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Nadines_Buecher

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Veröffentlicht am 07.02.2021

Riders on the Storm

Ich und der Andere
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So oder so ähnlich könnte es gewesen sein, wären sich Rock-Ikone Jim Morrison und Dichter J. Chr. F. Hölderlin, die knapp 170 Jahre trennen, begegnet. Schließlich datierte der Dichter einige seiner Werke ...

So oder so ähnlich könnte es gewesen sein, wären sich Rock-Ikone Jim Morrison und Dichter J. Chr. F. Hölderlin, die knapp 170 Jahre trennen, begegnet. Schließlich datierte der Dichter einige seiner Werke weit in die Zukunft. Man erlebt zwei stark Empfindende, die am mehr fühlen, mehr erkennen, mehr wissen über die Welt die sie umgibt, das sie teilweise verzweifelt, teilweise brachial ihren Mitmenschen auf unterschiedliche und doch wieder ähnliche Weise zu vermitteln versuchen, zerbrechen. Tröstlich wirkt die Fiktion, dass der Rockstar und der Dichter, der ihm die Worte gibt, die ihm erleichtern das was er fühlt über die Musik in die Welt zu tragen, in einer psychosomatischen Pflegeinrichtung gemeinsam alt werden, dass Jim Morrison nicht 1971 in Paris starb. Neben Zeitgeschichte Ende der 1960er Jahre, der Hippiebewegung, Woodstock, der Charles Manson-Morde, dem Konflikt zwischen Vater und Sohn Morrison, dem in den kommerziellen Erfolg katapultierten Doors und Jims Wunsch, doch noch einen Film zu machen, wurden u.a. auch Hölderlins Lehrerberuf, die Affäre mit der verheirateten Susette, hier Suzie, und eines seiner Synonyme, Scardanelli, in die Dramaturgie der Erzählung aufgenommen. Vom ersten Kennenlernen des Sängers und des Lehrers, das Jim als Ich-Erzähler schildert und das erste Hinweise auf seine Weltsicht gibt, steigert sich die Geschichte, bis sie sich im letzten Kapitel in Pflegerin Zoeys Ansprache an ihre beiden Patienten entlädt, die ihnen deutlich macht, dass es durchaus Menschen gibt, die die Gefühle und die Gedanken der beiden Künstler nachvollziehen können, dass nicht alle leblose Maschinen, dem Konsum ergeben, sind, aber dennoch den Alltag meistern. Die Botschaft der beiden kommt durchaus an, muss jedoch nicht extrem gelebt werden, wie es die beiden getan haben. Ein so eindringlich geschriebenes, starke Gefühle hervorrufendes, emotionales Kapitel habe ich selten in einem Buch gelesen. Locker-leicht wird es aufgelöst, mit Humor, wenn ein Morrison in eine stromlose Anlage singt und sich die Freunde dann trennen, um nach Hause zurückzukehren. Denn sie wissen, dass sie sich wiedersehen werden. Auf der anderen Seite, der ohne Schmerz und Wahn. Herrlich ergreifend, es gibt kein anderes Wort dafür. Das Cover gestaltet wie das Buch Hölderlins, das Morrison wohl besessen haben muss, der gezeichnete Kopf des Sängers mit psychedelischen Touch. Ein Hingucker, kombiniert mit Titel und Klappentext ein Must-Read.

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Veröffentlicht am 30.03.2020

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen

Die Tanzenden
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Ein fulminanter Roman über die Stärke der Frau, die persönliche Weiterentwicklung durch die Entdeckung des Hinterfragens von Einstellungen und Handlungen, das Fällen eigener Entscheidungen und der vielfachen ...

Ein fulminanter Roman über die Stärke der Frau, die persönliche Weiterentwicklung durch die Entdeckung des Hinterfragens von Einstellungen und Handlungen, das Fällen eigener Entscheidungen und der vielfachen Aufdeckung männlicher Schwächen, gedeckt durch ein von ihnen geschaffenes und genährtes Gesellschaftssystem. Im Mittelpunkt der Erzählung - neben einer ganzen Reihe von wundervollen und einzigartigen Frauen - die Pariser psychiatrische Klinik, um 1885 ein Ort, an dem unter anderem sogenannte Hysterikerinnen von der Gesellschaft oder ihren Familien, meist von männlichen Verwandten, im wahrsten Sinne entsorgt werden. Noch dazu führen aufstrebende Neurologen an ihnen unwürdige Experimente durch. Dies gern vor Publikum, um die Pariser Gesellschaft zu unterhalten und um sich dort einen Namen zu machen. Neuester Zugang der Salpetriere ist die junge Eugenie, denkendes und selbständiges Wesen, was allein schon Anstoß genug für ihren Vater ist, doch noch dazu suchen verstorbene Seelen sie als Medium auf. Ihr Verstand und ihre Überzeugungskraft lassen die nüchterne und medizinisch versierte Aufseherin Genevieve zum ersten Mal zweifeln; an ihrer Einstellung zum Glauben an Gott, an der Liebe ihres Vaters und am bisher von ihr fast idealisierten Prof. Charcot.
It's a man's world, zeigt die Autorin auch mit Sätzen wie "Ein Arzt denkt stets, er wüsste es besser als der Patient, und ein Mann denkt stets, er wüsste es besser als eine Frau.", uneingestandene Fehlbarkeit mit "Dass die Männer ihnen solche Grenzen aufgezwungen hatten, legte den Gedanken nahe, dass sie die Frauen nicht verachteten, sondern vielmehr fürchteten."
Durch den bunten Strauß an alten und jungen Frauen, die aus den unterschiedlichsten Gründen in die Psychiatrie gebracht wurden, und ihre sich im Verlauf des Romans teilweise verändernde Einstellung zu ihrer Situation und ihrem Verwahrungsort werden verschiedene Perspektiven gezeigt. Solche, die traurig stimmen, aber auch solche, die Hoffnung geben. Denn plötzlich hat vieles mit eigenen Entscheidungen zu tun.
Anmutig, eindringlich und sehr präzise beschreibt die Autorin ihre Figuren und Ereignisse. Sie wechselt elegant von der Vergangenheit für beschreibende Umstände in die Gegenwart, wenn wir eine der Protagonistinnen in einer Situation begleiten.
Der Titel, der Leichtigkeit suggeriert, für einen Roman, der so viel Tiefsinn und Nachdenkenswertes erhält, als Sinnbild für das Positive und die Verwandlungen, die die Geschichte tragen. Dies wird unterstrichen durch die pastelligen, zarten Farben des Bucheinbands und den gezeigten gefiederten Rock der dargestelten kopflosen Tanzenden, der auch haptisch hervorgehoben ist.
Für mich ein rundum gelungenes Werk!

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Veröffentlicht am 29.06.2017

Wunderschöne Szenen

Was man von hier aus sehen kann
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Selten habe ich etwas so Schönes gelesen wie dieses zunächst recht unauffällig daherkommende Buch. Selten habe ich eine so schöne Stelle in einem Buch gelesen wie die tröstenden Worte der kleinen Luise ...

Selten habe ich etwas so Schönes gelesen wie dieses zunächst recht unauffällig daherkommende Buch. Selten habe ich eine so schöne Stelle in einem Buch gelesen wie die tröstenden Worte der kleinen Luise und dem Optiker, der ihr nach dem Unfalltod ihres Freundes Martin sagt, er und Luises Großmutter Selma seien einzig für Luise erfunden.
Luises Geschichte, angesiedelt in einem Dorf im Westerwald in dem jeder jeden kennt, und das seit jeher, in dem der Einzelhändler eben der Einzelhändler und der Optiker der Optiker ist – wundervoll: trotz dass der Optiker eine zentrale Rolle in Luises Leben spielt, erfahren wir seinen Namen erst ganz zu Ende der Erzählung – erzählt von Freundschaft und Familie, Verlust und Einsamkeit, unausgesprochenen Wahrheiten und der Ordnung, die sich fast wie von selbst herstellt, wenn Eltern beispielsweise aus Selbstfindungsgründen in ihrer Rolle als Erziehende ausfallen. Dennoch ist Luises Welt keine heile Welt. Martin bezieht regelmäßig Prügel von seinem alkoholkranken Vater, ihre Mutter hat eine Affäre mit dem Eisdielenbesitzer, die Kinder machen die ein oder andere prägende skurrile Erfahrung mit der miesepetrigen Marlies und der esoterischen Elsbeth. Fels in der Brandung ist Oma Selma, früh verwitwet aber mit beiden Beinen fest im Leben stehend, mit all ihren Stärken und Fehlern. Und einer ihrer großen Fehler ist, dass wenn sie von einem Okapi träumt, dem exotischsten Tier das man sich im Westerwald nur vorstellen kann, jemand aus dem Dorf sterben wird. Dies sorgt für einigen Aufruhr, bis es schließlich den kleinen Martin trifft. Luise kann sich danach nur noch schwer auf Menschen einlassen, doch als sie den buddhistischen Mönch Frederik trifft, muss sie ihm entbehrliche zehn Jahre lang beibringen, sich auf sie einzulassen.
Eine Erzählung voller eindringlicher, wundervoller und manchmal auch wundersamer Gegebenheiten, die die Welt gleich viel logischer aber auch im Gleichgewicht von Freude und Leid erscheinen lassen. Kein Wunder, dass das unheilbringende Okapi auf einem westerwälder Apfelbaum auf dem Cover nicht fehlen darf.

Veröffentlicht am 06.11.2016

Eine Geschichte, die das Herz zum Überlaufen bringt

Eine Geschichte der Zitrone
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Auf sachlicher Ebene handelt die Geschichte von einer Halbwaise, deren Vater seit dem Krebstod der Mutter an einer Depression leidet, sich diese aber nicht eingesteht sondern sich hinter dem Schreiben ...

Auf sachlicher Ebene handelt die Geschichte von einer Halbwaise, deren Vater seit dem Krebstod der Mutter an einer Depression leidet, sich diese aber nicht eingesteht sondern sich hinter dem Schreiben eines Mammutwerks über die Zitrone versteckt, darüber sich, den Haushalt und - am gravierendsten - seine Tochter vernachlässigt. Das Mädchen wird darauf erst aufmerksam, als sie mit Mae auch deren Familie kennenlernt und intensiveren Kontakt mit anderen Kindern und Erwachsenen hat.

Auf emotionaler Ebene erzählt Calypso ihre Geschichte, aus ihrer Perspektive als 11-Jährige, die ebenso wie die verstorbene Mutter und - wie sie meint - auch ihr Vater, Bücher liebt. Dass sie sich z.B. um ihre Mahlzeiten, also um sich selbst und auch um den Vater, kümmern muss, ist für sie Normalität. Bis sie Mae kennenlernt, scheint ihr ihr Leben und ihre Rolle normal. Auf Calypso wartet eine Achterbahn der Emotionen und plötzlich wird ihr in der Interaktion mit anderen klar, dass das Leben wie sie es kennt für ein Kind ihres Alters nicht so sein sollte.

Ein wunderbares Buch mit vielen Erkenntnissen und lehrreichen momenten, das einem das Herz zum Überlaufen bringt. Das Cover ist liebevoll gestaltet, die Zitronen werden von Calypso und Mae an den Rand gedrängt. Der Einband des Hardcovers ist zitronengelb, ebenso wie das Lesebändchen. Es fehlt lediglich der Goldflitter, dann wäre das Glück perfekt.

Veröffentlicht am 28.02.2021

Gedanken einer großen Denkerin

Was wir scheinen
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Hannah Arendt, die sich selbst nie als Philosophin bezeichnet sehen wollte, wird in diesem Roman, in dem man mit der Witwe in den Urlaub in die Schweiz und von dort in ihre bewegte Vergangenheit geprägt ...

Hannah Arendt, die sich selbst nie als Philosophin bezeichnet sehen wollte, wird in diesem Roman, in dem man mit der Witwe in den Urlaub in die Schweiz und von dort in ihre bewegte Vergangenheit geprägt von Flucht, Widerstand, interessanten und bekannt gewordenen Persönlichkeiten, Gedichten und klar gefassten und niedergeschriebenen Gedanken, nach Deutschland, Frankreich, Großbritannien und schließlich in die neue Heimat USA reist. Keine alltägliche Frau ihrer Zeit, umso bemerkenswerter zu erfahren wer sie war, was sie dachte, wie sie dachte und worin sie sich vielleicht irrte. Die Geschichte kann nicht anders als mit Zitaten gespickt und von Gedankensprüngen, die näher betrachtet nur zu nachvollziehbar sind, bestimmt sein. Aber genau das macht Hannah Arendt und ihr Leben aus. Insofern ist ihr keine Seite zu viel gewidmet, um sie uns in der heutigen Zeit lebendig werden zu lassen. Schon das Cover des Buchs ein Genuss, denn der vielsagende Titel wird gespiegelt und von einem singenden und einem zuhörenden Vogel gesäumt; kiwitt, kiwitt...

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