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Veröffentlicht am 13.04.2021

Bewegend, aufwühlend und poetisch

Schindlers Lift
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Zum Glück habe ich dieses Buch nicht alleine gelesen...
Zuerst einmal möchte ich Kata dafür danken, dass sie Sobald der Krieg mit seinem Stiefel das Treppenhaus betrat, zog Obrad die Uniform an und stellte ...

Zum Glück habe ich dieses Buch nicht alleine gelesen...
Zuerst einmal möchte ich Kata dafür danken, dass sie Sobald der Krieg mit seinem Stiefel das Treppenhaus betrat, zog Obrad die Uniform an und stellte sich bis an die Zähne bewaffnet und erbost vor das Gebäude.
- S. 45 -

Meine Meinung:
Zwei Hochhäuser, die im Buch abwechslungsweise als Protagonisten, Handlungsorte, Mahnmal, Zeugen, Friedhof aber auch Überlebende fungieren, werden von Darko Cvijetić ins Zentrum seiner Erzählung gestellt. Diese Wahl ist wohlüberlegt: obwohl im Buch immer wieder geschildert wird, welche Gräueltaten die beiden Hochhäuser miterlebt (und sogar "begangen") haben, obwohl auch gezeigt wird, wer diese Taten begangen und wem dieses Unrecht angetan worden ist, so bleiben die Hochhäuser doch neutral. Es findet keine Verurteilung im eigentlichen Sinne statt, die Innenschau in die Figuren fehlt - obwohl so viele Schicksale und Geschichten, so viele namentlich genannte Figuren darin auftauchen - und dadurch geht es immer auch um ein Kollektiv und nicht in erster Linie um das Individuum selber. Was in Prijedor geschehen ist, was der nichtserbischen Bevölkerung angetan worden ist, ist in ganz Bosnien geschehen. Manchmal mit anderem Ausgang (aber wirklich gut ging es nie aus), manchmal - das muss man ehrlich sagen - mit vertauschten Rollen, manchmal in abgeschwächter, manchmal in noch intensiverer Form, manchmal mit Beteiligung von ausländischen Mächten, Söldnern, manchmal, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen. Diese Geschichte ist die Geschichte Bosniens. So oder ähnlich ist Bosnien immer betroffen und so oder ähnlich sind die Erinnerungen in allen Menschen dieses Landes, klaffen die Lücken sichtbar oder unsichtbar, wo man in Bosnien steht und geht.

Und die Mutter von Rambo Mršić und Milka, deren Sohn sie in Bihać vor ihren Augen getötet haben...
Sitzen auf einer Bank und warten.
Neben den Bänken wuchsen diese Kinder auf.
Der Priester betrat das Hochhaus, ordnungsgemäss angekündigt durch eine Todsanzeige an der Tür.
Im Jenseits, auf einer noch schmaleren Bank, warten die Söhne auf sie.
- S. 84 -

Cvijetić zeigt aber auch auf, wie das Leben vor dem Krieg war und wie es nachher weitergeht. Spuren bleiben, Erinnerungen, Verletzungen, Verluste, Lücken, aber das Leben geht weiter. Nie mehr, wie vorher, nie mehr ohne die Gedanken an das Vergangene, diess ausgelöschte Glück, diese zerstörten Schönheiten, aber mit einer - den Menschen in Bosnien eigenen - Art, nach vorne zu blicken, zu erzählen, den Humor zu behalten und in gemächlichem aber vorwärtsgerichtetem Tempo weiterzumachen.

Sprache:
Auch sprachlich ist dieses Buch eine Wucht. Zeitweise fühlt es sich an, als würde man mit einer Gruppe Leuten zusammensitzen und alle würden ihre Geschichten erzählen. So wird aus den tragischsten Erlebnissen eine Art absurde, fast humorvolle Erzählung, die den Überlebenden vorbehalten ist und die immer dort, wo die Geschichte so schrecklich ist, dass man nicht mit Worten ausdrücken kann, was geschehen ist, still wird. Die so entstehenden Leerstellen werden mit einer weiteren Geschichte, die oft äusserst unterhaltsam scheint und deren Schrecken man erst auf den zweiten Blick erkennen kann, überbrückt. Diese Erzählweise begegnet mir in Bosnien und in der Literatur aus dem ehemaligen Jugoslawien oft. Sie ist eine einzigartige Mischung aus der Mentalität, der über Jahrhunderte hinweg kultivierten Kunst des Erzählens und aus den gemeinsamen Erlebnissen, welche die Erzählenden verbindet.
Dass Cvijetić vor allem auch für seine Gedichte berühmt ist, zeigt sich auf jeder einzelnen Seite dieses Buches. Er schafft es, die Menschen und ihre Geschichten auf berührende und bildhafte Weise zu beschreiben und verwendet dabei immer wieder Formulierungen, welche mir den Atem haben stocken lassen. Ein Lob geht deshalb auch an den Übersetzer Adnan Softić, der Cvijetićs Worte feinfühlig in die Deutsche Sprache übertragen hat und an den Verlag, welcher einzelne Formulierungen und Worte im Original belassen und mit Fussnoten versehen hat, die dem besseren Verständnis dienen.

Ich sagte ihr und übertönte den Wind, dass ich mich an Stojankas schrecklichen Tod erinnerte und dass ich mir selbst das Versprechen gegeben habe, einmal ein Buch zu schreiben, etwas wie "Schindlers Lift".
- S. 93 -

Meine Empfehlung:
"Schindlers Lift" ist nicht nur schriftstellerisch, sondern auch inhaltlich ein einzigartiges Buch. Die spezielle Perspektive ermöglicht eine ganz eigene, unvoreingenommene Sicht auf die Geschehnisse in Prijedor, das stellvertretend für ganz Bosnien steht. Mit mächtigen, packenden Worten erzählt Cvijetić und es fühlt sich an, als würde man einem Bekannten bei einem starken Kaffee zuhören und zugleich in eine ganz eigene, überragend erzählte, Sprache eintauchen. Dieses Buch empfehle ich euch von Herzen weiter. Lest es und ihr werdet so viele Dinge verstehen. Und meldet euch, wenn ihr nach der Lektüre Redebedarf habt.

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Veröffentlicht am 08.04.2021

Ein absolut lesenswertes und wichtiges Buch

Sprache und Sein
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Inhalt:
Wie oft schon hat Sprache uns und andere zusammengeführt aber auch voneinander getrennt. Wer hat nicht schon in einer Fremdsprache um Worte gerungen, sich im Ausland nicht verständigen können oder ...

Inhalt:
Wie oft schon hat Sprache uns und andere zusammengeführt aber auch voneinander getrennt. Wer hat nicht schon in einer Fremdsprache um Worte gerungen, sich im Ausland nicht verständigen können oder kurzerhand neue Wortkreationen erfunden? Wer hat nicht schon andere um Worte verlegen gesehen und selber nicht eingegriffen? Kübra Gümüşay geht zahlreichen Situationen auf den Grund, in denen Sprache Menschen voneinander trennt, in denen Sprache eine Waffe ist und Gewalt ausübt und zeigt dabei auch immer auf, wie Sprache verbindend genutzt werden kann, wie man Missverständnisse vermeiden, Brücken schlagen und friedlich und fair miteinander diskutieren kann, auch wenn man anderer Meinung ist.

Meine Meinung:
Ich bin so glücklich, dieses Buch, das schon viel zu lange auf meiner Wunschliste stand, nun endlich gelesen zu haben. Alles, was ich in den letzten Monaten über Rassismus und Seximus gelesen habe, alle diese feministischen und inklusiven Bücher, finden hier eine Art gemeinsamen Nenner: die Sprache, mit der wir Menschen, unser Aussehen und unsere Herkunft, aber auch unsere Handlungen und Taten beschrieben werden, ist es, welche uns Menschen letztendlich ausmacht. Kübra Gümüşay schafft es, zahlreiche Texte auf ihre Kernaussage über die Verwendung der Sprache zu reduzieren und alle diese informativen und lehrreichen Botschaften spannend, nachvollziehbar und ihn zehn überschaubare Kapitel unterteilt in ihrem Buch zu vereinen.
Dabei hatte ich beim Lesen sehr viele Aha-Effekte und bereits Erfahrenes hat sich bei mir manifestiert. Weshalb denken wir alle in Schubladen? Was ist die Problematik von Stereotypen und weshalb setzen sie sich dennoch so oft durch? Wie gelingt es mir, Menschen als Individuen zu bezeichnen, erfassen, sichtbar zu machen und anzusprechen, sie in einer Diskussion zu Wort kommen zu lassen?

"Das Problem mit Klischees ist nicht, dass sie unwahr sind, sondern dass sie unvollständig sind. Sie machen eine Geschichte zur einzigen Geschichte", erklärt Adichie. Wenn eine einzige Geschichte die Wahrnehmung einer ganzen Gruppe von Menschen dominiert, dann existieren diese Menschen nicht mehr als Individuen. Die Definitivon von Menschen anhand einer Kategorie ist nicht zwangsläufig falsch, sondern unvollständig. Eine Wahrheit wird zur einzigen Wahrheit.
- S. 152 -

Natürlich ist dieses Buch nicht die Antwort auf alles und bezüglich Verhalten innerhalb einer diversen Gesellschaft werden wir Menschen wohl nie ausgelernt haben, aber dieses Buch ist ein sehr guter Anfang, um sich damit zu befassen, wie Sprache verwendet werden kann und welche Mechanismen von Menschen in der Politik, der Werbung oder extremistischen Gruppen mit ihren Formulierungen bedient werden und wie wir gewisse Muster durchbrechen und unseren Mitmenschen auf Augenhöhe begegnen können.

Menschen so zu bezeichnen, wie sie bezeichnet werden wollen, ist keine Frage der Höflichkeit, auch kein Symbol politischer Korrektheit oder einer progressiven Haltung - es ist einfach eine Frage des menschlichen Anstands. Ich verzichte darauf, andere trotz ihres Widerspruchs anders zu benennen, als sie es wünschen. Ich verzichte darauf, ihre Perspektive zu unterdrücken, der ich stattdessen Raum gebe.
- S. 49 -


Meine Empfehlung:
"Sprache und Sein" werde ich nicht mehr aufhören zu empfehlen und einige Menschen in meinem Umfeld werden es in den nächsten Monaten zum Geburtstag bekommen oder zu Weihnachten unter dem Christbaum finden. Lest dieses Buch!

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Veröffentlicht am 06.04.2021

Ein Buch, das Mut und Hoffnung macht

Botschaften an mich selbst
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Inhalt:
Emilie Pine schreibt über sich und ihre tiefsten menschlichen und weiblichen Erfahrungen. Erfahrungen, die so viele Frauen und weiblich gelesene Menschen im 21. Jahrhundert machen und Erfahrungen, ...

Inhalt:
Emilie Pine schreibt über sich und ihre tiefsten menschlichen und weiblichen Erfahrungen. Erfahrungen, die so viele Frauen und weiblich gelesene Menschen im 21. Jahrhundert machen und Erfahrungen, die schmerzlich sind, aufrüttelnd und hoffnungsvoll. In sechs Essays kehrt sie ihr Innerstes nach aussen und lässt uns Leser*innen teilhaben an ihren Erlebnissen und Erkenntnissen, ihrem Schmerz, ihrem Glück, ihrem Mut und ihrer Stärke.

Meine Meinung:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen besseren Zeitpunkt gibt "Botschaften an mich selbst" zu lesen, als unmittelbar direkt nach der Lektüre von "Frühlingserwachen". Im zweiten Essay "Babyjahre" spätestens hatte ich das Gefühl, zwei sehr ähnlichen Ansätzen mit komplett unterschiedlicher Umsetzung zu begegnen. Darin beschreibt Pine die erfolglosen Versuche, ein Kind zu zeugen und erzählt auf eindringliche Weise von der Schwangerschaft ihrer Schwester, die im neunten Monat mit einer Totgeburt endete. Weitere Essays beschreiben sexuelle Gewalt, den Hass auf den eigenen (weiblichen) Körper, Scheidung, Burn-out und Abhängigkeit und hängen auch damit unmittelbar mit den Themen in "Frühlingserwachen" zusammen. Während Isabelle Lehns Roman allerdings autofiktional ist, schreibt Emilie Pine von ihren persönlichsten Erfahrungen. Obwohl die Sprache dabei fast nüchtern wirkt, schafft sie es, zu berühren. Bereits im ersten Essay, in denen Pine über ihren alkoholkranken Vater schreibt, sind bei mir die Tränen gekullert. Auch gegen Ende des Buches, das Emilie Pine als Universitätsprofessorin zeigt, die jungen Menschen Mut macht und immer noch täglich gegen sexistische Windmühlen kämpfen muss, hat sie besonders bewegende, (selbst-)kritische und aufrüttelnde Worte gefunden, die stärken, anspornen und Hoffnung machen.

Schreibstil:
Pine schafft es, mit wenigen Worten, Stimmungen zu erzeugen, die Gänsehaut hervorrufen. Ich habe mit ihr um das Leben ihres Vaters gebangt, die Daumen für einen positiven Schwangerschaftstest gedrückt und hätte ihr Teenager-Ich am liebsten in den Arm genommen. Schlicht, klar und genau deshalb äusserst eindringlich, lässt sie den tiefsten Schmerz, die grössten Verletzungen in ihre Sprache hinein und schafft es mit und durch diese Essays dennoch, eine Art Versöhnung mit sich selber und ihrem Frausein, ihrer Geschichte und Entwicklung zu feiern.

Meine Empfehlung:
"Botschaften an mich selbst" ist ein absolutes Highlight. Ein Buch, das Mut macht, tröstet, das bewegt und schockiert, aber auch immer wieder einen Weg und einen Hoffnungsschimmer aufzeigt. Ich empfehle euch allen dieses Buch wärmstens und von Herzen weiter.

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Veröffentlicht am 26.03.2021

Bewegend, grausam und sprachgewaltig

Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt
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Inhalt:
Eine schwarze Familie an der Golfküste von Mississippi, Jojo, der sich um seine noch sehr junge Schwester kümmert, und ihre Grosseltern Mam und Pop, bei denen die beiden leben. Mam ist schwer an ...

Inhalt:
Eine schwarze Familie an der Golfküste von Mississippi, Jojo, der sich um seine noch sehr junge Schwester kümmert, und ihre Grosseltern Mam und Pop, bei denen die beiden leben. Mam ist schwer an Krebs erkrankt und kann sich auch mit ihrem eigenen Wissen über die Welt der Pflanen und Geister nicht mehr heilen, Pop zieht sich immer mehr in sich selber zurück, weil er ein schreckliches Geheimnis mit sich herumträgt, das ihn bis in seine Träume verfolgt.
Leonie, die Mutter der Kinder, ist stets unterwegs und arbeitet in einer Bar, um sich ihre Drogeneskapaden zu finanzieren. Manchmal scheint es, als würde sie ihre Kinder ein wenig vergessen und manchmal sieht sie, wenn sie high ist, ihren verstorbenen Bruder, der mit Trost und Vorwürfen schnell zur Hand ist.
Als Leonie ihre beste Freundin Misty und ihre beiden Kinder ins Auto packt, um die weite Reise zur Parchman Farm, dem staatlichen Gefängnis, anzutreten und dort Michael, den weissen Vater ihrer Kinder abzuholen, zeigt sich, wie sehr Armut, Rassismus, Schuld, Liebe, Verlust, Verachtung, Würde und Hoffnung die Menschheit prägen und ihr Schicksal im Guten und vor allem auch im Schlechten mitbestimmen.

Meine Meinung:
Es fällt mir schwer, in Worte zu fassen, wie sehr mich dieses Buch berührt und mit seiner wuchtigen und zugleich sanften Sprache für sich eingenommen hat.
Sprachliche Bilder und formvollendet auf den wunden Punkt treffende Beschreibungen haben mich mitgerissen und begeistert. Besonders gut gefallen hat mir, wie das Wissen von Mam um die Pflanzenheilkunde und die Geistwelt integriert worden ist. Dieses selbstverständliche Einbinden der verschiedenen Wesen und Mächte, welche die Protagonisten umgeben, hat mich ein wenig an das Buch "Unter dem Frangipanibaum" erinnert, das ich euch ebenfalls sehr ans Herz lege.
Obwohl Mam diese spezielle Gabe aber eingesetzt und sich selber behandelt, hat sie irgendwann keine Kraft mehr, gegen den Krebs anzukämpfen. Sie hat alles versucht, um Leonie ihr Wissen weiterzugeben, aber diese hat nicht alles aufnehmen können und wollen. Dafür hat Jojo die Gabe. Er sieht und spürt, was um ihn herum vorgeht, versteht die Tiere und Pflanzen und sieht, aber auch Leonies verstorbenen Bruder Given und den zwölfjährigen Richie, der damals mit Pop gemeinsam auf der "Parchman Farm" gefangengehalten wurde.
Die Geschichte, die Pop mit Richie verbindet, ist so unvorstellbar grausam, dass Pop sie Jojo nur in ganz kleinen Happen erzählt und diese Geschichte, die zuerst wie ein parallel zur Handlung ablaufender Nebenstrang erscheint, entpuppt sich nach und nach als Rahmenhandlung, die alle anderen Figuren umgibt und sowohl miteinander verbindet, als auch voneinander trennt. Durch all diese Grausamkeiten hindurch, habe ich mich vom Buch an der Hand genommen gefühlt und wenn "Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt", mir eines gezeigt hat, dann dass es am Ende immer Hoffnung und Licht geben kann, wenn man aufeinander aufpasst, seine Lieben ganz fest hält und auf seine eigenen Stärken vertraut.

Jojo:
Diese Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt und dabei habe ich Jojo am meisten in mein Herz geschlossen. Er wird ein wenig zur Hauptfigur, weil er es ist, welcher die Fäden innerhalb der Familie zusammenhält, weil er seine kleine Schwester Kayla liebevoll und einfühlsam betreut und behütet und weil er als einziger Zugang zu Pop und dessen Gefühls- und Gedankenwelt hat. Weil er sich Zeit nimmt, seine Gabe nutzt und mit seiner jungen und reinen Seele und seinem grossen und liebevollen Herz versucht, stets das Richtige zu tun. Die Gespräche, die Jojo mit Pop führt und die grosse Achtung, die Jojo seinem Pop entgegenbringt, haben mich tief berührt und sind etwas vom Schönsten und Bewegendsten, das mir je in einem Buch begegnet ist.

Meine Empfehlung:
"Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt" erzählt die Geschichte einer Familie, die täglich mit Armut und Rassismus konfrontiert ist und dabei stets droht, zu zerbrechen, aber von Jojo und Pop mit aller Kraft zusammengehalten wird. Die Sprache ist roh, wuchtig und überwältigend, die Handlung brutal, grausam und manchmal kaum auszuhalten und trotzdem strahlt dieses Buch eine Zuversicht und Wärme aus, die Hoffnung macht. Ich bin immer noch ganz überwältigt und empfehle euch diesen Schatz von ganzem Herzen weiter.

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Veröffentlicht am 21.03.2021

Grandios, packend und poetisch

Fang den Hasen
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Inhalt:
Sara spaziert gerade durch ihre neue Heimat Dublin, als ein Anruf von Lejla sie zwölf Jahre in die Vergangenheit katapultiert. "Armin ist in Wien", sagt Lejla und bitte Sara, nach Mostar zu reisen. ...

Inhalt:
Sara spaziert gerade durch ihre neue Heimat Dublin, als ein Anruf von Lejla sie zwölf Jahre in die Vergangenheit katapultiert. "Armin ist in Wien", sagt Lejla und bitte Sara, nach Mostar zu reisen. Von dort aus soll sie Lejla nach Wien fahren. Zu Armin, Lejlas Bruder, der in den Neunzigerjahren aus Jugoslawien verschwunden und seither nicht mehr gesehen worden ist. Sara weiss nicht, wie ihr geschieht, aber sie stimmt zu und durchlebt die Geschichte ihrer ehemaligen Heimat, die mittlerweile genau so zerfallen ist wie ihre Familie, noch einmal schmerzlich. An ihrer Seite Lejla, die wilde junge Frau und die toxische Freundschaft, die auch immer irgendwie mitfährt durch das dunkle Bosnien, in dem es auch am Tag nicht richtig hell wird.

So bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden:
Ich bin so froh, dass Saša Stanišić - der Autor von HERKUNFT (wer dieses Buch noch nicht gelesen hat, soll das unbedingt nachholen) - auf "Fang den Hasen" aufmerksam gemacht hat. Und ich bin so froh, dass ich bei der Lektüre von "Fang den Hasen" einige mir bekannte Orte in Bosnien besuchen durfte, die ich nun schon seit mehr als ein Jahr nicht besuchen konnte (HIER seht ihr die Wasserfälle von Jajce, Bilder von Mostar habe ich leider keine für euch).

Meine Meinung:
Aber es geht nicht um die Orte, es geht um die Stimmung, die Versprechungen, Verletzungen, Vorwürfe und die Bilder, die auftauchen um aus einer Zeit zu berichten, in denen Menschen ihren Namen ändern mussten, um ihr Leben zu retten. Wie die Bosniakin Lejla, die somit nur noch für Sara "Lejla" ist, aber für niemanden sonst. Genau so wie der Name, ist auch ihre Geschichte, die Geschichte ihrer Freundschaft, vor zwölf Jahren konserviert worden, aber ihre Erinnerungen sind es nicht. Sie haben sich angepasst an die Begebenheiten und das neue Leben, stimmen nicht mehr überein und sorgen für Vorwürfe und Unverständnis. Was ist es denn, das bleibt, wenn alles auseinanderfällt, wenn Personen verschwinden? Ein Bruder, ein Sohn, eine Familie, eine Heimat, ein Land, ein Gefühl, ein Hase? Was bleibt, wenn das Vergangene sich nicht in Worte fassen lässt, weil es keine Worte gibt, um das Unaussprechliche zu beschreiben? Lana Bastašić löst das, in dem sie nicht "be-", sondern "um-"schreibt. Poetisch und packend, humorvoll und hektisch und träge zugleich webt sie eine Geschichte, die dichter und dichter wird, die ein Roadtrip durch Bosnien und die Geschichte der Protagonistinnen und ein Coming-of-Age-Roman, eine Liebesgeschichte und eine Chronik ist, in der das Licht die Zukunft ist und die Dunkelheit die Gegenwart. Während Sara von Anfang an besonnen scheint, vernünftig, aufopfernd, beschönigend, ist Lejla die Rebellin, welche aufbegehrt und provoziert, welche Gefühle wie Schmerz und Leid auch einfach einmal zulassen will. Aber je länger die Geschichte dauert, desto mehr verschwimmen die Grenzen von Schuld und Verantwortung. Desto undurchdringbarer webt Lana Bastašić die unsichtbaren Fäden dieses Netzes, das Lejla und Sara zugleich aneinanderfesselt und voneinander trennt. Sie tut dies mit treffenden, zarten, heftigen und starken Worten und hat mit "Fang den Hasen" ein grossartiges Stück Literatur geschaffen, das Lust auf mehr macht.

Meine Empfehlung:
Lest dieses Buch, taucht ein in diese düstere Stimmung, gönnt euch die Melancholie, die poetischen, fesselnden Bilder, die kraftvollen Worte, die mir den Boden unter den Füssen genommen, mich wie ein Schnellzug überfahren und gleichzeitig auf einer Welle der schönen Formulierungen haben reiten lassen. Ich bin mir sicher, dass wir noch viel von Lana Bastašić hören (lesen) werden.

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