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Veröffentlicht am 25.03.2017

Verbannung und Deportation

Suleika öffnet die Augen
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1930 Tatarstan. Die junge Suleika hat einen wohlhabenden älteren Bauern geheiratet, ist für ihn und seine Mutter allerdings nur eine billige Arbeitskraft und hat ein recht hartes Leben auf dem familieneigenen ...

1930 Tatarstan. Die junge Suleika hat einen wohlhabenden älteren Bauern geheiratet, ist für ihn und seine Mutter allerdings nur eine billige Arbeitskraft und hat ein recht hartes Leben auf dem familieneigenen Hof. Ihr Ehemann Murtasa ist der örtlichen stalinistischen Politik ein Dorn im Auge, denn er widersetzt sich jeglichen Befehlen, wird sein Hof doch enteignet. Bei seinem Widerstand wird Murtasa vor Suleikas Augen erschossen und sie selbst mit vielen anderen Leidensgenossinnen und –genossen in die Taiga nach Sibirien deportiert. Während der Deportation entdeckt sie, dass sie ein Kind erwartet und muss sich nun in einer fremden Umgebung mitten im Nirgendwo ein neues Leben aufbauen für sich und das Kind. Doch sie ist nicht allein, andere Frauen mit ähnlichem Schicksal stehen vor der gleichen Situation. Unfreiwillig zusammengewürfelt müssen sie sich der Lage stellen und gründen sie eine Kolonie. Suleika, die bisher immer fremdbestimmt war, lernt nun, obwohl noch immer nicht frei, doch auch eigene Entscheidungen zu treffen.

Gusel Jachina hat mit ihrem Buch „Suleika öffnet die Augen“ einen beeindruckenden Debütroman vorgelegt, der sich hauptsächlich mit der Thematik der Enteignung und Deportation in der ehemaligen UDSSR beschäftigt und dem Schicksal, das die Menschen, die nicht regimekonform waren, erleiden mussten, mit diesem Roman eine Bühne gegeben. Der Schreibstil ist flüssig und sehr bildhaft, schnell zieht er den Leser in den Bann und lässt ihn an den Vorkommnissen der damaligen Zeit teilhaben. Dabei schildert die Autorin sehr anschaulich das harte Leben und die Gewalt ebenso wie die Folgen der Verbannung, kann sie doch aus dem Nähkästchen plaudern, da ihre eigenen Vorfahren diese noch Zeit erlebt haben.

Die Charaktere sind sehr schön ausgearbeitet und passend in Szene gesetzt. Sie wirken sehr kraftvoll, lebendig und authentisch. Suleika ist noch eine junge Frau, die allerdings schon so einiges im Leben ertragen musste. Ihr Ehemann behandelt sie lieblos und für ihre Schwiegermutter ist sie nur eine billige Arbeitskraft. Durch den gewaltsamen Tod ihres Ehemannes erfährt ihr Leben eine Wende, die Deportation nach Sibirien ist erneut fremdbestimmt, diesmal nicht durch die angeheiratete Familie, sondern durch Menschen, die sie gar nicht kennt. Jedoch ist Suleika diesmal ganz allein auf sich gestellt und hat die Möglichkeit, auch für sich und ihr Leben eigene Entscheidungen zu treffen. Dr. Wolf Karlowitsch ist ein Mann, der erst einmal nur für sich bleibt und das Geschehen beobachtet. Doch je länger er zusieht, umso mehr rumort es in ihm. Es dauert eine Weile, doch dann muss auch er erkennen, dass er sich einbringen muss in die Gesellschaft, damit sie funktioniert. Kommandant Ignatow ist zwar Kommunist mit Leib und Seele, der sich keinem Befehl widersetzt, doch ist er in erster Linie ein Mensch mit Empathie und Mitgefühl für seine Mitmenschen. Er versucht, sie zu unterstützen und zu helfen. Die Entwicklung der Charaktere in ihrer jeweiligen Lebenssituation ist während der Geschichte wunderbar zu beobachten. Auch die anderen Protagonisten bewirken mit ihren Episoden eine Verdichtung der Erzählatmosphäre.

„Suleika öffnet die Augen“ ist ein sehr berührender historischer Roman über die vergangene Geschichte der ehemaligen UDSSR. Der Leser erhält Einblicke in die Thematik der Deportation und Enteignung aus den Erfahrungen der Autorin und ihrer eigenen Familie. Wer sich für diese geschichtlichen Hintergründe und eine gut erzählte Handlung interessiert, ist hier absolut gut aufgehoben. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 18.03.2017

Brombeermarmeladenherz

Das Brombeerzimmer
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Seit 10 Jahren sind Nora und Julian schon ein glückliches Paar. Sie genießen besonders die Sonntage zu zweit, gestalten ihr Leben mit Liebe und viel gemeinsamer Zeit. Nora kocht leidenschaftlich gern Marmelade ...

Seit 10 Jahren sind Nora und Julian schon ein glückliches Paar. Sie genießen besonders die Sonntage zu zweit, gestalten ihr Leben mit Liebe und viel gemeinsamer Zeit. Nora kocht leidenschaftlich gern Marmelade und widmet ihrem Ehemann jeden Monat eine eigens komponierte neue Geschmacksrichtung. Und ausgerechnet an einem Sonntag schlägt dann das Schicksal erbarmungslos zu: beim Joggen stirbt Julian an einer unentdeckten Entzündung des Herzens und plötzlich ist Nora mit Ende Zwanzig Witwe. Ihr Leben liegt in Trümmern vor ihr, denn mit Julian sind die Freude und das Glück verschwunden. Eines Tages findet sie einen Brief an Julian von seiner Großtante Klara Kummerow, die ihm darin ein Rezept für eine besondere Brombeermarmelade verrät. Nora möchte die ältere Dame kennenlernen und reist zu Klara nach Vorpommern, wo sie sich sofort wohl und geborgen fühlt, was wohl auch an Klara und ihrer liebevollen Art liegt. Die beiden freunden sich schnell an, eint sie doch die Vorliebe für Marmeladen, aus der eine gemeinsame Idee entsteht. Gleichzeitig birgt Klaras Haus auch einige Geheimnisse, und Klara selbst ist wohl das Größte davon. Wird Nora es lüften können und vor allem, wird es ihr Leben verändern?

Anna Töpfer hat mit ihrem Buch „Das Brombeerzimmer“ einen wunderschönen und gefühlvollen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig, dabei den Situationen entsprechend melancholisch und doch so lebendig, bildhaft und hoffnungsvoll. Der Leser taucht mit den ersten Seiten ein in Noras Welt und verwächst mit ihr, versinkt mit ihr in ihrem Kummer, ihrer tiefen und schmerzhaften Trauer und steigt mit ihr zusammen langsam wie Phönix aus der Asche auf, um das Leben wieder zu feiern, sich den schönen Dingen des Alltags zu widmen, um die Menschen wieder an sich heran zu lassen, Freundschaft und Nähe zu suchen und zu genießen. Die Art und Weise, wie die Autorin über das Thema der Trauerbewältigung in ihrer verschiedenartigen Form schreibt, ist ein sehr emotionaler Punkt, der hier auf sehr liebvolle und schöne Weise ausgearbeitet wurde.

Die Charaktere wurden sehr liebevoll ausgestaltet und agieren so lebendig und authentisch, dass der Leser das Gefühl hat, den einen oder anderen persönlich zu kennen. Schnell fühlt man sich inmitten dieser bunten Schar von Protagonisten pudelwohl und möchte am liebsten persönlich mit ihnen diskutieren und etwas erleben. Nora ist eine sehr sympathische Frau, die vom Schicksal so hart gebeutelt, erst einmal wie in einer Glocke lebt und wie ferngesteuert ihren Alltag irgendwie durchstehen will. Sie fühlt sich nicht mehr wie ein Ganzes, sondern nur noch wie die Hälfte und hat jeden „Gleichgewichtssinn“ verloren. Es bedarf einiger guter Freunde, die sie in ihrer Trauer stützen und ihr Halt geben. Es macht richtig Freude, ihre Entwicklung innerhalb der Handlung zu beobachten und zu sehen, wie sie wieder Spaß an den kleinen Dingen des Lebens findet. Noras Freundin Katharina ist ihr eine wirkliche Hilfe in der Not, sympathisch, praktisch und immer da. Klara wirkt zu Beginn wie eine bockige und starrsinnige alte Dame, doch sie hat das Herz am rechten Fleck und teilt mit Nora die Passion des Marmeladenkochens. Doch die noch recht rüstige 70gerin hat auch ein Geheimnis, das es zu ergründen gilt. Die eingestreuten Erinnerungen mit den Aussagen des verstorbenen Ehemanns Julian geben auch ein sehr schönes Bild von ihm und der gemeinsamen Beziehung mit Nora ab, so dass der Leser ihn sich gut vorstellen kann. Auch die anderen Charaktere sind so wunderbar platziert und mit Eigenschaften versehen, die die Handlung unterstützen und zum Teil sogar mit Spannung anreichern.

Natürlich müssen auch noch die ganzen Rezepte der Köstlichkeiten erwähnt werden, die hier während der Handlung immer wieder auftauchen und dem Leser den Mund wässrig machen. Hier gibt es eine Warnung für alle, die Süßkram lieben: schon das Lesen könnte zur Gewichtszunahme beitragen. Ständiges Lesen über diese wunderschönen Spezialitäten lässt einen kaum an etwas anderes denken.

„Das Brombeerzimmer“ ist ein sehr gefühlvoller Roman über ein Familiengeheimnis, aber noch mehr über die Trauer und wie man sie übersteht, über alte Freunde und neue Bekanntschaften, die vielleicht enge Freunde werden können, über Hoffnungen und Träume und ein glückliches Leben. Absolutes Lesehighlight und eine Empfehlung für alle, die Romane lieben, die einen mitten ins Herz treffen!

Veröffentlicht am 18.03.2017

Geheimnisvolle Erbschaft

Das Erbe von Carreg Cottage
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7. Jh. Lileas ist die Tochter eines berühmten Druiden und hat selbst die Gabe, in die Zukunft zu sehen. Als sie beunruhigende Zeichen sieht und ihren Vater warnt, hört er ihr leider nicht zu und wird kurze ...

7. Jh. Lileas ist die Tochter eines berühmten Druiden und hat selbst die Gabe, in die Zukunft zu sehen. Als sie beunruhigende Zeichen sieht und ihren Vater warnt, hört er ihr leider nicht zu und wird kurze Zeit später getötet. Auch ihre Mutter und ihre Geschwister kommen bei einem feigen Anschlag ums Leben. Nun muss Lileas sich allein in der Welt durchschlagen, doch da sie um die Heilkunst der Pflanzen weiß, kann sie sich mit ihrem Wissen ein Leben aufbauen. Durch Zufall lernt sie den jungen Mönch Cadeyrn kennen, der aber so gar nicht wie ein Mönch wirkt. Er wurde auf der Flucht verletzt und Lileas pflegt ihn wieder gesund, bevor er ins Kloster zurückkehrt. Doch zwischen den beiden ist ein Band entstanden. Auch Cadeyrn ist auf der Flucht vor einem Mörder ebenso wie Lileas. Werden beide ihren Jägern auf Dauer entkommen?

21. Jh. Lilian Gray ist Mitte Dreißig und besitzt nichts mehr außer ihrem Auto und ihrem Hund Fizz. Sie musste ihr Café in Schottland schließen und weiß nicht so recht, wie es weiter gehen soll. Da erreicht sie ein Brief von einer Anwaltskanzlei, in dem ihr mitgeteilt wird, dass sie die Erbin eines alten Cottages in Wales ist, das ihr von einem anonymen Gönner vermacht wurde. Da sie nichts mehr zu verlieren hat und die Neugier siegt, macht sich Lili mit ihren wenigen Besitztümern auf den Weg, um das Erbe anzutreten. Beim ersten Blick schon verliebt sich Lilian in das alte Haus auf den Klippen mit dem großen Garten und der Aussicht auf die Klosterinsel Bardsey, das immer schon als Pilgerrasthaus für Besucher offen stand. Um das Cottage wieder zu öffnen, muss es erst einmal renoviert werden und Lilian unternimmt alles, damit das Haus wieder in altem Glanz erstrahlt. Doch jemand ist davon gar nicht begeistert und versucht, Lilian Angst einzujagen und ihre Renovierungsarbeiten zu torpedieren. Wer will Lilian aus dem Weg haben?

Constanze Wilken hat mit ihrem Buch „Das Erbe von Carreg Cottage“ einen zauberhaften und spannenden Roman um alte Familiengeheimnisse und die Glaubensunterschiede des Landes vorgelegt, der über zwei Handlungsstränge und vor der rauhen, wunderschönen Kulisse von Wales die Vergangenheit mit der Gegenwart auf wunderbare Art miteinander verbindet. Der Schreibstil ist flüssig und sehr bildhaft; schon mit den ersten Zeilen taucht der Leser in die Handlung ein und lässt sich als unsichtbarer Schatten durch die Geschichte treiben, mal an der Seite von Lileas in längst vergangener Zeit, mal neben Lilian im Hier und Jetzt, um sie bei ihren Erlebnissen, Gedanken und Tun zu beobachten. Der Spannungsbogen wird bereits im Prolog aufgebaut, dessen Rätsel einen durch die gesamte Geschichte hindurch ständig begleitet, und steigert sich im Verlauf der Handlung immer weiter bis zum großen Finale. Erst ganz am Schluss fallen alle Puzzleteile an ihren Platz und bescheren dem Leser ein befriedigendes Gefühl, eine tolle Geschichte begleitet zu haben. Die Landschaftsbeschreibungen sind so lebhaft und bildgewaltig, es ist nicht zu übersehen, dass die Autorin ihr Herz an die wunderschöne Küste von Wales verloren und sich von deren mystischer Atmosphäre hat einfangen lassen. Beim Lesen hat man regelrecht die Insel Bardsey, die tosenden Wellen des Meeres und die dortige Natur vor Augen, die mal einladend und mal beängstigend wirkt.

Die Charaktere wurden sehr liebevoll ausgestaltet und wirken authentisch und sehr lebendig. Die Autorin beweist hier besonderes Geschick, denn bei einigen der Protagonisten ist man sich nicht sicher, ob er der Fraktion Gut oder Böse angehört, dies kristallisiert sich erst immer recht spät heraus, was die Spannung und die Spekulationen um die Geheimnisse noch mehr anheizt. Lileas/Meara ist eine sehr sympathische und hilfsbereite Frau, die schon in jungen Jahren viel einstecken musste. Sie gehört noch dem alten Glauben an und kennt sich gut in der Heilkunst aus, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestreiten kann. Aber ihr schlägt auch viel Misstrauen und Argwohn entgegen. Doch sie ist selbstsicher und mutig, stellt sich den Dingen und ihren Mitmenschen und kämpft für ihre Überzeugungen. Cadeyrn ist ein junger Mann, der zu seinem Schutz von seinem Vater in ein Kloster gesteckt wurde, dessen Glauben aber nicht nur Gott gehört und der mit seinen Ansichten immer wieder aneckt und sich nur schwer unterordnen kann. Lilian ist eine unsichere Frau, immer auf der Flucht, mit ihren eigenen Vorhaben immer wieder gescheitert. Sie hat außer ihren Großeltern keine Familie mehr, allerdings ist das Verhältnis angespannt, zu viele Dinge liegen im Argen. Lilian ist forsch, durchaus sympathisch, aber mit ihrem Misstrauen steht sie sich oft selbst im Weg. Marcus ist ein sehr netter Mann und talentierter Handwerker. Er ist offen, ehrlich und hilfsbereit, dabei hat auch er seine Päckchen zu tragen. Die Entwicklung der einzelnen Charaktere ist während der Geschichte wunderschön zu beobachten. Auch die vielen anderen sehr eindrucksvollen Protagonisten tragen ihren Teil zur Handlung bei, um dauerhaft die Spannung zu halten und den Leser mehr als einmal mit ihrem Tun zu verwirren.

„Das Erbe von Carreg Cottage“ ist ein wunderschöner und fesselnder Romanmix aus historischer Zeitreise mit parallel laufendem gegenwärtigem Handlungsstrang über ein Familiengeheimnis. Auch die Liebe kommt hier nicht zu kurz. Liebhaber dieses Genres werden schon in den ersten Seiten gebannt schmökern und sich von dieser tollen Geschichte einfangen lassen. Absolute Leseempfehlung für einen Pageturner der Extraklasse!

Veröffentlicht am 12.03.2017

Aller Anfang ist schwer (Ovid)

Ein geschenkter Anfang
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Das Ehepaar Lou und Jo lebt auf einer kleinen bretonischen Insel. Als seine Frau Lou stirbt, bricht für Jo seine Welt zusammen. Lou war für ihn alles, seine Geliebte, seine Freundin und seine Seelenverwandte, ...

Das Ehepaar Lou und Jo lebt auf einer kleinen bretonischen Insel. Als seine Frau Lou stirbt, bricht für Jo seine Welt zusammen. Lou war für ihn alles, seine Geliebte, seine Freundin und seine Seelenverwandte, die beiden waren sich selbst genug. Doch Lou hat noch einen Auftrag für Jo, er soll dafür sorgen, dass seine Kinder glücklich sind. Eine Aufgabe, die Jo fast unmöglich erscheint, denn sein Sohn Cyrian sowie Tochter Sarah sind bereits erwachsene Menschen und ob sie die Hilfe ihres Vaters annehmen werden, ist fraglich, denn das Verhältnis zu ihnen ist eher gespalten, sie haben sich gefühlsmäßig in den letzten Jahren voneinander entfernt. Cyrian und seine Frau haben sich auseinander gelebt und denken an Trennung. Darunter leidet vor allem ihre kleine Tochter Pomme, die sich nichts sehnlicher wünscht, als das ihr Vater sie liebt. Sarah ist krank und lebt für sich, da sie keine Beziehung mehr möchte. Sie wurde oft genug enttäuscht und will sich diesen Schmerz ersparen. Vater Jo hat also keine leichte Aufgabe, seinen Kindern das Glück zurückzubringen, zumal er selbst durch den Tod von Lou unter Schuldgefühlen und der Trauer leidet. Wird es ihm gelingen, das sie sich alle wieder annähern?

Lorraine Fouchet hat mit ihrem Buch „Ein geschenkter Anfang“ einen sehr berührenden und emotionalen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig und poetisch gefühlvoll, dabei aber auch von Trauer durchsetzt und mit düsteren Nuancen. Die Landschaftsbeschreibungen sind sehr schön in die Handlung eingewoben, so dass man die raue Insel und das Meer vor dem inneren Auge regelrecht sehen kann. Dem Leser wird durch verschiedene Perspektivwechsel in der Erzählung jedes einzelne Schicksal der Familienangehörigen sehr nahe gebracht und fühlt sich selbst davon angesprochen und betroffen. Sehr detailliert breitet die Autorin das Familienleben aus und präsentiert dem Leser die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander und innerhalb ihres eigenen Umfelds. Dabei versteht sie es sehr gut, sämtliche Emotionen durch kleine Gesten und wenige Worte so gut zu vermitteln, dass man als Leser ebenso leidet, mitfühlt, den Kopf schüttelt und die Protagonisten auch mal anschreien oder schütteln will, weil sie sich selbst und anderen im Weg stehen.

Die Charaktere sind wunderbar ausgestaltet und in Szene gesetzt worden. Ihr Gefühle und Gedanken sowie ihr Umfeld sind jederzeit so präsent, so dass der Leser das Gefühl bekommt, dabei zu sein. Die verstorbene Lou war das Herz der Familie, die sich um alles gekümmert hat und das gemeinsame Bindeglied für alle Mitglieder war. Mit ihrem Tod scheint alles auseinanderzubrechen. Jo hat in Lou die Liebe seines Lebens gefunden, aber er hat auch Schuld auf sich geladen, weil er in seinen eigenen Augen versagt hat. Und mit dieser Schuld kann er nicht umgehen, kann sich selbst nicht verzeihen und weiß nicht, wie er jemals wieder froh wird. Cyrian kann seinen Vater nicht ausstehen, weil er ihn für einen Betrüger hält. Er will gar nicht mit ihm reden. Gleichzeitig hat er in seiner eigenen Ehe Probleme und bemerkt gar nicht, wie seine kleine Tochter Pomme sich nach seiner Liebe und Anerkennung sehnt. Sarah ist krank und wird mehr und mehr zur Außenseiterin, aber sie selbst tut auch nichts dagegen, dies zu ändern, sondern schottet sich immer mehr ab, um bloß nicht verletzt zu werden. Und dann die kleine Pomme, die sich fehl am Platz und unerwünscht vorkommt. Dabei ist sie eine mutige kleine Person, die über sich hinauswächst, und all das tut sie immer in dem Gedanken, dass ihr Vater sie dann vielleicht bemerkt. Auch die anderen Protagonisten sind sehr schön auf die Handlung zugeschnitten und erfüllen mit ihren kleinen Episoden den Zweck, die Geschichte zu stärken und zu stützen.

„Ein neuer Anfang“ ist ein sehr berührendes und feinsinniges Buch über die Familie und die Macht der Liebe, über das Verzeihen und Loslassen, über das Vergangene und die Zukunft. Ein Roman, der noch lange nachklingt, ist es doch eine Geschichte, die Tag für Tag überall auf der Welt in etwas abgewandelter Form vorkommt. Absolute Leseempfehlung für eine echte Entdeckung,!

Veröffentlicht am 11.03.2017

Abenteuerliches Madagaskar

Im Schatten des Flammenbaums
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1926 Paris/Madagaskar. Die Pariserin Louise Bernard lebt wie ihre Eltern in Paris und arbeitet als Kfz-Mechanikerin bei Citroën. Unter all ihren männlichen Kollegen fällt sie auf wie eine Exotin und muss ...

1926 Paris/Madagaskar. Die Pariserin Louise Bernard lebt wie ihre Eltern in Paris und arbeitet als Kfz-Mechanikerin bei Citroën. Unter all ihren männlichen Kollegen fällt sie auf wie eine Exotin und muss sich dementsprechend durchsetzen. Nicht mal eine eigene Umkleidekabine kann sie aufsuchen. Ihr Zwillingsbruder Adrian hat Frankreich vor einiger Zeit verlassen, um in Madagaskar eine Tierauffangstation zu leiten. Nur spärlich und mit langer Wartezeit kommen die Briefe von ihm mit Neuigkeiten. Eines Tages erhält Louise die Nachricht, dass Adrian die Einheimische Rana geheiratet hat und gleichzeitig spendet der Chef ihrer Werkstatt ein Automobil für die dortige Missionsstation. Das Fahrzeug muss allerdings überführt werden – klar, dass Louise die Abenteuerlust packt und auch ihren Bruder wiedersehen will, deshalb meldet sie sich freiwillig für diese Reise. Ihr Fürsprecher ist ihr Kollege Fabrice, der sie auf dieses Abenteuer begleiten wird, um den Wagen sicher zu übergeben. Kaum sind sie in Madagaskar angekommen und Louise hat sich endlich in die Arme ihres Bruders werfen können, da geschieht ein Doppelmord auf der Auffangstation. Louise steht auf allein unbekannten Mächten gegenüber und muss sich gleichzeitig in einer fremden Kultur in einem fremden Land behaupten. Wird sie sich Respekt verschaffen und auf Unterstützung hoffen können?

Anna Levin hat mit ihrem Buch „Im Schatten des Flammenbaums“ einen sehr unterhaltsamen und spannenden historischen Roman vor der exotischen Kulisse Madagaskars vorgelegt. Der Schreibstil ist bildgewaltig und so lebendig, dass der Leser sich nahezu von jetzt auf gleich als Schatten der Protagonisten auf Zeitreise und einem abenteuerlichen Trip vom mondänen Paris in unbekannte Gefilde begibt. Die Landschaftsbeschreibungen und auch Tierwelt wird so lebhaft beschrieben, dass man alles regelrecht vor dem inneren Auge sehen kann. Die Schilderungen über die Tierauffangstation sind sehr interessant zu lesen, wo verletzte Tiere behutsame Pflege durch Ärzte und Mitarbeiter erfahren und man versucht, diese nach ihrer Genesung wieder in die Natur zu entlassen, damit sie weiterhin unter ihren Artgenossen in Freiheit leben können. Die Spendenfinanzierung gestaltet sich schwierig, denn solche Stationen sind meist von privaten Geldern abhängig und müssen mit den wenigen Mitteln gut haushalten. Die Autorin versteht es zudem, sehr interessante Details über den Aberglauben der Bevölkerung in ihre Handlung einzustreuen und den Glauben an Fady und Talismänner zu verdeutlichen.

Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und haben alle ihre speziellen Eigenheiten, so dass der Leser nicht immer sicher sein kann, wer gut und wer böse ist. Louise ist eine junge Frau, die schon recht emanzipiert wirkt, arbeitet sie doch in einem Männerberuf zu einer Zeit, als dies fast noch undenkbar war. Sie ist recht impulsiv, trägt ihr Herz aber auf dem rechten Fleck. Louise ist hilfsbereit und handwerklich begabt, allerdings wirkt sie oftmals auch sehr misstrauisch und manche ihrer Reaktionen sind sehr naiv, was allerdings ihrem Alter und ihrer Unerfahrenheit in fremder Umgebung anzulasten ist. Adrian ist ein netter Mann, der sich liebevoll um seine Frau Rana und um die Auffangstation kümmert. Allerdings hat er ein Geheimnis, dass er zu verbergen sucht, auch vor seiner Schwester. Fabrice ist ein Kollege von Louise, der von eher ruhigerer und besonnener Natur ist, doch immer hilfsbereit und als Mann in der Not zu unterstützen weiß. Oliver ist ein ortsansässiger Franzose, der auf Madagaskar Reisegruppen führt. Er wirkt zu Beginn recht arrogant und von sich eingenommen, hat aber ein Gespür für Menschen und ihre Bedürfnisse und ist oft der rettende Anker in der Not. Jipa ist der Vater von Rana und arbeitet auf der Station, er ist ein liebevoller Mann, der seine Aufgaben sehr ernst nimmt und sich seinem Stamm sehr verbunden fühlt. Auch die anderen Protagonisten stützen die Handlung mit ihren kleinen Geschichten und erhöhen die Spannung, bis dem Leser endlich die Auflösung präsentiert wird. Besonders zu erwähnen sei noch das kleine Katta-Mädchen, dass sich schnell in die Herzen der Leser schleichen wird.

„Im Schatten des Flammenbaums“ ist ein sehr fesselnder und unterhaltsamer historischer Roman vor exotischer Kulisse, der allen Lesern dieses Genres sehr gefallen dürfte. Hier kann man abtauchen in eine fremde Welt und ein richtiges (Kopf-)Abenteuer erleben – und ein bisschen Liebe ist auch dabei! Absolute Leseempfehlung!