Umschlaggestaltung:
Das Cover ist richtig toll und lädt zum Lesen ein.
Zum Inhalt:
"Sommer 1976. In Ostberlin kommt der 9-jährige Lew in eine neue Familie, nachdem seine Eltern Republikflucht begingen. In einer schwäbischen Kleinstadt wird ein Mädchen namens Ira geboren und muss lernen, dass es von der Mutter nicht geliebt wird und dem Vater nicht zu nahe kommen darf. In einem Dorf in Jugoslawien begibt sich der 4-jährige Fido mit seinem Großvater auf die Reise nach Deutschland und wird nie mehr in die Heimat zurückkehren. Lew, Ira und Fido - zu unterschiedlichen Zeiten begegnen sie einander, lieben und verlieren sich wieder, können nicht finden, wonach sie sich sehnen: einen Ort, an dem sie zu Hause sind. Erst als fast 30 Jahre nach jenem Sommer Iras Vater im Sterben liegt und Lew überraschend eine Nachricht aus Indien erhält, öffnet sich ein Weg in die Vergangenheit, der ein Ankommen 'für immer' noch möglich macht."
[ kleine Anmerkung: Ich denke, "Republikflucht" müsste man in Anführungszeichen setzen, da es kein wertfreier Begriff ist. ]
Mein Leseeindruck:
Besonders gut gefiel mir die Einbindung großer Themen der deutschen Zeitgeschichte. "Zwanzig Jahre vergingen, und die Zeiten änderten
sich, brachten Arbeitslosigkeit in die Städte und Anwerber in die Dörfer." Viele Menschen wissen heute nicht, dass es in den 60ern Anwerbeagenturen -und Anwerber gab, die die "Gastarbeiter" holten. Dass diese nicht aus purer Langeweile kamen,sondern dass es durchaus auch ein Interesse der dt Witschaft und auch der südl.Länder (Devisen etc) gab.
Pia Ziefles Roman ist nicht nur lesenswert, sondern in gewisser Weise auch lehrreich. Die Arbeitsmigration in die BRD, das Unrechtsregime in der DDR, die Irrwege der 68'er Bewegung ( -In den 60/70er Jahren gab es in den westl. Gesellschaften viele Experimente, die traditionelle Familie wurde als 'altmodisch' diffamiert. Kinderladen, Kommunen... ) dies sind die 'Eckdaten' des Buches.
Fidos und Lews Lebensgeschichten fand ich sehr interessant. Die Figur Evi hat keine Vorurteile und nimmt Opa Tadija und dessen Enkel Fido, ein Gastarbeiterkind auf; eine "einfache" Frau mit großen Herzen, die etwas einsam ist und nicht uneigennützig handelt.
Schön, dass alle diakritischen Zeichen im Text richtig gesetzt wurden. Tadija hatte Heimweh nach den Feldern seiner Heimat, des Kombinats, in dem er tätig war. Milena schämte sich evtl. für ihre Herkunft, wollte eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigng, was wohl am leichtesten qua Heirat ging . Es war ihr Status an den Arbeitsplatz gekoppelt, wurde nur jährlich verlängert, wenn überhaupt, im Rahmen der Ölkrise gab es auch sog. "Rückkehrprämien".
Nicht so gut gefallen hat mir, dass im Text damit gearbeitet wurde, Dinge, die zwischen den Zeilen stehen, die der aufmerksame Leser eh "erliest", explizit zu benennen, etwa Evis Eifersucht und ein wenig Eigennutz in Sachen Fido. Man darf dem Leser auch ein wenig "nicht Mundgerechtes" zumuten, imho...
Lews Geschichte ist stark und wird sich im Verlauf der story als stärkster und bester (am besten ausgearbeitete) Strang entpuppen.
Zeitsprung:
Iras Vater Cornelius liegt im Sterben. Ihr böhmischer Opa scheint ein autoritärer Despot gewesen zu sein, Fido der beste Kinderfreund. Iras Mutter Jutta & Cornelius sind 68er, ausländerfeindliche Möchtegernlinksintellektuelle, Jutta ist eine verblendete, egozentrische Kinderschlägerin, Cornelius devot. Ira entwickelt eine Zwangsstörung, findet Trost und Wärme bei Tadija, Fido , Evi. Es entsteht eine Ersatzfamilie.
Lews Geschichte ist weiterhin stark, die Eltern sind nur scheinbar in den Westen geflohen, die Kinder bleiben zurück und sollen vom Staat auf Linie gebracht werden, werden Pioniere.
Iras Vater schien pädophile Neigungen zu haben und nutzte die emotionale Bedürftigkeit seiner Tochter aus... ich musste an die kruden, bekloppten Thesen Cohn-Bendits denken. Später tat er sich auch noch leid und beklagte man habe ihn "hart behandelt".
Hier gibt es wohl eine Kritik im Text an den 68ern, die Vielen als unfehlbar galten und gelten, was ich an sich gut finde, nur habe ich das bei Jasmin Ramadan und Michel Houellebecq pointierter und treffender gelesen. In "Kapitalismus und Hautkrankheiten" ist ein Vater altlinker Professor und pädophil, in "Elementarteilchen" Bruno und Michel Produkte völlig egozentrischer Eltern (Mutter auf Selbstfindungstrip und sexuell exhibitionistisch den Kindern ggüber).
Der Ira - Strang ist mir zu 'dick aufgetragen', beide Eltern wirken fast wie Karikaturen, da hätte dramaturgisch Jutta schon gereicht...
Das mit der Freien Schule lässt an die Odenwaldschule denken...
Der Lew - Strang gefiel mir weiterhin am besten. Lew und Ira hatten mal was miteinander...
Lew und Manuel kamen zu Parteibonzen, Lew sollte zum Schwimmstar werden, Lew suchte seinen Vater in Indien...
Cornelius' Todeskampf, Styx, Mythologie, Erinnerungen, abstossend seine Erinnerungen.
Fido ist rastlos, ein Suchender. Schade, dass die Figur so flach bleibt; Fido mit den 'schwarzen Locken', 'blauen Augen', Iras große Liebe. Weiterhin finde ich den Lew -Strang am Besten, die neuen Eltern sind voll auf Linie, der Chauffeur indes jemand, in dem Lew einen Freund findet.
Im Verlauf der Geschichte hätte ich mir eine detailliertere Figurenzeichnung gewünscht, mehr Tiefgang. Ich denke, dass die Form das Problem ist, denn das Buch ist relativ kurz, die Konflikte zu schnell aufgelöst und die 3 Handlungsstränge m.E. zu wenig kryptisch, ich hätte mir mehr Wendungen gewünscht, an sich wäre jeder Strang auch ein eigenes Buch wert.
Mir gefiel die Lew - story am besten. Er ist Johns Vater & kann sich durch die Aufarbeitung seiner Vergangenheit seiner Rolle dann doch stellen.
Dass Ira Fido belogen hat, fand ich nicht so toll, und wieso Fido nie mehr nach Serbien fuhr, konnte ich nicht nachvollziehen. Toll, dass er aber nach Norddeutschland wollte.
Die Figuren, ausser Lew,blieben mir insgesamt zu blass, die Komposition zu vordergründig und zu wenig kryptisch; andererseits auch sicher gut für manche Leser, von der Autorin so an die Hand genommen zu werden. Sprachlich und stilistisch fand ich es solide. Das offene Ende passte gut, aber mir war die story zu konzise, ich hätte mir mehr Entfaltung gewünscht, denn ich habe das Gefühl, dass die Autorin ihr Potential nicht zu 100 Prozent ausgeschöpft hat. Toll fand ich aber das code - switching und die schwäbischen Einsprengsel.
Der Roman ist gekennzeichnet durch Zeitsprünge, stream of consciousness und eine nicht lineare Erzählweise, was ich per se klasse finde.
"Länger als sonst ist nicht für immer" fand ich vom Aufbau her aber leider etwas unausgewogen, da es eigentlich um drei Lebensgeschichten gehen sollte; die drei Erzählstränge sind für mein Empfinden jedoch unterschiedlich gut ausgearbeitet, sodaß mir der Roman nicht ganz 'rund' erschien.
Fazit:
"Länger als sonst ist nicht für immer" blieb leider hinter meinen Erwartungen zurück.
Pia Ziefles Erstling "Suna" steht aber schon auf meiner Wunschliste!