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Veröffentlicht am 14.09.2017

so alt und doch so modern

Jane Eyre
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Wichtige Vorabinformation:

Ich habe erst nach dem Lesen für diesen Bericht auf den Klappentext geschaut, und war verärgert, dass da schon eine wichtige Einzelheit steht, die einem sehr viel Spannung beim ...

Wichtige Vorabinformation:

Ich habe erst nach dem Lesen für diesen Bericht auf den Klappentext geschaut, und war verärgert, dass da schon eine wichtige Einzelheit steht, die einem sehr viel Spannung beim Lesen nimmt: Ich kannte diese Information durch den Film ohnehin und wollte das Buch trotzdem lesen, aber wenn ich es nicht gewusst hätte, hätte ich das Buch wohl in die Ecke gefeuert und es sehr langweilig gefunden.



Janes Mutter starb bei der Geburt. Ihr Onkel nahm sie in seinen Haushalt auf, starb dann jedoch auch, sodass seine hartherzige Frau Jane aufzog. Tatsächlich interessierten diese Frau jedoch nur ihre eigenen drei verzogenen Kinder, die die Mutter vergöttert. Vor allem der Junge ist allerdings ein richtiges Miststück und demütigt und verletzt Jane immer wieder, wobei er es vor seiner Mutter so hinstellt, als wäre Jane das Biest und würde ihn drangsalieren. Weil die Mutter nur ihrem Goldstück glaubt, wird Jane somit auch noch hart bestraft, etwa durch Essensentzug, vorzeitiges ins Bett gehen oder dann auch mal Einsperren in einem "verfluchten" Zimmer, wo der Onkel gestorben ist. Schon da zeigt sich allerdings, dass Jane nicht zimperlich ist und dieses Verhalten ihrer Verwandten sie und ihren Willen nicht brechen kann. Sie zieht sich teilweise einfach in die Welt der Bücher zurück und fragt sich immer wieder, warum sie nicht geliebt wird. Sie schafft es allerdings auch nicht, ihrer Tante einfach um den Bart zu gehen, damit sie nicht so oft bestraft wird.



Ihre Tante schickt sie schließlich auf eine Mädchenschule, die von einem hartherzigen Pfarrer geleitet wird. Anfangs haben die Mädchen es wirklich sehr schwer und müssen etwa morgens immer angebrannten Haferbrei essen. Jane hat es dann noch einmal ein wenig schwerer, weil der Leiter von ihrer bösen Tante mit auf den Weg bekommen hat, dass sie eine intrigante Lügnerin sei und dies auch in der Schule verbreitet. Als es dann eine Typhus-Epidemie gibt, bei der viele Schülerinnen sterben, bessern sich die Zustände, denn der Stiftungsrat, der eigentlich die Aufsicht über die Schule hat, wird auf die schlechten Zustände aufmerksam. Bei der Epidemie verliert Jane jedoch ihre einzige wirkliche Freundin. Da sie mit Miss Temple, einer der Lehrerinnen, gut auskommt, geht es Jane verhältnismäßig gut in der Schule und sie bleibt schließlich sogar als Lehrerin dort. Erst als Miss Temple fort geht, entscheidet auch Jane sich, dass sie fort möchte und gibt ein Stellengesuch in der Zeitung auf. Zu dem Zeiitpunkt ist sie gerade mal 18 Jahre alt.



Sie fängt auf Thornfield Hall an als Hauslehrerin für Adele, einem kleinen, lebhaften französischen Mädchen. Jane freundet sich mit der Hauswirtschafterin Mrs. Fairfax an, die fast ein Mutter- bzw. Großmutterersatz für sie wird. Monate später kommt der Hausherr Mr. Rochester wieder auf sein Anwesen. Er scheint Gefallen an der gebildeten Jane zu finden und führt viele Gespräche mit ihr. Mit ihrer höflichen, zurückhaltenden, aber gleichzeitig sehr bestimmten und direkten Art ist Jane so ganz anders als die verzogenen jungen Frauen der Oberschicht, die oft nur oberflächlich sind und kichernd in der Ecke stehen. Es entwickelt sich eine freundschaftliche Beziehung, in der es ziemlich knistert und die Funken fliegen, doch es bleibt gesittet bzw. platonisch.



Gleichzeitig nehmen die unheimlichen Vorkommnisse auf Thornfield Hall zu. Schon seit ihrer Ankunft lief es Jane manchmal eiskalt den Rücken herunter, wenn sie jemanden in den oberen Etagen wie irre lachen hörte. Mrs. Fairfax erklärte zwar, das sei nur die Näherin Grace Poole, aber irgendwie glaubt Jane das nicht so recht. Als Mr. Rochester nun anwesend war, kam es zu weitreichenderen Vorfällen. Unter anderem brach mitten in der Nacht plötzlich ein Brand in Mr. Rochesters Zimmer aus, als dieser gerade im Bett schlief. Jane konnte ihn im letzten Moment retten, denn sie hatte noch wach gelegen und dieses teuflische Lachen wieder gehört, was sie veranlasste, nachzusehen.



Jane wird sich so langsam darüber klar, dass die Mr. Rochester nicht mehr nur wie ein kleines Mädchen anhimmelt, sondern anfängt, ihn wirklich zu lieben. Doch er scheint nur an der jungen und wunderschönen Blanche Ingram ernsthaft interessiert zu sein, während Jane für ihn ein kurzweiliger Zeitvertreib ist. Eine Heirat zwischen den beiden scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Jane wird unglücklich und denkt schon darüber nach, Thornfield Hall zu verlassen, denn mit Ms. Blanche als Hausherrin will sie nicht dort bleiben zumal Adele dann auch auf ein Internat geschickt werden würde. Sie ist nur verwundert, dass keinerlei Hochzeitsvorbereitungen getroffen werden. In einer stürmischen Nacht treffen sich Jane und Mr. Rochester dann im Garten. Jane gesteht ihm, wie unglücklich sie ist - und daraufhin macht ihr Mr. Rochester einen Heiratsantrag. Glücklich gehen die beiden ins Haus, während die Kastanie, unter der sie eben noch gestanden haben, vom Blitz getroffen und gespalten wird. Ein unheilvolles Zeichen ...



Meine Meinung
Das Buch riss mich genauso in seinen Bann, wie es der Film tat. Nachdem ich die ersten Kapitel gelesen hatte, war ich schon erstaunt über den Schreibstil. Immerhin ist das Buch annähernd 170 Jahre alt und wurde noch unter ganz anderen sozialen Verhältnissen geschrieben. Doch die Ansichten, die Jane hat, und ihre Gefühle sind die gleichen wie in der heutigen Zeit. Es ist zwar nicht verwunderlich, dass es auch schon früher solche Gefühle gab, aber soviel ich weiß, wurden sie nicht offenbahrt. Eine Person, gar eine junge Frau aus der Unterschicht, durfte damals eigentlich nicht so sehr aufbegehren, wie es Jane mitunter tut. Jane hat für ihre Zeit eine sehr fortschrittliche Denkweise, die vor allem auch auf Gerechtigkeit gerichtet ist unabhängig von den Ständen.



Dieser Roman, der aus der Sicht von Jane selbst erzählt wird, ließ mich selbst noch einmal Kindheit, Erwachsenwerden und dann die Probleme mit der Liebe erleben. Denn auch wenn die Zeiten und die genauen Umstände verschieden waren, so waren die Gefühle doch ähnlich. Und dann ist man hautnah dabei, als sich Jane zum ersten Mal verliebt, zum ersten Mal die Gefühle für einen Mann entdeckt. Und man erlebt auch ihren inneren Schmerz mit, als sie der Meinung ist, dass Mr. Rochester die affektierte Miss Ingram heiraten wird und sie keinen Chancen bei ihm hat.



Ich denke, dass dieser viktorianische Gouvernantenroman (so heißt dieses spezifische literarische Genre) eher ein Jugendbuch für Mädchen ist, denn größtenteils spielt der Roman während Janes Kindheit und Jugend, und auch als sie Mr. Rochester kennenlernt, ist sie gerade mal 18 Jahre alt und hat daher auch die Gefühle einer 18jährigen. Lange Zeit himmelt sie den ihr unerreichbar erscheinenden Mr. Rochester nur an. Und auch später handelt und denkt Jane eher wie ein Mädchen als wie eine Frau. Dies ist nicht unbedingt jedermanns Geschmack. Erst ziemlich zum Schluss denkt und handelt sie reif wie eine Frau, aber da ist das Buch schon fast zu Ende.



Jane ist während des gesamten Romans eine starke und leidenschaftliche Person, die zumindest mir gleich sympathisch war, auch wenn ich mich nicht in jeder Situation mit ihr identifizieren konnte. Manchmal trifft sie auch ein wenig seltsame Entscheidungen. So ist es für mich in der heutigen Zeit einfach unvorstellbar, dass die 18jährige Jane einfach eine Stellenanzeige aufgibt, eine einzige, kurze Antwort darauf erhält und fast sofort einfach so, ohne weitere Informationen zu haben oder abgesichert zu sein, in das weit entfernte Thornfield Hall reist. Es mag einfach der damaligen Zeit geschuldet sein, wo es einfach nicht so viele Informationsquellen gab, aber mir fiel als erstes das Wort Leichtsinn dazu ein. Was wäre, wenn nicht die nette Mrs. Fairfax, sondern irgendein hinterhältiger Schuft geantwortet hätte, der sie zu sich locken wollte? Niemand hätte dann gewusst, wo sie genau war, niemand hätte ihr helfen können. Und auch wenn es nur ein schlechter Job gewesen wäre, wo sie vielleicht ihr Geld nicht bekommen hätte, so wäre sie dann doch hilflos gewesen, weil sie kein Geld für ein Fortkommen von dort gehabt hätte.



Bemerkenswert finde ich gerade im Hinblick darauf, dass Charlotte Bronté die Tochter eines Pfarrers war, den Umgang mit der Religion in diesem Buch. Sie spielt fast keine Rolle, bleibt ganz im Hintergrund. Und doch ist sie irgendwie allgegenwärtig. Die Mädchenschule wurde von einem Pfarrer geleitet, der mit zweierlei Maß mass: Die Schülerinnen mussten unter seiner Leitung viel entbehren. Es war kalt, sie bekamen kaum etwas und schlecht zu essen, sie trugen sehr ärmliche Kleidung und durften nicht einmal lange Haare tragen. Alles sollte sie zu gottgefälligen Menschen machen. Alles andere sei lasterhaft und ein Werk des Teufels. Noch während er diese Predigt vor allen Schülerinnen hielt, standen hinter ihm allerdings seine eigenen Töchter in sehr schicker Kleidung und mit aufwändig zurecht gemachten Haaren. Und den Schülerinnen war genau diese Diskrepanz bewusst und sie machten sich hinter vorgehaltener Hand lustig über die Predigt. So etwas hätte ich in einem Roman von 1847 nie erwartet, schon gar nicht geschrieben von einer Pfarrerstochter. Ähnlich setzt sie sich an anderen Stellen über die religiösen Einstellungen, die zur damaligen Zeit gewiss die gängigen waren, hinweg und bildet sich ihre eigene Meinung darüber, was gottgefällig ist. Aber wie gesagt: die Religion ist eher im Hintergrund ein Thema, es ist alles andere als ein religiöses Buch.



Fazit
für die damalige Zeit ein herausragender Roman, aber vielleicht eher für weibliche Jugendliche und Junggebliebene interessant

Veröffentlicht am 09.08.2017

eines der besten Bücher, das ich je gelesen habe

Das Schicksal ist ein mieser Verräter
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Hazel ist 17 Jahre alt und hat seit vier Jahren Krebs. Sie muss ständig einen Sauerstoffschlauch unter ihrer Nase tragen, weil sie sonst nicht genug Sauerstoff bekommt. Und ihre Aussichten stehen eher ...

Hazel ist 17 Jahre alt und hat seit vier Jahren Krebs. Sie muss ständig einen Sauerstoffschlauch unter ihrer Nase tragen, weil sie sonst nicht genug Sauerstoff bekommt. Und ihre Aussichten stehen eher schlecht, nur ein experimentelles Medikament hält sie noch am Leben. Hazel hat sich damit abgefunden, dass sie nicht mehr lange leben wird. Eigentlich bleibt sie vor allem für ihre Eltern noch am Leben, denn sie weiß, dass es ihren Eltern das Herz brechen wird, wenn sie stirbt. Um ihren Eltern einen Gefallen zu tun, geht Hazel in eine Selbsthilfegruppe für krebskranke Jugendliche. Dort lernt sie den lebensbejahenden Gus kennen, dem wegen Knochenkrebs ein Unterschenkel amputiert wurde. Gus verliebt sich in Hazel, doch Hazel blockt ab. Sie kann es nicht ertragen, wenn ihr Tod noch jemanden verletzt. Hazel hat ein Lieblingsbuch, das sie aber mit vielen Fragen zurück lässt. Der Autor möchte ihr die Fragen nur persönlich beantworten – allerdings wohnt er in Amsterdam und Hazel in den USA! Die Eltern und Gus möchten Hazel ihren letzten Herzenswunsch so gerne ermöglichen, aber die Ärzte sind aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes dagegen.

Ich habe das Buch verschlungen – und es hat in mir so einige Emotionen freigesetzt. Ich konnte so manches Mal gar nicht weiterlesen, weil mir die Tränen herunter liefen und den Blick vernebelten. Ich weiß gar nicht mehr, ob mir das schon einmal beim Lesen passiert ist …

Der Schreibstil hat mich umgehauen, denn er war einfach flüssig und leicht. Man konnte das Buch gut in einem Rutsch durchlesen. Er war gar nicht so kitschig, wie man meinen könnte. Es war ganz normale Sprache, die nichts beschönigte. Die Beteiligten redeten genauso, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Ich weiß, wie schwer das so zu schreiben ist, und finde es einfach nur richtig toll gelungen.

Die Charaktere der Personen waren alle toll lebendig beschrieben. Vor meinem inneren Auge erwachten sie richtig zum Leben. Und ich habe mit ihnen gelitten. Sie waren fast wie Freunde für mich. Die Charaktere sind zwar alle im jugendlichen Alter, aber trotzdem denke ich, dass es kein reines Jugendbuch ist, denn die Probleme sind nicht an ein bestimmtes Alter gebunden.

Insgesamt fand ich dieses Buch einfach fabelfaft! Alles war lebendig und die Geschichte riss mich einfach mit. Ich konnte gar nicht aufhören zu lesen. Und selten hat ein Buch solche Emotionen bei mir geweckt und mich so sehr zum Weinen gebracht. Ich weiß, dass die Handlung nicht einfach zu verkraften ist. Während des Lesens kämpfte mein Freund selbst gerade mit dieser teuflischen Krankheit. Aber das Buch ist unheimlich lebendbejahend, auch wenn es so traurig ist. Und ich kann es nur jedem empfehlen.

Dies ist eines der besten Bücher, das ich je gelesen habe!

Veröffentlicht am 14.03.2017

Mit Recht so erfolgreich

Die Tribute von Panem 1
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Das Land Panem war in 13 Distrikte und das Kapitol unterteilt. Die Distrikte lehnten sich gegen das Kapitol auf in einem erbitterten Krieg, aus dem das Kapitol als Sieger hervorging. Der Distrikt 13 wurde ...

Das Land Panem war in 13 Distrikte und das Kapitol unterteilt. Die Distrikte lehnten sich gegen das Kapitol auf in einem erbitterten Krieg, aus dem das Kapitol als Sieger hervorging. Der Distrikt 13 wurde komplett zerstört. Die anderen Distrikte müssen jeweils bestimmte Produkte für das Kapitol herstellen. Bei Distrikt 12 ist es beispielsweise Kohle. Dafür bekommen sie vom Kapitol gerade genug Lebensmittel zum Überleben. Und einmal im Jahr gibt es die „Ernte“. In einem großen Lostopf sind die Namen aller Jugendlichen von 12 bis 18 Jahre enthalten. Um mehr Lebensmittel zu erhalten, können die Jugendlichen ihren Namen öfter in den Lostopf werfen lassen. Daraus werden ein Junge und ein Mädchen gewählt, die die Tribute dieses Distrikts darstellen. In den Hungerspielen müssen die insgesamt 24 Tribute aller Distrikte in einer künstlich generierten Arena sich auf Leben und Tod bekämpfen, bis der Sieger feststeht. Das Kapitol sieht ihnen dabei zu und amüsiert sich über die Kämpfe. Wenn ein Kämpfer dem Publikum besonders gefällt, kann der Spielleiter das Schicksal einzelner Tribute auch noch beeinflussen.

Die 16jährige Katniss lebt mit ihrer Mutter und ihrer 12jährigen Schwester Prim in Distrikt 12. Der Vater starb bei einem Grubenunglück. Katniss ernährt die Familie, indem sie illegalerweise außerhalb des Distrikts jagen geht. Gale, der ein ähnliches Schicksal teilt, ist dabei ihr Jagdpartner und die beiden sind beste Freunde. Bei der Ernte wird dann der Name von Prim gezogen. Katniss will ihre kleine Schwester retten und meldet sich freiwillig für die Spiele. Zusammen mit dem Bäckersjungen Peeta zieht sie für den Distrikt in die Spiele, ohne Hoffnung, jemals ihre Familie wieder zu sehen. Vor den Spielen muss sie dann noch jede Menge Anproben und öffentliche Auftritte über sich ergehen lassen, um dem Kapitol zu gefallen. Katniss ist dies alles zuwider, aber sie hat keine Wahl. Sie will die anderen Tribute nicht töten, doch wenn sie es nicht tut, werden diese sie töten. Und dann ist da noch Peeta, der Katniss schon lange liebt …


Ich habe vor dem Lesen dieses Romans schon den Film gesehen und wusste, worum es geht. Dadurch fand ich mich im Buch dann recht schnell zurecht. Ob es sonst so schnell gegangen wäre, weiß ich nicht.

Der Schreibstil ist recht klar und nicht so überladen ausschmückend. Suzanne Collins lässt ihre Figuren lieber handeln oder beobachten, anstatt viel zu beschreiben. Ich finde dies sehr kurzweilig und es bringt die Handlung voran. Dazu kommt, dass wenn einmal Beschreibungen z.B. der Kleider vonnöten sind, es auch ganz spezielle Auswirkungen hat. So werden etwa mit den aufwändigen Kleidern zur Eröffnung die Reaktionen des Kapitols beeinflusst.

Die Person von Katniss war für mich anfangs nicht so greifbar, da sie im Film sehr viel selbstbewusster und strahlender wirkt, sehr viel dominanter. Erst hier im Buch wurde mir klar, dass Katniss eigentlich viel vielschichtiger ist. Sie will gar nicht die Heldin sein und ist alles andere als dominant. Eine ganze Weile ist sie sogar einfach nur der Spielball von ihren Beratern und dem Kapitol, wird hierhin gereicht und dorthin, muss lächeln, ihr verhasste Kleider präsentieren und alles klaglos mit sich geschehen lassen, denn ihr wird immer wieder vor Augen geführt, was passieren wird, falls sie sich weigert. Dadurch kann man sich als Leser hervorragend mit ihr identifizieren und die Person von Katniss wird sehr sympathisch.

Die Geschichte insgesamt finde ich auch recht spannend und interessant ausgearbeitet. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber es wird dem Leser immer wieder vor Augen geführt, dass man vieles nur für das Publikum, für die Öffentlichkeit machen muss, damit man Erfolg hat, damit man weiter kommt. Und ich finde es bewundernswert, dass Katniss nie mit ihrem Schicksal hadert. Sie fragt sich nicht, warum sie das ganze eigentlich machen muss und was das alles soll. Sie lehnt sich nicht gegen ihr Schicksal als Tribut auf oder gegen das ganze System, sondern sie fügt sich den Spielregeln. Sie kann ja ohnehin nichts ändern. Ich finde diese Haltung sehr bemerkenswert.

Insgesamt fand ich das Buch sehr spannend und unterhaltsam. Es kam mir sogar viel zu kurz vor. Ich kann es nur jedem empfehlen. Es ist noch besser als der Film, denn es erklärt auch noch viele kleine Nebensächlichkeiten.

Veröffentlicht am 03.10.2016

Thrill der höchsten Qualitätsstufe

Amokspiel
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Die Kriminalpsychologin Ira Samin hat es nicht einfach. Ihre Tochter Sara hat sich umgebracht und ihre andere Tochter Kitty gibt ihr die Schuld daran und spricht kein Wort mehr mit ihr. Ira hat sich monatelang ...

Die Kriminalpsychologin Ira Samin hat es nicht einfach. Ihre Tochter Sara hat sich umgebracht und ihre andere Tochter Kitty gibt ihr die Schuld daran und spricht kein Wort mehr mit ihr. Ira hat sich monatelang in den Alkohol geflüchtet, weil sie mit dieser Situation nicht klar kam, aber damit soll nun Schluss sein. Sie will sich selbst umbringen. Alles, was sie noch braucht, ist eine Cola light lemon, damit sie die todbringenden Kapseln schlucken kann. Als sie jedoch aus dem Haus zum Laden um die Ecke geht, gerät sie erst in einen Streit um einen toten Hund, den die beiden Kontrahenten mit Waffengewalt lösen wollen, und wird anschließend mehr oder weniger vom SEK entführt, um bei einer Geiselnahme im Radiosender die Verhandlungen zu führen.
Im größten Radiosender von Berlin hat Jan May mehrere Geiseln genommen. Seine Forderung: Seine Verlobte Leoni soll zu ihm gebracht werden. Was sich anfangs einfach anhört, entpuppt sich dann doch als etwas schwerer, denn Leoni ist acht Monate zuvor bei einem Autounfall gestorben. Doch dies will Jan nicht wahr haben. Er ist sich sicher, dass alles ein großes Komplott ist und Leoni noch lebt. Er glaubt nicht, dass sie tot ist, sondern dass sie irgendwo gefangen gehalten wird. Und um Druck zu machen, droht er damit, jede Stunde eine Geisel zu erschießen, falls sich eine zufällig ausgewählte Person am Telefon nicht doch noch mit einer ganz bestimmten Parole meldet.


Meine Meinung
Dies war mein zweiter Roman von Sebastian Fitzek und meine Erwartungen waren ziemlich hoch, nachdem mir „Die Therapie“ sehr gut gefallen hat. Und ich muss sagen, dass mich auch dieser Roman sehr gefallen hat.

Die Persönlichkeiten gefallen mir richtig gut und erwachten vor meinem inneren Auge zum Leben. Insbesondere die Person von Ira hat mir sehr gut gefallen, denn jede Beschreibung, jede Handlung passt haargenau. Sie ist genervt von dem ganzen, denn eigentlich wollte sie doch schon längst tot sein. Und dann muss sie den ganzen Schmerz um Saras Tod noch einmal durchleben – und das live am Radio, wo inzwischen ganz Berlin zuhört! Und auch ihre Beziehung zu Kitty darf sie vor ganz Berlin offen legen. Dieser seelische Striptease ist richtig gut beschrieben. Es ist eine seltsame Mischung aus einerseits Abscheu, was da alles von Ira verlangt wird, andererseits dann auch Mitleid mit ihr, wenn sie einfach nur etwas Alkohol benötigt, um keine Entzugserscheinungen zu bekommen und weiter machen zu können, oder wenn sie einfach nur nach einer Cola light lemon sucht, um vielleicht doch noch heim zu ihren Kapseln zu kommen. Es ist dann aber auch noch ein bisschen Voyeurismus dabei, wenn Ira erzählen muss, wie es aus ihrer Sicht zum Suizid von Sara gekommen ist.

Auch die Person von Jan ist bis in die letzte Kleinigkeit ausgearbeitet. Anfangs hat mich gewundert, dass er ein so ausgefeiltes Gespräch mit Ira führen kann. Doch dies wird nach und nach aufgeklärt, sodass auch die Art des Gesprächs zur Person von Jan passt. Und ähnlich ist es dann auch mit den anderen wenigen Hauptpersonen. Ich bin wirklich überrascht, dass alles an ihnen passt. Und die Nebenpersonen bleiben dann tatsächlich auch mal Nebenpersonen und der Leser wird nicht mit unnötigen Details über sie gelangweilt, die mit der Handlung nichts zu tun haben. Das hat mir alles wirklich gut gefallen und zeigte mir, dass die gesamte Geschichte von A bis Z durchdacht war und nicht einfach mal drauf los geschrieben wurde.

Die ganze Geschichte bietet nicht unbedingt Stoff für Humor. Trotzdem zieht sich die Suche von Ira nach einer Cola light lemon wie ein roter Faden durch die Geschichte und hatte für mich etwas von einem Running Gag, denn sie sucht auch nur nach dieser bestimmten Sorte, es darf nicht einfach irgendein Getränk sein. Und ich meine, sie bekommt während der gesamten Geschichte keine. Ansonsten habe ich nichts Lustiges gefunden, allerdings auch nicht vermisst, denn die Geschichte bietet dafür einfach keinen Raum.

Die ganze Geschichte, die sich innerhalb weniger Stunden abspielt und nicht mal einen gesamten Tag umfasst, ist in viele kleine Kapitel eingeteilt. Oft findet von einem Kapitel zum nächsten ein Szenenwechsel statt, indem die Sicht einer anderen Hauptperson gezeigt wird oder der Ort sich verändert hat. Dieses steht zwar nicht in einer Überschrift, wie ich es aus anderen Romanen kenne, allerdings weiß man gleich beim ersten Satz schon, um wen es sich gerade handelt und wo er ist. Ich konnte mich also während des Lesens immer gut orientieren, wer gerade was macht. Die kleinen Kapitel von nur wenigen Seiten fand ich auch angenehm, denn dadurch konnte ich auch das Buch mal kurz weg legen und brauchte nicht beim Weiterlesen einige Zeit, um mich zu orientieren und wieder in die Geschichte einzusteigen.

Die Geschichte insgesamt fand ich dann sehr gut durchdacht. Alles hatte für mich Hand und Fuß, ganz viele Details griffen ineinander, auch wenn man dies anfangs nicht unbedingt sah. Jeder Handlungsstrang findet ein Ende, alles, was mal angesprochen wird, wird noch aufgelöst, wie es in das große Ganze passt und was es damit auf sich hatte. Das hat mich doch sehr beeindruckt und begeistert, denn ich bin jemand, der auch auf diese ganzen Details sehr achtet und dann oft enttäuscht wird, weil etwas doch im Ungewissen bleibt. Da scheint Sebastian Fitzek aber sehr drauf zu achten, denn sowohl in diesem Roman wie auch in dem anderen, den ich bereits von ihm gelesen habe, wird alles restlos aufgelöst.

Ich möchte vom Inhalt nicht zu viel verraten, denn er lebt von vorne bis hinten von seiner Spannung. Immer, wenn man denkt, man hat nun alles verstanden und begriffen, worum es geht, kommt ein neues Detail ans Licht, das alles bisherige wieder umwirft und in einem anderen Licht erscheinen lässt. Man kann sich nie wirklich sicher sein, dass alles so ist, wie es scheint. Dabei bleibt allerdings alles im Rahmen. Es fällt niemand aus seiner Rolle. Wenn das neue Detail bekannt wird, erklärt es eher das vorangegangene Verhalten und verwirrt nicht. Ich finde dies ungeheuer geschickt gemacht und das gibt für mich das besondere Etwas, das Etwas, das diesen Roman aus der breiten Masse heraus hebt. Es zeigt, dass Sebastian Fitzek wirklich etwas von Psychologie versteht und viel Menschenkenntnis hat.

Insgesamt habe ich das Buch sehr gern gelesen und ich kann es uneingeschränkt weiter empfehlen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein tolles Buch, über das man nachdenken kann und sollte!

Spanische Dörfer - Wege zur Freiheit
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La Marche ist eine junge Frau, die aus einem Land in Afrika aufgebrochen ist, um nach Europa zu gehen, wo sie in Freiheit leben möchte. Es bleibt unklar, aus welchem Grund sie ihre Heimat verlässt, denn ...

La Marche ist eine junge Frau, die aus einem Land in Afrika aufgebrochen ist, um nach Europa zu gehen, wo sie in Freiheit leben möchte. Es bleibt unklar, aus welchem Grund sie ihre Heimat verlässt, denn sie hat ihr Gedächtnis gelöscht, hat anfangs nicht mal mehr einen Namen. Aus ihrem gesamten Verhalten wird nur klar, dass sie Schreckliches durchgemacht haben muss und dass es keine leichtfertige Entscheidung aus dem Bauch heraus war. Sie macht sich einfach auf den Weg nach Nordafrika und muss dort feststellen, dass es nicht ganz so einfach ist, über Gibraltar nach Spanien zu kommen. Doch mit ihrem eisernen Willen schafft sie es schließlich, die Meerenge zu durchschwimmen.

Am Strand von Spanien trifft sie dann auf Enrique, der dort in der Sonne liegt und über seine Situation nachdenkt. Er kam als Mädchen Henriqua auf die Welt, war sich aber schon in jungen Jahren sicher, dass er im falschen Körper geboren wurde, denn er fühlte sich immer wie ein Junge und lebte und verhielt sich auch so. Seine Eltern kamen damit kaum klar und auch in seinem kleinen Heimatdorf wurde er nur schief angeguckt. Er ging zum Studium nach Madrid und ließ sich dort auch behandeln, um äußerlich männlicher auszusehen. Die letzte, große Operation wollte er jedoch nicht, denn es reichte ihm so, wie er war. So fühlte er sich wohl in seinem Körper und er brauchte nicht mehr. Nach seinem abgeschlossenen Studium kehrte er für den Sommer zu seinen Eltern zurück, denn er fand selbst in der Großstadt keine Arbeit. Er entschloss sich, nach Deutschland zu gehen, um dort Arbeit zu finden, wollte dies aber in seiner Heimat noch einmal überdenken.

Und während Enrique so am Strand lag und ein wenig döste, kam plötzlich diese Frau aus dem Meer. Enrique war irgendwie von ihr fasziniert, wie sie da aus dem Wasser stieg. Er gab ihr zu trinken. Als dann Polizisten auftauchten, die am Strand patrouillierten, erkannte er, dass sie die Frau nicht finden dürfen. Er ruft ihr zu, dass sie laufen soll und lenkt die Polizisten ab, sodass sie nichts mitbekommen. So macht sich La Marche weiter auf den Weg nach Nordspanien, wo für sie erst einmal Endstation ist, weil sie im Winter nicht die Pyrenäen überqueren kann. Dort trifft sie auf ein altes Ehepaar, das ihr weiter hilft, und durch das sie auch ihren Namen in Manso wechselt. Mit Hilfe dieses Paares schafft sie es schließlich auch nach Deutschland, wo sie sich in Freiheit glaubt, wo es aber so ganz anders ist, als sie es sich vorgestellt hat.

Enrique verabschiedet sich vor seinem Aufbruch nach Deutschland noch von seinem besten Freund Leon. Leon gilt als geistig behindert, weil er das Down-Syndrom hat. Im Endeffekt ist dies nur ein überzähliges Chromosom, das ihn anders aussehen lässt und durch das bei ihm nur sein Lernverhalten verlangsamt wird. Leon ist aber sehr eifrig im Lernen und schließt die Schule ab. Er will unbedingt Lehrer werden und seinem großen Vorbild nacheifern, einem anderen Mann mit Down-Syndrom, der bereits das Studium hinter sich hat und auch das Lehrerexamen bestanden hat. Leon weiß, dass es schwer werden wird für ihn, eine Anstellung als Lehrer zu bekommen, denn die Arbeitslosigkeit in Spanien ist hoch und die Lehrer, die ein Chromosom weniger haben als er, werden wohl immer bevorzugt werden. Doch er lässt sich nicht unterkriegen und hält an seinem Berufswunsch fest.

In München treffen Manso und Enrique dann wieder aufeinander. Beide haben inzwischen die Erfahrung gemacht, dass Deutschland für sie auch nicht bieten kann, wonach sie gesucht haben. Enrique findet auch dort keine Arbeit als Architekt und muss seine wahre Identität verbergen, um akzeptiert zu werden. Und Manso findet auch dort nicht die Freiheit, die sie braucht, um wieder leben zu können ohne Zwänge. Als Enrique dies Leon schildert, der gerade an seinem Abschlussexamen sitzt, hat dieser eine verrückte Idee, die schließlich gar nicht so verrückt ist.



Meine Meinung
Wie auch die bisherigen Bücher von Maria Braig handelt es sich hier nicht um eine Geschichte aus einer heilen Welt mit "normalen" Menschen. Es geht auch hier wieder um Personen, die nicht in die gängigen Schubladen passen und die teilweise einfach vergessen, weggesperrt und übersehen werden. Menschen, mit denen man nichts zu tun haben will, weil sie eben irgendwie anders sind. Menschen, die einfach nur leben und akzeptiert werden wollen, wie sie sind. Und ich mag diese Geschichten, denn ich finde es wichtig, auch von diesen Außenseitern zu erzählen, die niemandem etwas Böses wollen, niemanden bedrohen - und doch oft als Bedrohung für unsere Gesellschaft angesehen werden, weil sie eben nicht in unsere "heile Welt" passen und unser Schubladendenken. Es geht auch hier wieder um Toleranz, Respekt vor anderen Personen und Akzeptanz ihrer Persönlichkeit. Und ich finde, diese Themen wurden in diesem Buch wieder hervorragend umgesetzt ud dem Leser nahe gebracht.
Alle drei Personen erhalten eine richtige Persönlichkeit. Auch wenn Manso die ganze Zeit recht unnahbar wirkt, weil man so gar nichts von ihr und ihrer Vergangenheit erfährt, so habe ich beim Lesen doch gespürt, dass ihr etwas ganz Schreckliches passiert sein muss, wodurch sie das Vertrauen in die Menschheit verloren hat. Und wer die ganzen schrecklichen Greueltaten aus den afrikanischen Kriegsgebieten zumindest vom Hörensagen kennt, der kann erahnen, was passiert ist. Auch wenn es nie angesprochen wird im Buch, denke ich doch, dass es nicht nur eine einzelne Gewalttat einer Einzelperson gewesen sein wird. Manso hatte also einen triftigen Grund, ihre Heimat zu verlassen. Bei der Beschreibung ihres Weges wird dann aber auch deutlich, dass sie gar keine konkrete Vorstellung hat, was sie in Europa vorfinden wird. Ihr ist auch das Land, wo sie hin will, eigentlich egal. Sie hat nur eine ungefähre Vorstellung, dass es Mitteleuropa sein soll. Und ich denke, dass Maria Braig mit der Person von Manso eine Gruppe von Flüchtlingen skizziert hat, die wir uns hier im sicheren und weltweit vernetzten Deutschland kaum vorstellen können. Manso hat nämlich kein wirkliches Ziel ihrer Flucht vor Augen. Sie weiß nicht, was sie erwartet. Sie will einfach nur Freiheit, Freiheit von allen Zwängen. Und sie glaubt, dass sie das in Europa finden wird. Dass in Europa dann ganz andere Zwänge wie etwa das Asylverfahren auf sie warten, war ihr unbekannt. Und dass sie während des Verfahrens in engen Unterkünften auf die Entscheidung warten müsste, war für sie ganz unvorstellbar. Denn diese Enge könnte sie auch gar nicht ertragen. Schon das Asylverfahen und die ganzen behördlichen Zwänge wie auch die detaillierte Auskunft dessen, was ihr passiert ist, sind für sie einfach undenkbar. Das erträgt sie einfach nicht! Um überleben zu können, hat sie diese Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis gelöscht, lebt nur im Hier und Jetzt.

Dieses Verhalten von Manso kennen wir sonst nur von schwer traumatisierten Personen, die Opfer schwerer Gewalttaten geworden sind. Sind es Personen aus Deutschland oder anderen sogenannten zivilisierten Ländern, gehen wir ganz behutsam mit ihnen um. Wir lassen ihnen die Zeit, ihre Erlebnisse zu bewältigen, geben ihnen die medizinische und psychologische Hilfe, die sie brauchen, um wieder ins Leben zurück zu finden. Und obwohl wir immer wieder von diesen grausamen Taten aus Afrika hören, die oft jenseits unserer Vorstellung liegen, was Menschen anderen Menschen antun können, zwingen wir diese traumatisierten Flüchtlinge hier in das Asylverfahren, wo sie Schlange stehen müssen, um dann vor einem Verwaltungsbeamten am besten noch im Verwaltungsdeutsch locker flockig zu schildern, welche Gewalttaten ihnen angetan wurden - oft sogar von Verwaltungsbeamten der Regierung. "Sind Sie mit dem Tod bedroht worden? Hat man Ihnen gesagt, dass Sie umgebracht werden? Nein? Dann müssen Sie zurück." Dass es allgemein bekannt war, dass man stirbt, wenn man gewisse Dinge nicht machte, sich auflehnte oder dergleichen, zählt nicht. Dafür, dass der Tod ständig über einem schwebte, dafür gibt es keine Spalte im Formular. Diese Widersinnigkeit, diese absolute Gefühllosigkeit des Systems für das Schicksal dieser Menschen ist für jemanden, der nicht direkt damit befasst ist, kaum zu begreifen. Es muss doch auch einen anderen Weg geben, wie wir diese Flüchtlinge menschlich behandeln und trotzdem entscheiden können, ob sie ein Recht auf Asyl haben oder nicht.
Das Asylverfahren hier in Deutschland wird im Buch zwar nicht direkt thematisiert, aber es klingt ein wenig an, wenn es darum geht, dass es für Manso undenkbar ist, einen Asylantrag bei der Behörde zu stellen und sie Angst davor hat, in eine Asylantenunterkunft zu müssen. Lieber bleibt sie als Illegale im Untergrund, lieber lebt sie in Angst, von der Polizei doch noch aufgegriffen zu werden. Und diese Angst, die Sehnsucht nach Freiheit, einfach frei von Zwängen leben und arbeiten zu können - das klingt meines Erachtens in dem Buch sehr gut an. Es hat mir mal wieder ein paar der Probleme, mit denen wir Flüchtlinge konfrontieren, näher gebracht und es hat dazu beigetragen, Flüchtlinge besser zu verstehen.

Ganz andere Probleme, die dann doch nicht ganz so unterschiedlich sind, hat dagegen Enrique. Ich denke, es gibt viel mehr Menschen, als wir glauben, die mit ihrem angeborenen Geschlecht nicht zufrieden sind und mit ihn schlicht und einfach nicht leben können und wollen. Die Medizin hat inzwischen einige Verfahren entwickelt, mit denen sich diese Menschen ein bisschen wohler in ihrer Haut fühlen. Aber schlimmer ist es, dass ihre Umwelt sie nicht so akzeptiert, wie sie sein wollen. Und das ist auch das Problem von Enrique. Mit Hilfe der Medizin steckt er inzwischen in einem Körper, in dem er sich wohl fühlt. Doch er kann keinem davon erzählen, wer er mal war oder welche Probleme er mit seiner Familie hat, weil er dann das Risiko eingeht, dass ihn auch die Menschen, unter denen er nur als Mann bekannt ist, dann mit anderen Augen ansehen und ablehnen. Enrique fühlt sich keiner Gruppe so richtig zugehörig und daher ziemlich allein und als Außenseiter.

Und dann ist da noch Leon. Dass jemand mit Trisomie 21 (eine andere Bezeichnung für das Downsyndrom) eine Hauptfigur in der Geschichte spielt, fand ich sehr überraschend. Das findet man nicht oft. Anfangs dachte ich, dass er gar nicht typisch dargestellt ist. Insbesondere sein Satzbau kam mir viel zu komplex vor und er dachte viel zu vernetzt. Doch dann dachte ich an mein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Heim für geistig Behinderte zurück, wo ich viel mit diesen Menschen zu tun hatte. Und ich habe schon dort gesehen, dass es sehr viele verschiedene Ausprägungen dieser Behinderung gibt. Ich hatte zu tun mit ganz schweren Fällen, die auch im Erwachsenenleben emotional und geistig einem Kleinkind gleich zu setzen waren. Und es gab dort auch welche, die lesen und schreiben konnten und mich mit ihrer komplexen Denkweise überraschten. Da übertrafen sie teilweise sogar uns mit der regulären Chromosomenanzahl. Und das waren immerhin nur die Menschen, die in einem Heim leben mussten und nicht allein leben konnten. Ich habe aber auch schon von Menschen mit Down-Syndrom gehört, die so fit sind, dass sie in einer eigenen Wohnung leben können. Eine Frau mit so einem Chromosom zu viel lebt sogar hier bei mir im Haus, auch wenn ich sie nicht näher kenne. Warum fange ich, die ich mich für sehr tolerant halte und wenig in Schubladen denkend, also an, Menschen mit Trisomie 21 in die Schublade "geistig behindert" zu stecken und ihnen schwierigere geistige Leistungen abzusprechen? Sie sind teilweise intelligenter als die Menschen, mit denen ich Abitur gemacht habe - oder auch bestimmte Verwaltungsbeamte! Als ich übrigens das Nachwort von Maria Braig gelesen habe, musste ich lachen, weil sie dort etwas ganz ähnliches beschreibt.

Auch Leon macht sich so seine Gedanken über seinen Platz in der Welt. Und vor allem auch darüber, dass er sich nicht als behindert sieht, sondern dass er eher behindert wird. Er kann den Stoff bewältigen, den er braucht für das Examen, und er ist der Meinung, dass er sogar ein besserer Lehrer sein wird, als diejenigen, die ihm einfach nichts zutrauen. Leon macht sich auch durchaus kritische Gedanken und ist sich bewusst, dass er etwa langsamer lernt als andere. Und er weiß, dass er auf dem spanischen Arbeitsmarkt mit seiner hohen Arbeitslosenquote wohl nie eine Chance haben wird. Auch wenn er versucht, vieles positiv zu sehen, ist er sich doch darüber im Klaren, dass er ein Außenseiter ist und in der Gesellschaft einfach nicht akzeptiert werden würde als Lehrer von "normalen" Kindern mit normaler Chromosomenanzahl.

Der Schreibstil ist übrigens recht ansprechend für solch komplexe Themen. Er ist leicht distanziert und drückt gar nicht auf die Tränendrüse. Die drei Menschen denken recht objektiv über ihre jeweilige Situation nach. Sie nehmen sie hin, denn sie sind ohnehin nicht in der Lage, sie zu ändern. Zufrieden sind sie natürlich nicht damit, aber sie versuchen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden, wo sie gut leben können und auch die Gesellschaft mit ihnen. Durch diese leichte Distanz habe ich mich während des Lesens nicht mit den Personen identifiziert, wie es etwa in anderen Romanen der Fall ist. Ich fand es aber sehr positiv, denn so hatte ich mehr die Position des Beobachters und vielleicht Freundes und habe mehr über die Situation nachgedacht und darüber, was man eigentlich ändern müsste, damit auch diese drei sich in Gesellschaft wohl fühlen und nicht ausgegrenzt werden. Darüber kam ich wohl mehr ins Grübeln als bei einer emotionaleren Geschichte.

Dieses Buch finde ich wieder ein großartig gelungenes Werk, das sich mit Außenseitern beschäftigt und zum Nachdenken anregt. Und ich würde dieses Buch gerne vielen Menschen in die Hand drücken, die ganz pauschal gegen Flüchtlinge hetzen und alles, was nicht der Norm entspricht, verteufeln. Doch ich befürchte, sie werden dieses Buch nicht verstehen und es langweilig finden.