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Veröffentlicht am 08.03.2021

Fesselndes Doppelportrait zweier faszinierender Frauen

Sie haben mich nicht gekriegt
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INHALT
Eine Buchhändlerin wider Willen und eine Revolutionärin aus guten Gründen: zwei Frauen, deren Lebenswelten kaum unterschiedlicher sein könnten. Marie wächst behütet in Bayern auf und wird schon ...

INHALT
Eine Buchhändlerin wider Willen und eine Revolutionärin aus guten Gründen: zwei Frauen, deren Lebenswelten kaum unterschiedlicher sein könnten. Marie wächst behütet in Bayern auf und wird schon früh von ihrem Vater dazu bestimmt, eines Tages seine Buchhandlung zu übernehmen. Was sie zunächst als Zwang empfindet, entwickelt sich bald zu einer großen Leidenschaft und nach ihrer Flucht in die USA zur Lebensaufgabe. Tina wird als Arbeiterkind in bitterer Armut in Norditalien geboren und über den Umweg Hollywood zur Fotografin und kommunistischen Revolutionärin. Sie engagiert sich bis zur Erschöpfung, wo auch immer sie die Partei hinschickt: vom spanischen Bürgerkrieg bis ins revolutionäre Mexiko.
Welcher Lebensentwurf ist geglückter? Die Revolution zwischen Buchdeckeln oder die mit dem Einsatz von Leib und Leben?
Souverän verknüpft Felix Kucher die sehr unterschiedlichen Lebenswege zweier Frauen, die jede auf ihre Art dem Faschismus überzeugend entgegentreten.

(Quelle: Picus Verlag - Erscheinungsdatum: 2.3.20 - ISBN: 9783426282328)

MEINE MEINUNG
MEINE MEINUNG
In seinem beeindruckenden historischen Roman „Sie haben mich nicht gekriegt“ hat sich der österreichische Autor Felix Kucher den faszinierenden Lebensgeschichten zweier starker Frauen angenommen, die kaum gegensätzlicher sein könnten und die zeitgleich im 20. Jahrhundert völlig unterschiedliche Lebensentwürfe lebten. Während die Revolutionärin und überzeugte Kommunistin Tina Modotti als bekannte historische Persönlichkeit in die Zeitschreibung einging, die als armes Arbeiterkind aus Italien eine schillernde Karriere als Schauspielerin in Hollywood, Avantgarde-Fotografin begann und als Komintern-Agentin für Stalin um die halbe Welt reiste und für die Gleichheit aller Menschen, eine klassenlose Gesellschaft und gegen den Faschismus kämpfte, ist die jüdische Buchhändlerin Marie Rosenberg aus Fürth kaum jemandem ein Begriff, obwohl auch sie nach ihrer Flucht vor den Nazis in den USA eine erstaunliche Erfolgsgeschichte aufzuweisen hat.
Kucher ist es hervorragend gelungen, uns mit auf eine ereignisreiche und schicksalhafte Reise in die erste Hälfte des 20. Jahrhundert zu nehmen und uns die in den historischen Kontext hervorragend eingebetteten Biografien der beiden Frauen sehr abwechslungsreich und anschaulich näher zu bringen. Hierbei verknüpft er geschickt ihre bewegten Lebensläufe und zeigt in verschiedenen Episoden auf, wie jede auf ihre ganz eigene Art – ob nun mit Mut und Beharrlichkeit oder Kampfeswillen, Wagemut und Rebellion – ihren eigenen Weg beschritten, sich den vielfältige Widrigkeiten jener Zeit entgegen gestellt und dem Faschismus in verschiedensten Ausprägungen widersetzt hat.
Nach einer packenden, im Jahr 1937 während des Spanischen Bürgerkriegs angesiedelten Szene zum Einstieg setzt die chronologisch erzählte Handlung im Jahr 1902 ein und wird in zeitlich entsprechend gekennzeichneten Kapiteln fortgeführt. Der Autor hat die äußerst faszinierende Gegenüberstellung der so gegensätzlichen Biografien seiner beiden Protagonistinnen sehr fesselnd umgesetzt. Gekonnt verzahnt er die beständigen Wechsel der Erzählperspektiven zwischen seinen Charakteren Tina und Marie, indem er die Worte des letzten Satzes in der neu beginnenden Szene mit aufgreift. Die so geschaffenen fließenden Übergänge haben mir aber hervorragend gefallen und sind äußerst raffiniert gewählt; sie sorgen anfangs zwar für eine gewisse Irritation beim Lesen, doch schon nach wenigen Sätzen wird klar, aus welcher Sichtweise die Geschehnisse erzählt werden.
Man merkt deutlich, dass der Autor sich eingehend mit den Biografien der beiden außergewöhnlichen Frauen beschäftigt hat. Zudem hat er ihr Umfeld sowie das politische und zeitgeschichtliche Geschehen jener Zeit sehr gründlich recherchiert und diese äußerst anschaulich und authentisch in die jeweilige Handlung eingebaut. Neben historisch verbürgten Begebenheiten gibt es aber auch viele Episoden, in denen er sich dramaturgische Freiheiten in Bezug auf Schauplätze, Figuren und zeitliche Abläufe genommen hat. So schildert er in seiner Geschichte beispielsweise drei kurze Begegnungen der Frauen miteinander, die sich in Realität sicherlich nicht zugetragen haben werden. Schade finde ich allerdings, dass der Autor auf ein ausführliches Nachwort mit einigen Anmerkungen zu Fakten und Fiktion verzichtet hat.
Mit seinem ansprechenden und recht ruhigen Schreibstil gelingt es Felix Kucher sehr schnell uns in seine faszinierende, vielschichtige Geschichte hineinzuziehen und uns die so unterschiedliche Welt der beiden Protagonistinnen nahezubringen.
Sehr abwechslungsreich und einfühlsam portraitiert er in sorgfältig ausgewählten Episoden nicht nur den außergewöhnlichen Lebensweg von Marie und Tina, in dem er uns an bedeutsamen Stationen ihres wechselvollen Lebens teilhaben lässt, sondern gewährt uns auch sehr aufschlussreiche Einblicke in ihre so konträre Persönlichkeit, ihr Innenleben und ihren Ambivalenzen.
Zwar ist es mir nicht leicht gefallen, Bezug zu den ihnen aufzubauen, doch haben mich die überzeugend und authentisch gezeichneten Frauenschicksale mit ihren faszinierenden Lebensentwürfen schließlich sehr in den Bann gezogen. Die außergewöhnlich schöne, selbstbewusste kommunistische Revolutionärin Tina Modotti führt ein umtriebiges Leben an der Seite vieler berühmter Gefährten, hat sich voller Leidenschaft, Todesmut und ideologischer Verblendung ganz dem Klassenkampf verschrieben und schreckt auch vor Gewalt nicht zurück. Die behütet aufgewachsene, eher unpolitische Fürther Buchhändlerin Marie Rosenberg hingegen, die aus einer assimilierten jüdischen Familie stammt, verkriecht sich angesichts der antisemitischen Repressalien der Nazis und dem zunehmenden Judenhass in ihre Welt der Bücher und hofft noch lange auf bessere Zeiten. Erst 1939 flüchtet sie schließlich fast in letzter Sekunde vor den Nazis nach New York und eröffnet der finanziellen Notlage gehorchend als Mary S. Rosenberg in ihrem Wohnzimmer am Broadway eine Buchhandlung, die schon bald zu einer Institution für alle an deutschsprachiger Literatur Interessierten, Anlaufstelle für berühmte Emigranten in Amerika und eine beeindruckende Lebensaufgabe wurde.

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Veröffentlicht am 31.01.2021

Tief berührende Familiengeschichte

Vati
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INHALT
Ein Mann mit Beinprothese, ein Abwesender, ein Witwer, ein Pensionär, ein Literaturliebhaber. Monika Helfer umkreist das Leben ihres Vaters und erzählt von ihrer eigenen Kindheit und Jugend. Von ...

INHALT
Ein Mann mit Beinprothese, ein Abwesender, ein Witwer, ein Pensionär, ein Literaturliebhaber. Monika Helfer umkreist das Leben ihres Vaters und erzählt von ihrer eigenen Kindheit und Jugend. Von dem vielen Platz und der Bibliothek im Kriegsopfer-Erholungsheim in den Bergen, von der Armut und den beengten Lebensverhältnissen. Von dem, was sie weiß über ihren Vater, was sie über ihn in Erfahrung bringen kann. Mit großer Wahrhaftigkeit entsteht ein Roman über das Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen, eine Suche nach der eigenen Herkunft. Ein Erinnerungsbuch, das sanft von Existenziellem berichtet und schmerzhaft im Erinnern bleibt. „Ja, alles ist gut geworden. Auf eine bösartige Weise ist alles gut geworden.“
(Quelle: Hanser)

MEINE MEINUNG
Nach dem vielgelobten Roman „Bagage", in dem die österreichische Autorin Monika Helfer die bewegende Familiengeschichte ihrer aus einem ärmlichen Vorarlberger Bergdorf stammenden Mutter und Großeltern zu Zeiten des 1. Weltkriegs erzählt, hat sie mit „Vati“ nun einen weiteren Erinnerungsroman geschrieben, der eine gelungene Fortführung von „Bagage“ darstellt, aber auch ohne Vorkenntnisse problemlos zu lesen ist.
In ihrer bemerkenswerten autofiktionalen Geschichte widmet sich Monika Helfer der Lebensgeschichte ihres Vaters Josef Helfer und den Erinnerungen an ihre eigenen Familiengeschichte.
In sehr einfühlsam und eindringlich erzählten Episoden fügt sie die unterschiedlichsten Erinnerungsfragmente zu einem berührenden Portrait ihres Vaters zusammen, das jedoch eine faszinierende und glaubwürde Annäherung an seine vielschichte Persönlichkeit mit vielen Unschärfen und Leerstellen bleibt. Allmählich lernen wir einen sehr eigenwilligen und doch faszinierenden Menschen kennen, voller Rätsel und Widersprüche, wortkarg und unnahbar. Als Kriegsversehrter ist er aus dem 2. Weltkrieg mit nur einem Bein zurückgekehrt, heiratet die ihn pflegende, resolute Krankenschwester Grete und statt seinen ehrgeizigen Traum von einem naturwissenschaftlichen Studium zu realisieren, lebt er mit seiner kleinen Familie in den Nachkriegsjahren als Verwalter eines Kriegsversehrtenerholungsheims in den Bergen. Ein idyllischer Zufluchtsort wird dies für die Familie und den Vater, der hier ungestört seiner großen Liebe für schöne Bücher nachgehen kann, und doch durch eine fatale Fehlentscheidung alles zerstört.
Gekonnt greift die Autorin in Rückblenden immer wieder in „Bagage“ erzählte Begebenheiten auf, lässt die vermeintlich unbeschwerte Nachkriegszeit lebendig werden und lässt zudem einige Anekdoten aus der jüngeren Vergangenheit mit einfließen.
Mit faszinierender Leichtigkeit und voller Herzenswärme trägt die Autorin die verschiedenen Facetten dieses Mannes zusammen, erzählt über seine Herkunft, Verletzlichkeiten, Passionen, kleinen Fluchten und Unzulänglichkeiten.
„Vati“ lässt er sich von seinen Kindern nennen, da es modern klinge und doch vermittelt uns die Autorin von ihm ein eher traditionelles Vaterbild, das doch recht typisch für jene Zeit ist – traumatisiert von Kriegserlebnissen, geprägt durch seiner Erziehung und Herkunft, gefangen in unüberwindbaren Umständen, die keine Träume zulassen, und hineingepresst in eine Rolle, aus der er sich bisweilen zu befreien versteht. Schonungslos und doch ohne jede Anklage schildert sie schließlich das schmerzvolle Abwenden des Vaters nach dem frühen Krebstod der geliebten Mutter, den unaufhaltsamen Verfall der Familie und konfrontiert uns mit seiner unverständlichen Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber den Kindern.
FAZIT
Ein tief berührender, wundervoll warmherzig erzählter Erinnerungsroman, der tiefe Einblicke in Helfers persönliche Familiengeschichte gewährt. Ein feines, ganz besonderes Leseerlebnis!

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Veröffentlicht am 13.01.2021

Bewegender historischer Roman

Trümmermädchen
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INHALT
Köln, 1941.
Anna wächst bei ihrer Tante Marie und ihrem Onkel Matthias auf, einem Bäckerehepaar. Das Mädchen liebt die Backstube über alles, besonders den großen Ofen aus Vulkanstein. Doch mit dem ...

INHALT
Köln, 1941.
Anna wächst bei ihrer Tante Marie und ihrem Onkel Matthias auf, einem Bäckerehepaar. Das Mädchen liebt die Backstube über alles, besonders den großen Ofen aus Vulkanstein. Doch mit dem Krieg kommt das Unglück: Matthias wird eingezogen und die Bäckerei bei Luftangriffen zerstört. Während Köln in Trümmern liegt und vom kältesten Winter des Jahrhunderts heimgesucht wird, schließt Anna sich in ihrer Not einer Schwarzmarktbande an und steigt zur gewieftesten Kohlediebin der Stadt auf. Als sie am wenigsten damit rechnet, verliebt sie sich – eine verbotene Liebe mit gefährlichen Folgen. Von Kälte, Hunger und Neidern bedroht, halten Anna und ihre Tante verzweifelt an dem Traum fest, die Bäckerei wiederaufzubauen. Und an der Hoffnung, dass die Männer, die sie lieben, irgendwann zu ihnen zurückkehren.
(Quelle: Ullstein)

MEINE MEINUNG
In „Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück" erzählt die Kölner Journalistin und Autorin Lioba Werrelmann, die ihrem historischen Roman unter dem Pseudonym Lilly Bernstein veröffentlicht hat, eine faszinierende und sehr bewegende Familiengeschichte, die in Köln vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des 2. Weltkriegs mit seinem Bombenterror, der Stunde Null und der alliierten Besatzung zur Nachkriegszeit spielt.
Gekonnt lässt uns die Autorin mit ihrem lebendigen und bildhaften Schreibstil in die damalige Zeit eintauchen und führt uns die aus heutiger Sicht kaum noch vorzustellenden Zustände für die notleidende Bevölkerung vor Augen. Einfühlsam und facettenreich vermittelt die Autorin ein sehr stimmiges, authentisches Bild von der ausgebombten Stadt während der unmittelbaren Nachkriegs- und britischen Besatzungszeit. Äußerst anschaulich sind die vielfältigen Einblicke in den entbehrungsreichen Alltag, der -geprägt von den Nachwehen des grausamen Kriegs - von Hunger, Armut, Kälte, knappem Wohnraum und chaotischen Zuständen bestimmt wurde. Der Schwarzmarkt florierte, hohe Kriminalität, Gesetzlosigkeit und ein gnadenloser Überlebenskampf erschwerten zudem das Leben der Schwächsten der Gesellschaft. Viele eingestreute historische Details und die sehr plastisch geschilderten Schauplätze in Köln zeugen von einer sorgsamen Recherche der Autorin und sorgen für ein interessantes Lokalkolorit.
Geschickt lässt die Autorin uns auch an der Stimmungslage der Menschen im besetzten Nachkriegsdeutschland teilhaben, die den Besatzern mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen und mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit noch längst nicht abgeschlossen haben.
Im Mittelpunkt der bewegenden Geschichte steht die sympathische Bäckersfamilie mit Marie und Matthias, ihrer Tochter Anna und dem kleinen Karl, deren bewegtes Leben wir mit all seinen Höhen und Tiefen durch die düstere und sehr harte Zeit des Kriegs und der Trümmerjahre begleiten. Exemplarisch für so viele Schicksale jener Zeit erleben wir sie mit ihren Ängsten, Sorgen, Nöten, Entbehrungen, herben Verlusten und Schicksalsschlägen, haben aber auch Anteil an ihren kleinen Freuden, Hoffnungen, Träumen und wenigen glücklichen Momenten. Gekonnt erweckt die Autorin die verschiedenen, facettenreich ausgearbeiteten Charaktere zum Leben, so dass sie mit ihren Eigenheiten äußerst lebensnah und authentisch wirken und einem ans Herz wachsen. Es ist eine wahre Achterbahnfahrt der Emotionen, auf die uns die Autorin im Laufe ihrer mitreißend, anschaulich und bildgewaltig erzählten Geschichte schickt, die vor allem von den bewundernswert tatkräftigen und starken Frauenfiguren getragen wird, die sich aufopferungsvoll und voller Kampfgeist, Überlebenswillen und Mut ihrem Schicksal stellen.
Weniger gut hat mir allerdings die eingeflochtene Liebesgeschichte um Marie gefallen, die ich als etwas hölzern und aufgesetzt empfand, aber meinen positiven Gesamteindruck von diesem sehr gelungenen und fesselnden historischen Roman nicht schmälert.

FAZIT
Ein berührender und lehrreicher historischer Roman über die Kölner die Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsjahre - abwechslungsreich und mitreißend erzählt, mit sehr lebendigem und authentischem Zeit- und Lokalkolorit und faszinierenden Charakteren.

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Veröffentlicht am 05.01.2021

Packender Auftakt einer neuen Krimi-Reihe

Wolfssommer
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INHALT
In der schwedischen Stadt Haparanda wird ein toter Wolf gefunden. Als die Behörden das Tier untersuchen, finden sie im Magen menschliche Überreste. Nachforschungen führen die Ermittler auf eine ...

INHALT
In der schwedischen Stadt Haparanda wird ein toter Wolf gefunden. Als die Behörden das Tier untersuchen, finden sie im Magen menschliche Überreste. Nachforschungen führen die Ermittler auf eine Spur: In Finnland ist ein Drogendeal aus dem Ruder gelaufen, es gab mehrere Tote. Und daher tauchen gleich mehrere Kriminelle in Haparanda auf - allen voran Profi-Killerin Katja, die für ihren russischen Auftraggeber Drogen und Geld zurückholen soll. Die leitende Polizistin vor Ort, Hanna Wester, hat noch ganz andere Probleme: Sie befürchtet, ihr Mann könnte sie verlassen, die Affäre mit ihrem jüngeren Chef macht es nicht besser. Doch Hanna steht ihre Frau.
(Quelle: Wunderlich Verlag - Erscheinungstermin: 13.10.2020 - ISBN: 978-3-8052-0002-8 - Übersetzung aus dem Schwedischen: Ursel Allenstein)

MEINE MEINUNG
Der bekannte schwedische Krimi- und Drehbuchautor Hans Rosenfeldt, der gemeinsam mit seinem Schriftstellerkollegen Michael Hjorth die erfolgreiche Krimi-Reihe um den Kriminalpsychologen Sebastian Bergman geschrieben hat, wagt sich mit seinem jüngsten Buch nun an ein vielversprechendes Solo.
„Wolfssommer“ ist der Auftakt einer neuen Thriller-Reihe rund um die schwedische Ermittlerin Hanna Wester, der mit seiner vielschichtigen Handlung bis zur letzten Seite zu fesseln weiß und nicht gerade mit brutalen Szenen geizt. Aufgrund der im Vordergrund stehenden polizeilichen Ermittlungen würde ich allerdings den Roman eher als einen Krimi mit Thriller-Elementen bezeichnen.
Angesiedelt ist der hochspannende, ziemlich verwickelte Fall, bei dem die sympathische Protagonistin Hanna Wester und ihre Kollegen gleich verschiedene Verbrechen aufzuklären haben, rund um die schwedischen Provinz-Kleinstadt Haparanda nahe der finnischen Grenze gelegen.
Thematisch geht es um Drogengeschäfte im großen Stil, viel Geld, eine überregional agierende Drogenmafia, die sogar die schwedische Polizei unterwandert hat, und um zahlreiche gescheiterte Existenzen, die in der Hoffnung ihrem Elend in dieser desolaten Grenzregion zu entkommen, falsche Entscheidungen getroffen haben.
Man merkt deutlich, dass Hans Rosenfeldt ein Drehbuch-Autor ist, denn seine in kurzen Szenen angelegte Geschichte mit zahlreichen handelnden Figuren lebt von schnellen Perspektiv- und Schauplatzwechseln, die für viel Abwechslung und Tempo sorgen. Die spannende Handlung wird aus zwei einander abwechselnden, völlig konträren Sichtweisen von zwei cleveren Frauen erzählt, die sich regelrecht ein packendes Kopf-an-Kopfrennen liefern, um den Hintergründen für den missglückten Drogendeal auf die Spur zu kommen. Während es sich zum einen um die erfahrene, mit den Mordermittlungen betraute Polizistin und Protagonistin Hanna handelt, ist die Gegenspielerin eine kaltblütige, blutjunge Profikillerin aus Russland, die die verschwundenen Drogen und das Geld wieder auftreiben soll. Informationstechnisch ist man als Leser*in den beiden stets eine Nasenlänge voraus und verfolgt gebannt ihre Strategien und nächsten Schritten. Rosenfeldt hat sich für den Auftakt eine recht komplexe Geschichte ersonnen, die zum einen durch sich stetig steigernde Spannung und gute Action besticht, zum anderen sich aber auch sehr eingehend den Lebensgeschichten seiner Figuren widmet. Insbesondere die tragische Familiengeschichte von Hanna rückt im Laufe der Handlung immer mehr in den Fokus und nimmt schließlich im Zusammenhang mit den Ermittlungen eine zunehmend bedeutsame, sehr faszinierende Rolle ein.
Der Autor hat seine Hauptfiguren mit viel Liebe zum Detail angelegt, so dass sie überaus lebendig, lebensecht und facettenreich wirken. Insbesondere der sympathischen Protagonistin Hanna, die inmitten einer Midlife- und Ehekrise steckt und mit ihren Wechseljahren zu kämpfen hat, kommt man durch Einblicke in ihr Privatleben schrittweise näher und kann ihre Gefühle und Reaktionen gut nachvollziehen. Auch die übrigen Teammitglieder sowie die vielen anderen Nebenfiguren werden ausreichend vielschichtig, mit interessanten Lebensgeschichten und Eigenheiten gezeichnet und so geschickt zum Leben erweckt.
Lediglich die Figur der cleveren, abgebrühten Superfrau Katja empfand ich dann doch etwas zu überzeichnet und teilweise zu klischeebehaftet.
Ein fast schon obligatorischer Cliffhanger, der es in sich hat, bildet den Abschluss dieses packenden Krimi-Auftakts und lässt uns nach dem dramatischen Finale gespannt auf eine Fortsetzung der Reihe mit der sympathischen Protagonistin Hanna Wester warten.

FAZIT
Ein packender Auftakt einer neuen Krimireihe mit interessanten Figuren und einem hochspannenden, verzwickten Fall! Ein gut konstruierter, mitreißend erzählter allerdings etwas überzeichneter Page Turner!

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Veröffentlicht am 21.12.2020

Interessante Fortsetzung der faszinierenden Familiengeschichte

Ada
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INHALT
In seinem neuen Roman erzählt Christian Berkel die Geschichte von Ada:
Mit ihrer jüdischen Mutter aus Nachkriegsdeutschland nach Argentinien geflohen, vaterlos aufgewachsen in einem katholischen ...

INHALT
In seinem neuen Roman erzählt Christian Berkel die Geschichte von Ada:
Mit ihrer jüdischen Mutter aus Nachkriegsdeutschland nach Argentinien geflohen, vaterlos aufgewachsen in einem katholischen Land, kehrt sie 1955 mit ihrer Mutter Sala nach Berlin zurück. In eine ihr fremde Heimat, deren Sprache sie nicht spricht. Dort trifft sie auf den lange ersehnten Vater Otto, doch das Familienglück bleibt aus. In einer noch immer sehr autoritär geprägten Gesellschaft wächst Adas Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit. Die Studentenbewegungen der sechziger Jahre werden ihre Rettung. In Paris lernt sie bei ihrer Tante Lola die Mode- und Kunstwelt kennen. Am Ende steht Woodstock - ein dreitägiges mystisches Erlebnis, das Ada verändert.

Vor dem Hintergrund umwälzender historischer Ereignisse erzählt Christian Berkel von der Schuld und der Liebe, von der Sprachlosigkeit und der Sehnsucht, vom Suchen und Ankommen – und beweist sich einmal mehr als mitreißender Erzähler.
(Quelle: Ullstein)

MEINE MEINUNG
Mit seinem äußerst erfolgreichen Debütroman „Der Apfelbaum“ hat sich der bekannte deutsche Schauspieler Christian Berkel an ein sehr persönliches Projekt herangewagt, das ihn tief in seine bewegte Familiengeschichte und zu seinen familiären Wurzeln hat abtauchen lassen. Mit seinem neuen Roman „Ada“ setzt er nun seine äußerst faszinierende, biografisch inspirierte und als Dreiteiler geplante Familiensaga fort. Obwohl Berkel seine sehr beeindruckende und tiefgründige Familiengeschichte in diesem zweiten Band weiterführt und wir in vielen Episoden seinen Eltern und Großeltern wiederbegegnen, kann dieser problemlos auch ohne Vorkenntnisse als eigenständiger Roman gelesen werden.
In der Rahmenhandlung, die zum Mauerfall und der Wende in Deutschland angesiedelt ist, lernen wir die erwachsene Titelheldin und Ich-Erzählerin Ada kennen, die während ihrer psychotherapeutischen Gespräche auf ihre Kindheit, Jugend und ihre schwierige Beziehung zu ihrer dysfunktionalen Familie zurückblickt. Die Haupthandlung spielt somit hauptsächlich in den 1950er und 1960er Jahren. Angelegt ist die Protagonistin Ada als fiktive, ältere Schwester des Autors, die als kleines Mädchen mit ihrer jüdischen Mutter Sala lange Zeit in Argentinien gelebt hat und Mitte der 1950er Jahren schließlich nach West-Berlin zurückkehrt.
Abwechslungsreich und einfühlsam lässt uns der Autor aus Sicht seiner jungen Protagonistin an ihrem Einleben in eine ihr gänzlich unbekannte und befremdliche Welt und ihrem schwierigen Gefühlsleben teilhaben. Ada findet sich zwar in ihre Außenseiterrolle ein. Insbesondere nach der Geburt ihres jüngerer Bruders „Sputnik“, dem Liebling der Eltern, fühlt sie sich unerwünscht und emotional vernachlässigt und ist sich oft selbst überlassen. In vielen anschaulichen Episoden erleben wir aus Adas Sicht, die zugleich stellvertretend für eine ganze Generation des jungen Nachkriegsdeutschland steht, ein Aufwachsen in der prosperierenden Adenauer-Ära und Adas wachsenden Problemen mit ihren Eltern, die sich verbissen über ihre teils traumatischen Erlebnisse während des 2. Weltkriegs und der Nazidiktatur in Schweigen hüllen. Gekonnt thematisiert Christian Berkel in seinem Roman das in Familien der damaligen Nachkriegszeit sehr verbreitete Phänomen des großen Schweigens und einer plötzlichen Sprachlosigkeit. In der glorreichen Wirtschaftswunderzeit, in der alle hoffnungsvoll nach vorne blickten und endlich all ihre Traumata hinter sich lassen wollten, stößt auch die junge Ada bei ihren Eltern auf eine undurchdringliche Mauer des Schweigens, wenn es um die Vergangenheit geht.
Gebannt folgt man Adas Jugenderlebnissen mit all ihren Höhen und Tiefen und jeder Menge schmerzvoller Erfahrungen auf der Suche nach ihrer Identität und ihrem Platz im Leben. Auch sie – ganz ein Kind der wilden 68er-Generation – begehrt mit ihrem rebellischen Charakter schließlich gegen die spießige, einengende Normalität der „Kriegsgeneration“ und das Verdrängen und Schweigen ihrer Eltern auf, geht als Studentin zum Demonstrieren auf die Straße und experimentiert mit Drogen. Hervorragend hat Berkel seine unterschiedlichen, sehr faszinierenden Charaktere mit all ihren Eigenheit und inneren Dämonen eingefangen und zum Leben erweckt. Ob nun Adas unnahbare, schwierige Mutter Sala, die wegen ihrer jüdischen Wurzeln aus Nazideutschland fliehen musste, oder ihr Vater Otto, Salas Jugendliebe, ein durchsetzungsstarkes Arbeiterkind, das sich zum Arzt hochgearbeitet hatte und Krieg und russische Kriegsgefangenschaft durchleben musste, der aber möglicherweise gar nicht Adas leiblicher Vater ist, - sie alle sind sehr facettenreich und glaubwürdig gezeichnet. Mit seinem sehr ansprechenden, einfühlsamen Schreibstil versteht es Berkel, die zwiespältigen Stimmungen seiner jungen Protagonistin nachvollziehbar einzufangen und eine oftmals sehr bedrückende Atmosphäre entstehen zu lassen. Der Roman endet schließlich mit dem Adas Abnabelungsprozess und ihrer Emanzipation von ihrer Familie recht versöhnlich und hoffnungsvoll. Man darf sehr gespannt sein, wie die mitreißende Familiengeschichte fortgeführt wird, und welche weitere Entwicklung Ada nehmen wird.

FAZIT
Eine bewegende und beeindruckende Fortsetzung der Familiengeschichte, äußerst einfühlsam erzählt und eine absolut empfehlenswerte Lektüre!

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