Konnte mich leider nicht wirklich abholen...
Zugegebenermaßen habe ich bislang noch nicht allzu viele skandinavische Übersetzungen gelesen, die KEINE Thriller oder Krimis waren. Der neue New Adult Roman "Working Late" von der schwedischen Newcomer ...
Zugegebenermaßen habe ich bislang noch nicht allzu viele skandinavische Übersetzungen gelesen, die KEINE Thriller oder Krimis waren. Der neue New Adult Roman "Working Late" von der schwedischen Newcomer Autorin Helene Holmström, der letzte Woche im LYX Verlag erschienen ist, war da die perfekte Gelegenheit mit diesem Klischee aufzuräumen. Leider bin ich von Anfang an nur schwer in die Geschichte hineingekommen und muss nach 464 durchwachsenen Seiten feststellen, dass mich der Roman nicht wirklich abholen konnte.
Das Cover ist eine typische LYX-Schönheit inklusive Skyline, geometrischen Figuren und verträumten Lichtpunkten. Ich kenne mich mit Skylines zwar nicht besonders gut aus, vermute aber, dass hier die des Settings Stockholm abgebildet ist, in dem der Großteil der Handlung spielt. Durch die blau-lila-Farbgebung wirkt das Cover zudem klassisch-schick und leidenschaftlich. Was die sonstige Gestaltung anbelangt war ich in erster Linie erstaunt über die Dicke der Geschichte - mit fast 500 Seiten und 46 Kapiteln ist die Liebesgeschichte ein bisschen über dem Durchschnitt -, welche ich nach dem eher holprigen Start jedoch bald verflucht habe.
Erster Satz: "Schon am ersten Tag bei Svärdh & Partner war Charlotta Kvist klargeworden, dass die Dozenten an der Uni nicht die Wahrheit gesagt hatten."
Ich hatte hier eine typische Office-Romance mit anspruchsvollen Chefs, Überstunden im Büro, After-Work-Partys mit Unmengen an Champagner, fiese Konkurrenten um Beförderungen und einer leidenschaftlichen, verbotenen Affäre erwartet. Ersteres habe ich auch alles erhalten, ganz als hätte die Autorin die insgeheime Office-Romance-Checkliste abgearbeitet, was die leidenschaftliche Liebesgeschichte anbelangt, schneidet die Geschichte jedoch sehr schlecht ab, was an verschiedenen Aspekten gelegen hat. Der erste und wichtigste Grund zuerst: Der juristische Fall und die folgenden Gerichtsverhandlungen, in die Charlotta und Ignacio verwickelt sind, sowie deren berufliche Entwicklungsgeschichten nehmen sehr viel Raum ein. Bevor ich anfange zu meckern muss ich zugeben, dass ich ein substanzielles Thema, um das sich eine Liebesgeschichte dreht, grundsätzlich als positiv einschätze, da ich es schade finde, wenn sich die Handlung auf das reine Aufeinandertreffen der Love Interest beschränkt und andere Kontexte nur als Vorwand benutzt wird, um deren Anziehung zu steigern. Leider nehmen die juristischen Abhandlungen und die Schilderungen des Arbeitsalltags der Figuren hier für meinen Geschmack zu stark Überhand, sodass sich manche Stellen stark ziehen und eher trocken lesen.
"Wenn es etwas gibt, was Carl-Adam mir beigebracht hat, dann, dass man stärker davon wird, wenn man sich traut, von jemandem abhängig zu sein."
Die Frage nach der Verantwortung eines Großunternehmens für einen Unfall in einer südamerikanischen Fabrik, die für den Konzern zum Dumpingtarif billige Kleider produziert, ist definitiv ein wichtiges und aktuelles Thema und wird durch die Autorin, die selbst Juristin ist, realistisch und ausführlich dargelegt. So ausführlich, dass ich zwischendurch eher an einen Wirtschaftskrimi erinnert war, statt an eine Liebesgeschichte. Versteht mich also nicht falsch - für die detaillierte Auseinandersetzung mit diesem Thema verdient die Autorin meinen Respekt, ich hätte mir aber einen Mittelweg in der Umsetzung gewünscht, der mehr Raum für Gefühle und Atmosphäre lässt. An letzteren mangelt es "Working Late" nämlich leider, was auch im Schreibstil der Autorin mitbegründet ist. Nicht dass es nicht um emotionale Themen gehen würde - Helene Holmström spricht unter anderem Mobbing, Flucht, Wurzeln und Insuffizienzgefühle an -, es fehlte mir hier einfach der Zauber, der die dargestellten Emotionen auf den Leser überträgt. Dazu trägt auch die eher distanzierte, auktoriale Erzählweise bei, die in manchen Szenen aus einer einfachen Aneinanderreihung von "Sie tat dies. Sie tat das. Danach sagte sie folgendes" bestand. Sehr sachlich und konstruiert wirkten auch die wenigen erotischen Szenen und beinahe alle romantischen Annäherungen der Figuren. Ob die Autorin nun von sich aus sehr nüchtern schreibt, oder die fehlende Magie von der Übersetzung aus dem Schwedischen herrührt, kann ich schlecht einschätzen.
"Lass es uns versuchen und einander eine Chance geben. Lass uns dem hier eine Chance geben."
Fest steht, dass das nicht das ist, was ich mir von einer Liebesgeschichte wünschen würde und mich keiner der Handlungsstränge wirklich catchen konnte. Jaaa, ihr habt richtig gelesen, Handlungsstränge, Plural. Helene Holmström erzählt uns im Grunde drei Liebesgeschichten parallel. Neben der Prozessanwältin Charlotta und dem Experten für Menschenrechte des angeklagten Unternehmens Gaia, Ignacio, erzählen auch jeweils deren Vorgesetzte, die Kanzleipartnerin Dessie und Gaia-Geschäftsführer Christopher aus ihrer Perspektive von ihren Liebesabenteuern. Zudem verfolgen wir die Hochzeitsvorbereitungen von Carl-Adam und Jack, welche die jeweils besten Freunde von Charlotta und Ignacio sind. Auch dabei gilt: grundsätzlich habe ich über zusätzliche Perspektiven und Handlungsstränge überhaupt nichts einzuwenden, in "Working Late" haben mich aber einige Dinge gestört. Erstens kamen die Nebenhandlungsstränge sehr unerwartet, da die anderen Figuren im Klapptext mit keinem Wort erwähnt sind. Zweitens wird der Wechsel der Perspektiven nicht angezeigt, was in Kombination mit dem auktorialen Erzähler in einigen Szenen zu Verwirrungen bei mir geführt hat. Und drittens bringen die zwei zusätzlichen Geschichten die Haupthandlung weder inhaltlich weiter, noch schaffen sie es, mit Spannung über Flauten hinwegzuhelfen. Im Gegenteil: Dessies und Christophers Geschichte lenkt meines Erachtens nur noch mehr von den beiden Hauptfiguren ab, deren Beziehung aufgrund des sehr dominanten Falls ohnehin schon wenig Zeit blieb und bleibt so oberflächlich, dass sie am Ende noch nicht einmal richtig aufgelöst wurde. Ich schließe mich also auch vielen meiner VorrezensentInnen an und schließe, dass ich die Nebenhandlungsstränge lieber weggelassen hätte.
Ich halte fest: der inhaltliche Kern der Geschichte hatte definitiv Überlänger, was zu einigen trockenen Passagen geführt hat, welche die drei im Grunde sympathischen Liebesgeschichten aufgrund mangelnder emotionaler Tiefe auch nicht aufpeppen konnten. Ein richtiger Reinfall war "Working Late" aber dennoch nicht und das lag nicht nur an den zuvor schon berichteten spannenden Grunddiskussionen zu Nachhaltigkeit, Menschenrechten und Verantwortung, sondern auch am Setting in Stockholm. Denn während Helene Holmström es versäumt, uns große Gefühle zu vermitteln, kommt man in den 464 Seiten ganz schön rum, ohne sich jedoch wie auf einer Sightseeing-Tour zu fühlen. Wir besuchen mit den Figuren zusammen Cafés, Bars, Clubs, Restaurants, Feste, sowie ein Food-Festival und merken dabei jeder Schilderung an, dass die Autorin mit ihrer Familie in Stockholm lebt und deren Lebensgefühl dadurch sehr authentisch einfangen kann. Am besten gefallen haben mir die Ausflüge aufs Land und in die Vergangenheit der Figuren, bei denen man die schwedische Lebensweise wunderbar kennenlernen kann. All das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass "Working Late" nicht gerade Begeisterungsstürme bei mir ausgelöst hat. Auch das Ende wirkt ein bisschen fad, emotions- und einfallslos - es hatte einfach kaum etwas Besonderes an sich und hätte auch hinter 10 andere Romane gepasst - und lässt mich deshalb sehr unsicher zurück, ob ich die beiden kommenden Bände der Trilogie auch noch lesen will.
Fazit:
"Working Late" ist ein eher komplizierter Roman mit überlangem Prozess und zu vielen Nebenhandlungen, um die Liebesgeschichte lebendig werden zu lassen. Zwar sind Setting und inhaltlicher Kern grundsätzlich interessant, mir haben jedoch emotionale Tiefe, eine packende Atmosphäre und ein zufriedenstellendes Ende gefehlt.