Wer eine Biografie verfasst, erklärt Joseph Melzer (1907-1984) im Prolog, sollte bei der Wahrheit bleiben. Andernfalls wäre es besser, einfach einen Roman zu schreiben.
Wer ist dieser Joseph Melzer, der erst wenige Monate vor seinem Tod seine Biografie aufgeschrieben hat?
Geboren wird der leidenschaftliche Buchhändler und Verleger 1907 in Kuty, Galizien, das damals noch Bestandteil von Österreich-Ungarn ist und heute zur Ukraine zählt, in eine jüdische Familie.
In neun Kapiteln, die er Jahreszahlen zuordnet, erzählt er seine Lebensgeschichte.
1907-1918
1918-1933
1933-1936
1936-1939
1939-1941
1942-1945
1946-1948
1948-1958
1958-1984
Jedes Kapitel endet mit einem Bruch, mit einem Ortswechsel und dem eisernen Willen, wieder von vorne zu beginnen.
Sein Leben in einem Satz zusammengefasst: „Zwei Kaiserreiche zerfallen gesehen, zwei Weltkriege erlebt, die Nazis überlebt, ihretwegen unfreiwillig Zionist geworden, den Kommunismus überlebt und den Sozialisten geholfen“.
Obwohl in seinem Umfeld schon vor der NS-Diktatur viele nach Palästina auswandern wollen, sind die Zionisten nicht seine Freunde - zu radikal in dem Bemühen um einen eigenen Staat. Mit einem Freund diskutiert er Theodor Herzls Werk „Der Judenstaat“ und kommt zu folgendem Schluss „Die Zionisten sprechen uns die Existenzberechtigung in Deutschland ab. Da sind sie sich mit den Antisemiten einig.“ (S.82)
Auch, dass viele Juden, es bedauern, nicht der NSDAP beitreten zu dürfen, denn sie sind ja in erster Linie Deutsche, fasziniert und stößt ihn gleichermaßen ab.
Nach dem Ende des NS-Regimes ist es für Joseph Melzer keine Frage, wieder nach Deutschland zurückzukehren, auch wenn die Anfänge mehr als beschwerlich sind. Im Gegensatz zu seiner Ehefrau, deren gesamte Familie bis auf eine Schwester dem Nazi-Terror zum Opfer gefallen ist, hat Melzer keine Berührungsängste. Er teilt allerdings das Schicksal vieler Juden, die nicht glauben können, dass aus den Deutschen, dem Volk der Dichter und Denker, ein Volk der Richter und Henker werden konnte. Erst als er 1946 eine „Führung“ durch ein KZ erhält, kann er den Erzählungen anderer Juden, die ihm von den Massenvernichtungen erzählen, Glauben schenken.
Als Resümee über sein Leben schreibt Joseph Melzer: "Ich bin jetzt am Ende meines Lebens. Es war wie das Leben vieler anderer Juden meiner Generation. Ein gewöhnliches jüdisches Schicksal."
Das kann ich so nicht unterschreiben, denn sechs Millionen ermordete Juden sprechen eine andere Sprache.
Fazit:
Eine sehr detaillierte, manchmal auch humorvolle Biografie, eines Mannes der sowohl die Nazis als auch die Kommunisten überlebt hat. Gerne gebe ich für dieses Zeitdokument 5 Sterne.