Alex ist eine junge Fotografin, die mit ihren sexuell expliziten Arbeiten das neue enfant terrible der internationalen Kunstszene ist. Die femme fatale steht indes ziemlich unter Druck: Für die Biennale soll sie aufregende Kunstwerke auf Knopfdruck liefern. Sie hofft, in Rom Inspiration zu finden. Auch ihr Vater war ein berühmter Fotokünstler, daher hat die Heldin immense Versagensängste, außerdem schwebt eine Krankheit wie ein Damoklesschwert über ihr, in manisch - depressiver Weise oszilliert sie zwischen Lebenslust und Todessehnsucht. Tom ist ein ausgebrannter Mann, der in der Werbebranche arbeitet. Seine Arbeit ödet ihn nur noch an und er trauert seiner einzigen Liebe hinterher. Sex, drugs, Models langweilen ihn . "Neunundreißigneunzig" von Beigbeder lässt sehr stark grüßen: Dies wird in der Werbung für den Roman allerdings angekündigt, sodass man nicht wirklich von einem Plagiat sprechen kann, nur neu ist das Ganze eben nicht.
Für einen Auftrag muss auch Tom, der einen leichten psychischen Knacks hat und unter Visionen leidet, in die Ewige Stadt. Dort verfällt er Alex Mondo, und er verliebt sich sogar in sie. Eine (einseitige) amour fou ?
Stilistisch haben wir es mit alternierenden Perspektiven zu tun, "sie" sagt, "er" sagt- dieses Stilmittel hängt mir mittlerweile leider zum Hals heraus, weil es so inflationär gebraucht wird.
Ich war aber überrascht über den anfänglichen geistreichen Tiefgang der Alex-Passagen, alles so bildhaft beschrieben und auch klug. Die Mutter-Beziehung, der Vaterkomplex, dass die Protagonistin einer alten Dame im Heim vorlas, rührte mich. Das Leben einer Kosmopolitin, ein toller Einblick für mich. Die Tom - Passagen haben mich sehr an Beigbeders "39,90" erinnert, und insgesamt fand ich , dass der Sex der Geschichte diente, also keine Geschichte um das Hauptthema Sex "herum" geschrieben wurde.
Skandalös fand ich die Sexszenen nicht. Sex ist auch nicht das Hauptcharakteristikum des Romans, alle, die eine Art Hausfrauenporno erwarten, werden sicher enttäuscht sein und ich bin froh, dass das Buch eigentlich mehr zu bieten hat. Nach einem fantastischen Beginn konnte das hohe Niveau aber leider nicht gehalten werden, die Passagen aus Toms Sicht nervten, und der Roman wurde zunehmend profaner und gewöhnlicher. Beide Protagonisten haben einen Vaterkomplex, Tom erinnert immer mehr an das Klischee eines Marketingmenschen , vor allem die Episode mit den Models, Alex' Geschichte erinnert auch sehr an die Lebensgeschichte von Terry Richardson, leicht verfremdet.
Terrys Vater Bob war selbst ein berühmter Fotograf, bei beiden ist das Sex-Element Teil ihrer "Kunst"- ich zitiere mal aufschlussreiche Passagen aus einem Artikel:
"[...] Often a session would wind up with sex, a famous 1960s fashion photographer named Bob Richardson later recalled of his shoots. A handsome man with a mane of hair, Richardson came out of nowhere and blew up the field. A lot of editors found him impossible to work with, but he introduced a dark, dreamy realism into a genre then characterized by cold perfection, and the photographers Bruce Weber, Peter Lindbergh, and Steven Meisel have all cited his influence. For Italian Vogue, he shot Anjelica Huston with a bathing lover styled as a Nazi. His most famous editorial work, a 16-page spread for French Vogue in 1967, featured the actress Donna Mitchell on a Greek island, crying. Accompanying him on that two-week shoot in the Aegean were his wife, a former Copacabana dancer named Norma Kessler who worked as his stylist, and their infant son, Terry.Two years later, Bob had left Norma and Terry for 17-year-old Huston, with whom he remained for three years before descending into schizophrenia and homelessness.[ ...] "
Quelle:
[...]
Die international wirkenden Elemente aus Alex' story könnten der Vita der Autorin entnommen sein, alles scheint mir eine weniger gelungene Mixtur zu sein.
Toms Verzweiflung wird leider nicht mit schriftstellerischen Mitteln transportiert und ich spürte sie beim Lesen nicht..
Das Stilmittel "Drei Dinge über" fand ich schrecklich konventionell und gewöhnlich!
Terry Richardson wird im Text sogar einmal genannt.
Vielleicht will "Lieben lassen" bewusst eine Hommage, ein Patchworkroman oder gar eine Persiflage sein; aber das Ganze flacht schnell ab, überrascht nicht, auch nicht das Küchenlatein, sodaß ich sagen muß, dass eigentlich nichts im Roman steht, das ich nicht schon woanders gelesen hätte. Außerdem wäre die Erzählung ohne Toms Erzählstimme besser geraten. Der Beginn war fantastisch, der Rest leider vorhersehbar und ausgelutscht.