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Veröffentlicht am 09.03.2021

Gewissheit

Die Stunde der Wut
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Seit Monaten versucht Kriminalrätin Melia Adan das Schicksal der Kollegin Solveig Fischer zu klären. Sie will der Familie und auch sich selbst Gewissheit verschaffen. Inzwischen wird Vincent Veih, der ...

Seit Monaten versucht Kriminalrätin Melia Adan das Schicksal der Kollegin Solveig Fischer zu klären. Sie will der Familie und auch sich selbst Gewissheit verschaffen. Inzwischen wird Vincent Veih, der Leiter der Mordkommission, zu einem Tötungsdelikt gerufen. Die junge Klara Dorau wurde angestochen und die herbeigeeilten Sanitäter konnten sie nicht mehr retten. In Verdacht gerät zunächst ihr Freund Miran, der nicht auffindbar ist. Der ehemalige Soldat Roland Kracht kümmert sich um die Mutter eines Kriegskameraden, die von ihrem Vermieter drangsaliert wird. Dass Kracht diesen Osterkamp kennt, könnte ihr vielleicht helfen. Oder handelt es sich bei ihm nur um einen gewissenlosen Immobilienhai?

In ihrem zweiten gemeinsamen Auftritt hat Melia Adan den Verfassungsschutz verlassen und ist nunmehr beim Polizeipräsidium Düsseldorf beschäftigt, wo sie unter anderem die Mordkommission leitet. Vincent Veih macht sich auf die Suche nach dem Mörder der jungen Klara, deren Eltern schon lange geschieden sind. Ihr Vater ist als Psychiater tätig, der seine Patienten nicht nur mit guten Worten beliefert, wie sich herausstellt. Dorau ist auch Besitzer einer Bar, in der die Mutter des Lebensgefährten des Mordopfers als Geschäftsführerin arbeitet. Meila Adan verliert bei aller Anspannung wegen des Mordes die Suche nach ihrer Kollegin nicht aus dem Sinn. Diese hatte ihr geholfen, ein rechtsextremes Netzwerk aufzudecken.

Was wie eine normale Mordermittlung beginnt, entwickelt sich zu einem spannenden Thriller. Alles scheint miteinander verflochten und manchmal scheinen gerade die auf die Füße zu fallen, die es wahrlich nicht verdient haben. Man fragt sich, ob alles reine Fiktion ist oder ob es gewisse Überschneidungen mit der Wirklichkeit gibt. Einiges liest man da mit Schaudern, besonders wenn es darum geht, wer von welchen Befehlen abhängt und wie unabhängig ermittelt werden kann. Möglicherweise glaubt man lieber, dass alles seine Ordnung hat. Aber dennoch erscheint es wichtig, sich sich auch mit der anderen Möglichkeit gründlich zu befassen. Hier hat der Autor eine hervorragende Balance gefunden zwischen Fällen, die immer spannender werden, und politischen Hintergründen, die große Sorgen wecken. Die Demokratie muss geschützt werden, die, die wir haben, ist wohl eine der Besten, die es gibt.

Veröffentlicht am 28.02.2021

Premiere

Mädchen, Frau etc. - Booker Prize 2019
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Seit Generationen leben sie in England. Einwanderer und Einwanderinnen aus den verschiedensten Ländern, afrikanischer, asiatischer oder karibischer Herkunft. Da ist zum Beispiel Amma, eine Theaterproduzentin, ...

Seit Generationen leben sie in England. Einwanderer und Einwanderinnen aus den verschiedensten Ländern, afrikanischer, asiatischer oder karibischer Herkunft. Da ist zum Beispiel Amma, eine Theaterproduzentin, die ihr Coming-Out schon früh hatte, oder Carole, die nach einem schwer zu ertragenden Ereignis die Beste sein wollte. Auch Hattie, die auf ein langes Leben blickt, hat eine Persönlichkeit, die schillernder ist als man von einer alten Dame erwartet. Sie und noch andere haben ihre Wünsche und Träume, erleiden Fehlschläge oder schaffen es. Und irgendeine Verbindung haben sie zu der Premiere von Ammas neuestem Stück und der Aftershowparty.

Dieser Roman ist hochgelobt und Gewinner des Booker Prize 2019. Das macht neugierig, aber stimmt auch etwas skeptisch. Und tatsächlich kann es wohl Leser geben, die sich an die Art, in der die Geschichten erzählt werden, erst gewöhnen müssen. Die Handlung findet eher indirekt statt, so als würden die Akteure sie im Nachhinein denken. Und da gerade ein Handlungsstrang im ersten Viertel des Romans mit wenigstens einer unsympathischen Person ausgefüllt ist, kann die Lektüre hier etwas mühsam werden. Nach und nach allerdings gewöhnt man sich an die Erzählweise und öffnet sich den Geschichten der vielen unterschiedlichen Protagonisten, die vage zusammenhängen. Dann beginnt der Roman seinen Charme zu entfalten. Die Vielfältigkeit der Geschichten nimmt einen gefangen, die Lebensentwürfe der Frauen überzeugen und gehen zu Herzen. Es sind die Erzählungen von und über Menschen, die für Menschen interessant sind. Ressentiments gegenüber anderen Kulturen werden nichtig durch die offene Darstellung, die Einsichten gewährt und dadurch sehr lehrreich ist. Viel wichtiger als ein Übereinanderherziehen sollte ein Miteinander sein, um gegenseitiges Verständnis zu wecken. Dieser Roman könnte mit seiner gewinnenden Art sehr gut dazu beitragen. Tolle Überraschung und Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 17.01.2021

Gilead

Die Zeuginnen
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Die kleine Nicole ist vor etlichen Jahren aus Gilead verschwunden. Inzwischen muss sie ein Teenager sein. In Gilead könnte sie zu einer Lichtgestalt hochstilisiert werden. Doch dazu muss sie gefunden werden. ...

Die kleine Nicole ist vor etlichen Jahren aus Gilead verschwunden. Inzwischen muss sie ein Teenager sein. In Gilead könnte sie zu einer Lichtgestalt hochstilisiert werden. Doch dazu muss sie gefunden werden. Das Regime in Gilead ist weiterhin an der Macht. Die Männer haben das Sagen, die Frauen sind auf ihre Fähigkeit Kinder zu bekommen reduziert. Eine Ausnahme bilden nur die Tanten, die als Bewahrerinnen der Geschichte fungieren und manchmal auch als heimliche Herrscherinnen auftreten. Tante Lydia, eine der Gründungstanten, ist immer dabei, die Fäden zu spinnen. Sie beobachtet genau und zieht ihre Schlüsse.

Wie lange kann ein totalitärer Staat bestehen, in dem es die Machthaber nicht schaffen, ihre Stellung nicht auszunutzen. Mit Leichtigkeit werden die Frauen in allen Lagen ausgenutzt und die wenigen Ausbrüche, die ihnen gegönnt werden, können nicht erstrebenswert sein. Doch noch halten die Unterdrückten still. Die Männer meinen, sie hätten das Heft in der Hand und manchmal benehmen sie sich wie die Axt im Wald. Aber sie sitzen fest im Sattel, so scheint es jedenfalls. Da ist es fast zu vernachlässigen, dass sich der Widerstand im fernen Kanada formiert. Wesentlich bemerkenswerter ist es für sie, wenn Mädchen aus Kanada oder anderen Ländern heimgeführt werden.

Lange Jahre musste man warten, wenn man in den 1980er Jahren vom „Report der Magd“ begeistert war, um zu erfahren, wie es in dem totalitären Staat Gilead weitergeht. Zum Glück hat sich das Warten gelohnt. Der Nachfolgeband, bestehend aus den lebendigen Berichten aus drei unterschiedlichen Perspektiven, ist wirklich sehr lesenswert. Gebannt verfolgt man die Berichte der verschiedenen Frauen und fragt sich, wie das alles zusammenhängt. Aus kleinen Hinweisen ergibt sich eine Einsicht ins große Ganze und die Suche danach macht die Lektüre ungemein spannend. Und immer wieder kommt das Hadern mit diesem fürchterlichen Staat, dem man nur ein Ende wünschen kann. Wie froh kann man sein, in einem freiheitlichen Staatsgebilde beheimatet zu sein. Dieser Roman bildet eine sehr gelungene Weiterentwicklung des Vorgängerbandes.

Veröffentlicht am 20.12.2020

Schwesternschülerin

Kinderklinik Weißensee - Zeit der Wunder (Die Kinderärztin 1)
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Die Mutter stirb als die Schwestern Marlene und Emma erst sechs und vier Jahre alt sind. Auf dem Sterbebett hat ihr Marlene versprochen, sich immer um die kleine Schwester zu kümmern. Sie schafft es, dass ...

Die Mutter stirb als die Schwestern Marlene und Emma erst sechs und vier Jahre alt sind. Auf dem Sterbebett hat ihr Marlene versprochen, sich immer um die kleine Schwester zu kümmern. Sie schafft es, dass sie auch im Waisenhaus nicht getrennt werden. Endlich ist die Zeit dort vorbei und gemeinsam bekommen die Geschwister die Möglichkeit, dem ersten Ausbildungsjahrgang im Jahr 1911 als Kinderkrankenschwester der neu gegründeten Kinderklinik Weißensee anzugehören. Mit Feuereifer beginnen die beiden jungen Frauen ihre Ausbildung. Neben den anderen jungen Elevinnen aus gutem Haus, fallen Marlene und Emma schon etwas auf mit ihrer einfachen Herkunft.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es umfangreiche Weiterentwicklungen im Bereich der Medizin. Man erkannte, dass Kinder einer anderen Behandlung bedurften als Erwachsene. Und das führte dann auch zum Bau der ersten Kinderklinik im Umkreis von Berlin. Die beiden eng verbundenen Schwestern gegen die anderen, so scheint es. Marlene und Emma müssen mit ihrer einfachen Herkunft einfach auffallen. Jemand muss die Hand über sie halten. Wieso sonst hätten sie eine höhere Schulbildung genießen können und bekamen nun auch die Ausbildungsplätze. Das weckt Neid und Missgunst bei einigen Mitschülerinnen, besonders als herauskommt, dass die Beiden im Waisenhaus aufgewachsen sind. Und auch die Oberin fragt sich, wie gerade diese Schwestern in ihren Ausbildungsjahrgang kommen konnten.

Wie sich nach einer kurzen Recherche herausfinden lässt, hat es die Kinderklinik tatsächlich gegeben. Leider existiert das Gebäude heute nur noch als Ruine. Doch um die Anfänge dieser Ruine hat die Autorin eine sehr spannende Geschichte geschrieben. Die Lehrzeit der jungen Frauen, die Aufbruchstimmung unter den Ärzten, aber auch die gesellschaftlichen Dünkel, die die Waisenschwestern erfahren müssen, das alles verbindet sich zu einer packenden Handlung. Der Beginn einer neuen Zeit zeichnet sich ab, die Entwicklung der modernen Medizin schreitet voran, aber auch ein Hauch des Kriegstreibens ist schon zu spüren. Marlene und Emma haben es während ihrer Lehrzeit nicht einfach und gefesselt verfolgt man ihren Weg über das Ausbildungsjahr. Das Buch bietet mit seiner Authentizität und seinen sympathischen Protagonistinnen eine tolle Überraschung dieses Winters.

Veröffentlicht am 08.11.2020

Mietindustrie

Kreuzberg Blues
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Im Stuttgart lässt es sich leben. Und doch nehmen Georg Dengler und seine Freundin Olga einen Auftrag in Berlin an. Eine Freundin von Olga hat sie um Hilfe gebeten. In ihrem Mietwohnblock werden die Wohnungen ...

Im Stuttgart lässt es sich leben. Und doch nehmen Georg Dengler und seine Freundin Olga einen Auftrag in Berlin an. Eine Freundin von Olga hat sie um Hilfe gebeten. In ihrem Mietwohnblock werden die Wohnungen ein ums andere Mal verkauft. Und die neuen Eigentümer versuchen entweder immer mehr Geld aus den Mietern herauszupressen oder die Mietbedingungen so zu verschlechtern, dass den Mietern kaum etwas anders übrig bleibt als zu kündigen. Entmietung nennt sich dieses perfide Spiel. Dengler will den Sumpf aus Wohnungskonzernen durchdringen. Und dann gibt es noch erste Meldungen, die sich von China aus über den ganzen Erdball verbreitet.

In Denglers zehntem Fall geht es ihm richtig gut. Mit Olga läuft alles prima und auch mit seiner Detektei konnte er ein paar lukrative Fälle bearbeiten. In Berlin, wo die Sozialwohnungen schon vor Jahren privatisiert wurden, herrschen im Wohnungssektor Investoren, denen es nur um Profit geht. Die Menschen, die Mieter, sind ihnen total egal. Die Mittel, zu denen sie greifen, um ihre Ziele zu erreichen, sind schon grausam zu nennen. Dengler beginnt quasi undercover zu ermitteln.
Er will die Wahrheit finden und den verzweifelten Mietern helfen. Diese neue Krankheit, von der aus Asien berichtet wird, scheint da erstmal bedeutungslos.

Wie niederträchtig diese Konzerne doch vorgehen, der Gewinn geht über alles. Es wird Geld eingesammelt, dass Rendite bringen soll. Man fragt sich, wie es Menschen vor sich selbst rechtfertigen können, jegliche Anständigkeit außer acht zu lassen. Sie sollten nicht nur dem Geld dienen, sondern auch den Menschen, denen sie die Mieten aus den Taschen ziehen. Unschuldig ist der Staat an der Situation allerdings nicht. Gerade hier wurde die staatlich geförderten Wohnungen für das schnelle Geld verhökert und muss nun zum Teil teuer zurückgekauft werden. Wie immer beschreibt Wolfgang Schorlau mitreißend und aufrüttelnd. Er versteht es, den Finger auf den Punkt zu legen. Sehr authentisch wirkt dabei, wie der Autor die aktuellen Entwicklungen in seinen Roman einbaut. Ein brisantes Thema gepaart mit aktuellen Entwicklungen - das ergibt ein packendes Buch, das sich zu lesen lohnt.