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Veröffentlicht am 18.03.2021

Ein poetisches memoir

Die Kinder hören Pink Floyd
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Wenn ein Autor, der zahlreiche Interviews mit den größten Rockmusikern unserer Zeit geführt hat, sich an seine Kindheit erinnert, entsteht daraus ein Roman, der Erinnerungen weckt. „Die Kinder hören Pink ...

Wenn ein Autor, der zahlreiche Interviews mit den größten Rockmusikern unserer Zeit geführt hat, sich an seine Kindheit erinnert, entsteht daraus ein Roman, der Erinnerungen weckt. „Die Kinder hören Pink Floyd“ im rheinländischen Büderich, zumindest „der Junge“ und seine Schwester, die in ihm die Leidenschaft für diese englische Prog Rock Band geweckt hat, für die beiden der Inbegriff von Rebellion, vom Verlassen der ausgetretenen Pfade der Erwachsenen, bei denen der gruselige Heino läuft. Die Musik ist ein Ventil, um dem miefigen Alltag zu vergessen, lässt hoffen. Auch wenn er die Texte nicht versteht, sich auf die Erklärungen seiner schwerkranken Schwester verlässt, ist da diese Ahnung, dass es da draußen mehr geben muss als den akkurat gepflegten Vorgarten und die neue Einbauküche. Pink Floyd verspricht Veränderung, Freiheit.

Indem er einen Ausschnitt aus seiner eigenen Kindheit beschreibt, nimmt Gorkow aber auch uns mit zurück in die Vergangenheit. Zumindest diejenigen, die damals in einem ähnlichen Alter waren und sich für die Musik begeistert haben, die aus dem englischsprachigen Ausland zu uns kam. Und während ich diese Besprechung geschrieben habe, lief im Hintergrund die "Dark Side of the Moon" LP...

Es ist ein liebevoller Blick zurück, ein poetisches Memoir, als die Welt noch vibrierte, in Ordnung war, die Einteilung in Gut und Böse, Richtig und Falsch noch funktioniert hat, sich aber bereits die ersten Risse gezeigt haben. Das muss zwangsläufig zu dem Epilog führen, in dem zumindest ein Held der Kindheit entzaubert wird. Roger Waters, der mit seinen umstrittenen Äußerungen heute genau den Konservatismus verkörpert, gegen den die Band angesungen hat.

Veröffentlicht am 17.03.2021

Ein bodenständiges Kochbuch für die Alltagsküche

What the Hack!
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„What the Hack!“, ein kreativer Titel für ein Kochbuch, hinter dem sich, wie der Untertitel verrät, eine Zusammenstellung der „50 besten Hackfleisch-Rezepte aus aller Welt“ verbirgt. Eine höchst willkommene ...

„What the Hack!“, ein kreativer Titel für ein Kochbuch, hinter dem sich, wie der Untertitel verrät, eine Zusammenstellung der „50 besten Hackfleisch-Rezepte aus aller Welt“ verbirgt. Eine höchst willkommene Auflistung, die die Möglichkeiten dieses Alleskönners auslotet und dessen Vielseitigkeit zeigt, denn neben Bolo, Burger und Hackbraten gibt es unzählige Möglichkeiten der Zubereitung. Diese reicht von den klassischen Gerichten der deutschen Küche bis hin zu Spezialitäten aus aller Welt, die wir aus dem Urlaub kennen.

Margit Proebst hat die Rezepte in fünf Kategorien aufgeteilt und startet mit den „Klassikern“ wie Frikadellen, Kohlrouladen und Maultaschen, die wohl jede/r kennt. Internationaler wird es bei den „Aufläufen“. Hier gibt es neben dem englischen Shepard’s Pie, dem griechischen Pastitsio sowie dem rumänischen Varza a la Cluj einiges zu entdecken, das üblicherweise nicht zu den Standardgerichten gehört. Es folgen „Strudel, Pizza und Co“ mit u.a. Börek, Piroschki, Lahmacun, „Burger, Meatballs und Co“ mit spanischen Albondigas, schwedischen Köttbullar und algerischen Boulettes. Den Abschluss bilden Rezepte „Aus aller Welt“, unter anderem aus Thailand, Japan und Indonesien, wobei nicht nur die übliche Schwein/Rind Mischung sondern auch Geflügel-Hack verarbeitet wird.

Sämtliche Rezepte sind gelingsicher, die Zutaten überall erhältlich, die Zubereitung mit Zeitangaben im Detail beschrieben und mit den entsprechenden Fotos versehen, die einen Eindruck des zu erwartenden Endergebnisses vermitteln. Insbesondere habe ich mich über die Gerichte aus dem osteuropäischen Raum gefreut, die durch die Konzentration auf die mediterrane Küche in den Kochbüchern kaum noch erwähnt werden, aber hier für eine höchst willkommene Abwechslung auf dem Teller sorgen.

Alles in allem ein bodenständiges, empfehlenswertes Kochbuch für die Alltagsküche.

Veröffentlicht am 15.03.2021

Brooklyn Blues

Der heilige King Kong
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September 1969, New York, im Süden Brooklyns, die Sozialwohnungen des Causeway Housing Projects. Cuffy Lambkin, der allseits beliebten Diakon der Five Ends Baptist Church, richtet vor aller Augen die Pistole ...

September 1969, New York, im Süden Brooklyns, die Sozialwohnungen des Causeway Housing Projects. Cuffy Lambkin, der allseits beliebten Diakon der Five Ends Baptist Church, richtet vor aller Augen die Pistole auf einen jungen Drogendealer und drückt ab. Glücklicherweise tötet er ihn nicht, sondern schießt ihm „nur“ ein Ohr ab. Die Tatzeugen sind sowohl schockiert als auch verwundert, kann sich doch niemand erklären, was ihn zu dieser Tat getrieben hat. Vielleicht war es ja der Alkohol, der ihm die Sinne vernebelt hat, denn seit dem Tod seiner Frau ist er neben der Spur, spricht mit ihr, möchte wissen, wo sie die Weihnachtskollekte deponiert hat. Geld, das die Ärmsten seiner Schäfchen bitter nötig hätten. Alles kreist um den Mordversuch und seine Folgen, nicht nur für den Diakon sondern auch für seine Gemeinde, die sich schützend vor ihn stellt. Die gutgemeinten Ratschläge ignoriert er, verstecken will er sich nicht. Keiner weicht zurück, selbst dann nicht, als die Drogenmafia auf Rache sinnt.

McBride zeichnet das Bild einer gewachsenen, lebendigen Gemeinschaft. Man ist füreinander da, kümmert sich umeinander, hilft, auch in schwierigen Situationen. Er beschreibt das so lebendig und farbenfroh, dass man ihm auch den Rückgriff auf das eine oder andere Klischee verzeiht. Auftragskiller Earl beispielsweise, oder der seines Jobs überdrüssige Mafioso, der sich nach Liebe sehnt und aussteigen möchte.

Jede dieser Figuren hat ihre eigene, oft auch tragische Geschichte, die uns der Autor mit großer Empathie und viel Liebe zum Detail erzählt. Er erzählt von Liebe und Verlust, von Ausbeutung und Ungerechtigkeit, von Sieg und Niederlage. Davon, wie die Welt für diese Menschen in Brooklyn funktioniert, wo Drogen die neue Sklaverei sind. Wo sich das uralte Spiel wiederholt, das zwangsläufig damit endet, dass ein Diakon auf einen Dealer schießt.

Veröffentlicht am 13.03.2021

Die Welt gegen die Vereinigten Staaten

Der Fall des Präsidenten
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Es beginnt mit einem Paukenschlag: Douglas Turner, republikanischer Ex-Präsident der USA, wird in Griechenland verhaftet. Man beschuldigt ihn, für Kriegsverbrechen in Afghanistan verantwortlich zu sein. ...

Es beginnt mit einem Paukenschlag: Douglas Turner, republikanischer Ex-Präsident der USA, wird in Griechenland verhaftet. Man beschuldigt ihn, für Kriegsverbrechen in Afghanistan verantwortlich zu sein. Ihm droht ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof ICC. Auf diese Anschuldigungen reagiert er, wie wir es kennen und erwarten: selbstherrlich, aggressiv und laut pöbelnd. Jetzt kann nur noch der amtierende Präsident helfen. Die Maschinerie läuft an. Zuerst muss dafür gesorgt werden, dass die Medien keinen Wind von der Verhaftung bekommen, dann wird mit Sanktionen gedroht, zumal die USA keine Veranlassung sehen, sich mit den Anschuldigungen des ICC auseinanderzusetzen, haben sie diesen doch nie anerkannt. Aber zu spät, ein Video ist bereits im Umlauf und schlägt international hohe Wellen.

Wie bereits in Blackout, Gier etc. kreiert Elsberg auch in diesem Roman ein Szenario, das realistischer nicht sein könnte. Die Vereinigten Staaten, die sich über das Gesetz stellen und alle Register ziehen, um die Auslieferung des Ex-Präsidenten in die Niederlande zu verhindern. Kurssturz an der Börse und eine Weltwirtschaft, die auf den Abgrund zusteuert. Falschmeldungen, mit denen die sozialen Netzwerke geflutet werden. Chaotische Zustände. Mittendrin die Anklägerin, eine junge Juristin, unterstützt von einem griechischen Kollegen, die gegen ein Heer amerikanischer Anwälte kämpft und um das Leben ihres einzigen Zeugen fürchtet. Könnte man sich durchaus so vorstellen. Bleibt die Frage, ob die USA damit durchkommen.

Internationales Recht ist jetzt nicht unbedingt das spannendste Thema, aber der Autor schafft es, durch verschiedene ineinanderlaufende Handlungsstränge, das Interesse des Lesers auf konstant hohem Niveau zu halten. Und er ruft uns einmal mehr die Kriegsverbrechen Amerikas in Erinnerung, die selbst so hoch angesehene Ex-Präsidenten wie Obama mit seinen Drohnen an der Zivilbevölkerung nicht nur in Afghanistan begangen haben.

Wie ich es von Marc Elsberg erwartet habe, liefert er mit diesem Politthriller eine ebenso spannende wie interessante Lektüre ab, die meinen Eindruck von dieser rücksichtslosen Weltmacht einmal mehr untermauert.

Veröffentlicht am 12.03.2021

Eine berührende Liebeserklärung

Eine Formalie in Kiew
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Acht Jahre war Dmitrij Kapitelman alt, als er Mitte der neunziger Jahre mit seiner Familie als Kontingentflüchtling aus der Ukraine in Deutschland ankam. Mittlerweile ist er 34 und denkt, dass es an der ...

Acht Jahre war Dmitrij Kapitelman alt, als er Mitte der neunziger Jahre mit seiner Familie als Kontingentflüchtling aus der Ukraine in Deutschland ankam. Mittlerweile ist er 34 und denkt, dass es an der Zeit ist, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Gedacht, getan, die benötigten Dokumente hat er beisammen. Aber er hat nicht mit der deutschen Bürokratie gerechnet, die zusätzlich noch eine Apostille braucht, sprich ein Beglaubigungsdokument, das deren Echtheit bestätigt. Mir fiel dazu sofort der Songtext von Reinhard Meys „Ein Antrag auf Erteilung eines Antragformulars ein“. Und diese Apostille gibt es nur in seiner Geburtsstadt. Also macht er sich auf nach Kiew, versehen mit den guten Ratschlägen seiner Eltern.

Diese Reise in die Vergangenheit ist bittersüß. Es sind nicht nur die Erinnerungen, die er mit der Realität abgleicht, sondern auch das, was ihm über die Ukraine vermittelt wurde. Und gleichzeitig wird ihm immer mehr die Kluft bewusst, die sich zwischen ihm, dem „Demokratiedeutschen“ und seinen Eltern aufgetan hat.

Die Eltern, die eigentlich nie wirklich in Deutschland angekommen sind, noch immer in diesem Niemandsland zwischen alter und neuer Heimat hängengeblieben sind, ihre Identität und sich selbst verloren haben. Die Mutter, die kein Interesse mehr an dem hat, was um sie herum geschieht und deren Lebensinhalt mittlerweile nur noch die unzähligen sibirischen Katzen sind, mit denen sie sich umgibt. Der Vater, dem seine einstige Fröhlichkeit und Aufgeschlossenheit abhanden gekommen ist und der sich mehr und mehr in sich selbst zurückzieht, in ein Land, zu dem nur er Zugang hat.

Auch wenn Kapitelman ein guter Beobachter ist, mit Wortwitz und Ironie die Absurditäten der ukrainischen Gegenwart analysiert, so liegt doch über all dieser Unbeschwertheit eine tiefe Traurigkeit. Und so wird aus dieser Suche nach den Wurzeln eine berührende, nie kitschige Liebeserklärung an seine Eltern, denn jetzt versteht er.