Ein intelligentes Porträt
Über Hannah Arendt bin ich während des Studiums immer wieder gestolpert, allerdings habe ich mich nie dazu überwinden können, ein Werk von ihr zu lesen. Durch Zufall bin ich auf diesen biographischen Roman ...
Über Hannah Arendt bin ich während des Studiums immer wieder gestolpert, allerdings habe ich mich nie dazu überwinden können, ein Werk von ihr zu lesen. Durch Zufall bin ich auf diesen biographischen Roman gestoßen und habe mich gefreut, hier eine Lücke schließen zu können.
Der fast 600 Seiten starke Roman (ohne Fotos, vermutlich um die Abgrenzung zu einer Biographie zu schaffen) ist komplex und sehr detailliert. Kellers Text ist sehr dicht und gerade für LeserInnen, die weniger Hintergrundwissen über Hannah Arendts Leben und Werk bzw. Philosophie im Allgemeinen haben, stellt die Einordnung der Fülle an Namen und Informationen, an Spitznamen und Textbrüchen eine Herausforderung dar. Es ist hilfreich, sich zusätzliche Informationen zur Einordnung zu besorgen und es braucht eine gewisse Zeit, bis man sich an diesen anspruchsvollen und ungewöhnlichen Schreibstil gewöhnt hat. Man sollte sich vor dem Kauf auch klar darüber sein, dass man keine Biographie zu erwarten hat.
Im Roman begleitet man die Philosophin auf ihre letzte Reise 1975 von New York in die Schweiz – im Gepäck: viele Bücher und noch mehr Erinnerungen. Durch diese letzten erholsamen Wochen kurz vor ihrem Tod wird Arendts Alltag beschrieben, aber auch Erinnerungen an vergangene Lebensstationen, besonders an die Zeit ihrer Immigration, an ihre Beziehungen, aber auch an weiter zurückliegende Erlebnisse.
Insgesamt wird ein komplexes Bild einer sehr interessanten, intelligenten und unabhängigen Frau gezeichnet – man erhält (auch durch die eingefügten Originalzitate) einen guten Einblick in ihre Ansichten. ihre Theorie, ihr Denken. Genauso wie durch eingearbeiteten Dialoge, die ihre Kommunikation mit vielen Persönlichkeiten ihrer Zeit aufzeigen. Und auch die Kritik an Arendts Positionen lässt Keller nicht aus.
Zusammenfassend ist Keller durch ausführliche Recherche ein einfühlsames und umfassendes Porträt gelungen, das einem eine komplexe Persönlichkeit viel näher bringt, aber aufgrund des Schreibstils sicher nicht für jeden gut geeignet ist. Wenn man sich aber auf den Text einlässt, bekommt man viele Denkanstöße und Lust darauf, Originaltexte von Arendt zu lesen. Ich vergebe daher 4 Sterne.