Kalt erwischt, aber nicht kaltgelassen! Atemlos spannender, von gegenseitigem Misstrauen geprägter Thriller in einmaligem Setting!
Frostgrab Achtung! Diese Rezension enthält Spoiler, vor denen aber im Text noch einmal gewarnt wird!
Inhalt
Eine einsame Aussichtsplattform in den französischen Alpen. Ein Treffen mit der Snowboard-Clique von ...
Achtung! Diese Rezension enthält Spoiler, vor denen aber im Text noch einmal gewarnt wird!
Inhalt
Eine einsame Aussichtsplattform in den französischen Alpen. Ein Treffen mit der Snowboard-Clique von früher. Damals ist eine Tragödie passiert, die Gegenwart wird zum Psychospiel. Denn: Die Handys verschwinden, der Strom fällt aus, jemand verschwindet. Was wird hier gespielt – und vor allem: WER verbirgt hier WAS?
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: + Es werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Blut, Gewalt, Alkohol, Verletzungen, Suizid, psychische Krankheiten, Sexismus;
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Miststück (3x), Schlam---
Warum dieses Buch?
Das Setting und der Klappentext klangen für mich einfach unwiderstehlich – auch weil mich das Buch an das gruselige Videospiel „Until Dawn“ erinnert hat. Das habe ich mich bis jetzt noch nicht fertigspielen getraut – ich dachte mir, dass ich bei einem Buch mit ähnlicher Ausgangssituation sicher weniger Angst habe…
Meine Meinung
Das hat mir gefallen…
… der gelungene Prolog. „Frostgrab“ hat einen der einprägsamsten, atmosphärischsten und besten Buchanfänge, die ich je gelesen habe! Schon auf den ersten Seiten hatte ich eine Gänsehaut und dachte sofort: Das wird gut! (5 Lilien ♥)
„Es ist wieder diese Jahreszeit. Die Zeit, in der der Gletscher Leichen freigibt […] also habe ich jeden Morgen die lokalen Nachrichten überflogen.
Es gibt eine spezielle Leiche, auf die ich warte.“ E-Book, Position 11
… das unverwechselbare Setting. Allie Reynolds (ihres Zeichen selbst eine ehemalige Snowboarderin) Debüt spielt weit oben in den französischen Alpen in einer von Schnee umgebenen, vom Wind umwehten hochmodern gebauten Aussichtsplattform, in der sich in der Hochsaison unzählige Tourist·innen tummeln. Außerhalb der Saison ist das riesige Gebäude jedoch verwaist, leer und still. Es gibt viele verschlossene Räume, in denen sich jemand verstecken könnte. Zudem ist es von gefährlichen Gletscherspalten umgeben. Wenn dann auch noch der Lift abgeschaltet wird und man dort oben festsitzt, dann steigt natürlich die Nervosität – der perfekte Startpunkt für einen Thriller! (5 Lilien ♥)
„Ich wusste, es würde problematisch sein, wenn ich hierher zurückkomme. Zu viele Türen, die ich besser nicht öffnen sollte.“ E-Book, Position 143
… die Themen. Mit der Auswahl seiner Themen – Nostalgie, Jugend, Sport, Leidenschaft, Freundschaft, Selbstzweifel, Liebe (auch LGBT), Ehrgeiz, Schuld – hat mich dieses Buch auf ganzer Linie überzeugt! Für einen Thriller ist die Verarbeitung zudem überraschend tiefgründig, was ich sehr schätze. (5 Lilien ♥)
„Wie kann es sein, dass wir uns so unglaublich lebendig fühlen, wenn wir mit unserem Leben spielen?“ E-Book, Position 1287
… die dichte Atmosphäre. Noch nie zuvor habe ich einen Thriller gelesen, der so von gegenseitigem Misstrauen geprägt war. Zehn Jahre sind vergangen, seit sich alle zum letzten Mal gesehen haben, in der Zwischenzeit hatte man keinen Kontakt. Immer wieder stellt sich die Hauptfigur deshalb auch die Frage, wie gut sie ihre ehemaligen Freunde überhaupt noch kennt. Einsame Flure, nächtliche Geräusche, Menschen, die verschwinden – dieses Buch steckt voller Gänsehautmomente, die auch euch eiskalt erwischen werden! Kein Wunder, dass dieser Thriller auch verfilmt werden soll – ich freue mich jetzt schon darauf, diese Geschichte auf der Leinwand zu sehen! (5 Lilien ♥)
„Irgendwas hat dieser Ort. Es ist fast, also ob die Wildheit dieser Berge in uns hineinkriecht.“ E-Book, Position 1933
… der Schreibstil. Für einen Thriller finde ich Allie Reynolds Schreibstil sehr passend: Sie schreibt relativ einfach, flüssig, schnörkellos und anschaulich. Dadurch fliegt man nur so durch das Buch! Auch die Innenwelt und Emotionen der Hauptfigur hat sie sehr gut eingefangen. An manchen Stellen hätte ich mir allerdings noch etwas mehr Details und Tiefe gewünscht. In vielen Rezensionen wurden zudem die vielen Snowboard-Fachausdrücke kritisiert. Ich finde auch, man hätte manche Figuren besser erklären müssen (so war es manchmal mühsam, sie sich vorzustellen), trotzdem wurde mein Lesefluss dadurch nicht gestört. (4 Lilien)
… die dramatischen Wendungen und die Spannung. Obwohl ich schon viele Thriller gelesen habe, konnte mich „Frostgrab“ immer wieder mit seinen unerwarteten und oft auch dramatischen Wendungen überraschen und begeistern. Bis auf einen kleineren Spannungsabfall im Mittelteil war das Buch wirklich bis zum Ende atemlos spannend (was auch an den unheilvollen Andeutungen liegt, die Milla immer wieder macht) – im letzten Fünftel konnte ich es dann gar nicht mehr zur Seite legen, sondern musste es in einem Rutsch fertiglesen! (5 Lilien ♥)
… die Figuren. Am Anfang dachte ich noch: „Diese Leute (vor allem die Männer) werde ich niemals auseinanderhalten können!“ Doch mit jeder Seite lernt man sie besser kennen und kann sie irgendwann auch problemlos unterscheiden. Bis auf wenige Ausnahmen (die etwas blass bleiben) sind die Figuren sehr liebevoll ausgearbeitet, haben alle auf ihre Weise mit der Vergangenheit zu kämpfen. Manche sind mir sogar richtig ans Herz gewachsen, wodurch ich bis zum Ende um ihr Leben gebangt habe – bei manchen von ihnen leider vergeblich! Deshalb bin ich auch immer noch ein bisschen sauer auf die Autorin – aber was gibt es Schöneres, als wenn einen ein Figurentod trifft? Immerhin heißt das doch, dass einen ein Buch nicht kaltgelassen hat – und das hat mich „Frostgrab“ definitiv nicht!
Achtung: Spoiler!
… das Ende. Dieser Thriller endet definitiv mit einem Knall! Die Auflösung und der Showdown waren atemlos spannend und unerwartet dramatisch und emotional. Ich hätte mit so einem Ende nicht gerechnet und fühlte mich ein wenig an Shakespeares Dramenenden erinnert (haha) … Am meisten getroffen hat mich, dass Brent sich für Milla geopfert hat! Bis zum Ende habe ich gehofft, dass er es schafft! Wie Milla bin auch ich zusammengezuckt, als man die Schüsse gehört hat. Dieser sanfte und liebe Mensch hat das alles nicht verdient! Da es meine Lieblingsfigur leider nicht geschafft hat, hasse und liebe ich das Ende zugleich: Ich hasse es, dass die Autorin mir das angetan hat, und liebe es gleichzeitig, dass mich das Buch so packen und emotional mitreißen konnte! Danke dafür!
Spoiler-Ende!
Das lässt mich zwiegespalten zurück:
… der Spannungseinbruch im Mittelteil. Obwohl mich das Buch von Anfang bis Ende gut unterhalten konnte, gab es einen Punkt beim Lesen, an dem mir der Mittelteil etwas zu langgezogen erschien. Hier hätte man besonders bei den Kapiteln in der Vergangenheit (das Buch besteht zur Hälfte daraus) kürzen können, was zu einem höheren Erzähltempo geführt und das Buch perfekt gemacht hätte!
Das hat mir nicht gefallen:
… die Geschlechterstereotypen. „Frostgrab“ besteht den Bechdel-Test und enthält viele starke, mutige und erfolgreiche Sportlerinnen, was mir gefallen hat. Aber Millas klischeehaftes Frauen- und Männerbild (dieses „Männer sind so, Frauen sind so“) hat mich stellenweise echt genervt. Das ist nicht mehr zeitgemäß! Die Darstellung von Frauen (die in diesem Buch generell schlechter wegkommen als Männer) als entweder zickig und stutenbissig oder aber hysterisch hat mir ebenfalls nicht gefallen. Auch das vage Framing von gewalttätigem Verhalten einer Frau gegenüber als gerechtfertigt, weil sie „mit einem Mann spielt“ und ihn „zappeln lässt“, hat mich gestört. Gewalt gegen Frauen ist niemals gerechtfertigt und niemals Schuld des Opfers! Und noch etwas: Nur weil eine Frau mit jemandem flirtet und sich Sporttipps geben lässt, heißt das noch lange nicht, dass sie es ihm schuldig ist, mit ihm zu schlafen! So ein Denken ist hochgradig toxisch! Ich würde mir sehr wünschen, dass die Autorin bei ihrem nächsten Buch mehr Bewusstsein für das Thema entwickelt und damit aufhört, Genderstereotypen zu reproduzieren! (2 Lilien)
Beispiel aus dem Buch für Genderstereotypen und Toxic Masculinity: „Interessant zu sehen, wie unterschiedlich die zwei mit der Anspannung umgehen. Brent, indem er sich einen antrinkt, Curtis, indem er wütend wird.“ E-Book, Position 694
Mein Fazit
Für mich ist „Frostgrab“ ein atemlos spannender, rundum gelungener Thriller, der mich von der ersten Seite an begeistern konnte! Allie Reynolds Debüt überzeugt auf ganzer Linie mit einem Gänsehaut-Prolog, einem einmaligen Setting, interessanten Themen (die tiefgründig verarbeitet werden), dichter, von gegenseitigem Misstrauen geprägter Atmosphäre, einem schnörkellosen, flüssigen Schreibstil, überraschenden Wendungen, atemloser Spannung und einem dramatischen Ende. Auch die Figuren sind liebevoll ausgearbeitet, wodurch ich mit manchen echt mitgefiebert habe! Kritikpunkte wie der kleine Spannungseinbruch im Mittelteil, Millas stereotypes Frauen- und Männerbild und die nicht immer gut erklärten Snowboard-Fachausdrücke fallen da nicht ins Gewicht. Mir bleibt nur zu sagen: Wenn ihr tiefgründige Thriller mögt, bei denen man nicht weiß, wem man vertrauen kann, dann lest dieses Buch! Es wird auch euch kalt erwischen, aber sicher nicht kaltlassen!
Bewertung
Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonistin: 4,5 Lilien
Figuren: 5 Lilien
Spannung: 5 Lilien
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: hoch
Insgesamt:
❀❀❀❀❀♥ Lilien
Dieses Buch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz und damit den Lieblingsbuchstatus!