Oliver Hilmes auf der Spur eines spektakulären Kriminalfalls, den er in den Akten des Berliner Landesarchivs entdeckt hat.
Ein sogenannter „Cold Case“.
Realität vor dem Hintergrund der sich zu Ende neigenden ...
Oliver Hilmes auf der Spur eines spektakulären Kriminalfalls, den er in den Akten des Berliner Landesarchivs entdeckt hat.
Ein sogenannter „Cold Case“.
Realität vor dem Hintergrund der sich zu Ende neigenden Weimarer Republik und der bevorstehenden Naziherrschaft, angereichert mit Fiktion.
Wir öffnen das Buch und landen im Berlin der 1930-er Jahre.
Was ist mit dem renommierten, tüchtigen und vermögenden Hausarzt Dr. Mühe geschehen, nachdem er nachts seine schicke Wohnung mit den integrierten Praxisräumem verließ?
Für den Arztberuf ist es nicht außergewöhnlich, auch noch zu später Stunde Hausbesuche zu machen.
Aber es ist mehr als außergewöhnlich, wenn der Arzt und auch sein Auto anschließend spurlos verschwinden und sein Konto leer geräumt ist.
Im Rahmen seiner gründlichen und langandauernden Ermittlungen findet der Kommissar Ernst Keller heraus, dass Dr. Mühes Ehe mit Charlotte einer Zweckgemeinschaft glich und dass da einige Gerüchte über das Paar kursierten.
Eine Vielzahl unterschiedlicher und sich z. T. widersprechender Zeugenaussagen fördern zahllose Ideen, Möglichkeiten und Motive zu Tage.
Schließlich hegt der Kommissar die nachvollziehbare Annahme, dass der angesehene Dr. Mühe ein kriminelles Doppelleben geführt haben könnte.
Hilmes Art zu erzählen und die Erwähnung vieler Namen, Zahlen und Fakten lassen den Kriminalroman recht ernst, nüchtern und förmlich wirken, wodurch man den Eindruck bekommt, der Mordkommision bei ihrer Polizeiarbeit unmittelbar über die Schulter zu schauen.
Die Lektüre dieses Buches hat mich gefesselt. Ich wollte immer weiterlesen, um die Auflösung zu erfahren.
Der 1971 geborene Oliver Hilmes, ein deutscher Historiker, kennt sich mit Zeitgeschichte aus, hat umfassend recherchiert, vermittelt eine authentische Atmosphäre und hat mit „Das Verschwinden des Dr. Mühe“ auf pfiffige Art und Weise ein raffiniertes, unterhaltsames und zweifellos lesenswertes Werk komponiert.
Der Roman „Runa“ von Vera Buck hat mir bereits äußerst gut gefallen und da ich mich sehr für künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf den Einzelnen, seine zwischenmenschlichen Beziehungen und die ...
Der Roman „Runa“ von Vera Buck hat mir bereits äußerst gut gefallen und da ich mich sehr für künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf den Einzelnen, seine zwischenmenschlichen Beziehungen und die Gesellschaft interessiere, war es für mich keine Frage, ob ich dieses Werk lesen möchte.
Science Fiction, Dystopie oder Utopie?
Sobald wir das Buch aufschlagen, sind wir im Besucherraum einer Haftanstalt und beobachten, wie Dr. Gottsein hereinkommt und sich gegenüber von Mari an einen Tisch setzt.
Mari ist diejenige, die Dr. Gottsein erst unabsichtlich umgebracht und dann wiederbelebt hat.
Jetzt, hier im Besucherraum der Haftanstalt sprudelt er wie ein Wasserfall.
Er spricht von seiner zweiten Chance durch die Auferstehung von den Toten, erzählt von vergangenen Jahren, seinem neu erwachten Interesse für Religionen und seiner Idee, nach Nigeria zu reisen, um sich dort mit dem Glauben afrikanischer Naturreligionen zu befassen.
Gottsein wurde von seiner Frau, einer Psychologin, und den Kindern verlassen. Er hat jetzt nur noch seinen Therapeuten und seinen Hund Ödipus.
Mari wird sich, das hat sie gerade versprochen, um Ödipus kümmern, solange Dr. Gottsein in Nigeria sein wird.
Der Gefängniswärter macht ihr allerdings einen Strich durch die Rechnung und Ödipus landet bei der tausendfach gepiercten Frieda, die Mari täglich im Gefängnis besucht und sie mit Hilfe eines Computerexperten aus der Untersuchungshaft holen möchte.
Ein Computerexperte? Jawohl, denn Mari ist eine Maschine, ein Roboter, ein Fembot.
Sie ist eine „beinahe echte Frau“, die keinen Stromanschluss, aber Zuckerlösung, Cola oder Gatorade braucht, Sommersprossen hat, dunkelbraunes Echthaar trägt, sich leise und fließend bewegt, sprechen und lernen kann, einen hohen IQ und Einfühlungsvermögen hat und auch sonst ziemlich menschlich ist.
Der Roman, in dem es um künstliche Intelligenz geht, beginnt, gelinde gesagt, skurril und ich war erstmal mächtig verwirrt.
Aber es dauerte nicht lange und ich war mittendrin.
Geholfen hat mir dabei Mari, die, nachdem sie selbst durch eine gründliche Untersuchung des Computerexperten völlig verwirrt war, begonnen hat, die Ereignisse gründlich zu sortieren.
Die Sortierung beginnt dabei mit Maris Geburt bzw. Ankunft im Pygmalion, dem legendären und umstrittensten Tanzclub in Berlin, der Greta Schnabel gehört. „Schnabel‘s Sexroboterclub“, so wird das Pygmalion von der Presse genannt.
Recht bald lernt Mari den einsamen Programmierer Kai, einen „totalen Nerd“, kennen, der im Rollstuhl sitzt und einfach nur Schach spielen oder reden möchte. Sie führen interessante Gespräche, in denen auch mal nachdenkenswerte Sätze fallen wie „… dabei ist Scheitern doch wie Stolpern… Das geht nur vorwärts.“ (S. 40)
Auch die bereits oben genannte Frieda, genauer gesagt, die rebellische und kluge Kellnerin Störenfrieda, hat Mari im Pygmalion kennengelernt.
Und dann bekommen Mari und die anderen Fembots eine neue Kollegin, die auch als Liebesroboter im Club von Greta Schnabel tätig sein soll.
Mim heißt die Neue.
Mim ist noch ein Kind.
Mari ist entrüstet!
Die Schläge, die Mari dem ersten Freier, der sich für Mim interessiert, verpasst, haben Folgen...
Mehr verrate ich zum Inhalt nicht.
Nach einem etwas schwierigen Ankommen im Buch wurde ich schnell und für lange Zeit vom überraschenden und originellen Inhalt gepackt. Ich fand so Einiges an Denkanstößen und fühlte mich prima unterhalten.
Zur Veranschaulichung des Stils möchte ich einen kurzen amüsanten und treffenden Auszug eines Gesprächs zwischen Mim und Marie zitieren:
„„Greta hat da ganz viele knöcherne Hügel“, sagte Mim „ihre Wirbel sind Berge und Täler, eine richtige Landschaft. Bei dir, Mari, ist hier alles ganz glatt.“
„Das ist, weil Greta ein Mensch ist und ich bin ein Fembot“ sagte Mari. „Die Hersteller haben mir kein Rückgrat gegeben.“
„Viele Menschen haben kein Rückgrat“, wusste Mim. „Aber Wirbel haben sie trotzdem.““
... und noch ein paar andere interessante oder denkwürdige Sätze:
„Die menschliche Normalität war nach wie vor eine schwer zu begreifende Angelegenheit. Sie ergab sich immer nur daraus, was die Mehrheit der Menschen tat, und hatte in der Folge wenig mit Logik zu tun.“ (S. 97)
„Es ist, wie es ist, aber nur, bis man es ändert.“ (S. 120)
„Trotz all des Faszinierenden, das es in der Welt zu entdecken gab, interessierten sich die Menschen doch am meisten für nackte Hintern und Biotonnen, erkannte Mari. Der Verschwendung menschlicher Lebenszeit waren wirklich keine Grenzen gesetzt. (S. 190)
Einfach nur klasse: „Nebenbei bemerkt, ein interessantes Wort, diese Ausnahmeregel“ sagte Mari. „Das drückt schon in sich die ganze Paradoxie der Sache aus! Ebenso wie Trauerfeier. Oder Gefrierbrand. Oder Frauenmannschaft.“ (S. 226)
„Linus gesteht Marie: „Ich war… Ich weiß auch nicht. Einigermaßen überfordert mit den Dingen und mit mir selbst. Als wäre mein Kopf ein Internetbrowser, in dem zu viele Fenster geöffnet waren.“
Marie wollte ihm sagen,… dass es wegen der Sache mit dem Internetbrowser sinnvoll war, die Dinge regelmäßig zu ordnen, zu sortieren und zu gewichten. Dass man ganz gut über die Runden kam, wenn man nur lernte, die unwichtigen Fenster zuschließen.“ (S. 246)
Guter Tipp, oder?
Mit Voranschreiten der Lektüre ließ meine Faszination nach.
Einiges wurde mir dann doch zu abgedreht, zu utopisch und zu flach.
Es war nach wie vor unterhaltsam, Mari, Frieda und all den anderen zu folgen, aber eben nicht mehr im gleichen Ausmaß wie vorher.
Manchmal hatte ich das Gefühl von einem erhobenen Zeigefinger im Hintergrund oder auch von allzu offensichtlichen Weisheiten.
Die Botschaft am Ende war mir zu augenscheinlich, sachlich und plump, auch wenn ich ihren Inhalt teile. Da war wenig Poetisches, wenig Verschlüsseltes... aber es war eben auch eine Botschaft von Mari und Mari ist nunmal eine Maschine und kein Mensch und darf man da Poesie erwarten?
„Der Algorithmus der Menschlichkeit“ greift das brisante Thema der künstlichen Intelligenz auf, gibt Denkanstöße, hält einem das ein oder andere Mal den Spiegel vor und ist unterhaltsam, kurzweilig und oft auch witzig, ironisch oder sarkastisch.
Trotzdem hat der Roman nicht so ganz meinen Erwartungen entsprochen.
Die sich aufdrängenden Themen und Fragen wurden überwiegend zu oberflächlich oder zu offensichtlich behandelt.
Dass ich das so empfinde hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass ich schon Einiges zum Thema gelesen habe.
Für „Frischlinge“ fühlt sich das wahrscheinlich anders an.
Ich empfehle den Roman als kurzweilige und originelle Unterhaltungslektüre und um in Berührung mit der hochinteressanten und brisanten Thematik „künstliche Intelligenz“ zu kommen.
Wir lesen in diesem Roman von der Liebe zu Büchern, von der Bedeutung von Gemeinschaft, Zusammenhalt und Durchhaltevermögen, sowie von der Solidarität unter Frauen.
Romalyn Tilghman entführt uns nach ...
Wir lesen in diesem Roman von der Liebe zu Büchern, von der Bedeutung von Gemeinschaft, Zusammenhalt und Durchhaltevermögen, sowie von der Solidarität unter Frauen.
Romalyn Tilghman entführt uns nach Kansas, in den Mittleren Westen der USA.
Angelina Sprint aus Philadelphia kommt in die Kleinstadt New Hope, deren Nachbargemeinde Prairie Hill kürzlich von einem Tornado zerstört worden ist.
Sie ist dabei, eine Doktorarbeit über die sogenannten Carnegie Bibliotheken anzufertigen und möchte dazu vor Ort recherchieren.
Diese Bibliotheken wurden zwischen 1883 und 1929 vor allem von den Spenden des industriellen US-Amerikaners Andrew Carnegie errichtet, 59 davon in Kansas, eine davon in Prairie Hill.
Aber von der Bibliothek in Prairie Hill hat nur die Fassade den Tornado überstanden.
Ein weiterer Grund, gerade in dieser Region ihre Zelte aufzuschlagen ist, dass sie genau hier vor vielen Jahren ihre Großmutter Amanda Sprint erlebt hat, die engagiert und couragiert bei der Gründung dieser nun zerstörten Bibliothek mitgewirkt hat.
Angelina schließt sich einer kleinen Gemeinschaft von Frauen an, die zusammen das Ziel verfolgen, die Bibliothek wieder aufzubauen.
Aber ein solches Projekt kostet viel Geld.
... und hier kommt die vor Jahrzehnten verstorbene Großmutter Angelinas ins Spiel.
Der Roman „Die Bücherfrauen“ erzählt eine schöne Geschichte für Bücherliebhaber! Der historische Teil ist interessant und informativ, die Rahmenhandlung dazu sehr unterhaltsam.
Von den sogenannten Carnegie Bibliotheken habe ich zuvor noch nie gehört.
Sicher gehört das Buch nicht zu den literarischen Highlights.
Die Sprache ist recht einfach, die Handlung teilweise vorhersehbar und überkonstruiert.
Aber: Die Lektüre ist kurzweilig, macht Spaß und ist genau das Richtige, um mit einer Tasse Tee auf dem Sofa zu entspannen.
Dieses Buch mit Worten zu besprechen fällt mir leicht.
Es mit Sternen zu bewerten fällt mir schwer.
Das hängt damit zusammen, dass die Lektüre mein Analytiker-Herz höher schlagen ließ, mein Freizeit-Leser-Herz ...
Dieses Buch mit Worten zu besprechen fällt mir leicht.
Es mit Sternen zu bewerten fällt mir schwer.
Das hängt damit zusammen, dass die Lektüre mein Analytiker-Herz höher schlagen ließ, mein Freizeit-Leser-Herz jedoch nicht nachhaltig berührte.
Ich denke, dass ich diese Ambivalenz im Folgenden recht gut erklären kann.
Es findet sich verständlicherweise keine Angabe des Genres auf dem Cover, weil eine Einordnung des Werkes tatsächlich nur schwer möglich ist.
Ein Roman ist es nicht.
Es ist am ehesten eine Sammlung von Notizzetteln, eine Art Notizbuch.
Gleich zu Beginn spricht die Autorin von einem Gestrüpp, in dem sie hängen bleibt und nicht heraus kommt.
Eine anschaulichere Metapher hätte sie gar nicht ersinnen können, um mein Empfinden zu beschreiben, das ich vor allem zu Beginn der Lektüre hatte, weil ich nicht vorbereitet war auf das, was mich erwartete:
Ich fühlte mich erst ziemlich verwirrt und irritiert, da jegliche Kohärenz zu fehlen schien. Ich hatte den Eindruck, gleichzeitig an viele Orte, in viele Zeiten und in viele Szenen geworfen zu werden.
Wie der Titel schon erahnen lässt, geht es (unter anderem) um die Zuckerplantagen in Mittelamerika, in der Karibik, auf denen Sklaven gearbeitet haben.
Den Zucker dieser Plantagen hat man in Europa leidenschaftlich gern und mit Hochgenuss verzehrt.
Ausgehend von dieser Zuckerthematik, behandelt die Autorin das Thema Hunger.
Aber nicht nur Hunger im konkreten, sondern auch im abstrakten Sinn: es geht um den körperliche Hunger, aber auch um den seelischen Hunger.
Haben wollen, Ausbeutung, Sehnsucht, Verlangen, Begehren, Begierde, Heißhunger, Gier, Obsession.
Und auch, wie man damit umgeht, wenn der Hunger gestillt wurde.
Das Buch ist wie ein Gedankenstrom.
Ein Tagtraum.
Dorothee Elminger lässt es fließen. Als Psychoanalytikerin habe ich fast den Eindruck, ich sitze hinter der Couch und lausche den freien, ungefilterten und unzensierten Assoziationen einer Patientin.
Sie fokussiert verschiedene Szenen und Bilder, wechselt vom einen zum nächsten und umkreist doch ein Zentrum.
Ein Zentrum, in dem es um Kolonialismus und Kapitalismus geht.
Es ist, als hüpfe sie in einem Bach gemütlich und neugierig von Stein zu Stein.
Sie verweilt auf jedem Stein und lässt von da aus den Blick schweifen.
Mit diesem „hüpfen“ möchte ich die Leichtigkeit ausdrücken, mit der sich dieses Buch lesen lässt, obwohl der Inhalt weder stringent noch linear erzählt wird.
Wenn man sich dem traumartigen Erzählfluss überlässt, gerät man in eine Art Leserausch.
Man liest und liest, man blättert und blättert... hört auf zu denken und zu überlegen... begleitet die Autorin einfach auf ihrer inneren Reise.
Die Steine wirken oberflächlich unverbunden und zusammenhanglos, aber sie haben durchaus etwas Gemeinsames:
den Boden, auf dem sie liegen.
Ich meine damit dieses bereits o. g. Zentrum, um das die Autorin kreist.
Sie mäandert durch ihre Innenwelt und stößt dabei auf eine ganz beachtliche Vielfalt an Gedankenfetzen, Trauminseln oder Puzzlestücken:
Der Ananaskönig und die Sembradores auf einer Ananasfarm auf Haiti.
Ein Schweizer Schnapsbrenner, der in den Tropen ein Großbauer wurde.
Der erste Schweizer Lottomillionär, der am Strand einer karibischen Insel steht.
Der Pariser Vorort Plaisir, das dortige Einkaufszentrum und das lycée.
Verschiedene Autoren und Berühmtheiten wie z. B. Max Frisch, Joseph Roth, Heinrich von Kleist oder Ellen West, die berühmte Patientin des Schweizer Psychiaters Ludwig Binswanger werden gestreift, um von dort aus zu den nächsten thematischen Inseln, wie z. B. Geld oder Suizid...zu gelangen.
Das Buch erzählt keine Geschichte und hat keine Handlung.
Es ist eine Zusammenstellung von Schnappschüssen, ein Mosaik aus bedeutsamen Themen in Form von Textauszügen, Zitaten, Stichworten und Tagebucheinträgen.
Es ist eine Komposition aus vielen Einzelstücken, letztlich eine Collage.
Meines Erachtens wurde dieser gleichermaßen poetische wie ungewöhnliche, unstrukturierte und eigenwillige Text, der zweifelsfrei höchste literarische Ansprüche befriedigt, zurecht mehrfach ausgezeichnet.
Es ist ein außergewöhnliches, mutiges und originelles Werk.
Auf den ersten Blick erscheint dieses Sammelsurium an Textsplittern fragmentiert, aber bei näherer Betrachtung hängt es alles andere als im luftleeren Raum.
Im Gegenteil, es hat eine Aufhängung, einen Aufhänger.
Es gibt eine Ordnung im Chaos:
Den Kern, um den es kreist. Kolonialismus, Kapitalismus, die poetische Sprache und der nachdenkliche und leicht melancholische Ton.
Das Buch ist sicherlich nichts für den „gängigen“ Lesegeschmack, falls es so etwas überhaupt gibt.
Es ist nichts für zwischendurch, aber wenn man sich offen und neugierig auf etwas Neues und Spannendes einlassen möchte und die innere Muße dazu hat, ist es ein eigenartiges, exzentrisches und wunderbares Lesevergnügen.
Dieses Werk gehört wohl am ehesten zur aktuellen experimentellen Gegenwartsliteratur, die mir in dieser Form noch nie begegnet, aber äußerst interessant ist.
Wie gesagt, ich kenne so etwas aus meinem Berufsalltag, aber nicht aus Büchern.
Um meinen ersten Satz nun letztlich zu erklären, brauche ich nur noch wenige Worte:
In meiner Freizeit möchte ich in packende und zusammenhängende Geschichten eintauchen, die mich unterhalten und entspannen.
Diesen Anspruch konnte dieses Werk nicht erfüllen.
Deshalb muss ich mich, was die Sternebewertung betrifft, auf einen Kompromiss einlassen, der falsch verstanden werden könnte, wenn man die Argumente und Beweggründe dahinter nicht kennt.
„Die Erfindung der Null“ ist ein origineller Roman.
Die Idee, die dahintersteckt ist klasse.
Es geht um den promovierten Mathematiker Martin Gödeler, der eine Leidenschaft für Zahlen hegt und es geht ...
„Die Erfindung der Null“ ist ein origineller Roman.
Die Idee, die dahintersteckt ist klasse.
Es geht um den promovierten Mathematiker Martin Gödeler, der eine Leidenschaft für Zahlen hegt und es geht um seine drei Nachhilfeschüler, die noch eine ganz andere Seite an dem Rechengenie kennenlernen, als sie ihn unerwartet in seiner Wohnung besuchen.
Es ist die Wohnung eines Messie!
Und dann begegnet uns auch noch die unscheinbare und rätselhafte Susanne Melforsch, die nur einmal im Unterricht erscheint ... und später ermordet wird.
Für den Staatsanwalt liegt es nahe, dass Martin der Mörder ist.
Die beiden waren immerhin ein Liebespaar und zusammen im Urlaub.
Aber er kann dem Mathematiker nichts nachweisen.
Martin wird aus der Untersuchungshaft entlassen und… verschwindet spurlos.
Jetzt, wo ich es niederschreibe, merke ich erneut, dass der Plot sich richtig vielversprechend anhört.
Und gleichzeitig gelang es dem Buch nicht, mich in seinen Bann zu ziehen, mich zu fesseln oder mich 100%-ig zu überzeugen.
Das mag daran liegen, dass mir durchweg alle Protagonisten unsympathisch waren und mich emotional nichts berührt hat.
Eigentlich ist es erschütternd, die verwahrloste Wohnung eines Messie vor Augen zu haben.
In der Regel ist die Geschichte, die hinter so einem Menschen steckt ergreifend.
Eigentlich lösen dramatische Ehen oder die Vorstellung, dass ein Elternteil das Leben eines Kindes nicht mehr verfolgen kann, z. B. Gefühle des Bedauerns aus.
Und eigentlich sollten erotische Szenen den Leser schon irgendwie erreichen und nicht kalt lassen.
Eigentlich ist es hochdramatisch und bewegend, wenn man sein Leben als Nullnummer und sich selbst als Null bezeichnet/bezeichnen „muss“.
Nichts von alledem ist passiert. Keine Erschütterung.
Kein Bedauern.
Keine Ergriffenheit.
Keine emotionale Bewegung.
Ich las den Roman ziemlich unberührt, manchmal sogar gelangweilt.
Weil Martin auch gelangweilt oder im Grunde genommen ein langweiliger Mann ist?
Ich glaube ja, dass Michael Waldenhain das ganz genau so beabsichtigt hat.
Martin scheint ein durch und durch rationaler, wenig fassbarer, recht wortkarger und gefühlskalter Mann zu sein, der nur eine wahre Liebe kennt: die Liebe zu seinen Zahlen.
Ich unterstelle dem Autor, dass es große Kunst ist, Martins Charakter so plastisch und diese kühle und verstörende Atmosphäre derart intensiv zu vermitteln.
Und trotzdem, leider, wird es kein Lieblingsbuch und auch keines, das in mir den Wunsch aufkommen lässt, weitere Werke von diesem Autor zu lesen.
Interessant ist es alle Mal!
Da ist ein hochbegabter Überflieger, der sich in der nüchternen Zahlenwelt bestens auskennt, mit Gefühlen allerdings nichts am Hut hat.
Was ist es, das ihn zu seiner intelligenten Kommilitonin Gunde hingezogen hat, mit der er eine Tochter zeugte?
Was ist es, das ihn dermaßen an der herausragenden Mathematikdozentin Dr. Trouvé (nomen est Omen?) angezogen hat?
Was ist es, dass ihn mit der mysteriösen Stalkerin Susanne Melforsch verband?
Was dem Autor, das möchte ich noch unbedingt erwähnen, wunderbar gelungen ist, ist ein völlig unerwartetes und überraschendes Ende.
Das Buch, in dem es letztlich ums Scheitern einer menschlichen Existenz geht, ist kein einfach und schnell wegzulesender Roman.
Man muss ihn aufmerksam und geduldig lesen und sich auf den ungewöhnlichen und einzigartigen Schreibstil einlassen.
Und man muss bereit sein, sich durch zähen und schweren Morast hindurchzuwühlen, um ans Ende zu gelangen.
Der Autor nimmt einen dabei nämlich nicht an die Hand.
Er gibt dem Leser so gut wie keine Erklärungen und Erläuterungen. Was Interpretationen und Verständnis anbelangt ist er auf sich selbst gestellt.
Ein bisschen mehr Unterstützung hätte ich mir vom Autor gewünscht, weil es dann ein packender Roman hätte werden können.
Auf diese Weise wurde es ein zwar originelles und interessantes, aber wenig vergnügliches und anstrengendes Werk.
Ich lernte den Schriftsteller Martin Wildenhain durch diesen Roman als unbequemen Autor kennen, der seinen Lesern so einiges zumutet und sehr viel zugetraut.