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Veröffentlicht am 19.03.2017

Ira, Lew und Fido

Länger als sonst ist nicht für immer
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Umschlaggestaltung:


Das Cover ist richtig toll und lädt zum Lesen ein.


Zum Inhalt:

"Sommer 1976. In Ostberlin kommt der 9-jährige Lew in eine neue Familie, nachdem seine Eltern Republikflucht begingen. ...

Umschlaggestaltung:


Das Cover ist richtig toll und lädt zum Lesen ein.


Zum Inhalt:

"Sommer 1976. In Ostberlin kommt der 9-jährige Lew in eine neue Familie, nachdem seine Eltern Republikflucht begingen. In einer schwäbischen Kleinstadt wird ein Mädchen namens Ira geboren und muss lernen, dass es von der Mutter nicht geliebt wird und dem Vater nicht zu nahe kommen darf. In einem Dorf in Jugoslawien begibt sich der 4-jährige Fido mit seinem Großvater auf die Reise nach Deutschland und wird nie mehr in die Heimat zurückkehren. Lew, Ira und Fido - zu unterschiedlichen Zeiten begegnen sie einander, lieben und verlieren sich wieder, können nicht finden, wonach sie sich sehnen: einen Ort, an dem sie zu Hause sind. Erst als fast 30 Jahre nach jenem Sommer Iras Vater im Sterben liegt und Lew überraschend eine Nachricht aus Indien erhält, öffnet sich ein Weg in die Vergangenheit, der ein Ankommen 'für immer' noch möglich macht."


[ kleine Anmerkung: Ich denke, "Republikflucht" müsste man in Anführungszeichen setzen, da es kein wertfreier Begriff ist. ]


Mein Leseeindruck:

Besonders gut gefiel mir die Einbindung großer Themen der deutschen Zeitgeschichte. "Zwanzig Jahre vergingen, und die Zeiten änderten
sich, brachten Arbeitslosigkeit in die Städte und Anwerber in die Dörfer." Viele Menschen wissen heute nicht, dass es in den 60ern Anwerbeagenturen -und Anwerber gab, die die "Gastarbeiter" holten. Dass diese nicht aus purer Langeweile kamen,sondern dass es durchaus auch ein Interesse der dt Witschaft und auch der südl.Länder (Devisen etc) gab.
Pia Ziefles Roman ist nicht nur lesenswert, sondern in gewisser Weise auch lehrreich. Die Arbeitsmigration in die BRD, das Unrechtsregime in der DDR, die Irrwege der 68'er Bewegung ( -In den 60/70er Jahren gab es in den westl. Gesellschaften viele Experimente, die traditionelle Familie wurde als 'altmodisch' diffamiert. Kinderladen, Kommunen... ) dies sind die 'Eckdaten' des Buches.
Fidos und Lews Lebensgeschichten fand ich sehr interessant. Die Figur Evi hat keine Vorurteile und nimmt Opa Tadija und dessen Enkel Fido, ein Gastarbeiterkind auf; eine "einfache" Frau mit großen Herzen, die etwas einsam ist und nicht uneigennützig handelt.
Schön, dass alle diakritischen Zeichen im Text richtig gesetzt wurden. Tadija hatte Heimweh nach den Feldern seiner Heimat, des Kombinats, in dem er tätig war. Milena schämte sich evtl. für ihre Herkunft, wollte eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigng, was wohl am leichtesten qua Heirat ging . Es war ihr Status an den Arbeitsplatz gekoppelt, wurde nur jährlich verlängert, wenn überhaupt, im Rahmen der Ölkrise gab es auch sog. "Rückkehrprämien".


Nicht so gut gefallen hat mir, dass im Text damit gearbeitet wurde, Dinge, die zwischen den Zeilen stehen, die der aufmerksame Leser eh "erliest", explizit zu benennen, etwa Evis Eifersucht und ein wenig Eigennutz in Sachen Fido. Man darf dem Leser auch ein wenig "nicht Mundgerechtes" zumuten, imho...
Lews Geschichte ist stark und wird sich im Verlauf der story als stärkster und bester (am besten ausgearbeitete) Strang entpuppen.

Zeitsprung:

Iras Vater Cornelius liegt im Sterben. Ihr böhmischer Opa scheint ein autoritärer Despot gewesen zu sein, Fido der beste Kinderfreund. Iras Mutter Jutta & Cornelius sind 68er, ausländerfeindliche Möchtegernlinksintellektuelle, Jutta ist eine verblendete, egozentrische Kinderschlägerin, Cornelius devot. Ira entwickelt eine Zwangsstörung, findet Trost und Wärme bei Tadija, Fido , Evi. Es entsteht eine Ersatzfamilie.

Lews Geschichte ist weiterhin stark, die Eltern sind nur scheinbar in den Westen geflohen, die Kinder bleiben zurück und sollen vom Staat auf Linie gebracht werden, werden Pioniere.

Iras Vater schien pädophile Neigungen zu haben und nutzte die emotionale Bedürftigkeit seiner Tochter aus... ich musste an die kruden, bekloppten Thesen Cohn-Bendits denken. Später tat er sich auch noch leid und beklagte man habe ihn "hart behandelt".
Hier gibt es wohl eine Kritik im Text an den 68ern, die Vielen als unfehlbar galten und gelten, was ich an sich gut finde, nur habe ich das bei Jasmin Ramadan und Michel Houellebecq pointierter und treffender gelesen. In "Kapitalismus und Hautkrankheiten" ist ein Vater altlinker Professor und pädophil, in "Elementarteilchen" Bruno und Michel Produkte völlig egozentrischer Eltern (Mutter auf Selbstfindungstrip und sexuell exhibitionistisch den Kindern ggüber).

Der Ira - Strang ist mir zu 'dick aufgetragen', beide Eltern wirken fast wie Karikaturen, da hätte dramaturgisch Jutta schon gereicht...
Das mit der Freien Schule lässt an die Odenwaldschule denken...

Der Lew - Strang gefiel mir weiterhin am besten. Lew und Ira hatten mal was miteinander...
Lew und Manuel kamen zu Parteibonzen, Lew sollte zum Schwimmstar werden, Lew suchte seinen Vater in Indien...

Cornelius' Todeskampf, Styx, Mythologie, Erinnerungen, abstossend seine Erinnerungen.
Fido ist rastlos, ein Suchender. Schade, dass die Figur so flach bleibt; Fido mit den 'schwarzen Locken', 'blauen Augen', Iras große Liebe. Weiterhin finde ich den Lew -Strang am Besten, die neuen Eltern sind voll auf Linie, der Chauffeur indes jemand, in dem Lew einen Freund findet.

Im Verlauf der Geschichte hätte ich mir eine detailliertere Figurenzeichnung gewünscht, mehr Tiefgang. Ich denke, dass die Form das Problem ist, denn das Buch ist relativ kurz, die Konflikte zu schnell aufgelöst und die 3 Handlungsstränge m.E. zu wenig kryptisch, ich hätte mir mehr Wendungen gewünscht, an sich wäre jeder Strang auch ein eigenes Buch wert.

Mir gefiel die Lew - story am besten. Er ist Johns Vater & kann sich durch die Aufarbeitung seiner Vergangenheit seiner Rolle dann doch stellen.
Dass Ira Fido belogen hat, fand ich nicht so toll, und wieso Fido nie mehr nach Serbien fuhr, konnte ich nicht nachvollziehen. Toll, dass er aber nach Norddeutschland wollte.
Die Figuren, ausser Lew,blieben mir insgesamt zu blass, die Komposition zu vordergründig und zu wenig kryptisch; andererseits auch sicher gut für manche Leser, von der Autorin so an die Hand genommen zu werden. Sprachlich und stilistisch fand ich es solide. Das offene Ende passte gut, aber mir war die story zu konzise, ich hätte mir mehr Entfaltung gewünscht, denn ich habe das Gefühl, dass die Autorin ihr Potential nicht zu 100 Prozent ausgeschöpft hat. Toll fand ich aber das code - switching und die schwäbischen Einsprengsel.

Der Roman ist gekennzeichnet durch Zeitsprünge, stream of consciousness und eine nicht lineare Erzählweise, was ich per se klasse finde.

"Länger als sonst ist nicht für immer" fand ich vom Aufbau her aber leider etwas unausgewogen, da es eigentlich um drei Lebensgeschichten gehen sollte; die drei Erzählstränge sind für mein Empfinden jedoch unterschiedlich gut ausgearbeitet, sodaß mir der Roman nicht ganz 'rund' erschien.



Fazit:



"Länger als sonst ist nicht für immer" blieb leider hinter meinen Erwartungen zurück.

Pia Ziefles Erstling "Suna" steht aber schon auf meiner Wunschliste!

Veröffentlicht am 19.03.2017

Vampire in den Goldenen Zwanzigern

Moonshine - Stadt der Dunkelheit
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Johnsons Roman wirkt manchmal wie ein Exzerpt zum Seminarthema " Die Goldenen Zwanziger". Alles wird angeschnitten: Prohibition, die Frauenbewegung, die Bürgerbewegung, Jazz, Einwanderer, Armut.
Jedoch ...

Johnsons Roman wirkt manchmal wie ein Exzerpt zum Seminarthema " Die Goldenen Zwanziger". Alles wird angeschnitten: Prohibition, die Frauenbewegung, die Bürgerbewegung, Jazz, Einwanderer, Armut.
Jedoch wird ersichtlich, dass sich die Autorin wirklich Gedanken gemacht hat & versucht hat, ein Buch zu verfassen, welches nicht seicht und klischeebelanden ist. Die Idee, die "Roaring (!) Twenties" als Hintergrund zu wählen, ist wirklich kreativ. Auch die Figuren sind an sich erfrischend - da ist Zephyr, eine Provinzpomeranze, die in NY als Vampirrechtlerin arbeitet, obschon ihr "Daddy" (der Ausdruck nervte, konnte man ihn nicht übersetzen?) Vampirjäger ist. Die getöteten Vampire zerplatzen, dies fand ich unstimmig.
Es gibt auch Amir, einen Dschinn, und an sich wären alle Zutaten für einen originellen Roman da. Ausserdem gibt es den bösen Vampirboss Rinaldo ( AL Capone, hallo!). Aber der Roman las sich irgendwie sehr zäh. Johnson neigt zu Satzungetümen und "packt" sehr viele Infos in wenig Raum. Mit Zephyr wurde ich nicht warm. Trotzdem gebe ich Sterne für Johnsons Originalität.

Veröffentlicht am 18.03.2017

Ungenutztes Potential

Nachts kommt die Angst
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Mit einem Wort: ausbaufähig.

Optik: Die optische Aufmachung ist klasse. Die Farbgebung, der Schriftzug. Das Cover ist richtig gruselig.

Verlagsinfo:
"Das Haus des Schreckens In einem kleinen Dorf in ...

Mit einem Wort: ausbaufähig.

Optik: Die optische Aufmachung ist klasse. Die Farbgebung, der Schriftzug. Das Cover ist richtig gruselig.

Verlagsinfo:
"Das Haus des Schreckens In einem kleinen Dorf in der Uckermark hofft die Malerin Alexandra wieder zur Ruhe zu kommen. Doch das Haus, das sie gemietet hat, gilt bei den Dorfbewohnern als Spukhaus. Alexandra meint, Schritte auf dem Dachboden zu hören – dann erfährt sie, dass ihre Vormieterin spurlos verschwunden ist und unlängst fünf Frauen in der Gegend getötet worden sind. Sie freundet sich mit Harris, dem Dorfpolizisten, an, der sie offensichtlich verfolgt. Ob er sich in sie verliebt hat oder sie einfach nur beschützen will, findet Alexandra nicht heraus. Als Theresia, die schöne Kellnerin aus der Dorfkneipe, tot aufgefunden wird, glaubt Alexandra, die Atmosphäre in ihrem Haus kaum noch ertragen zu können. Sie bekommt Warnungen, ihre Sachen zu packen. Will sie jemand in den Wahnsinn treiben? Aber warum? Ein packender Psychothriller voller überraschender Wendungen."

Meine Meinung:

Das Buch hält leider nicht, was die Verlagsinfo verspricht.

An und für sich ist der Roman gar nicht mal so schlecht, man kann ihn flott lesen. Der Anfang ist vielversprechend und spannend. Die Figuren durchlaufen im Verlauf der Geschichte aber leider keine Entwicklung und bleiben eher "Typen" . Ich hätte mir eine tiefergehende Charakterisierung gewünscht. Was den Spannungsverlauf anbelangt, so beginnt die Geschichte sehr spannend. Im Mittelteil flacht sie dann ab, um gegen Ende nochmals mächtig anzuziehen. Manches erschien mir während der Lektüre nicht nachvollziehbar, und ein paar Handlungsfäden wurden am Ende nicht zusammengeführt. Einiges erscheint viel zu konstruiert zu sein.
Die Auflösung überrascht einigermassen, obwohl es in der story Hinweise gab. Gleichwohl war mir die Auflösung aber auch ein wenig zu simpel. Eine buchstäblich kranke Person & Persönlichkeit, deus ex machina ?
Viele Ideen an sich sind nicht schlecht, aber es wird auch Potential verschenkt.

Dass ich viele Handlungselemente als unlogisch empfand, mag vielleicht auch daran liegen, dass die story nicht aus der Ich - Perspektive erzählt wurde. Denn die schliessliche Auflösung wäre mit einem "unreliable narrator" oder dem Stilmittel des unzuverlässigen Erzählens vielleicht viel stimmiger erschienen. Gute Ansätze sind aber auf jeden Fall da. Es hapert aber ein wenig an der Umsetzung.
Die Suspenseelemente sind merkwürdigerweise nicht so richtig bei mir angekommen, die Spannung lässt vor allem in der Mitte zu wünschen übrig.

Von einem Thriller erwarte ich in dieser Hinsicht mehr, dies ist aber nur meine persönliche Meinung.
Manche Elemente erschienen mir auch im Gesamtkontext unlogisch, was aber auch - wie erwähnt - daran liegen mag, dass nicht die Ich-Perspektive zum Erzählen gewählt wurde.

Fazit: Nicht schlecht, aber ausbaufähig.

Da ist noch Luft nach oben! Viele gute Ansätze wurden leider nicht vertieft, viel Potential wurde leider verschenkt.
Der Roman hat jedoch ein interessantes setting zu bieten - die ostdeutsche "Provinz", und man kann ihn sehr flott lesen. Obwohl die Spannung teils nachlässt, gibt es keine grossen Längen in der Erzählung.
Die optische Gestaltung macht das Buch zum Hingucker im Regal.

Veröffentlicht am 18.03.2017

Ziemlich bester Kitsch

Ein ganzes halbes Jahr
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Das Positive zuerst: Den Roman hatte ich in weniger als 1 Woche ausgelesen, man kann ihn flugs 'runterlesen.

Die Optik des Buches ist auch OK.

ABER: Jojo Moyes Roman konnte mich leider nicht begeistern. ...


Das Positive zuerst: Den Roman hatte ich in weniger als 1 Woche ausgelesen, man kann ihn flugs 'runterlesen.

Die Optik des Buches ist auch OK.

ABER: Jojo Moyes Roman konnte mich leider nicht begeistern. Meines Erachtens ist ihr Roman sehr stark vom frz. Filmhit "Intouchables" inspiriert.

Ich habe das Buch gelesen und den Film gesehen. Wie Driss/Abdel ist Lou aus sozial schwachen Verhältnissen, wie Phillippe Pozzo di Borgho ist Will ein Upper -Class -Sprössling, der bereits in jungen Jahren Karriere gemacht hat, eine Firma leitet, wie Phillippe ist Will sportbegeistert, kultiviert, er ist garstig zu Lou wie Phillippe es zu Driss ist... das müssten schon sehr viele Zufälle sein . Es ist das Gleiche in grün, imho. Natürlich entwickelt sich das Ganze dann anders, aber erst im letzten Drittel des Buches. Aber das "Grundgerüst" ist mehr als ähnlich - mangelnde Originalitaet. Wirklich innovativ wäre es gewesen,mal einen Roman über einen nicht so reichen Tetraplegiker zu schreiben, der sich vllt noch mit der Finanzierung, Pflegedienst, Pflegestufe herumschlagen muss, zusätzlich zu den gesundheitlichen Problemen.
Auch finde ich es von der Autorin stilistisch unelegant, explizit auf "Pygmalion" bzw "My Fair Lady" zu verweisen; es ist sowieso ersichtlich und in diesem Sinne fast ein Pleonasmus.

Die Figuren sind auch nicht gut ausgearbeitet - Lous Familie ist das wandelnde working-class-Klischee (nebst ungewollter Schwangerschaft Katrinas), Wills Familie ein upper class -Klischee.

Auch fand ich Lous Entwicklung nicht glaubhaft. Sie verhält sich unverantwortlich, als sie einmal 2 Tage lang nicht den Kathether wechselt. Überhaupt dieser Strang - Will erklärt der Frau die Welt und sie wird durch ihn ein anderer Mensch...ihr Missbrauch ist nach ein paar weisen Worten Wills sogleich verarbeitet... das ist alles so flach.

Lou zieht sich nicht flippig an, weil sie es mag, sondern um das Interesse von Männern nicht zu erregen und weil sie denkt, etwas Farbe in ihr Kleinstadtleben zu bringen. Ihr Freund ist ein tumber Sportler (hint: Gegenentwurf).

Als dann endlich die angekündigte Liebesgeschichte beginnt, ist es schlimmster Kitsch. Sorry. Man fliegt nach Mauritius und überhaupt ist alles ein Traum in weiss und blau.
Ich dachte - was soll das sein, "Salz auf unserer Haut" ?
Aber es kommt, wie es kommen muss.... und Lou wird zur Kunststudentin, die mit Stipendium (natürlich) und Erbschaft in Paris sitzt.

Es hat mich sehr verwundert und auch gestört, dass die Autorin so sehr in Richtung pro Sterbehilfe argumentiert, als wolle sie ein Tabu brechen, das keines mehr ist. Immer wieder beschwört sie die Ausweglosigkeit von Wills Situation, alle Probleme.

Mir war das zu einseitig und vieles fand ich sehr oberflächlich dargestellt.

Fazit: Don't believe the hype. Mich konnte der Roman leider nicht überzeugen.

Veröffentlicht am 18.03.2017

Phantastischer Anfang, fader Rest

Lieben lassen
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Alex ist eine junge Fotografin, die mit ihren sexuell expliziten Arbeiten das neue enfant terrible der internationalen Kunstszene ist. Die femme fatale steht indes ziemlich unter Druck: Für die Biennale ...

Alex ist eine junge Fotografin, die mit ihren sexuell expliziten Arbeiten das neue enfant terrible der internationalen Kunstszene ist. Die femme fatale steht indes ziemlich unter Druck: Für die Biennale soll sie aufregende Kunstwerke auf Knopfdruck liefern. Sie hofft, in Rom Inspiration zu finden. Auch ihr Vater war ein berühmter Fotokünstler, daher hat die Heldin immense Versagensängste, außerdem schwebt eine Krankheit wie ein Damoklesschwert über ihr, in manisch - depressiver Weise oszilliert sie zwischen Lebenslust und Todessehnsucht. Tom ist ein ausgebrannter Mann, der in der Werbebranche arbeitet. Seine Arbeit ödet ihn nur noch an und er trauert seiner einzigen Liebe hinterher. Sex, drugs, Models langweilen ihn . "Neunundreißigneunzig" von Beigbeder lässt sehr stark grüßen: Dies wird in der Werbung für den Roman allerdings angekündigt, sodass man nicht wirklich von einem Plagiat sprechen kann, nur neu ist das Ganze eben nicht.
Für einen Auftrag muss auch Tom, der einen leichten psychischen Knacks hat und unter Visionen leidet, in die Ewige Stadt. Dort verfällt er Alex Mondo, und er verliebt sich sogar in sie. Eine (einseitige) amour fou ?

Stilistisch haben wir es mit alternierenden Perspektiven zu tun, "sie" sagt, "er" sagt- dieses Stilmittel hängt mir mittlerweile leider zum Hals heraus, weil es so inflationär gebraucht wird.

Ich war aber überrascht über den anfänglichen geistreichen Tiefgang der Alex-Passagen, alles so bildhaft beschrieben und auch klug. Die Mutter-Beziehung, der Vaterkomplex, dass die Protagonistin einer alten Dame im Heim vorlas, rührte mich. Das Leben einer Kosmopolitin, ein toller Einblick für mich. Die Tom - Passagen haben mich sehr an Beigbeders "39,90" erinnert, und insgesamt fand ich , dass der Sex der Geschichte diente, also keine Geschichte um das Hauptthema Sex "herum" geschrieben wurde.
Skandalös fand ich die Sexszenen nicht. Sex ist auch nicht das Hauptcharakteristikum des Romans, alle, die eine Art Hausfrauenporno erwarten, werden sicher enttäuscht sein und ich bin froh, dass das Buch eigentlich mehr zu bieten hat. Nach einem fantastischen Beginn konnte das hohe Niveau aber leider nicht gehalten werden, die Passagen aus Toms Sicht nervten, und der Roman wurde zunehmend profaner und gewöhnlicher. Beide Protagonisten haben einen Vaterkomplex, Tom erinnert immer mehr an das Klischee eines Marketingmenschen , vor allem die Episode mit den Models, Alex' Geschichte erinnert auch sehr an die Lebensgeschichte von Terry Richardson, leicht verfremdet.

Terrys Vater Bob war selbst ein berühmter Fotograf, bei beiden ist das Sex-Element Teil ihrer "Kunst"- ich zitiere mal aufschlussreiche Passagen aus einem Artikel:

"[...] Often a session would wind up with sex, a famous 1960s fashion photographer named Bob Richardson later recalled of his shoots. A handsome man with a mane of hair, Richardson came out of nowhere and blew up the field. A lot of editors found him impossible to work with, but he introduced a dark, dreamy realism into a genre then characterized by cold perfection, and the photographers Bruce Weber, Peter Lindbergh, and Steven Meisel have all cited his influence. For Italian Vogue, he shot Anjelica Huston with a bathing lover styled as a Nazi. His most famous editorial work, a 16-page spread for French Vogue in 1967, featured the actress Donna Mitchell on a Greek island, crying. Accompanying him on that two-week shoot in the Aegean were his wife, a former Copacabana dancer named Norma Kessler who worked as his stylist, and their infant son, Terry.Two years later, Bob had left Norma and Terry for 17-year-old Huston, with whom he remained for three years before descending into schizophrenia and homelessness.[ ...] "
Quelle:
[...]

Die international wirkenden Elemente aus Alex' story könnten der Vita der Autorin entnommen sein, alles scheint mir eine weniger gelungene Mixtur zu sein.

Toms Verzweiflung wird leider nicht mit schriftstellerischen Mitteln transportiert und ich spürte sie beim Lesen nicht..
Das Stilmittel "Drei Dinge über" fand ich schrecklich konventionell und gewöhnlich!

Terry Richardson wird im Text sogar einmal genannt.

Vielleicht will "Lieben lassen" bewusst eine Hommage, ein Patchworkroman oder gar eine Persiflage sein; aber das Ganze flacht schnell ab, überrascht nicht, auch nicht das Küchenlatein, sodaß ich sagen muß, dass eigentlich nichts im Roman steht, das ich nicht schon woanders gelesen hätte. Außerdem wäre die Erzählung ohne Toms Erzählstimme besser geraten. Der Beginn war fantastisch, der Rest leider vorhersehbar und ausgelutscht.