Flauschfell und Tiefgründigkeit – eine gelungene Mischung!
Nicole Walters neuer Roman war eine echte Überraschung für mich. So niedlich verpackt, mit himmelblauem Cover und einem Alpaka zum Knutschen, hatte ich einen beschwingt-bunten Sommerroman erwartet, den ...
Nicole Walters neuer Roman war eine echte Überraschung für mich. So niedlich verpackt, mit himmelblauem Cover und einem Alpaka zum Knutschen, hatte ich einen beschwingt-bunten Sommerroman erwartet, den man mal so nebenbei mit wegliest und der ein bisschen „Heile Alpakahofwelt“ verbreitet.
Doch dann, schon auf den ersten Seiten merkte ich: irgendwas ist anders. Der Nachname Sonnenschein war erstmal das Einzige, was an herzige ZDF-Sonntagsfilme erinnerte. Ansonsten gab es im ersten Drittel erstaunlich viel negative Schwingungen. Da war der Familienvater, der nach dem plötzlichen Unfalltod seiner Frau in eine schwere Depression versunken war. Da war sein Sohn Bobby, ein junger Mann mit Down-Syndrom, der nicht verstehen konnte, warum sein Papa sich nur noch verkroch und ihn kaum noch umarmen wollte. Da war Bobbys kleine Schwester Stephanie, die in dieser Situation so viel erwachsener sein musste, als das für ein 12jähriges Mädchen gut ist.
Und da war Marie Popp, Kreditsachbearbeiterin bei einer Münchner Bank, die unzufrieden ihren Job verrichtete, sich nach einer Beziehung sehnte und doch immer nur Nieten zog bei Tinder, die eigentlich immer hatte Philosopie studieren wollen und die trotz schöner Münchner Wohnung und sicherem Job mit ihrem Leben haderte.
Dazu gesellen sich im Roman noch: ein Obdachloser, eine Flüchtlingsfamilie, ein altes Ehepaar und eine Herde Alpakas.
Man könnte jetzt denken: hoffnungslos überfrachtet, der Ro-man. Und eigentlich würde ich das auch denken, gleich recht bei übersichtlichen 350 Seiten. Wenn da nicht dieses Gefühl gewesen wäre, dass alles genau so zusammenpasst.
Ich war wirklich erstaunt, wieviele (tiefschürfende) Themen ein Frauenroman verträgt – wenn er gut geschrieben ist. Und das ist er auf jeden Fall. Nicole Walters Schreibstil ist anders als man das von solchen Wohlfühlromanen gewohnt ist. Die Sätze sind an vielen Stellen kürzer, manchmal sind es nur Augenblicke, einzelne Gedanken, die der Leser mit den Figuren teilt. Aber es passt. Zum Thema und auch zu den vielen Problemen, die die Autorin in ihrem Buch anspricht.
Zugegebenermaßen musste ich mich erst ein wenig reinlesen in diesen Stil und fand die ersten ca. 50 Seiten noch etwas komisch irgendwie, aber dann wirkte das Buch rund und es passte alles zusammen. Wer also zu Beginn ein bisschen mit dem Buch fremdelt: nicht beirren lassen, es lohnt sich!
Schon allein wegen der Alpakas und Bobby - eine bessere Kombination hätte es nicht geben können. Der fröhliche Bobby, der aufgrund seiner Krankheit genau das tut, was vielen Leuten gut zu Gesicht stehen würde: immer zuerst das Gute im Menschen sehen, ist einfach ein Charakter zum Liebhaben. Man kann ihm keine Sekunde böse sein und amüsiert sich mitunter prächtig über seine einfachen Wahrheiten, mit denen er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit rausplatzt. Und die Alpakaherde mit Happy und Fohlen Misti, deren sensibles Wesen einen dazu bringt, mitunter die Seiten ganz vorsichtig umzublättern, ist einfach nur zum Niederknien niedlich. Die Tiere setzen das i-Tüpfelchen auf eine ohnehin schon runde und überraschend tief gehende Geschichte, die nichts oberflächlich abhandelt, sondern immer versucht, den Kern zu ergründen.
Ein wirklich gelungener Roman und mindestens 4,5 Sterne wert!