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Veröffentlicht am 08.04.2021

Eine tolle Neuinterpretation von Gottfried Kellers "Spiegel, das Kätzchen"

Der Schrecksenmeister
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Inhalt: Nach dem Tod seiner Besitzerin wohnt Echo, das Krätzchen, auf der Straße (Krätzchen sind wie Hauskatzen, die sprechen können und zwei Lebern besitzen). Als er kurz vor dem Verhungern steht, trifft ...

Inhalt: Nach dem Tod seiner Besitzerin wohnt Echo, das Krätzchen, auf der Straße (Krätzchen sind wie Hauskatzen, die sprechen können und zwei Lebern besitzen). Als er kurz vor dem Verhungern steht, trifft er auf den Schrecksenmeister der Stadt. Dieser bietet Echo einen Handel an: Echo dürfe bei ihm wohnen, schlemmen, was sein Herz begehre, und die Geheimnisse der Alchimie entdecken - allerdings nur einen Monat lang. Im Gegenzug verlangt der Schrecksenmeister das Fett des Krätzchens, das eine seltene alchimistische Zutat ist.

Persönliche Meinung: "Der Schrecksenmeister" von Walter Moers ist der fünfte Roman des Zamonien-Zyklus. Erzählt wird die Handlung aus der Perspektive Echos. Wie bereits in anderen Romanen nutzt Moers hier das Stilmittel der Herausgeberfiktion. Demnach ist "Der Schrecksenmeister" ein zamonischer Märchenklassiker aus der Feder von Gofid Letterkerl, den der große Hildegunst v. M. nun neu erzählt hat. Moers ist wieder nur der "Übersetzer" aus dem Zamonischen. Interessant ist, dass "Der Schrecksenmeister" sich an die Novelle "Spiegel, das Kätzchen" von Gottfried Keller anlehnt ("Gofid Letterkerl" ist übrigens ein Anagramm von "Gottfried Keller"). So gleichen sich die Ausangslage (hungerndes K(r)ätzchen schließt Pakt mit einem Schrecksen-/Hexenmeister, der es auf das Fett des K(r)ätzchens abgesehen hat), die Protagonisten ähneln sich im Namen (z.B. "Spiegel" und "Echo"; wobei sowohl ein Spiegel als auch ein Echo etwas widergeben), einzelne Figuren entsprechen sich und die Handlungsstruktur der Novelle findet sich im Kern bei Moers. Doch Moers mixt diese Zutaten anders. So erhält der Handlungort "Sledwaya" (ein Veweis auf "Seldwyla") eine eigene Topographie und spezifische Merkmale. Alle Bewohner*innen sind dort krank und Apotheken prägen das Stadtbild. Auch der Schrecksenmeister erhält eine eigene Vorgeschichte, dadurch eine größere Tiefe und Ambivalenz, die er bei G. Keller nicht besitzt. Die Handlung selbst geht ebenfalls z.T. andere Wege und bestitzt andere Wendungen. Außerdem baut Moers immer wieder Querverweise innerhalb der Handlung ein, sodass sie keine einfache Blaupause der Novelle Kellers ist. Zusätzlich dazu treten bei Moers spezifisch zamonische Figuren und Wesen auf, die man z.T. schon aus anderen Romanen kennt. Eine weitere Zutat von Moers ist der Untertitel "[e]in kulinarisches Märchen", den er sehr ernst. Der Schrecksenmeister bereitet für Echo exzessiv die kreativsten und wahnwitzigsten Speisen zu, die auch mal zu Bewusstseinserweiterungen führen. Insgesamt ist "Der Schrecksenmeister" eine gelungene Neuinterpretation von "Spiegel, das Kätzchen", wobei die Grundstruktur der Novelle sichtbar bleibt, aber viele neue Zutaten hinzukommen, die ordentlich durchgemischt werden - ohne, dass die Handlung zu aufgebläht oder übersättigt wird. In diesem Sinne: wohl bekomms!

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Veröffentlicht am 31.03.2021

Die Entdeckung der Euphancholie

Hard Land
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Inhalt: Grady (Missouri) 1985. Der fünfzehnjährige Sam ist ein Außenseiter. Sein einziger Freund ist weggezogen, sein Vater arbeitslos, seine Mutter an Krebs erkrankt. Nun soll er auch noch den Sommer ...

Inhalt: Grady (Missouri) 1985. Der fünfzehnjährige Sam ist ein Außenseiter. Sein einziger Freund ist weggezogen, sein Vater arbeitslos, seine Mutter an Krebs erkrankt. Nun soll er auch noch den Sommer bei seiner Tante in Kansas verbringen, wo auch seine zwei Cousins wohnen, die ihn schon des Öfteren verprügelt haben. Um den „Urlaub“ in Kansas zu umgehen, nimmt er einen Ferienjob im ortsansässigen Kino an. Dort freundet er sich mit anderen Jugendlichen an, verliebt sich und erlebt den Sommer seines Lebens – bis sich die Krankheit seiner Mutter zurückmeldet.


Persönliche Meinung: „Hard Land“ ist ein Coming-of-Age-Roman von Benedict Wells. Erzählt wird die Handlung retrospektiv aus der Ich-Perspektive von Sam, dessen Gedanken und Gefühle authentisch und emphatisch beschrieben werden. Die Krebserkrankung seiner Mutter ist in seiner Gefühlswelt omnipräsent: Er sehnt sich nach Normalität und Unbeschwertheit, sucht sie auch, allerdings holt der Gedanke an den möglichen Tod seiner Mutter ihn immer wieder ein, sodass potentiell jede schöne Situation kippen kann. Kurzzeitig schleicht sich auch der Gedanke ein, dass die ganze Last, die die Krankheit seiner Mutter auf die Familie ausübt, mit dem Tod der Mutter endlich vorbei wäre. Gleichzeitig plagen ihn Gewissensbisse: Darf er auf seine Mutter wütend sein? Generell sind die Figuren schön ausgestaltet. Sie besitzen durch ihre Hintergrundgeschichten und die Darstellung ihrer Gedanken- und Gefühlswelt eine große Tiefe. Durchströmt ist die Handlung mit euphancholischen Momenten. Der Begriff „Euphancholie“ ist ein Neologismus, dessen Definition Wells einer Protagonistin in den Mund legt: Es handelt sich um eine Kreuzung aus „Euphorie“ und „Melancholie“ und bezeichnet das Gefühl höchster Glückseligkeit, wobei aber gleichzeitig bewusst ist, dass der Moment des Glücks endlich ist. Solche „euphancholischen“ Momente, die in lauen Sommernächten spielen, ziehen sich wie eine Perlenkette durch „Hard Land“. Laue Sommernächte mit Freunden, Partys, Gespräche im Kino, kleinere und größere Mutproben. Diese Szenen sind detailliert und glaubwürdig beschrieben, sodass man beim Lesen teilweise selbst von Euphancholie überschwemmt wird. Daneben finden sich viele Referenzen an die 1980er Jahre. Songs von Billy Idol, Bruce Springsteen oder Journey werden abgespielt; Filme wie „Zurück in die Zukunft“ oder „Breakfast Club“ in die Handlung eingebaut und diskutiert. Interessant ist zudem der Titel „Hard Land“. „Hard Land“ heißt nämlich auch der Gedichtzyklus des (fiktiven) Autors William J. Morris, der einzige Literat, den Grady hervorgebracht hat (dementsprechend ist sein Werk auch Schulstoff). Spannend ist in diesem Kontext, dass zum Ende der Handlung Morris‘ „Hard Land“ gedeutet wird, wobei im Kleinen der literarische Interpretationsprozess durchgespielt wird (Interpretation der Oberflächenstruktur/Suche nach Metaphern/alternative Interpretationsmöglichkeiten/Offenheit der Interpretation). Insgesamt ist Benedict Wells‘ „Hard Land“ ein schöner Coming of Age-Roman mit viel Tiefgang, Empathie und Euphancholie, der Eighties-Vibes ausstrahlt.

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Veröffentlicht am 27.03.2021

Ein Weihnachtsklassiker

Der Grinch
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Inhalt: Der Grinch kann nichts mit Weihnachten anfangen. Gesang, geschmückte Häuser und vor allem Geschenke findet er schrecklich. Da Weihnachten scheinbar nicht von selbst aufhört, muss der Grinch selbst ...

Inhalt: Der Grinch kann nichts mit Weihnachten anfangen. Gesang, geschmückte Häuser und vor allem Geschenke findet er schrecklich. Da Weihnachten scheinbar nicht von selbst aufhört, muss der Grinch selbst was tun: Er klaut alle Geschenke aus Wer-wohnt-hier-Hausen.

Persönliche Meinung: "Der Grinch oder die geklauten Geschenke" ist ein Bilderbuch von Dr. Seuss. Die Neuübersetzung von Nadia Budde ist sehr gut gelungen: Die Verse und Paarreime lesen sich flüssig und besitzen eine schöne, intuitive Klangmelodie. "Der Grinch" ist außerdem reich illustiert. Die Zeichnungen von Dr. Seuss sind dabei in einem skizzenartigen schwarz-weiß Stil gehalten, allerdings werden zwischendurch rote Farbakzente gesetzt (z.B. beim Weihnachtsmannkostüm vom Grinch oder den Christbaumkugeln). Inhaltlich vermittelt das Bilderbuch die wichtige Botschaft, dass es Weihnachten nicht nur um Geschenke bzw. den Konsum geht. Aufgrund seines geringen Umfangs und der vergleichsweise großen Schrift eignet sich "Der Grinch" auch für Leseanfänger*innen. Insgesamt ist "Der Grinch" ein Bilderbuch-Weihnachtsklassiker in Versen, die eine schöne Klangmelodie besitzen.

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Veröffentlicht am 27.03.2021

Wie Hildegunst zum Dichter wurde oder: Eine Liebeserklärung an das Medium "Buch"

Die Stadt der Träumenden Bücher
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Inhalt: Auf dem Sterbebett überreicht Danzelot von Silbendrechsler seinem Dichtpatensohn Hildegunst von Mythenmetz das Manuskript eines anonymen Autors. Das Manuskript ist kurz, aber vollkommen; das Beste, ...

Inhalt: Auf dem Sterbebett überreicht Danzelot von Silbendrechsler seinem Dichtpatensohn Hildegunst von Mythenmetz das Manuskript eines anonymen Autors. Das Manuskript ist kurz, aber vollkommen; das Beste, was Danzelot und Hildegunst jemals gelesen haben. Um die Identität des Autors aufzuklären, reist Hildegunst nach Buchhaim, der Bücherhauptstadt Zamoniens.

Persönliche Meinung: "Die Stadt der Träumenden Bücher" von Walter Moers ist der vierte Teil des Zamonien-Zyklus. Der Protagonist ist diesmal der große Lindwurm-Dichter Hildegunst von Mythenmetz, der bereits kurz im "Blaubär" und "Rumo" namentlich genannt worden ist und u.a. "Ensel und Krete" "geschrieben" hat. Wie der Titel schon ankündigt, dreht sich die "Die Stadt der Träumenden Bücher" inhaltlich um das Medium "Buch", Literatur und den Literaturbetrieb. Der Handlungsort ist Buchhaim, eine kleine, verwinkelte Stadt für Buchliebhaber. Dort tummeln sich (gefallene) Schriftsteller, Dichter und (gedungene) Literaturkritiker. Antiquariat reiht sich an Antiquariat. Abends finden kostenfreie Lesungen statt. Aber das ist nur die touristenfreundliche Seite Buchhaims: Unterhalb der Stadt befindet sich ein ausuferndes Labyrinth, in dem die seltensten Bücher zu finden sind und skrupellose Bücherjäger ihr Unwesen treiben. Sowohl Buchhaim als auch das unterirdische Labyrinth sind atmosphärisch dicht und detailliert beschrieben. Während es im ersten, in Buchhaim spielenden Teil eher ruhig zugeht (hier wird eine schön gemütliche Bücherstadt-Atmosphäre aufgebaut), werden im zweiten Teil, der im Labyrinth spielt, dezente Gruselakzente gesetzt, die an Schauerliteratur erinnern (ein unterirdisches Schloss, Monster/Geister, dämmerige, verwinkelte Gänge). Spannung wird durch die Suche nach dem des Manuskript-Autors erzeugt. Auch in diesem Roman hat Moers wieder viele Wortspielereien eingebaut. Diesmal häufig in Form von Anagrammen, die auf reale Autor*innen anspielen (um nur ein Beispiel zu nennen: "Ojahnn Golgo van Fontheweg" alias - na, wer erkennt's? :D). Eigenschaften dieser realen Vorbilder werden außerdem teilweise parodiert. Erzählt wird die Handlung aus der Ich-Perspektive Hildegunsts, der sympathischer gezeichnet ist als in "Ensel und Krete". Zum Handlungszeitpunkt von "Die Stadt der Träumenden Bücher" ist Hildegunst noch kein gefeierter Dichter, sondern steht gerade erst am Anfang seiner Karriere. Der Roman nimmt daher - besonders im letzten Teil - Züge eines Künstlerromans an: Wir begleiten Hildegunst auf seiner Dichter-Werdung, wobei auch, wie man es von Moers kennt, unkonventionelle Wege gegangen werden. Insgesamt ist "Die Stadt der Träumenden Bücher" eine Liebeserklärung an die Literatur, die durch dezente Schauerakzente und den Moersschen Wortwitz überzeugt.

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Veröffentlicht am 17.03.2021

Noch besser als der "Blaubär"

Rumo & die Wunder im Dunkeln
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Inhalt: Gerade als Rumo erahnt, dass er kein normaler Wolpertinger ist, ist sein behagliches Leben vorbei: Einäugige Riesen marodieren den Fhernhachenhof, auf dem der kleine Wolpertinger lebt, und verschleppen ...

Inhalt: Gerade als Rumo erahnt, dass er kein normaler Wolpertinger ist, ist sein behagliches Leben vorbei: Einäugige Riesen marodieren den Fhernhachenhof, auf dem der kleine Wolpertinger lebt, und verschleppen die Bewohner auf die Wandernden Teufelsfelsen. Gefangen in der Vorratskammer der Riesen beginnt der Kampf ums Überleben, den er nur gemeinsam mit der Haifischmade Volzotan Smeik überleben kann. Doch die Wandernden Teufelsfelsen sind erst der Anfang eines großen Abenteuers...

Persönliche Meinung: "Rumo & Die Wunder im Dunkeln" ist der dritte Roman des Zamonien-Zyklus. Neben Rumo, dem Protagonisten des Romans, treten unterschiedliche Figuren auf, die man bereits aus "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" kennt, sodass man sich auf das ein oder andere Wiedersehen - in den unerwartbarsten Situationen - freuen kann. (Besonders Rumo und Smeik sind in "Rumo" sympathischer charakterisiert als im "Blaubär", sodass man sich rückwirkend fragt, inwiefern der Lügengladiator Blaubär im "Blaubär" überhaupt seine Erlebnisse glaubwürdig geschildert hat.) Unterteilt ist Rumo in die Bücher "Obenwelt" und "Untenwelt", wodurch ein zweifacher Cursus entsteht, der strukturell an die Aventiurefahrten der mittelalterlichen Artusepik erinnert. Der erste Teil "Obenwelt" besitzt zudem leichte Tendenzen eines Entwicklungsromans. Rumo reift körperlich und geistig heran, erlernt Fertigkeiten, findet eine Heimat und verliebt sich. Besonders gut gefallen hat mir auch das umfangreiche Worldbuilding, das im Vergleich zum "Blaubär" noch verfeinert worden ist. So besucht Rumo die unterschiedlichsten - z.T. gegensätzlichsten - Orte, trifft verschiedenste Lebewesen und besteht mannigfaltige Abenteuer, wodurch eine Welt mit gigantischen Ausmaßen entsteht. Dabei hat Moers es wie schon im "Blaubär" geschafft, eine äußerst stimmige Handlung zu kreieren: Zwar dreht und wendet sich die Handlung auf den ersten Blick willkürlich, aber (scheinbar) lose Enden werden immer wieder aufgegriffen, sodass insgesamt eine runde Handlung mit einigen überraschenden Auftritten und Aufdeckungen entsteht. Neben Leidenschaft steckt auch viel Fleiß in "Rumo". Bei Moers muss man sich allerdings darauf einstellen, dass er häufig abschweift und immer mal wieder Mikroerzählungen in die Handlung einpflegt (Hintergrundgeschichten zu bestimmten Figuren etc.), wodurch der Erzähl- und Handlungsfluss kurzzeitig durchbrochen wird. In "Obenwelt" funktioniert das ganz gut und ist nicht hemmend; in "Untenwelt" wird das Abschweifen allerdings ein wenig exzessiv, sodass sich die Handlung in eher unwichtige Detailfragen zu verlieren droht. Das ist aber insgesamt nur ein vergleichsweise kurzer Moment, der sich schnell wieder legt. Ansonsten ist "Rumo" eine schöne, spaßige Geschichte, die man gerne liest - mit gewohnt viel Ideenreichtum, Wortwitz und Referenzen. Mir hat "Rumo" sogar noch besser gefallen als "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär".

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