Der kürzeste Roman der zeitgenössischen lateinamerikanischen Literatur
Der Oberst hat niemand, der ihm schreibtDer Oberst wohnt mit seiner kranken Frau und dem Kampfhahn seines ermordeten Sohnes in einem kleinen Haus in einem kleinen kolumbianischen Dorf. Seit 15 Jahren begibt er sich jeden Freitag zum Hafen um ...
Der Oberst wohnt mit seiner kranken Frau und dem Kampfhahn seines ermordeten Sohnes in einem kleinen Haus in einem kleinen kolumbianischen Dorf. Seit 15 Jahren begibt er sich jeden Freitag zum Hafen um auf die Post, die mit einer Barkasse ankommt, zu warten. Der erhoffte Brief der Regierung mit der Veteranenpension trifft jedoch niemals ein. Nur der Hahn, der in ein paar Monaten bei den Hahnenkämpfen viel Geld einbringen soll, hält den Oberst noch am Leben. Doch ist die Zeit ungnädig und der Hunger beißend und obwohl der Hahn von den jungen Leuten des Dorfes so gut versorgt wird, dass auch der Oberst und seine Frau vom mitgebrachten Mais essen können, wird der Verkauf unumgänglich. Für das Tier bietet der reiche Don Sabas 400 Pesos, obwohl der Hahn mindestens das doppelte Wert ist. Während eines Trainingskampfes wird dem Oberst bewusst, dass dieser Hahn für die jungen Menschen im Dorf ein Symbol der Hoffnung ist und er beschließt dem Hunger zu trotzen und bis zu den bevorstehenden Hahnenkämpfen durchzuhalten.
Meine Eindrücke
Diesen kürzesten Roman der zeitgenössischen lateinamerikanischen Literatur schreibt Gabriel García Márquez während seines Auslandaufenthaltes in Paris mit 29 Jahren. Zur damaligen Zeit ist Márquez Europaberichterstatter der kolumbianischen liberalen Tageszeitung „El Espectador“. Als die Zeitung auf Druck des Diktators Rojas Pinilla schließen muss und Márquez keinen Monatsscheck mehr erhält, erfährt er, was Hunger heißt. Aus dieser Situation heraus entsteht der Roman.
Auf knapp 110 Seiten erzählt er mit einer klaren, knappen Sprache die Geschichte des Obersts, der auf der falschen Seite der Revolution kämpfend als Verlierer in Armut sein Leben bestreitet. Seine kranke Frau, keine erotische feurige Südamerikanerin, fristet ihr Dasein an seiner Seite und hat harte Worte für ihn. Ich kann in ein Land und eine Zeit eintauchen, die beide so weit von meiner Gegenwart entfernt sind. Gefühle und Empfindungen, die ich während der Lektüre wahrnehme und Gedanken, die Márquez in meinem Kopf aufblühen lässt, sind ein meisterliches Beispiel dafür, dass es möglich ist, mit wenigen Worte dem Leser eine Möglichkeit zu geben, in seinem berührenden Roman zu leben. Mir wird Anhand des tragischen Helden klar, was es bedeutet, Glück im Leben zu haben und dass Ehre und Gerechtigkeit nicht immer für ein Essen auf dem Tisch sorgen.