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Veröffentlicht am 15.03.2021

Brooklyn Blues

Der heilige King Kong
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September 1969, New York, im Süden Brooklyns, die Sozialwohnungen des Causeway Housing Projects. Cuffy Lambkin, der allseits beliebten Diakon der Five Ends Baptist Church, richtet vor aller Augen die Pistole ...

September 1969, New York, im Süden Brooklyns, die Sozialwohnungen des Causeway Housing Projects. Cuffy Lambkin, der allseits beliebten Diakon der Five Ends Baptist Church, richtet vor aller Augen die Pistole auf einen jungen Drogendealer und drückt ab. Glücklicherweise tötet er ihn nicht, sondern schießt ihm „nur“ ein Ohr ab. Die Tatzeugen sind sowohl schockiert als auch verwundert, kann sich doch niemand erklären, was ihn zu dieser Tat getrieben hat. Vielleicht war es ja der Alkohol, der ihm die Sinne vernebelt hat, denn seit dem Tod seiner Frau ist er neben der Spur, spricht mit ihr, möchte wissen, wo sie die Weihnachtskollekte deponiert hat. Geld, das die Ärmsten seiner Schäfchen bitter nötig hätten. Alles kreist um den Mordversuch und seine Folgen, nicht nur für den Diakon sondern auch für seine Gemeinde, die sich schützend vor ihn stellt. Die gutgemeinten Ratschläge ignoriert er, verstecken will er sich nicht. Keiner weicht zurück, selbst dann nicht, als die Drogenmafia auf Rache sinnt.

McBride zeichnet das Bild einer gewachsenen, lebendigen Gemeinschaft. Man ist füreinander da, kümmert sich umeinander, hilft, auch in schwierigen Situationen. Er beschreibt das so lebendig und farbenfroh, dass man ihm auch den Rückgriff auf das eine oder andere Klischee verzeiht. Auftragskiller Earl beispielsweise, oder der seines Jobs überdrüssige Mafioso, der sich nach Liebe sehnt und aussteigen möchte.

Jede dieser Figuren hat ihre eigene, oft auch tragische Geschichte, die uns der Autor mit großer Empathie und viel Liebe zum Detail erzählt. Er erzählt von Liebe und Verlust, von Ausbeutung und Ungerechtigkeit, von Sieg und Niederlage. Davon, wie die Welt für diese Menschen in Brooklyn funktioniert, wo Drogen die neue Sklaverei sind. Wo sich das uralte Spiel wiederholt, das zwangsläufig damit endet, dass ein Diakon auf einen Dealer schießt.

Veröffentlicht am 13.03.2021

Die Welt gegen die Vereinigten Staaten

Der Fall des Präsidenten
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Es beginnt mit einem Paukenschlag: Douglas Turner, republikanischer Ex-Präsident der USA, wird in Griechenland verhaftet. Man beschuldigt ihn, für Kriegsverbrechen in Afghanistan verantwortlich zu sein. ...

Es beginnt mit einem Paukenschlag: Douglas Turner, republikanischer Ex-Präsident der USA, wird in Griechenland verhaftet. Man beschuldigt ihn, für Kriegsverbrechen in Afghanistan verantwortlich zu sein. Ihm droht ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof ICC. Auf diese Anschuldigungen reagiert er, wie wir es kennen und erwarten: selbstherrlich, aggressiv und laut pöbelnd. Jetzt kann nur noch der amtierende Präsident helfen. Die Maschinerie läuft an. Zuerst muss dafür gesorgt werden, dass die Medien keinen Wind von der Verhaftung bekommen, dann wird mit Sanktionen gedroht, zumal die USA keine Veranlassung sehen, sich mit den Anschuldigungen des ICC auseinanderzusetzen, haben sie diesen doch nie anerkannt. Aber zu spät, ein Video ist bereits im Umlauf und schlägt international hohe Wellen.

Wie bereits in Blackout, Gier etc. kreiert Elsberg auch in diesem Roman ein Szenario, das realistischer nicht sein könnte. Die Vereinigten Staaten, die sich über das Gesetz stellen und alle Register ziehen, um die Auslieferung des Ex-Präsidenten in die Niederlande zu verhindern. Kurssturz an der Börse und eine Weltwirtschaft, die auf den Abgrund zusteuert. Falschmeldungen, mit denen die sozialen Netzwerke geflutet werden. Chaotische Zustände. Mittendrin die Anklägerin, eine junge Juristin, unterstützt von einem griechischen Kollegen, die gegen ein Heer amerikanischer Anwälte kämpft und um das Leben ihres einzigen Zeugen fürchtet. Könnte man sich durchaus so vorstellen. Bleibt die Frage, ob die USA damit durchkommen.

Internationales Recht ist jetzt nicht unbedingt das spannendste Thema, aber der Autor schafft es, durch verschiedene ineinanderlaufende Handlungsstränge, das Interesse des Lesers auf konstant hohem Niveau zu halten. Und er ruft uns einmal mehr die Kriegsverbrechen Amerikas in Erinnerung, die selbst so hoch angesehene Ex-Präsidenten wie Obama mit seinen Drohnen an der Zivilbevölkerung nicht nur in Afghanistan begangen haben.

Wie ich es von Marc Elsberg erwartet habe, liefert er mit diesem Politthriller eine ebenso spannende wie interessante Lektüre ab, die meinen Eindruck von dieser rücksichtslosen Weltmacht einmal mehr untermauert.

Veröffentlicht am 12.03.2021

Eine berührende Liebeserklärung

Eine Formalie in Kiew
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Acht Jahre war Dmitrij Kapitelman alt, als er Mitte der neunziger Jahre mit seiner Familie als Kontingentflüchtling aus der Ukraine in Deutschland ankam. Mittlerweile ist er 34 und denkt, dass es an der ...

Acht Jahre war Dmitrij Kapitelman alt, als er Mitte der neunziger Jahre mit seiner Familie als Kontingentflüchtling aus der Ukraine in Deutschland ankam. Mittlerweile ist er 34 und denkt, dass es an der Zeit ist, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Gedacht, getan, die benötigten Dokumente hat er beisammen. Aber er hat nicht mit der deutschen Bürokratie gerechnet, die zusätzlich noch eine Apostille braucht, sprich ein Beglaubigungsdokument, das deren Echtheit bestätigt. Mir fiel dazu sofort der Songtext von Reinhard Meys „Ein Antrag auf Erteilung eines Antragformulars ein“. Und diese Apostille gibt es nur in seiner Geburtsstadt. Also macht er sich auf nach Kiew, versehen mit den guten Ratschlägen seiner Eltern.

Diese Reise in die Vergangenheit ist bittersüß. Es sind nicht nur die Erinnerungen, die er mit der Realität abgleicht, sondern auch das, was ihm über die Ukraine vermittelt wurde. Und gleichzeitig wird ihm immer mehr die Kluft bewusst, die sich zwischen ihm, dem „Demokratiedeutschen“ und seinen Eltern aufgetan hat.

Die Eltern, die eigentlich nie wirklich in Deutschland angekommen sind, noch immer in diesem Niemandsland zwischen alter und neuer Heimat hängengeblieben sind, ihre Identität und sich selbst verloren haben. Die Mutter, die kein Interesse mehr an dem hat, was um sie herum geschieht und deren Lebensinhalt mittlerweile nur noch die unzähligen sibirischen Katzen sind, mit denen sie sich umgibt. Der Vater, dem seine einstige Fröhlichkeit und Aufgeschlossenheit abhanden gekommen ist und der sich mehr und mehr in sich selbst zurückzieht, in ein Land, zu dem nur er Zugang hat.

Auch wenn Kapitelman ein guter Beobachter ist, mit Wortwitz und Ironie die Absurditäten der ukrainischen Gegenwart analysiert, so liegt doch über all dieser Unbeschwertheit eine tiefe Traurigkeit. Und so wird aus dieser Suche nach den Wurzeln eine berührende, nie kitschige Liebeserklärung an seine Eltern, denn jetzt versteht er.

Veröffentlicht am 11.03.2021

Schweigen, wo Reden angebracht wäre

Unter Wasser Nacht
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Die Älteren unter uns kennen das Wendland, diese ursprüngliche, vom Wasser geprägte Landschaft am Rand der Lüneburger Heide, vielleicht noch aus den Protestaktionen der Anti-AKW-Bewegung. Wir sind damals ...

Die Älteren unter uns kennen das Wendland, diese ursprüngliche, vom Wasser geprägte Landschaft am Rand der Lüneburger Heide, vielleicht noch aus den Protestaktionen der Anti-AKW-Bewegung. Wir sind damals mitmarschiert, so wie auch die beiden Paare Sophie und Thies und Bodo und Inga, die im Zentrum der Handlung stehen. Mittlerweile sind die Freunde im bürgerlichen Leben angekommen, bewirtschaften gemeinsam einen Hof, haben geheiratet und Kinder bekommen. Aber das Idyll hat Risse, denn während aus Jella und Lasse Vorzeigekinder und der ganze Stolz ihrer Mutter Inga wurden, hat sich Aaron, der Sohn von Sophie und Thies, zu einem aggressiven Problemkind entwickelt, das speziell seine Mutter so manches Mal an den Rand der Verzweiflung bringt. Doch dann verschwindet er spurlos, bis einige Tage später seine Leiche aus der Elbe gefischt wird. Niemand steckt den Tod eines Kindes einfach weg, am wenigsten die Eltern, die daran zu zerbrechen drohen. Jede/r ist für sich allein mit seiner Trauer. Die Stimmung verändert sich erst wieder mit der Ankunft einer jungen Frau, die ihre Kindheit inmitten der turbulenten Protestbewegung verbracht hat. Mit ihrem Blick zurück in die Vergangenheit wirbelt sie reichlich Staub auf, bringt Vergessenes und Verdrängtes ans Licht und zwingt so die Beteiligten, sich unliebsamen Wahrheiten zu stellen.

Zentrales Thema dieses Romans ist die Sprachlosigkeit der Menschen, aber auch das Unvermögen oder vielleicht auch die mangelnde Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit problematischen Situationen. Dies zeigt uns die Autorin durch die Perspektivwechsel, bei denen man peu à peu in das Innerste der Hauptfiguren eintaucht, ihr Verhalten und ihre Ängste in dieser Ausnahmesituation miterlebt, ihr Schweigen, wo Reden angebracht wäre. Eine Familiengeschichte, geplottet mit psychologischem Feingefühl, deren Dramatik sich erst allmählich entfaltet. Atmosphärisch dicht durch die gelungenen Landschaftsbeschreibungen, die sich nahtlos in die Seelenzustände der Protagonisten einfügen. Lesen!

Veröffentlicht am 08.03.2021

Spannender und gut ausbalancierter Polit-Thriller

Die Stunde der Wut
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Melia Adan, die wir bereits aus „Im Namen der Lüge“ kennen, hat den Verfassungsschutz verlassen und ist nun unter anderem für die Leitung des KK 11 verantwortlich und damit Vincent Veihs Vorgesetzte. Im ...

Melia Adan, die wir bereits aus „Im Namen der Lüge“ kennen, hat den Verfassungsschutz verlassen und ist nun unter anderem für die Leitung des KK 11 verantwortlich und damit Vincent Veihs Vorgesetzte. Im Großen und Ganzen ziehen beide an einem Strang, die Zusammenarbeit klappt, auch wenn die Kriminalrätin bisweilen Entscheidungen trifft, mit denen der KHK nicht einverstanden ist.

Das spurlose Verschwinden ihrer Ex-Kollegin Solveig Fischer treibt Melia noch immer um. Zwar glaubt sie zu wissen, was mit ihr geschehen ist, aber es fehlen nicht nur die Beweise sondern auch die Leiche. Bei ihren Nachforschungen begibt sie sich auf gefährliches Terrain, und es zeigt sich, dass „Big Money“ gefährliche Helfershelfer hat, mit denen nicht zu spaßen ist.

Vincent hingegen hat es mit einem Mordfall zu tun, der auf den ersten Blick eine Beziehungstat vermuten lässt. Im Laufe der Befragungen innerhalb der Opferfamilie ergeben sich jedoch neue Spuren, die nicht nur diese in den Fokus rücken sondern weitaus größere Dimensionen vermuten lassen.

Horst Eckerts Thriller zeichnen sich dadurch aus, dass neben der Frage nach dem Täter auch Themen aufgegriffen werden, die von politischer Relevanz sind. Wie so oft ist es auch in diesem Fall zum einen die Kluft zwischen Arm und Reich, Macht und Ohnmacht, verkörpert durch einen Ex-Soldaten mit PTBS, der nach der Entlassung aus dem Dienst voller Hass ist und Rückhalt in dubiosen sozialen Netzwerken findet. Zum anderen sind es auch die skrupellosen Geschäfte einer Immobiliengesellschaft (Gentrifizierung, Zwangsräumung etc.), ihren Einfluss auf die Politik und die Frage danach, inwieweit die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen toleriert werden sollte. Und natürlich sind auch korrupte Polizisten, die in die eigene Tasche wirtschaften und der Verfassungsschutz mit seinen schmutzigen Tricks wieder mit von der Partie.

112 Einzelkapitel, verteilt auf 443 Seiten, generieren von Beginn an hohes Tempo, und die unterschiedlichen Handlungsstränge, in denen jeweils die Perspektiven der verschiedenen Personen ausgeleuchtet werden, sorgen dafür, dass das Interesse des Lesers gefesselt wird. Dazu noch, wohldosiert und ohne die eigentliche Handlung zu überlagern, Altbekanntes und Neues aus dem Privatleben der Protagonisten. Alles in allem eine sehr gute Mischung, die mich mit Spannung auf die Fortsetzung der Reihe warten lässt.