Hart an der Grenze des Ertragbaren
MengeleIch weiß nicht, wieviele Bücher ich bereits über den Holocaust und den Todesengel von Auschwitz gelesen habe, aber diese Biografie ist die umfassendste und detaillierteste Darstellung über Leben und Wirken ...
Ich weiß nicht, wieviele Bücher ich bereits über den Holocaust und den Todesengel von Auschwitz gelesen habe, aber diese Biografie ist die umfassendste und detaillierteste Darstellung über Leben und Wirken von Josef Mengele, die ich je in den Händen gehalten habe.
Erschreckend, aufwühlend, fernab jeglicher Vernunft und Einsicht sind hier die Einblicke, auch in bisher unveröffentlichtes Material, die David Marwell hier in Worte fasst und so das Unbegreifliche greifbar macht. Der Werdegang Mengeles vom wissbegierigen Medizinstudenten zu einem Arzt ohne Gewissen und Reue wird hier gründlich aufgearbeitet und akribisch skizziert.
Ständiger Begleiter bei dieser Lektüre sind das Grauen und Entsetzen darüber, wie sich Mengele im Dienst der Wissenschaft seine Opfer sucht, an ihnen menschenunwürdige und sinnlose Experimente durchführt und sich mit den Ergebnissen brüstet. Wie gewissenlos er ist zeigt sich alleine daran, dass er während seiner "Experimente" und der Selektionen noch die Frechheit besitzt, vergnügt und gut gelaunt seinen Opfern ins Gesicht zu sehen und sich an ihrem Leid zu ergötzen.
Selbst Jahre später, im Dialog mit seinem Sohn, zeigt er weder Einsicht noch Reue und steht noch hinter den hirnverbrannten Ideologien, die er einst eingeimpft bekommen hat.Er beharrt vehement auf seinem Standpunkt und lässt keinerlei Diskussionen zu diesem Thema zu.
Das Buch ist sehr umfangreich und befasst sich mit den vielen Stationen im Leben von Mengele. Die Beschreibungen seines Wirkens in Auschwitz sind fast nicht zu ertragen, denn mit einer stoischen Gelassenheit entscheidet ein Einziger über Leben oder Tod - grausam und unfassbar, immer wieder aufs Neue. Mengele ist immer präsent und zugegen - auch in den Erinnerungen vieler Auschwitz-Überlebender- obwohl er nicht immer an der Rampe seinen Dienst verrichtet hat und sie nie mit ihm in Kontakt gekommen sind. Sein Name ist zum Synonym für Tod und Verderben geworden und steht für die Vernichtung und den praktizierten Massenmord an Juden, Sinti, Roma und anderen Minderheiten.
Der ausführlichere Teil widmet sich allerdings seiner Flucht und dem Neubeginn - in diesem Abschnitt wird immer wieder deutlich, dass er ein gewiefter und mit eiskalter Berechnung vorgehender Mann ist, der sich seiner Verantwortung entzieht und bis zu seinem Tod unbehelligt in Südamerika lebt. Das Versagen der Justiz tut ihr übriges, um Mengele ungestraft davonkomme zu lassen. In meinen Augen unfassbar und unverzeihlich, ein nie mehr wieder gut zu machender Fehler.
Selten habe ich ein Sachbuch gelesen, das mich emotional so sehr aufwühlt, an die Seiten fesselt und von der wissenschaftliche Seite unglaublich viele Fakten und Details zu bieten hat, die ich bisher so noch nicht kannte.