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Veröffentlicht am 07.07.2021

Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau

Die Architektin von New York
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1883 wird die Brooklyn Bridge nach 13 Jahren Bauzeit endlich eröffnet, doch ohne Emily, die Frau des Chefingenieurs Washington Augustus Roebling, wäre sie vielleicht nicht so schnell fertig geworden. Die ...

1883 wird die Brooklyn Bridge nach 13 Jahren Bauzeit endlich eröffnet, doch ohne Emily, die Frau des Chefingenieurs Washington Augustus Roebling, wäre sie vielleicht nicht so schnell fertig geworden. Die Brücke war eines der ambitioniertesten Bauwerke ihrer Zeit, eine Kombination von Hänge- und Schrägseilbrücke, die nicht nur unter den einfachen Arbeitern, sondern auch auf höchster Ebene Opfer forderte. Eigentlich wollte Wash(ington)s Vater Johann die Brücke bauen, doch er starb schon früh nach einem Unfall auf der Baustelle. Sein Sohn Wash übernahm, baute selbst am ersten Fundament mit und erkrankte wie so viele an der Taucherkrankheit, die ihn jahrelang ans Bett fesselte. Emily spielte seine Botin bzw. Sekretärin, dabei war sie ihm längst ebenbürtig und eine vollwertige Vertretung – und die anderen Männer der Bridge Companie wussten das auch.

Petra Hucke erzählt in „Die Architektin von New York“ die Geschichte der Erbauung der Brooklyn Bridge und ihrer Erbauer.
Washs Vater stammte aus Deutschland und suchte in Amerika neue Herausforderungen, war ein echter Visionär. Er gründete eine deutsche Kolonie und war immer für andere da. Seine eigene Familie hingegen litt zeitlebens unter ihm. Emilys Familie lässt sich bis zu Wilhelm dem Eroberer zurückverfolgen und kam auf der Mayflower nach Amerika, hat als eine der 12 Familien den Mayflower-Vertrag unterzeichnet. Obwohl die beiden so verschiedene familiäre Hintergründe hatten, war es eine Liebesheirat und Washs Arbeit hat sie zumindest zu Beginn noch mehr zusammengeschweißt. Emilys Bruder, der ebenfalls Ingenieur war, hatte sie schon früh an diese Tätigkeit herangeführt und sie arbeitete gern – für eine Frau ihres Standes zu ihrer Zeit ein Unding, was ihr auch Verwandte und Freundinnen immer wieder vorwarfen. Aber sie hatte einen scharfen, logischen Verstand und großes technisches bzw. mathematisches Wissen und nutzte es gern. Emily konnte sehr gut rechnen, entdeckte Fehler oft noch vor Wash und steuerte eigene Ideen und Lösungsvorschläge bei. Doch sie muss auch immer wieder zurückstecken, wurde von den wenigsten Männern wirklich respektiert und angenommen. „… Sie wären ein erstklassiger Ingenieur. Wenn sie doch nur ein Mann wären …“ (S. 327)
Emily scheint eine kluge, zielstrebige, interessierte und moderne Frau gewesen zu sein, die sich weder durch fiese Spitzen anderer Frauen noch Stolpersteinen von Männern von ihrem Tun abbringen ließ. Sie ist in dem Bau der Brücke aufgegangen, hat sich selber verwirklichen können.

Der lockere und unterhaltsame Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Die Autorin hat sehr gut recherchiert und vermittelt viel Wissen und Historie. Ich bin immer noch fasziniert, mit wie wenigen technischen Hilfsmitteln die Brücke gebaut wurde, wenn man von unserer heutigen Technologie ausgeht. Doch mit dem Fortschreiten der Handlung verliert sich die Geschichte etwas in technischen und historischen Details und Emily und Wash mussten dahinter zurückstecken, spielten zum Teil nur noch eine Nebenrolle. Alles drehte sich um die Schwierigkeiten und Probleme beim Bau. Ich hätte nicht über jeden Skandal oder Bestechung lesen müssen oder wer gerade gegen wen wie intrigiert, sondern lieber mehr über Wash und Emilys tägliches Leben nach seiner Erkrankung und ihr Umgang damit.

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Veröffentlicht am 03.07.2021

Im Schatten des Bass Rock

Die Frauen
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Bedrohlich und düster thront der Bass Rock im Meer über North Berwick vor Küste Schottlands und genau so scheint auch das Leben der Frauen im Ort.

„Ich bin hier, weil Du mich hergebracht hast, damit ...

Bedrohlich und düster thront der Bass Rock im Meer über North Berwick vor Küste Schottlands und genau so scheint auch das Leben der Frauen im Ort.

„Ich bin hier, weil Du mich hergebracht hast, damit ich mich um deine Kinder kümmere, während du dich aufführst, als hättest du eigentlich gar keine Familie.“ (S. 215) Nach dem Krieg zieht Ruth Hamilton mit ihrem Mann Peter und den beiden Stiefsöhnen ans Meer. Die Jungs werden aufs Internat geschickt, damit man dort richtige Männer aus ihnen macht, und Peter fährt immer öfter nach London in seine Kanzlei. Ruth lebt allein in dem alten großen Haus, fühlt sich einsam und verlassen. Außerdem hat sie Angst vor dem Geist des kleinen Mädchens, der überall im Haus auftaucht. Doch ihre Mutter und auch ihr Mann machen ihr klar, dass sie froh und dankbar sein muss, als „alte Jungfer“ überhaupt noch einen Mann abbekommen zu haben. Man hat gewisse Erwartungen an sie. Sie soll still sein, duldsam, ja nicht aufmüpfig und ohne eine eigene Meinung, sich ein harmloses Hobby suchen und mit den anderen Frauen anfreunden, sich in die Gemeinschaft einfügen – so wie Peters erste Frau. Und schwanger sollte sie natürlich möglichst bald werden.

50 Jahre später soll sich Viv, eine Nachfahrin der Hamiltons, um den Verkauf des Hauses kümmern. Sie ist Single, depressiv und psychisch labil seit dem Tod ihres Vaters. Viv unterhält eine lose Beziehung zu einem Mann, den sie nicht mal mag – aber schließlich mag er ja sie und das ist schließlich die Hauptsache. Sie hat von klein auf gelernt zu machen, was Männer von ihr erwarten, ihnen zu geben, was ihnen ihrer Meinung nach „zusteht“, auch Sex, wenn sie es eigentlich nicht will – weil sie genauso erzogen wurde wie ihre Mutter und Großmütter und deren Wertvorstellungen und Ansichten übernommen hat ohne sie zu hinterfragen.

Dieses Buch lässt mich sehr zwiegespalten zurück und ich haben mehrfach überlegt, es abzubrechen. Eins vorweg, die Sprache ist phantastisch. Evie Wyld schreibt sehr fesselnd und kann die düstere, traurige, trostlose und deprimierende Stimmung und die Ängste der Frauen die ganze Zeit über heraufbeschwören. Auch der mystische Aspekt fügt sich gut in die Handlung ein. Sie klagt die jahrhundertelange Ausnutzung und Abhängigkeit von Frauen und Kindern an.
Aber, jetzt kommt eine Triggerwarnung, es geht auch um (sexuelle) Gewalt gegen Frauen und Kinder die mir extrem nahe gegangen ist. Davor wäre ich gern gewarnt oder zumindest darauf vorbereitet worden. Nicht nur innerhalb der Haupthandlung, sondern auch in völlig losgelösten Kapiteln werden Mädchen und Frau misshandelt, missbraucht, vergewaltigt und / oder umgebracht. Mir ist klar, dass die Autorin damit verdeutlichen will, wie vielseitig die (sexuelle) Gewalt gegen Frauen und Kinder aussehen kann, aber für mich war das auch ohne diese Einschübe klar, weil sie das in der eigentlichen Handlung bereits deutlich genug geschildert hat.

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Veröffentlicht am 16.05.2021

The Beauty of Claire

Wie Träume im Sommerwind
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„Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und verloren.“ (S. 257)
Vor Jahren ist Emilia nach Paris gegangen um Parfümeurin zu werden, doch inzwischen jobbt sie als Kellnerin in einer Bahnhofskneipe im Gard ...

„Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und verloren.“ (S. 257)
Vor Jahren ist Emilia nach Paris gegangen um Parfümeurin zu werden, doch inzwischen jobbt sie als Kellnerin in einer Bahnhofskneipe im Gard du Nord, wovon ihre Familie nichts weiß. Die ist nämlich sehr bodenständig und betreibt seit Generationen eine Rosenzucht in Zinnowitz auf der Insel Usedom. Emilias Schwester Clara ist das komplette Gegenteil von ihr. Für Clara war immer klar, dass sie Gärtnerin wird und den Familienbetrieb übernimmt. Die einzige Verrücktheit, die sie sich je geleistet hat, ist ihre Tochter Lizzy, die sie relativ jung bekommen und deren Vater sie nie verraten hat. Sie hat auch einen kleinen Sohn aus einer inzwischen leider geschiedenen Ehe und lebt und arbeitet mit ihren Eltern unter einem Dach.
Als Clara nach einem Autounfall im Koma liegt, kehrt Emilia nach Hause zurück und erfährt, dass Clara ausgerechnet sie im zum Vormund ihrer Kinder bestimmt hat. Und nicht nur das, sie muss außerdem feststellen, dass die Ehe ihrer Eltern kriselt und der Rosenhof kurz vor der Pleite steht. In den Unterlagen ihrer Schwester findet sie ein Flugticket nach Kent – Clara dort besondere Rosensorten kaufen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Hof halten zu können. Bei den Reiseunterlagen ist auch die 15 Jahre alte Fotografie der Rose „The Beauty of Claire“ („Claras Schönheit“) – wurde die Rose etwa nach ihr benannt? Emilias Neugier ist geweckt. Außerdem hofft sie, dass der betörende Duft der Rose Clara aus dem Koma weckt. Kurzentschlossen tritt sie an Claras Stelle die Reise zusammen mit ihrer Nichte Lizzy an. Und Claras bester Freund Josh, Emilias heimliche große Liebe, folgt ihr …

Katharina Herzog erzählt auf zwei Zeitebenen eine sehr gefühlvolle und romantische Geschichte, die zwar auch in Zinnowitz, vor allem aber in Kent in Sissinghurst Castle spielt. Clara hat nach ihrem Schulabschluss dort den Sommer verbracht und Emilia wiederholt diese Reise jetzt um zu ergründen, was Clara damals erlebt und was es mit der besonderen Rosenzüchtung auf sich hat – und lüftet das Geheimnis um Lizziys Vater.
Ich fand es sehr spannend, dass man dabei auch etwas über den Begründern von Sissinghurst Garden erfährt, das Ehepaar Harold Nicolson und Vita Sackville-West, und deren besondere Liebesbeziehung.

Obwohl Emilia zu Beginn des Buches sehr spröde und unangepasst rüberkommt, ist sie doch eine sehr liebevolle Tante und kümmert sich rührend um Claras traumatisierte Kinder. Eigentlich wollte sie immer aus der Enge der Insel ausbrechen, aber im Laufe der Reise sieht sie auch ihre eigene verfahrene Situation aus einem neuen Blickwinkel und findet endlich Alternativen für ihren Traum.

Die ersten beiden Drittel des Buches haben mich extrem berührt, aber im letzten Drittel benimmt Emilia sich plötzlich sehr impulsiv und verhält sich m.E. nicht wie eine Erwachsene. Auch der abrupte Konflikt mit Josh und dessen Auflösung war mir zu konstruiert – darum gibt es von mir leider nur 4 Sterne.

„Wie Träume im Sommerwind“ von Katharina Herzog ist eine sommerlich leichte Familien- und Liebesgeschichte für einen gemütlichen Nachmittag im Strandkorb oder auf dem Sofa, die Lust auf eine Reise durch englische Gärten und einen großen Rosenstrauß macht.

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Veröffentlicht am 24.03.2021

Verwirrender Spionagekrimi

Die Nachtigall singt nicht mehr
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Vor 5 Jahren hat Georg Borgmann den Journalisten Karl Wieners, seinen alten Schulfreund, nach München zurückgeholt und ihn für seine Zeitschrift „Blitzlicht“ angeworben. Inzwischen ist Karl ein erfolgreicher ...

Vor 5 Jahren hat Georg Borgmann den Journalisten Karl Wieners, seinen alten Schulfreund, nach München zurückgeholt und ihn für seine Zeitschrift „Blitzlicht“ angeworben. Inzwischen ist Karl ein erfolgreicher Schriftsteller, während Georgs Zeitung langsam den Bach runtergeht. In der Hoffnung, es würde die Auflage des Blattes steigern, soll Karl eine politische Enthüllungsgeschichte über Emigranten aus dem Ostblock schreiben und herausfinden, welche Rolle der ehemalige Schwarzmarktkönig Walter Blohm, jetzt ein erfolgreicher Bauunternehmer, dabei spielt. Als Fotografin soll Karl seine Nichte Magda wieder mit ins Boot holen. Aber die ist inzwischen Blohms Frau, würde sie wirklich ihren eigenen Mann bespitzeln?

Parallel wird Privatdetektiv Ludwig Gruber, ein ehemaliger Polizist und alter Freund von Karl, von einem Jungen engagiert der glaubt, dass sein älterer Bruder von dem Heimkehrer getötet wurde, der sich als sein Vater ausgibt, es aber nicht ist. „Ich will meinen Papa, meinen echten Papa! Können Sie ihn finden?“ (S. 125)

„Die Nachtigall singt nicht mehr“ ist nach „Die im Dunkeln sieht man nicht“ der zweite Teil der Trilogie um Karl, Magda und Ludwig. Seit ihren ersten gemeinsamen Ermittlungen hat sich die Lage in München deutlich verbessert. Doch jetzt wird die Angst vor dem Ostblock geschürt, vor dem nächsten Krieg. Immer mehr Emigranten kommen in den Westen und es ist klar, dass auch Spione darunter sein müssen. Einen offiziellen Geheimdienst gibt es noch nicht, aber es geht das Gerücht um, dass die Organisation Gehlen bald in einen solchen umgewandelt werden soll.
Vor diesem Hintergrund hat Andreas Götz seine Handlung angesiedelt. Karl und Magda bekommen den Tipp, sich den slowakischen Exilpolitiker Tomáš Čierny genauer anzusehen, der oft mit Blohm zu tun hat. Dabei lernen sie dessen Assistentin Agota kennen, die Karl und Magda gleichermaßen fasziniert.

Mir hat bei diesem Teil leider die Spannung gefehlt. Ich fand die politischen Hintergründe und Verwicklungen zum Teil sehr verwirrend und undurchschaubar, die Auflösung des Ganzen am Ende zu konfus und konstruiert, auch wenn das Milieu der (angeblichen) Spione und Emigranten sehr interessant war. Da die zwei parallelen Stränge um Karl und Ludwig augenscheinlich nichts miteinander zu tun haben, hat der dauernde Wechsel zwischen ihnen immer wieder meinen Lesefluss unterbrochen.
Für mich lebte die Handlung vor allem durch die vielschichtigen und oft undurchsichtigen Protagonisten mit ihren Ecken und Kanten. „Wir haben alle unsere Geheimnisse und müssen manchmal Dinge tun, die wir nicht tun wollen, damit sie auch geheim bleiben.“ (S. 24)
Ludwig trauert um seine Frau und muss seine beiden Söhne allein aufziehen. Er wird heftig von den ledigen Frauen in seiner Umgebung umgarnt und weiß gar nicht, wie er sich gegen die Avancen wehren soll. Außerdem hat er ein viel zu großes Herz mit seinen Klienten. „Normalerweise achte ich sehr auf Recht und Gesetz. … Aber in manchen Fällen steht das Recht gegen eine höhere Gerechtigkeit, und wenn die Sache so liegt, dann schlage ich mich auf die Seite der höheren Gerechtigkeit.“ (S. 30)
Karl hat seine Frau und die beiden Töchter im Krieg verloren und kann sie einfach nicht vergessen. Er hängt sehr an seiner Nichts Magda, mehr als für beide gut ist und als es deren Mann recht sein dürfte. Außerdem verheimlicht er ihr etwas Essentielles.
Magda liebt ihren Mann nicht, aber er bietet ihr ein sorgenfreies Leben und materielle Sicherheit. Das ist mehr, als sie sich je erträumt hat. Dafür arrangiert sie sich mit ihm und lässt ihn in dem Glauben, dass sie ihn ebenfalls liebt. Ihre wahren Gefühle vor ihm zu verbergen gleicht einem Drahtseilakt, sie fühlt sich oft beobachtet. „Sie kam sich vor wie eine Schauspielerin, die zu viele Rollen zugleich spielen musste und immer in der Angst lebte, irgendwann den falschen Text zu sagen, die falsche Regung zu zeigen.“ (S. 76)
Walter Blohm ist zwar ein erfolgreicher Bauunternehmer, scheint aber nebenher auch noch andere Geschäfte laufen zu haben, die er vor Magda und allen anderen verheimlicht. „Je weniger du weißt, desto besser für dich. … Wenn ich falle, sollst du nicht mit mir fallen. … Ihr dürft niemals Teil von dem sein, was mich angreifbar macht.“ (S. 57)
Besonders spannend fand ich Agota, die Blohm als Freundin für Magda ausgesucht hat, was diese ihr allerdings sofort sagt. Sie ist extrem wandelbar und geheimnisvoll.

Mein Fazit: Der Kriminalfall war zwar nicht meins, aber ich mochte die Ermittler und ihre explosiven Beziehungen untereinander sehr und werde auch den Abschluss der Trilogie lesen.

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Veröffentlicht am 12.03.2021

Mord mit Ansage

Der Fall Gloriosa
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Endlich ist Kommissar Mütze zu seinem Lebensgefährten Karl-Dieter gezogen und sie müssen nicht mehr pendeln. Erfurt hat ja auch viel zu bieten, u.a. den weltberühmten Erfurter Dom mit seiner „Gloriosa“, ...

Endlich ist Kommissar Mütze zu seinem Lebensgefährten Karl-Dieter gezogen und sie müssen nicht mehr pendeln. Erfurt hat ja auch viel zu bieten, u.a. den weltberühmten Erfurter Dom mit seiner „Gloriosa“, der größten und klangschönsten freischwingenden Glocke des Mittelalters. Doch ausgerechnet in dieser hängt am Ostersonntag kopfüber ein Toter. „Unsere Gloriosa wiegt locker zehn Tonnen, das hält auch der größte Thüringer Dickschädel nicht aus.“ (S. 8) Und während Mütze und sein neuer Kollege Thomas Stulpenpilz, genannt Braunkärsch, im Umfeld des ersten Toten ermitteln, gibt es am Ostermontag bereits den nächsten – dieser wurde in einer Kiste mit Puffbohnen erstickt. In der Nähe finden sie einen Zettel: „Dieses war der zweite Streich, doch der dritte folgt sogleich.“ (S. 86). Damit ist klar, obwohl die Toten augenscheinlich nicht miteinander zu tun hatten, verbindet sie etwas. Aber was und wer wird das dritte Opfer sein? Und hört der Täter danach auf oder hat er, wie Max und Moritz, sieben Streiche, also sieben Opfer, im Sinn? Mütze und Braunkärsch müssen sich beeilen …

Ich kenne Mütze und Karl-Dieter bereits aus dem „Fall Fontane“ und habe mitgefiebert, als das liebenswerte Pärchen jetzt in eine Beziehungskrise stürzt. Auch Mützes Kollege Braunkärsch hadert mit einem schlimmen Erlebnis in seiner Vergangenheit, über das der Leser lange im Unklaren bleibt. Leider bleibt dadurch die Spannung etwas auf der Strecke. Es gibt zwar gleich zu Beginn einen Toten und bald darauf den nächsten, auch die Todesarten sind sehr außergewöhnlich, doch dann zieht es sich, weil die Ermittlungen immer wieder vom Privat- und Beziehungsleben der Ermittler unterbrochen werden. Während Mütze und Karl-Dieter im „Fall Fontane“ noch herrlich unprätentiös waren, wurden hier zu viele Klischees bedient. Mir fehlte das Stringente des Vorgängers.

Johannes Wilkes setzt auch im „Fall Gloriosa“ sehr auf die Vermittlung des Lebensgefühls in Erfurt, inkl. der Stadt- und Glockengeschichte. Dazu erfährt der interessierte Leser noch alles über das berühmte Erfurter Blau, das aus Waid gewonnen wird. Ergänzt wird das Buch durch Schillers „Lied von der Glocke“, „Wanderers Nachtlied“ von Goethe und Karl-Dieters Lieblingsrezepte.
Außerdem wird jedes Kapitel von der Glocke selbst beendet, indem sie ihre Erinnerungen und aktuelle Geschehnisse erzählt. Meiner Meinung nach ist das Buch etwas für Erfurt- und Literaturliebhaber, mir sind die 242 Seiten diesmal zum Teil etwas lang geworden. 3,5 Sterne.

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