Profilbild von Herbstrose

Herbstrose

Lesejury Star
offline

Herbstrose ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Herbstrose über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.05.2021

Briefe an Gott - sonst ist niemand da, dem sich Celie anvertrauen kann …

Die Farbe Lila
0

Celie war vierzehn als sie begann Briefe an Gott zu schreiben, da sie sich sonst keinem anvertrauen konnte. Seit ihre Mutter todkrank war musste sie deren Pflichten übernehmen, tagsüber im Haushalt und ...

Celie war vierzehn als sie begann Briefe an Gott zu schreiben, da sie sich sonst keinem anvertrauen konnte. Seit ihre Mutter todkrank war musste sie deren Pflichten übernehmen, tagsüber im Haushalt und nachts im Bett des Vaters. Sie wehrte sich nicht, um ihre jüngere Schwester Nettie vor seinen Übergriffen zu schützen. Zweimal wurde sie schwanger und jedes Mal nahm ihr Vater ihr das Kind weg. Nach dem Tod der Mutter nahm ihr Vater eine neue Ehefrau und verheiratete Celie mit einem Witwer, dem sie den Haushalt führen, seine Kinder erziehen und die Feldarbeit verrichten musste. Auch von ihm wurde sie missbraucht und geschlagen. Ihre Lage bessert sich etwas als der Mann seine Geliebte, die Sängerin Shug Avery, ins Haus nimmt. Die beiden Frauen freunden sich an, Celie wird dadurch selbstbewusster und kann sich allmählich mit Shugs Hilfe aus den Fängen ihres Ehemannes befreien. Jetzt hofft sie, einer besseren Zukunft entgegen zu blicken …

Alice Walker wurde 1944 in Eatonton/Georgia geboren. Sie ist US-amerikanische Schriftstellerin und politische Aktivistin und schrieb zahlreiche Erzählungen, Sachbücher, Romane und eine Autobiographie. International bekannt wurde sie hauptsächlich als Autorin des Romans „Die Farbe Lila“ („The Color Purple“), der 1983 mit dem „American Book Award“ und dem „Pulitzer-Preis“ ausgezeichnet und 1985 von Steven Spielberg mit Whoopi Goldberg in der Hauptrolle verfilmt wurde. 1967 heiratete Alice Walker den ebenfalls in der Bürgerrechtsbewegung aktiven Anwalt Melvyn Leventhal. Sie waren das erste standesamtlich getraute „gemischtrassige“ Paar im Bundesstaat Mississippi. 1969 kam Tochter Rebecca zur Welt, 1974 zog die Familie nach New York und 1976 wurde ihre Ehe einvernehmlich geschieden. Alice Walker zog daraufhin nach San Francisco, wo sie innerhalb eines Jahres diesen Roman schrieb. Heute lebt sie in Mendocino/Kalifornien, nördlich von San Francisco.

Es handelt sich hier um einen Roman in Briefform, der das Leben afro-amerikanischer Frauen in den Südstaaten der USA in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts behandelt und dabei besonders die Themen häusliche Gewalt, Inzest und lesbische Liebe thematisiert. Ihr Dasein, ihre damalige gesellschaftliche Stellung und ihre Lebensbedingungen waren oft von rassistischen, sexistischen und gewalttätigen Übergriffen geprägt, denn Sklaverei war trotz Verbot von 1865 noch fest in den Köpfen verankert. Erst ganz allmählich beginnen sich die Frauen zu wehren, sich von ihrem Elend zu befreien und sich zu emanzipieren.

Der Schreibstil der Briefe ist dabei sehr gut dem Bildungsstand der Protagonistin angepasst und wird auch konsequent durchgehalten, wodurch sich der Leser sehr gut in ihr Denken und Fühlen hinein versetzen kann. Das Thema Rassismus war bei der Entstehung des Buches aktuell und ist heute zeitgemäßer denn je. Ich habe die Geschichte jetzt, nach nahezu 30 Jahren, zum zweiten Mal gelesen und bin, wie auch seinerzeit, von Inhalt und Ausdrucksweise tief beeindruckt und kann das Buch uneingeschränkt jedem empfehlen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.03.2021

Beim Geld hört die Liebe auf …

Das Nest
0

Sobald Melody, die jüngste der vier Geschwister Plumb, ihren 40. Geburtstag feiert, sollte „Das Nest“, wie sie den Fond den ihr verstorbener Vater für sie angelegt hatte insgeheim nannten, ausbezahlt werden. ...

Sobald Melody, die jüngste der vier Geschwister Plumb, ihren 40. Geburtstag feiert, sollte „Das Nest“, wie sie den Fond den ihr verstorbener Vater für sie angelegt hatte insgeheim nannten, ausbezahlt werden. Damit hatten sie fest gerechnet, hatten ihre ganze Lebensplanung darauf eingestellt, hatten Schulden gemacht und über ihre Verhältnisse gelebt. Doch es sollte anders kommen. Um die schwerwiegenden Folgen eines Autounfalls zu vertuschen, den der Älteste der Geschwister im Alkohol- und Drogenrausch verschuldete, verwendet Mutter Plumb kurzerhand die angelegten Millionen als Schweigegeld. Zwar verspricht Leo das Geld wieder zu beschaffen, doch wird dieser Egozentriker auch zu seinem Wort stehen? …

Die etwa 1960 geborene US-amerikanische Schriftstellerin Cynthia D’Aprix Sweeney wuchs in Rochester auf, besuchte ein College und lebte und arbeitete dann 27 Jahre als PR-Beraterin in New York. Im Alter von etwa fünfzig Jahren absolvierte sie ein Studium in Kreativem Schreiben, das sie mit dem Master of Fine Arts abschloss. „Das Nest“ ist ihr Debütroman, der im März 2016 in der Originalausgabe erschien und bereits im April 2016 auf Platz 3 der Bestsellerliste der New York Times landete. Sie ist verheiratet und zog 2009 mit ihrem Mann, der als Redakteur bei The Tonight Show arbeitet, und ihren Kindern im College-Alter nach Los Angeles.

»Die Amerikanerin Cynthia D'Aprix Sweeney hat einen hinreißenden und klugen Familienroman geschrieben ... glänzende Unterhaltung und ein literarischer Wurf« - sagt Dennis Scheck in ARD Druckfrisch am 30.10.2016. Nicht immer bin ich mit seinem Urteil über Bücher einverstanden, doch diesmal stimme ich ihm voll und ganz zu.

„Das Nest“ ist ein scharfsinniger, mit viel Humor gewürzter Familienroman, der aufzeigt, was Geld aus einem Menschen machen kann. Früher, als sie noch Kinder waren, waren die vier Geschwister eng miteinander verbunden, heute verbindet sie nur noch die Aussicht auf eine gemeinsame Erbschaft – und als diese dann fraglich wird, kämpft jeder für sich selbst. Sie zählen sich zu New Yorks Upper Class, haben aber im Verborgenen finanzielle Probleme. Leo, der Verursacher der Misere, kann und will sein Status als Lebemann nicht aufgeben, Jack, der als Antiquitätenhändler erfolglos ist und schon seit Jahren vom Geld seines Ehemannes lebt, Beatrice, die einst gefeierte Schriftstellerin, deren Erfolg jedoch schon Jahrzehnte zurück liegt und Melody, die ihre Zwillingsmädchen auf die teuersten Privatschulen schickt und das Finanzielle ihrem Mann überlässt – sie alle müssen jetzt umdenken. Ob ihnen das gelingen wird?

Eine interessante Geschichte, bei der Cynthia D’Apix Sweeney besonders die psychologische Wahrnehmung auf die Familie Plumb herausgearbeitet hat. Wie reagieren die einzelnen Familienmitglieder, wenn plötzlich der erwartete und bereits verplante Geldsegen ausbleibt? Wir verfolgen das Geschehen etwa ein Jahr lang und begleiten die Akteure bei ihren Sinneswandlungen, die sie zwangsläufig durchmachen müssen. Jeder der vier hat seine Schwächen, aber auch seine Stärken, die die Autorin routiniert in Szene setzt. Unterhaltsame Dialoge, Phasen der Erinnerung und gekonnt eingesetzte Gedankengänge lockern das Geschehen auf. Das Leben muss irgendwie weiter gehen, es lassen sich Lösungen finden, die zu einem harmonisch-runden Schluss führen.

Fazit: Ein intelligenter Familienroman mit gut durchdachter, überzeugender Handlung – ein herrlich sarkastisches Abbild der Gesellschaft.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.03.2021

Außenseiter …

Die Bagage
0

Von den Dörflern werden sie nur die Bagage, das Gesindel, genannt, Josef und Maria Moosbrugger mit ihrer Kinderschar. Sie leben auf einem kleinen Hof abseits des Dorfes, ganz hinten im Bregenzerwald, dort ...

Von den Dörflern werden sie nur die Bagage, das Gesindel, genannt, Josef und Maria Moosbrugger mit ihrer Kinderschar. Sie leben auf einem kleinen Hof abseits des Dorfes, ganz hinten im Bregenzerwald, dort wo der Boden karg und das Gelände steinig ist. Sie sind arm aber stolz - und Maria ist eine Schönheit, die die Begierde der Männer und den Neid der Frauen weckt. Dann beginnt 1914 der Krieg, Josef wird eingezogen und bittet zuvor den Bürgermeister, mit dem er ab und zu zweifelhafte Geschäfte macht, auf seine Familie aufzupassen und sie regelmäßig mit Essen zu versorgen. Dies gäbe ihm die Berechtigung, so denkt der Bürgermeister, bei Maria übergriffig zu werden, aber sie kann ihn abwehren. Doch als eines Tages ein Fremder kommt und sie aufsucht, was im Dorf nicht verborgen bleibt, wird auch Maria schwach – in ihren Gedanken begehrt sie diesen Georg aus Hannover. Die Dorfbewohner tuscheln, und als Maria plötzlich schwanger ist, scheint für alle klar zu sein, wer der Vater sein muss …

Die Autorin Monika Helfer wurde 1947 in Au/Bregenzerwald geboren und wuchs in einem Erholungsheim für Kriegsversehrte in Vorarlberg auf, wo ihr Vater Verwalter war. Sie veröffentlichte bereits Romane, Erzählungen und Kinderbücher, für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Themen ihrer Bücher sind oft Familiengeschichten, in die sie ihre Vorfahren und ihre Herkunft mit einbezieht. Seit 1981 ist sie mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier verheiratet. Sie haben vier Kinder, wovon eine Tochter 2003 bei einem Unfall starb. Das Paar lebt in Hohenems/Vorarlberg.

In dem Roman „Die Bagage“ erzählt die Autorin die Geschichte ihrer Großeltern und deren Kinder, besonders ihrer Mutter Margarete, dem Mädchen das Grete genannt wird und von dem Josef zeitlebens glaubte, sie sei ein Kuckuckskind und nie ein Wort mit ihr redete. Ihre Informationen erhielt sie hauptsächlich von ihren Onkeln und Tanten, besonders von Tante Katharina, bei der sie und ihre beiden Schwestern nach dem frühen Tod ihrer Mutter aufgewachsen sind. Durch häufige Zeitsprünge zwischen damals und der Gegenwart schafft sie eine Verbindung zwischen sich und ihren Großeltern, deren Tun und Handeln noch über Generationen seine Auswirkungen hat. Wie erlebte Grete die Nichtbeachtung durch Josef, der sie nie als seine Tochter anerkannte, und wie weit leidet Monika Helfer heute noch darunter?

Die Autorin bedient sich einer äußerst reduzierten, aber dennoch ausdrucksstarken Sprache und lässt das Leben vor über 100 Jahren wieder lebendig werden. Schonungslos, jedoch sehr liebevoll, berichtet sie von ihrer „Bagage“, ihren Vorfahren, und bringt uns das Schicksal dieser Menschen nahe, ohne zu kritisieren und ohne zu bewerten. Entstanden ist ein sehr persönlicher und einfühlsamer Roman, ein berührendes Denkmal einer außergewöhnlichen Familie, der beim Leser noch lang nachhallen wird.

Fazit: Ein wunderbares kleines Buch, für das zu lesen man sich ausreichend Zeit nehmen sollte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.03.2021

Ein Ort, der nicht gefunden werden will …

Das flüssige Land
0

Durch einen Anruf der Polizei erfährt die Wiener Physikerin Ruth Schwarz, dass ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Ein Schock für die ohnehin emotional angeschlagene Frau, die schon ...

Durch einen Anruf der Polizei erfährt die Wiener Physikerin Ruth Schwarz, dass ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Ein Schock für die ohnehin emotional angeschlagene Frau, die schon seit Jahren an ihrer Habilitation schreibt und nur noch mit Hilfe von Psychopharmaka funktioniert. Um die Beerdigung zu regeln will sie nun den Geburtstort ihrer Eltern, Groß-Einland, aufsuchen, da diese einst den Wunsch geäußert hatten, dort begraben zu werden. Doch Groß-Einland ist nicht leicht zu finden, es ist in keiner Landkarte verzeichnet und auch das Navi zeigt den Ort nicht an. Als Ruth nach tagelanger Irrfahrt endlich dort eintrifft, ist ihr Auto nur noch Schrott. Sie muss sich deshalb auf einen längeren Aufenthalt in dieser seltsamen Stadt einstellen, wo früher Bergbau betrieben und nach Bodenschätzen gesucht wurde und die unterirdisch von einem Geflecht aus Stollen und Minen durchzogen ist. Unter der Mitte des Ortes liegt ein riesiger Hohlraum, das Loch genannt, das die Statik der Häuser beeinflusst, Risse in den Wänden verursacht und für die Schieflage des Kirchturms verantwortlich ist. Nach und nach wird wohl alles in seinem Abgrund versinken wenn nicht ein Mittel gefunden wird, um die Gefahr aufzuhalten …

Raphaela Edelbauer wurde 1990 in Wien geboren, wo sie auch heute lebt. Sie studierte Sprachkunst und Philosophie, war als Mitarbeiterin für die Niederösterreichischen Nachrichten tätig, schrieb Auftragsarbeiten und veröffentlichte in Literaturmagazinen. 2017 war sie Stipendiatin des Deutschen Literaturfonds für ihr Manuskript zu ihrem Roman „Das flüssige Land“ und wurde 2018 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. 2019 gelangte „Das flüssige Land“ auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis und war zwei Monate auf Platz drei der ORF-Bestenliste.

Die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs, das kollektive Verdrängen der Gräueltaten, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, Auswirkungen von Medikamentenmissbrauch, Liebe zur Heimat und zur Natur, sowie Ignoranz und Gleichgültigkeit vor drohender Katastrophe sind einige der brisanten Themen, die Raphaela Edelbauer in diesem Roman zwischen Realität und Phantasie, zwischen Abenteuer und Wahnvorstellung, aufgreift. Dabei entsteht von Anfang an ein Sog, vergleichbar mit dem Sog des alles beherrschenden Loches, der den Leser förmlich ins Buch hinein zieht. Man beginnt zu lesen, kann nicht mehr aufhören und will wissen, wie es weiter geht.

Der Schreibstil der Autorin ist anfangs gewöhnungsbedürftig und durch die manchmal komplizierte Ausdrucksweise und neuen Wortschöpfungen etwas anstrengend zu lesen. Zahlreiche Metaphern, unverhoffte Wendungen zwischen Poesie und skurrilem Humor und gut versteckte Andeutungen erfordern Konzentration und Aufmerksamkeit und regen zum Nachdenken an. Sie zeichnet ein atmosphärisch dichtes Bild vom Leben der Menschen in dieser seltsamen Stadt und besonders von Ruth als Ich-Erzählerin, die durch ihre Medikamentenabhängigkeit ihr Gefühl für Zeit und Raum immer mehr zu verlieren scheint. Auch die anderen Charaktere wirken sehr realistisch und passen stimmig in die manchmal alptraumhafte Handlung.

Fazit: Eine Geschichte auf die man sich einlassen muss, dann erschließt sich dem Leser eine herrliche Parodie auf unsere Gesellschaft – aberwitzig und phantastisch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.02.2021

Psychogramm einer zerstörten Kindheit

Wut
0

„Komm raus, Drecksau, verkriech dich nicht, du Stück Scheiße“, das waren die Worte der Mutter zu ihrem zwölfjährigen Jungen, der sich aus Angst vor ihr unter dem Bett verkrochen hatte. An diese Worte in ...

„Komm raus, Drecksau, verkriech dich nicht, du Stück Scheiße“, das waren die Worte der Mutter zu ihrem zwölfjährigen Jungen, der sich aus Angst vor ihr unter dem Bett verkrochen hatte. An diese Worte in seiner Kindheit erinnert sich Frank, während er die Wohnung seiner Mutter ausräumt. Maria lebt jetzt im Pflegeheim, ist dement und versteht nicht mehr, was um sie herum geschieht. Sie war eine kluge starke Frau, konnte aber nie zeigen was in ihr steckte, was sie gegen alles was ihr im Wege stand wütend machte. Und diese Wut richtete sich sehr oft gegen den Schwächsten, ihren kleinen Sohn. Ihn konnte sie prügeln, ‚bis ihr die Arme müde wurden‘. In ihrem Tun spiegelt sich auch ihre eigene Kindheit und Jugend wieder: von der Mutter früh verlassen, von einer Tante im Bordell aufgezogen, den Krieg erlebt, in einer Klosterschule Zucht und Ordnung kennen gelernt und aus Verzweiflung früh geheiratet. Auch Frank hat mit der Wut und den Folgen der Schläge sein Leben lang zu kämpfen. Als er siebzehn Jahre alt ist eskaliert ein Streit, er springt aus dem Fenster und kehrt nie wieder zurück – und als Erwachsener wird er nie richtig beziehungsfähig sein …

Der Autor Harald Martenstein ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller, der 1953 in Mainz geboren wurde. Nach dem Abitur studierte er Geschichte und Romanistik an der Universität in Freiburg. Danach war er Redakteur bei einigen namhaften Tageszeitungen, bevor er 2002 begann, Kolumnen und Essays für verschiedene Magazine zu schreiben. Seither erscheint in jeder Sonntagsausgabe des Tagesspiegels eine Kolumne von ihm. Seinen ersten Roman „Heimweg“ schrieb Martenstein 2007, der, wie auch „Wut“, in der Nachkriegszeit spielt. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Egon-Erwin-Kisch, dem Henri-Nannen und dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Der Autor lebt in Gerswalde (Uckermark) und in Berlin. Er ist in zweiter Ehe mit der Kulturmanagerin Petra Martenstein verheiratet. Gemeinsam haben sie einen Sohn, außerdem hat er noch einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe.

In seinem Vorwort bemerkt der Autor ausdrücklich, dass es sich bei „Wut“ um einen Roman und nicht um eine Biografie handelt. Dieser Eindruck könnte entstehen, da die Geschichte in Ich-Form geschrieben ist. Der Name des Erzählers ist Frank, der Junge der Anfang der 1950er Jahre von seiner psychisch labilen Mutter sowohl körperlich, als auch seelisch gepeinigt wird. Dabei drängen sich die Fragen auf, wie die Mutter zu einem solchen Menschen werden konnte und wie sich diese Misshandlungen auf das spätere Leben des Jungen auswirken. Dabei fällt auf, dass Frank als Erwachsener vieles in anderem Licht sieht und er sich zeitweise sogar liebevoll an die Mutter erinnert.

Der Erzählstil ist mitreißend und, trotz schonungsloser Schilderung von Schmerz und seelischem Leid, packend und in gewisser Weise sogar unterhaltend. Das Buch berührt, wühlt auf und stimmt dennoch versöhnlich, denn die psychische Verfassung der beiden Protagonisten wird hier einleuchtend geschildert. Man kann Marias Wut verstehen, aber nicht, dass sie diese an ihrem hilflosen Kind auslässt und man hat Mitleid mit Frank, auf den sich diese Wut allmählich überträgt und der als Erwachsener noch mit seiner Vergangenheit kämpfen muss. Dies zeigt sich besonders gegen Ende, als er offenbar wirr im Kopf ist und sich bei ihm Realität und Illusion vermischen. Auch als Leser ist man verwirrt und kann nicht mehr zwischen Wahrheit und Phantasie unterscheiden. Hier hätte es wohl einer besseren Erklärung bedurft!

Fazit: Meine Empfehlung, lesen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung