arbeiten Tausende an der Erschaffung von DAVE, einer allmächtigen künstlichen Intelligenz, die alle Probleme der Menschheit lösen soll. Syz ist einer der unzähligen ...

Ein Forschungskomplex in der Zukunft: Hier arbeiten Tausende an der Erschaffung von DAVE, einer allmächtigen künstlichen Intelligenz, die alle Probleme der Menschheit lösen soll. Syz ist einer der unzähligen Programmierer, die Entscheidungsbäume, sogenannte SCRIPTs wie „Einen Nagel in die Wand schlagen“ entwickeln, die in DAVE eingespielt werden. Doch um ein menschliches Bewusstsein zu entwickeln, fehlt noch etwas. Syz wird ausgewählt, um DAVE als Vorbild zu dienen und seine Erinnerungen auf ihn zu übertragen. Die Beförderung bringt allerlei Annehmlichkeiten mit sich und verschafft ihm gleichzeitig Zugang zu neuen Informationen. Diese wecken allmählich Zweifel in ihm, welche Absichten die Entwickler wirklich haben.

Zu Beginn des Buches lernt der Leser den Programmierer Syz kennen. Wie viele andere schreibt er jeden Tag stundenlang SCRIPTs und arbeitet in seiner Freizeit an seiner Doktorarbeit. Doch seine Anträge auf Beförderung werden seit langem abgelehnt. Das Kennenlernen mit der Ärztin Khatun durchbricht seine Routine, doch nach ihrer ersten Begegnung scheint sie spurlos verschwunden. Ein Fehler löst kurz darauf einen Anstieg der Temperaturen und chaotische Zustände aus, welche die Instabilität des Systems deutlich werden lassen.

Schon auf den ersten Seiten passiert allerhand Aufregendes, gleichzeitig wird Syz Leben im Forschungskomplex erklärt. Ein Leben auf der Erde außerhalb des riesigen Gebäudes ist nicht mehr möglich, und innerhalb der Mauern hat sich eine klare Hierarchie entwickelt. Im Mittelpunkt der Gesellschaft steht DAVE, ein in der Entwicklung befindliches transzendentes Bewusstsein und die Hoffnung aller. Die Frage, wozu er nach seiner Vollendung genutzt werden soll, hat zur Bildung unterschiedlicher religionsartiger Strömungen geführt hat: Die Neoterraner wollen die Erde wieder besiedelbar machen und dann ins Weltall ausströmen, während die Transhumanisten an die Überkommenheit des Menschen glauben und eins werden wollen mit der Maschine.

Syz kommt bald einigen Ungereimtheiten auf die Spur, durch welche die Handlung an Spannung gewinnt. Warum kann er Khatun nicht wiederfinden? Wer schreibt ihm heimlich Nachrichten? Und was ist mit der Person geschehen, die vor Syz als Vorbild für DAVE dienen sollte? Die Suche nach Antworten wird allerdings häufig ausgebremst, um dem Leser das relevante Wissen zum Verständnis der Handlung zu vermitteln. Mit zahlreichen Ideen und Theorien der Philosophie und IT, die beschrieben und debattiert werden, stellt das Buch einen großen Anspruch an den Leser. Die Handlung ist komplex, für meinen Geschmack an manchen Stellen zu komplex, und schafft viel Diskussionspotenzial und Raum für Interpretation. Der subtile Humor hat mir sehr gut gefallen. Die Autorin schafft starke Bilder, die im Gedächtnis bleiben.

„DAVE“ ist ein anspruchsvoller Roman für alle, die Lust haben, sich auf intellektuell anregende und kreative Weise mit der Idee eines künstlichen Bewusstseins auseinanderzusetzen.

Veröffentlicht am 30.01.2021

Auf den Spuren der Tiger vom englischen Zoo in die russische Taiga

Tiger
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Frieda, die seit Jahren das Verhalten von Bonobos erforscht, ist durch ein einschneidendes Ereignis aus der Spur geraten und verliert deswegen schließlich ihren Job. In einem Zoo findet sie eine Anstellung ...

Frieda, die seit Jahren das Verhalten von Bonobos erforscht, ist durch ein einschneidendes Ereignis aus der Spur geraten und verliert deswegen schließlich ihren Job. In einem Zoo findet sie eine Anstellung als Tierpflegerin. Warum Gabriel, der Sohn des Chefs, sich viel mehr für den Tiger als für die Bonobos interessiert, kann sie nicht nachvollziehen. Doch dann erhält der Zoo ein neues Sibirisches Tigerweibchen, um das sich ausgerechnet Frieda kümmern soll. Weit weg von England, in der russischen Taiga, hat sich Tomas vor Jahren gegen eine Familie und für ein Leben an der Seite seines Vaters entschieden, der ein Tigerreservat aufbauen will. Eines Tages trifft er mitten in der Wildnis auf die zehnjährige Sina, die dort draußen aufgewachsen ist.

Zu Beginn des Buches lernt man Frieda kennen, die eine schwere Zeit durchgemacht hat und am Tiefpunkt angekommen ist. Ihre Kündigung und ein neuer Job machen ihr klar, dass es so nicht weitergehen kann. Während sie sich am Anfang gar nichts anderes als die Arbeit mit Bonobos vorstellen kann wächst ihre Faszination für den Tiger allmählich. Ich habe eine emotionale Bindung zu ihr aufgebaut und war deshalb ein wenig enttäuscht, als der erste Teil des Buches mit einem dramatischen Cliffhanger endet und die Geschichte zu Tomas und Sina schwenkt. Ihr Leben in der Taiga, in der man jederzeit einem Tiger begegnen könnte, ist kalt und wenig luxuriös. Doch Tomas hat sich bewusst dafür entschieden und Sina kennt es gar nicht anders. Aufgrund der vielen Zeitsprünge fühlte ich mich den beiden aber nicht so nah wie Frieda. Die Geschichte spielt zu unterschiedlichen Zeiten, bis im vierten und letzten Teil alle Fäden auf gelungene Weise zusammenlaufen. Wer Nature Writing mag und in das Leben der Sibirischen Tiger und der Menschen in ihrer Umgebung eintauchen möchte, der ist hier genau richtig!