Ruhiger, tiefgründiger Roman mit schwermütigem Unterton und kleinen Längen
Die Farbe des NordwindsDer Name der Autorin Klara Jahn war mir zunächst unbekannt; umso mehr freute ich mich, als ich entdeckte, dass es sich hierbei um das Pseudonym einer Autorin handelt, deren äußerst poetischer Schreibstil ...
Der Name der Autorin Klara Jahn war mir zunächst unbekannt; umso mehr freute ich mich, als ich entdeckte, dass es sich hierbei um das Pseudonym einer Autorin handelt, deren äußerst poetischer Schreibstil mir von anderen Werken positiv in Erinnerung geblieben war.
Nach vielen Jahren kehrt Ellen zurück auf jene Hallig, wo sie sich als Jugendliche - geplagt mit einer rastlosen Mutter – das erste Mal heimisch gefühlt hatte. Ihre einstige Stiefschwester Liske ist alles andere als angetan von Ellens Rückkehr, immerhin hatte deren Weggang sie einst unheimlich verletzt. Dass Ellen nun als Lehrerin dort arbeiten und leben möchte ist für sie undenkbar. Sie hat jedoch nicht mit Ellens Beharrlichkeit gerechnet.
Ich erwartete keinen fluffig-leichten Wohlfühlroman, sondern eine Geschichte mit sehr viel Tiefe und die habe ich auch bekommen. Statt zweit Zeitebenen wird anfangs allerdings gleich auf drei erzählt, neben der Gegenwart unterteilt in ein "damals" (ca. um 1800) und in eine Zeitspanne von vor rund 20 Jahren.
Die Vergangenheitserzählung bietet unheimlich informative Einblicke in das Alltagsleben auf dem Marschland. Dabei wird die intensive Recherche der Autorin offensichtlich. Die Bedingungen waren mehr als hart, die Sitten rau und wirklich beständig war nur die Unbeständigkeit des Meeres, das sich noch nie von den Menschen hat zähmen lassen. So interessant diese Informationen auch waren, hat mich die aktuelle Zeitebene in Sachen Lesegenuss mehr angesprochen. Im Hier und Jetzt war ich mittendrin in der Handlung, abgesehen vom letzten Abschnitt des Werkes, in welchem Vergangenheit und Gegenwart um den Titel der meisten Dramatik konkurrierten und die bis dahin recht ruhige Geschichte endlich an Fahrt aufnahm. Ein weiterer Vorteil der Gegenwartsebene war, dass hier – im Gegensatz zur Vergangenheitsgeschichte - nicht auf die wörtliche Rede verzichtet worden ist, was das Lesen ganz klar angenehmer gestaltete.
Mit den Figuren, allen voran der weiblichen Hauptprotagonistin Ellen, wurde ich leider nicht warm, so sehr ich es auch versuchte. Es war, als würde ich ein Geschichtsbuch lesen, doch obwohl ihre Gedankengänge logisch dargelegt worden waren, ihre Emotionen waren für mich nicht richtig greifbar. Je atmosphärischer und wunderbarer die Beschreibungen der Natur, desto nüchterner präsentiert erschienen mir die Charaktere. Abgesehen von Liske, deren uneinsichtiges, störrisches und schlichtweg unsympathisches Verhalten mich regelmäßig auf die Palme brachte - was ja immerhin bedeutet, dass diese Figur etwas in mir auslöste -, blieben die Protagonisten blass und ich fieberte nur mäßig mit ihnen mit. Diese Distanz blieb über die Dauer des Werkes bestehen.
Den Schreibstil der Autorin habe ich als sehr künstlerisch und bildlich wahrgenommen, wenn auch an einigen Stellen - wie etwa den detaillierten Beschreibungen mancher Vogelarten – ein wenig zu ausschweifend und von einer gewissen Schwermütigkeit durchwoben, die den ganzen Roman über angehalten hat. Hin und wieder etwas Leichtigkeit wäre toll gewesen.
Absolut herausragend ausgearbeitet waren hingegen die Schilderungen vom Leben auf den Halligen, der Einfluss des Meeres auf die Einwohner/innen der Region sowie die Naturbeschreibungen der kargen, schroffen Landschaft. - Das Setting ist für mich das Highlight des Romans. Zudem greift die Autorin das wichtige Thema Klimaschutz auf.
Fazit: Ein größtenteils ruhiges, sehr tiefgründiges Werk über Freundschaft, Selbstfindung, Vergebung, Neuanfänge und das Leben im Einklang mit der Natur. Eher nicht geeignet für Fans von klassischen Feel-Good-Stories oder Liebesgeschichten, aber eine Empfehlung für Liebhaber der Nordsee.