Bewegende Zeitgeschichte in aufregender Verpackung
LebenssekundenKatharina Fuchs hat sich ja bereits in "Neuleben" und "Zwei Handvoll Leben" als beeindruckende Chronistin deutscher Befindlichkeit in der Vergangenheit erwiesen, und genau wie ihre letzten beiden Bücher ...
Katharina Fuchs hat sich ja bereits in "Neuleben" und "Zwei Handvoll Leben" als beeindruckende Chronistin deutscher Befindlichkeit in der Vergangenheit erwiesen, und genau wie ihre letzten beiden Bücher greift auch "Lebenssekunden" wieder zwei recht konträre Frauenschicksale auf, um sie in einen geschichtlichen Kontext zu stellen. Erneut steht auch Berlin als Handlungsort im Mittelpunkt, obwohl die eine der beiden Protagonistinnen (Angelika) zuerst einmal im bürgerlichen Umfeld von Kassel aufwächst, wo sie nach dem Rauswurf aus der Schule und dem tragischen Verlust ihrer besten Freundin 1956 eine Fotografenlehre anfängt. Christine hingegen, die zweite der beiden jungen Frauen in "Lebenssekunden", ist eine vielversprechende Kunstturnerin in der DDR, doch ihr sportlicher Erfolg hat einen hohen Preis. Immer näher kommen sich die beiden Schicksale, bis sie sich in einem hochdramatischen Moment vereinen - und die ganze Welt schaut atemlos zu.
Natürlich ist Katharina Fuchs' spannendes Drama zuallererst ein Frauenroman, doch obwohl an der Oberfläche wenig passiert, gelingt es der Autorin, mit ihren Figuren ein atemberaubendes Porträt einer Zeit im Umbruch zu schaffen, das man kaum aus der Hand legen mag. Dabei teilt sich "Lebenssekunden" grob in drei Episoden ein, deren erste (die im Jahr 1956 spielt) als umfangreichste Sektion gut sechzig Prozent des Romans umfasst und den Weg von Angelika und Christine zu ihren jeweiligen Karrieren beschreibt. Nach einem Zeitsprung gelangen wir ins Jahr 1958, in dem sich die Dinge für beide Frauen dramatisch zuspitzen - und erst die letzten dreißig Seiten beschäftigen sich dann mit jenem Augusttag 1961, den der Klappentext anspricht und der das Leben aller Beteiligten für immer verändern wird. Hier liegt übrigens auch der einzige Kritikpunkt am strukturellen Aufbau des Romans: Die zweite Episode im Jahr 1958 endet mit hochdramatischen Ereignissen, nur um dann einen Zeitsprung von fast drei Jahren hinzulegen - und hier wirken die letzten dreißig Seiten leider fast wie ein Nachklapp, die es bei weitem nicht schaffen, diese Lücke befriedigend zu erklären und noch dazu an einem Tag spielen, dessen 24 Stunden allein ausgereicht hätten, um ein ganzes Buch zu füllen. So bleiben am Ende dann doch ein paar Fragen mehr als gedacht (auch wenn ein Anhang kurz das weitere Leben aller Beteiligten beleuchtet).
Fünfzig Seiten mehr hätten "Lebenssekunden" gut zu Gesicht gestanden - und letztlich ist das ja auch ein Kompliment an die Erzählkunst von Katharina Fuchs. Daher sei ihr wundervolles Frauendrama auch allen Liebhabern guter und aufrüttelnder Geschichten empfohlen. Beim nächsten Mal eben nur gern mehr davon!