Anspruchsvoller Jugendroman – ganz großes Kino
Sommer unter schwarzen FlügelnGebundene Ausgabe: 496 Seiten
Verlag: Oetinger (20. Februar 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3789142970
Vom Hersteller empfohlenes Alter: ab 16 – 17 Jahre
Herzlichen Dank an den Autor Peer Martin, ...
Gebundene Ausgabe: 496 Seiten
Verlag: Oetinger (20. Februar 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3789142970
Vom Hersteller empfohlenes Alter: ab 16 – 17 Jahre
Herzlichen Dank an den Autor Peer Martin, der mir ein Exemplar des Buches zur Verfügung gestellt hat.
Anspruchsvoller Jugendroman – ganz großes Kino
Ich weiß gar nicht, wie ich diesem großartigen Buch mit meinen Worten gerecht werden soll. Am besten lest ihr meine nachfolgende Rezension gar nicht – lest einfach gleich das Buch!
Inhalt:
Nuri und Calvin sind beide gerade mal 18 Jahre alt. Sie ist aus dem vom Krieg zerstörten Syrien nach Deutschland geflüchtet und wohnt im Asylbewerberheim. Er ist Mitglied einer rechten Jugendclique und lebt mit seiner Mutter und seinen zwei kleinen Halbbrüdern von Sozialhilfe. Sie begegnen sich zum ersten Mal bei Frau Silbermann, die Calvins Brüdern und Nuri Nachhilfeunterricht gibt. Es ist der Beginn einer ganz großen Liebesgeschichte – gegen alle Vernunft und gegen alle Vorurteile.
Meine Meinung:
Peer Martin behauptet, dieses sei der erste Roman, den er veröffentlicht hat. Ich kann es fast nicht glauben. Die Sprache ist so ausgefeilt, genau der jeweiligen Situation angepasst. Die Handlung ist perfekt durchdacht, die Dramaturgie genial. Besser geht es nicht, und das bekommt ein Autor quasi ohne Übung hin? Hut ab!
Martin hat sich auch etwas ganz Besonderes ausgedacht. Zum Einen sind jedem Kapitel zwei aussagekräftige Zitate vorangestellt, zum anderen wird der Leser am Ende jedes Kapitels angeregt, bestimmte Begriffe im Internet selbst zu suchen und dadurch das Gelesene noch zu vertiefen und zu erweitern. Das ist eine tolle Sache, die außerdem zeigt, wie hervorragend der Autor für das Buch recherchiert hat. Die eigene Internetsuche ist allerdings kein Muss, es geht auch ohne, wenn man das nicht mag.
Martin hat hier ein (leider immer noch) brandaktuelles Thema bearbeitet: den Krieg in Syrien, der schon so viele Opfer gefordert und so viele Leben und Städte zerstört hat. Doch Syrien ist weit weg von Deutschland.
»Da sah ich in den Himmel, an dem der Morgen sich rot und violett und gelb abzeichnete. Die Berge waren so hoch wie immer, und die Wolken zogen über Tall Achmar, als wäre nichts geschehen.
Was war schon ein kleines Dorf.« (S. 484)
Wir sehen die schrecklichen Bilder in den Nachrichten und gehen anschließend wieder zu unserem eigenen Alltag über. Doch immer mehr Menschen bleibt gar nichts anderes übrig, als zu fliehen und darauf zu hoffen, in fremden Ländern unterzukommen. Auch Deutschland nimmt viele Flüchtlinge aus Syrien auf, und es werden noch mehr werden. Heißen wir sie willkommen, geben wir ihnen hier bei uns ein Stück Heimat!
Nuri ist eine faszinierende Person. Sie erkennt sofort, dass dieser Junge in dem Kapuzensweatshirt mit einer schwarzen Sonne auf dem Rücken und Springerstiefeln an den Füßen nicht nur schlecht ist. Wie schon in ihrer Heimat, wo sie ihre Familie mehrere Male durch ihre Vorahnung gerettet hat, hat sie auch bei Calvin den richtigen Riecher.
Und Calvin kann sich nicht gegen Nuris dunkle, große Augen wehren, gegen dieses unsagbar schöne Mädchen, das ihm Geschichten erzählt, Geschichten wie aus 1001 Nacht, von einem Land voller exotischer Gerüche, voller leuchtender Farben und fröhlicher Menschen. Doch die Geschichten, die Nuri erzählt – eigentlich ist es ja nur eine Geschichte, die immer wieder durch die Ereignisse in der Gegenwart unterbrochen wird -, nehmen immer düsterere Züge an. Wir erfahren immer mehr von Übergriffen, Folter und Krieg. Nuri nimmt Calvin und den Leser – denn auch als Leser kann man sich ihrer Erzählung nicht entziehen – mit in das zerbombte Syrien, lässt uns an ihrer Angst teilhaben, an den vielen Toten und Vermissten. Das ist teilweise wirklich harter Tobak, schwer zu ertragen. Aber das Schlimmste ist, dass es realistisch ist.
Nuri und Calvin werden ein Paar – doch wie soll das gehen? Calvin muss ganz langsam umdenken, sich von seinen Ausländer-raus-Parolen distanzieren, sich von seiner Clique abwenden. Aussteigen. Doch das ist alles andere als einfach – es ist gefährlich, lebensgefährlich. Wen die Rechten mal in ihren Fängen haben, den lassen sie nicht einfach wieder los. Doch die Liebe der beiden ist so fest und dabei doch so zart, einfach wunderbar beschrieben.
»„Wir haben uns eine Woche lang nicht geküsst, weißt du das?“
„Schande über uns“, sagte Calvin und fühlte die Schwere dieser Woche mit den Wolken davonziehen. „Wir sollten es nachholen.“
Sie hatten es nicht verlernt.« (S. 336)
Die Charaktere erhalten im Laufe der Erzählung eine immense Tiefe, ihre Entwicklung geht langsam aber stetig voran und wirkt absolut glaubwürdig. Überhaupt macht die ganze Geschichte einen sehr realistischen Eindruck, was sicher auch dadurch hervorgerufen wird, dass immer wieder auf wahre Begebenheiten eingegangen wird.
Peer Martin hat eine unvergleichliche Art zu schreiben, voller Gefühle, voller Spannung. Seine Worte lassen das Gelesene wie einen Film im Kopf ablaufen. Man taucht ganz tief in die Handlung ein, wird ein Teil davon und kann vieles davon in die Realität mitnehmen.
Ob es für Nuri und Calvin ein Happy End geben kann, müsst ihr selbst lesen. Es lohnt sich!
★★★★★
EDIT (31.10.2015): Ich freue mich, dass dieses wundervolle Buch mit einem Preis ausgezeichnet wurde und gratuliere dem Autor Peer Martin ganz herzlich dazu.
Stiftung Weltethos Friedolin-Verleihung
EDIT (27.12.2015): Und noch ein Preis geht an „Sommer unter schwarzen Flügeln: das Eselsohr