"Im Abschied ist die Geburt der Erinnerung." (Salvador Dali)
Ein neuer Anfang1957 Berlin. Mehr als ein Jahrzehnt liegt der Krieg bereits zurück, die Mariendorfer Frauenklinik erstrahlt in neuem Glanz und kann sich aufgrund ihres guten Rufes über einen regen Zulauf freuen. Margot, ...
1957 Berlin. Mehr als ein Jahrzehnt liegt der Krieg bereits zurück, die Mariendorfer Frauenklinik erstrahlt in neuem Glanz und kann sich aufgrund ihres guten Rufes über einen regen Zulauf freuen. Margot, Edith und Luise sind nach all den Jahren immer noch eng befreundet und stehen kurz vor dem Abschluss ihres Berufslebens. Die Hebammenausbildung wird nach langer Zeit wieder in der Klinik eingeführt, so dass sich Oberhebamme Luise vor Bewerbungen kaum retten kann und sich für 10 neue Anwärterinnen entscheiden muss. Edith ist aus der Schweiz zurückgekehrt und deren Tochter Jule konnte ebenfalls einen Platz ergattern. In Helga und Marion findet sie bald nicht nur Leidgenossinnen, sondern auch enge Freundinnen. Währenddessen sucht Margot Ablenkung von ihren trüben Gedanken und schwingt das Tanzbein. Luise kümmert sich dagegen gemeinsam mit ihrer Liebe Max um vier gerettete Pflegekinder. Aber auch in der Klinik gibt es die täglichen Herausforderungen…
Linda Winterberg hat mit „Ein neuer Anfang“ den letzten Band ihrer historischen Hebammen-Saga vorgelegt, der zum Abschluss die 50er Jahre und deren Aufbruchsstimmung spannend einfängt, aber ebenso die Freundschaft von Luise, Margot und Edith noch einmal aufleben lässt, deren Beruf sie mit Leib und Seele vereinnahmt. Der flüssige, farbenfrohe und atmosphärisch-dichte Erzählstil lässt den Leser an den Seiten kleben und katapultiert in die damalige Zeit, um sich dort als unsichtbare Vierte an die Fersen der drei Hauptprotagonistinnen zu heften und deren Schicksale hautnah mitzuerleben. Dabei verknüpft die Autorin wieder meisterlich bildhaft die historischen Ereignisse mit ihrer Handlung. In den 50er Jahren waren Abtreibungen strafbar und die Frauen meist so verzweifelt, dass sie sich in dubiose Hände begaben, um das ungewollte Kind loszuwerden, was viele von ihnen aufgrund von Pfuscherei das Leben kostete. Zudem wären sie als ledige Mütter an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden, was sie praktisch zu solch einer Entscheidung zwang. Auch das Rollenbild der Frau hat sich gedreht. Nachdem die Frauen während und nach dem Krieg hart anpacken mussten, ist es nun wieder davon geprägt, sich dem Mann unterzuordnen, den Haushalt zu führen und die Kinder zu erziehen. Auch, wenn Luise, Edith und Margot der älteren Generation angehören, sind sie doch selbstsicher genug, sich nichts sagen zu lassen. Und die neue Generation steht bereits in den Startlöchern, um ihren Weg zu gehen, wenn sie auch noch einigen Nachholbedarf an Wissen haben.
Lebendig inszenierte Charaktere, die mit glaubhaften menschlichen Ecken und Kanten aufwarten, wachsen dem Leser schnell ans Herz, der ihnen gerne folgt und sowohl ihre Schicksale als auch ihre jeweilige Gefühlslage teilt. Luise ist resolut und trägt ihr Herz auf der Zunge. Ihre Gradlinigkeit ist für manche vielleicht nicht immer einfach, jedoch in ihrem Beruf unerlässlich. Sie ist engagiert und hilfsbereit. Margot hat noch an ihrem Verlust zu knabbern, doch lässt sie sich nicht hängen, sondern sucht Zerstreuung beim Tanzbeinschwingen. Auch an Edith sind die Jahre nicht spurlos vorbeigegangen, jedoch wirkt sie immer noch selbstsicher und besitzt ein gewisses Feuer. Aber auch Max, Jule, Helga und Marion wissen in ihren zugedachten Rollen zu überzeugen.
Mit „Ein neuer Anfang“ wird zwar das Ende der Hebammen-Saga eingeläutet, jedoch darf der Leser die liebgewonnenen Protagonistinnen noch einmal begleiten und nebenbei den damaligen Zeitgeist schnuppern. Eine fesselnde Geschichte gespickt mit akribischer Recherche macht den Abschied nicht leicht, lässt den Leser aber nach der Lektüre zufrieden zurück. Absolute Leseempfehlung!