Profilbild von kayla

kayla

Lesejury Star
offline

kayla ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit kayla über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.03.2017

Intensives Leseerlebnis

Blauschmuck
0

Ein so exzellentes Buch wie "Blauschmuck" (was für ein schlimmer Euphemismus! ) habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Sprachlich und stilistisch ist es einfach wunderschön.


Dabei steht die poetische ...

Ein so exzellentes Buch wie "Blauschmuck" (was für ein schlimmer Euphemismus! ) habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Sprachlich und stilistisch ist es einfach wunderschön.


Dabei steht die poetische Sprache jedoch im krassen Gegensatz zum grausamen Inhalt oder verstärkt diesen (..."Schlag. Um Schlag. Um Schlag." ). Nachdem ich mit der Lektüre begonnen hatte, konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen, ich hatte es in weniger als einer Woche ausgelesen, da die Worte eine unheimliche Sogwirkung entfalten.

Erzählt wird hier die Lebensgeschichte von Filiz, einem Mädchen, das in einem türkischen Kurdendorf in einer archaischen Gesellschaft aufwächst. Schon sehr früh bestimmen patriarchale Strukturen ihr junges Leben, und der Begriff der "Ehre" hängt wie ein Damoklesschwert über allen Lebensbereichen. "Die Ehre wächst mir über den Kopf," sagt Filiz an einer Stelle. Außerdem soll sie immer auf ihre "Jungfrau", auf das Hymen, achten. Geprügelte Frauen und Kinder tragen "Blauschmuck".

Das Mädchen ist klug und begabt & so schlau, dass der Dorfschullehrer ihr eine Ausbildung in der Stadt finanzieren möchte und dafür eigens beim Vater vorspricht. Doch dies geht gegen des Vaters Ehre; er möchte nicht als mittellos gelten. Damit des Vaters Ansehen gewahrt wird, bleibt Filiz die weiterführende Schule verwehrt. Doch ihre Probleme beginnen erst richtig, als Yunus in ihr Leben tritt. Er erhebt Anspruch auf Filiz, die sich in ihrer kindlichen Naivität sofort in den grünäugigen Jungen verliebt. Als Filiz' Vater einer Verbindung nicht zustimmt, reißt das Paar aus. Yunus verspricht dem noch sehr jungen Mädchen ein Leben im Westen, blue Jeans. Doch zunächst erwartet sie ein Leben bei der tyrannischen Schwiegermutter. Emotionale und physische Mißhandlung durch den Nichtsnutz Yunus, der sich als Arschloch und Pascha entpuppt. Das Paar lässt sich in Österreich und Deutschland nieder und hat drei Kinder, und da kein Geld da ist, ist die Frau nicht über jedes glücklich. Der eifersüchtige und sadistische Yunus zwingt Filiz unter die Burka und verbietet ihr das Lachen, da ihr Mund "sein" sei und an "Schamlippen" erinnere. Er erniedrigt, prügelt und vergewaltigt die Frau brutal. Schafft sich eine Geliebte an, will Filiz als Putzfrau und Sklavin behalten. Während sie und die Kinder ärmlich gekleidet sind, schwelgt Yunus im Luxus. Filiz arbeitet als Putzfrau, spart für das Landschulheim der Kinder, heimlich. Immer ist es das deutsche und österreichische Umfeld, das der Frau hilft und sie integriert, am Ende rettet es sogar ihr Leben...

"Blauschmuck" ist ein unheimlich wichtiges Buch, gerade in der heutigen Zeit mit den demographischen Veränderungen. Winkler kommentiert nicht, sondern lässt den Text sprechen, nur an einer Stelle gibt es einen Terminus, der die Gesamtkomposition stört. Man darf natürlich nicht vom Fall der Protagonistin Filiz auf eine ganze Ethnie schließen. Aber es darf auch nicht verschwiegen werden, welches Unheil archaische und patriarchale Strukturen anrichten können. Eine verschleierte Frau sollte man nicht per se verachten, denn womöglich trägt sie ihn, so wie Filiz, absolut unfreiwillig.


Wer noch keine Feministin ist, wird es spätestens nach der Lektüre. Winkler ist völlig zu Recht bei Suhrkamp! Ein unglaublich gutes Debut.

Veröffentlicht am 17.03.2017

Klasse Krimi

Blaue Nacht
0

Chastity Riley, Staatsanwältin in Hamburg, darf in einem Kellerbüro ihr Dasein fristen, nachdem sie einen Vorgesetzten der Korruption überführt hatte. Wie sie so schön sagt, sind interne Ermittlungen und ...

Chastity Riley, Staatsanwältin in Hamburg, darf in einem Kellerbüro ihr Dasein fristen, nachdem sie einen Vorgesetzten der Korruption überführt hatte. Wie sie so schön sagt, sind interne Ermittlungen und das Beissen der fütternden Hand nicht gerade förderlich für die Karriere. :) Offiziell ist sie nun also "Opferschutzbeauftragte". In Ausübung dieser Funktion trifft sie den geheimnisvollen Joe, der halbtot und ohne rechten Zeigefinger im Krankenhaus liegt. Und langsam kommt Riley einer ganz großen Sache auf die Spur - Drogenhandel. organisierte Kriminalität, Korruption. Mit von der Partie sind Rileys Freunde und Kollegen. Etwa "der Faller", ein Bulle, der mitten in der Midlifecrisis steckt und von seiner Frau zur Fremdgehverhütung einen amerikanischen Straßenkreuzer verordnet bekommen hat. Krise hin oder her, Faller führt etwas im Schilde und gibt sich Riley gegenüber äußerst maulfaul, und bald spitzen sich die Ereignisse zu.
"Blaue Nacht" ist eigentlich der Name einer Kneipe und gleichzeitig eine Metapher. Die Sprache im Roman ist prosaisch und poetisch, zuweilen schnodderig und fast nie vulgär. Die schönen Sprachbilder und Metaphern gefielen mir besonders gut. Und obwohl mir die Reihe vor der Lektüre unbekannt war, konnte ich durch kurze Rückblenden aus verschiedenen Perspektiven ein lückenloses Puzzle der Personen und Ereignisse zusammensetzen. "Blaue Nacht" kann man also prima als stand-alone lesen, ich habe aber Blut geleckt und Lust auf die komplette Reihe bekommen. Die Gangart ist anfangs gemächlich, der Roman ist aber durchweg spannend. Am Ende gibt es einen temporeichen Showdown. Die Komposition ist klasse und lässt keine Wünsche offen. Ich mochte die Figuren; es werden keine Migrantenklischees bedient und ausserdem ist der Roman eine einzige große Liebeserklärung an Hamburg. Bemängeln könnte man höchstens, dass fast alle Figuren (nicht nur die Protagonistin) saucool sind. Um es im Duktus der Autorin zu sagen: Kein Normalo, nirgends! :)

Darüber hinaus kann der Roman aber mit Originalität und Spannung punkten. Auch sprachlich ist das Ganze ein Genuß. Daher kann ich "Blaue Nacht" von Simone Buchholz guten Gewissens zur Lektüre empfehlen, und wenn ich könnte, würde ich 6 Sterne vergeben. So bleibt es bei 5 von 5 Sternen. Ein klasse Krimi!

Veröffentlicht am 17.03.2017

Toller Schmöker

Die amerikanische Nacht
0

Ashley Brett Cordova stirbt mit gerade einmal 24 Jahren. Tot in einer verlassenen Fabrikhalle Manhattans. Sie ist die Tochter des berühmt - berüchtigten Regisseurs Stanislas Cordova, der von seinen Fans ...

Ashley Brett Cordova stirbt mit gerade einmal 24 Jahren. Tot in einer verlassenen Fabrikhalle Manhattans. Sie ist die Tochter des berühmt - berüchtigten Regisseurs Stanislas Cordova, der von seinen Fans geradezu kultisch als Meister des Horrogenres gefeiert wird. Scott McGrath, ein Journalist, der seit einem Rechtsstreit mit Cordova beruflich ruiniert ist, beginnt mit zwei zunächst völlig Fremden im Fall Ashley Cordova zu ermitteln, undercover natürlich.
Hat womöglich Inez Gallo, die Assistentin des Filmemachers, etwas mit dem Fall zu tun? Und warum ist "Stan" seit Jahren untergetaucht? Fragen über Fragen, der Fall wird immer geheimnisvoller, je tiefer McGrath gräbt...

Ich konnte das Buch buchstäblich nicht mehr aus der Hand legen, es ist wirklich ein pageturner. Aber kein Fantasyroman. Eher ein Genremix. Ich habe mich immer auf' s Weiterlesen gefreut und kann für diese heimliche Liebeserklärung an NY guten Gewissens 5 Sterne geben.

Ein paar kleine Kritikpunkte habe ich dennoch:

Idee und Plot sind nicht wirklich originell und erinnern ein wenig an Roszaks "Schattenlichter".
Pessl hat ein Faible für Vergleiche und similees, und dass so gut wie jede Figur in Vergleichen und Bildern spricht, nicht nur der Ich - Erzähler, ist in meinen Augen nicht so gut gelungen. Fast wirkt der Roman hier und da ein wenig selbstverliebt.

Außerdem findet Pessl einfach kein Ende - ich habe das
vermeintliche Ende viel passender als den offenen Schluss empfunden. Ein wenig Straffung hätte der Geschichte gut getan, nach der Mitte gab es eine kurze Passage, die ich doch als etwas langatmig geschrieben empfand.

Sehr gut gefiel mir aber die Hommage an New York, und auch die patchworkartigen Einsprengsel, collagenhaft, konnten mich überzeugen.

Alles in allem - tolle Unterhaltung.

Ich habe mich auch gefragt, wer wohl reale Inspirationsquellen gewesen sein könnten: Asia Argento (Ashley Cordova) ? Hitchcock, Bunuel, Martin Scorsese, Klaus Kinski, Werner Herzog, Fassbinder gar ?

Ein Buch nicht nur für Cineasten!

Veröffentlicht am 16.03.2017

Tiefgründig und unterhaltsam

Die seltsame Reise mit meinem Bruder
0

Nachdem sie das Studium geschmissen hatte, zog Nelly Schrader von der deutschen Provinz nach Hamburg, um sich mit ihrem eigenen Unternehmen selbständig zu machen. Ihre kleine Cateringfirma "Pausenbrot" ...

Nachdem sie das Studium geschmissen hatte, zog Nelly Schrader von der deutschen Provinz nach Hamburg, um sich mit ihrem eigenen Unternehmen selbständig zu machen. Ihre kleine Cateringfirma "Pausenbrot" hat einen Angestellten, den Inder Ashok, und der Stullen vertickende Foodtruck läuft gut, bis sich die Konkurrenz anmeldet, ebenfalls mit einem Foodtruck, und Nelly das Geschäft vermiest.

Zu allem Überfluß soll Nelly auch noch zuhause auf ihren gehandicapten Bruder Nils aufpassen, obwohl sie mit ihrem Umzug so viel Distanz wie möglich geschaffen hatte. Doch da die Mutter im Krankenhaus liegt, stellt sich Nelly höchst widerwillig der Aufgabe.

Und dann geht's ab nach Großbritannien, denn Nelly & Nils sind zur Hochzeit ihres Cousins eingeladen, und langsam , aber sicher findet bei Nelly ein Umdenken statt, denn ein sympathischer Schotte bringt sie ins Grübeln...

Stil und Sprache haben mir unheimlich gut gefallen, die eingefügten Rezepte liessen mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Auch Nils' Postkarten fand ich spitze. Die ersten zwei Drittel des Buches fand ich fantastisch, das letzte aber deutlich schwächer.

Anfangs hütet sich die Autorin vor Kitsch und Banalitäten, doch dann wird es doch klischeehaft, es fallen Sätze wie : "Die Liebe ist das Beste, was wir haben. "
Manches am Buch fand ich nicht stimmig : Zum Beispiel, dass Nils 'Krankheit nie genau bestimmt wurde. Man hätte ihm doch die richtige Therapie bieten können im Falle einer genauen Diagnose.
Ergotherapie, Physiotherapie etc.

Dann ist der Küchenzauberer "natürlich" Inder - das gab es in Film und Literatur schon so oft, "Lunchbox" lässt grüßen.

Nellys Beau ist natürlich ein kerniger Schotte, der - wie könnte es anders sein - ein richtiger Mann ist.
Das Verständnis für Nils bringt er auf, weil auch seine Schwester einen schweren Start ins Leben hatte. Mir wäre es lieber gewesen, er hätte Nils einfach "grundlos" akzeptiert.

Nelly ging mir anfangs mit ihrer Lamentiererei gehörig auf den Senkel, und doch ist die Figur ein Spiegel des Zeitgeistes.
Ich war dann versöhnt, weil es ein paar richtig starke Szenen gab - etwa, als Nelly die Unmenschlichkeit im Heim nicht geheuer war, oder als sie auf der Hochzeit die Isolation ihres Bruders anprangerte.

Und der offene Schluss war einfach klasse, keine Spur von Kitsch.

Das Buch war mein Sommerhighlight 2015 und ich spreche gerne eine Leseempfehlung aus!

Veröffentlicht am 15.03.2017

Auftakt zu einer Krimireihe

Leo Berlin
0

Berlin 1922

Leo Wechsler, ein junger Witwer mit zwei Kindern, ist für die Kriminalpolizei tätig. Seine Schwester Ilse führt ihm seit dem frühen Tod seiner Frau den Haushalt und wohnt mit ihm zusammen. ...

Berlin 1922

Leo Wechsler, ein junger Witwer mit zwei Kindern, ist für die Kriminalpolizei tätig. Seine Schwester Ilse führt ihm seit dem frühen Tod seiner Frau den Haushalt und wohnt mit ihm zusammen.
Merkwürdige Morde geschehen: Ein wohlhabender Wunderheiler, bei dem die feine Gesellschaft der Stadt ein- und ausging, wird erschlagen aufgefunden. Ebenso wird eine abgehalfterte Prostituierte in einem Armenviertel Berlins ermordet.
Leos Instinkt sagt ihm, dass die Fälle vielleicht zusammenhängen, und er soll Recht behalten…

„Leo Berlin“ ist der Auftaktband rund um einen Kommissar, der in der Weimarer Republik lebt und arbeitet. Es ist ein mehr als solider Beginn einer Reihe, und ich habe den Roman richtig gerne gelesen. Die Autorin streift auch die politischen Ereignisse des Jahres 1922 und die soziale Problematik – Arbeitslosigkeit, Inflation, Verelendung.
Sie geht bei ihrer Figurenzeichnung und bei ihren Beschreibungen nicht ins Detail, sodass der Protagonist und die agierenden Personen für mich etwas blaß blieben. Aber da es der Beginn einer Reihe ist, denke ich, dass weitere Feinheiten noch folgen werden.
Der Krimi verzichtet auf Gewaltexzesse und er ist kein Spannungskracher. Dies hat mich aber nicht gestört, weil Gogas ruhige Erzählweise angenehm zu lesen ist.
Auch ist der Roman kein klassisches Whodunit. Für mich war auch der Fall vorhersehbar, dies hat mich aber auch nicht gestört.
Die Lektüre hat mir einfach sehr viel Freude bereitet. Daher vergebe ich für „Leo Berlin“ 4,5 von insgesamt 5 Sternen und spreche für alle, die gerne Geschichten lesen, welche in der Weimarer Republik spielen, eine Leseempfehlung aus.