Magie, Mystik und düstere Spannung statt Pferde-Idylle - ein etwas anderes Pferdebuch
Nordstern – Der Ruf der freien Pferde„Sprich nicht über die Unsichtbaren. Und vor allem verärgere sie nicht! Wenn wir uns gut mit ihnen stellen, lassen sie uns in Ruhe. Wenn man es sich mit ihnen verscherzt, hören die Hühner auf Eier zu legen, ...
„Sprich nicht über die Unsichtbaren. Und vor allem verärgere sie nicht! Wenn wir uns gut mit ihnen stellen, lassen sie uns in Ruhe. Wenn man es sich mit ihnen verscherzt, hören die Hühner auf Eier zu legen, sie können Flüsse vergiften und dafür sorgen, dass die Fische wegbleiben. Also hüte dich!“
Erla wandert 1949 mit ihrer Mutter nach Island aus. Doch leider dürfen die beiden nicht auf dem gleichen Hof wohnen. Erlas neue Dienstherren, eine Bauernfamilie, behandeln das vierzehnjährige Mädchen alles andere als freundlich. Erla muss besonders hart arbeiten, sie darf nicht einmal Kontakt zu ihrer Mutter halten. Bei den Pferden findet das Mädchen ein wenig Trost und Geborgenheit, die Schimmelstute Drifa ist Erlas einzige Freundin. Dann lernt Erla Flóki und seine Schwester kennen. Doch mit dem Jungen und seiner Familie stimmt etwas nicht, sie sind „Verborgene“. Nur Erla kann sie sehen, für die anderen sind sie nicht wahrzunehmen. Die Einheimischen fürchten das unsichtbare Volk. Dass Erla eine Verbindung zu ihnen hat, sorgt für großes Misstrauen.
Karin Müller schreibt einfach und gut verständlich aus Erlas Sicht. Am Ende eines jeden Kapitels werden kurze Szenen bei den „Verborgenen“ geschildert. Am Anfang verwirrte das ein wenig, doch im Laufe der Handlung wurde die Rolle der Verborgenen ein wenig klarer und besser einzuschätzen.
Ich würde „Nordstern - der Ruf der Freien Pferde“ Leserinnen ab zwölf Jahren empfehlen.
Erla hat es schwer. Sie sieht und spür so manches, was andere nicht sehen und spüren können. Das sorgte schon in Deutschland für Probleme. In Island möchte ihre Mutter mit Erla ein neues Leben anfangen, doch das neue Leben ist kein Zuckerschlecken, wie sie ihrer Mutter schreibt: „Und Sommer in Island, das habe ich inzwischen schon begriffen, bedeutet arbeiten, bis man umfällt, denn Abend wird es ja nicht.“ Erla erträgt alles, arbeitet hart, lässt sich nicht unterkriegen. In ihrer wenigen freien Zeit zeichnet sie und das mit großem Talent. Als sie auf die Verborgenen trifft, ist Erla fasziniert von dem unsichtbaren Volk. Doch sie gehört weder zu den Einheimischen noch zur „anderen Dimension“, sie führt ein Leben dazwischen. Mit Erla fieberte ich mit, auch wenn sie aufgrund ihrer speziellen Gabe mir immer etwas fremd blieb. Die Figuren aus dem unsichtbaren Volk ließen sich ebenso sehr schwer einordnen.
Was ist das nur für ein magisches Land? Zwei parallele Welten, die sich nicht begegnen dürfen, aber es manchmal eben doch tun. Karin Müller erzählt eine spannende, faszinierend, mystische und ziemlich düstere Geschichte vor der rauen Kulisse Islands, das eine ganz eigene „Exotik“ ausstrahlt. Mitunter waren Erlas Begegnungen, ihr Abdriften in eine andere Welt ganz schön verwirrend. Mit einer klassischen Pferdegeschichte hat das nicht viel zu tun. Die Geschichte endet leider mit einem extremen Cliffhanger, unfassbar spannend aber mindestens genauso unbefriedigend. Dennoch: Wer sich auf Magie, Mystik auf Unerklärliches, auf eine Geisterwelt einlassen kann, dem sei Erlas Geschichte ans Herz gelegt. Es ist eben ein etwas anderes Pferdebuch, aber durchaus eine interessante Leseerfahrung.