Bienen wie Brüder
Das Flüstern der BienenNana Reja ist alt und sitzt Tag für Tag in ihrem hölzernen Schaukelstuhl, aber sie hat wache Sinne und hört ein Kind wimmern - und tatsächlich liegt unter einer Brücke ein Säugling, den die mexikanischen ...
Nana Reja ist alt und sitzt Tag für Tag in ihrem hölzernen Schaukelstuhl, aber sie hat wache Sinne und hört ein Kind wimmern - und tatsächlich liegt unter einer Brücke ein Säugling, den die mexikanischen Gutsbesitzer Francisco und Beatriz Morales aufnehmen und wie ihr eigenes Kind behandeln. Anfangs sind nicht alle angetan von dem sonderbaren Jungen und schreiben ihm in ihrem Aberglauben böse Eigenschaften zu, nach und nach gewöhnt man sich aber an den stillen und scheinbar eigenbrötlerischen Buben. Alle? Nein, nicht alle …
In einer sehr feinfühligen und empathischen Art schreibt Sofia Segovia diese wunderbare Familiengeschichte nieder, lässt den Leser Stille hören und Vertrauen unter den Menschen spüren, sie berichtet von schwierigen Zeiten und guten Herzen und berührt damit das Innerste des Lesers. Simonopio hat Glück und findet auf der Hazienda La Amistad ein Zuhause, umgeben von freundlichen Menschen, die ihm wohlgesonnen sind. Er aber spürt, dass der Schein trügt und Gefahren lauern. Mit Hilfe seiner Freunde, den Bienen, kann er die Familie vor so manchem Unheil bewahren und so begleiten wir Simonopio durch die Zeit der Spanischen Grippe und der mexikanischen Revolution, erleben Höhen und Tiefen im Leben der Moralez, freudige Feste und finanzielle Sorgen.
Segovias Erzählung gleitet lange ruhig dahin wie ein breiter, gemächlicher Fluss. In der Ruhe aber finden sich so viele Details, die der achtsame Leser entdecken kann. Die Schönheit der Natur, die Geräusche des Windes und der Tiere, das Knacken und Knarren von Ästen, das feine Summen der Bienenflügel, die träge Sommerhitze und die Trockenheit des aufgerissenen Bodens, das Stimmengewirr der Bediensteten und das unaufhörliche Wippen des Schaukelstuhls, das Sterben und das Geborenwerden. Durch gekonnte Verknüpfung von realer Historie und dichterischen Elementen webt die Autorin eine mitreißende und spannende Familiengeschichte, die in einem explosiven Ende mündet. Sprachlich gewandt und mit faszinierenden Bildern entführt uns Segovia in das Mexiko des anfänglichen 20. Jahrhunderts, wo wir das Schicksal der Familie Moralez mitverfolgen können und bemerken, wie wichtig das Miteinander von Mensch und Natur ist, wie wesentlich es ist, achtsam zu sein und nicht das Wesentliche aus dem Blick zu verlieren.
Aus verschiedenen Blickwinkeln, einerseits dem des neutralen Erzählers, andererseits aus der Sicht des jüngsten Geschwisterkindes geschildert, entsteht ein zusätzlicher Sog, der einen das Buch kaum aus den Händen legen lässt und ein Mitfiebern mit den Protagonisten immer weiter anfacht.
Das Flüstern der Bienen ist ein ganz besonderes Buch, ruhig, aber stimmungsvoll, informativ und verzaubernd gleichermaßen.