Eine unterhaltsame, aber heillos übertriebene und furchtbar überzuckerte Office Romance!
When you look at meNachdem mich Kelly Morans "Redwood Love"-Reihe ein bisschen gespalten zurückgelassen hat, wollte ich ihr mit ihrer neuen Office Romance eine weitere Chance geben, mich zu überzeugen. Nach einem sehr unterhaltsamen ...
Nachdem mich Kelly Morans "Redwood Love"-Reihe ein bisschen gespalten zurückgelassen hat, wollte ich ihr mit ihrer neuen Office Romance eine weitere Chance geben, mich zu überzeugen. Nach einem sehr unterhaltsamen und aufschlussreichen Buddyread mit Sofia von Sofias kleine Bücherwelt steht zumindest mal fest: "When you look at me" macht einem die Bewertung alles andere als leicht. Ganz als Müll abschreiben kann man die Geschichte um Xavier und Peyton definitiv nicht, da sie einige sehr süße Szenen und insgesamt einen hohen Unterhaltungswert hatte. Um wirklich zu überzeugen habe ich aber leider viel zu oft an ungewollten Stellen lachen müssen, da Handlung, Figuren und Schreibstil teilweise so absurd, übertrieben, unrealistisch und einfach cringe sind, dass ich mir sicher bin, dass man unter "Nobrainer" im Wörterbuch ein Bild dieser Geschichte finden kann.
Das Cover zeigt den Titel in großen Lettern auf einem hängenden Holzschild, das vor der verträumten, lila-rosa-farbenen Kulisse eines Lavendelfelds baumelt. Die unspektakuläre, aber hübsche Gestaltung passt treffsicher zur darin enthaltenen Geschichte und greift mit dem Lavendelmotiv einen wichtigen Ort der Handlung auf. Nicht ganz einverstanden bin ich hingegen mit dem Titel. Ich habe ja nur erst ungefähr 1000 Mal wiederholt, dass ich es nicht nachvollziehen kann, wieso deutsche Verlage englische Titel wählen, die NICHT die Originaltitel sind. Entweder wird halt der Titel übersetzt, oder man nimmt einen anderen deutschen, aber nicht einfach einen random englischen Titel (weil das irgendwie netter klingt, oder keine Ahnung, was sich die Titelgebenden hier als so denken?!?). Zwar ist "When you look at me" nicht komplett an der Geschichte vorbei, da Peyton Xaviers Anker ist, den er immer anschaut, wenn er sich verloren und nervös fühlt, der Originaltitel "Counterbalance" passt aber ungefähr eine Million Mal besser. Sehr schön sind die kleinen Golden Gate Bridges inklusive Skyline von San Francisco, die jeden der 24 Kapitelanfänge zieren.
Erster Satz: "Ihr letzter Termin ist hier, Mr. Gaines."
Wie bei jedem ihrer bisherigen Büchern erzählt Kelly Moran die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive des erfolgreichen Geschäftsmannes Xavier und der PR-Beraterin Peyton. Dabei nutzt sie einen personalen Er-Erzähler, was zwar nicht meine Lieblingsperspektive ist, hier aber aufgrund der dennoch sehr hohen Dichte an Gedanken und Gefühlen sehr gut funktioniert. Weniger gut gewählt ist in meinen Augen der seltsame Zeitsprung, mit dem wir gleich im dritten Kapitel direkt nach dem Wiedersehen von Xavier und Peyton, bei dem er sie als seine Beraterin einstellt, um ganze zwei Jahre in die Zukunft hüpfen. Ich kann mir vorstellen, dass die Autorin ein wenig das Tempo aus der Entwicklung ihrer Romanze nehmen wollte und dachte, nach zwei Jahren der Zusammenarbeit haben sich die beiden wieder genügend kennengelernt, um realistischerweise eine Beziehung zu starten. Diese Herangehensweise bringt jedoch zwei Probleme mit sich. Erstens verpasst man so, wie sich die beiden wieder annähern und hat die meiste Zeit das Gefühl, es wäre einem etwas entgangen. Zweitens stellt man sich im Verlauf der Geschichte zunehmend die Frage, was sich denn nun geändert hat. Xavier betont immer wieder, dass er sich "zwei Jahre lang beherrscht hat" und auch von Peytons Seite ist von Beginn an eine deutliche Anziehung und Zuneigung zu spüren. Dennoch ist in den zwei Jahren offensichtlich nichts zwischen den beiden passiert, da sie professionell bleiben wollten. Und nun will uns die Autorin erzählen, dass die beiden plötzlich doch der Meinung sind, eine Beziehung sei eine feine Sache? Najaaa... Ohne den Zeitsprung hätte ich die Dynamik wesentlich spannender und nachvollziehbarer gefunden.
Ansonsten fehlt es den beiden aber definitiv nicht an Chemie. Ich mag Office Romances ab und zu sehr gerne, da in dem Spielraum von Machtgefälle, Reichtum, Verantwortung, Professionalität, Privatsphäre, Arbeitsverhältnis und Freizeit spannende Konflikte entstehen können. Zwar ist auch hier von der ersten Seite an glasklar, auf was die Geschichte hinauslaufen wird, bis zum vorhersehbaren Happy End weiß die Geschichte aber dennoch gut zu unterhalten. Nimmt man den hohen Unterhaltungswert der Geschichte weg, bleibt aber leider nicht mehr besonders viel übrig, um die überzogene Handlung zu tragen. Vor allem gegen Ende verrennt sich "When you look at me" in einem ziemlich schwer nachvollziehbaren Prä-Happy-End-Drama. Anstatt eines soliden Konflikts haben sich einfach die Ängste und Komplexe der Figuren immer wieder wiederholt, bis ich dann plötzlich alle Probleme in Luft auflösen. Geärgert hat mich auch, dass Xavier und Peyton zwar ständig ihre tolle Kommunikation anpreisen, der gesamte Konflikt der Geschichte aber hätte verhindert werden können, wenn die beiden tatsächlich so offen miteinander geredet hätten, wie sie es immer vorgehalten haben. Hier sind die beiden definitiv nicht ganz ehrlich mit sich selbst und dem Leser.
"Es war als hätte sie seinem Herz - über seine Funktion als Warnsystem hinaus (Seit wann ist DAS die Funktion des Herzens - Anmerkung der Rezensentin)- eine neue Aufgabe gegeben"
Auch die Figuren an sich.... kommen mit dem ein oder anderen Problemchen. Vor allem Xavier hat mich das ein oder andere Mal zur Weißglut getrieben. Das beginnt schon damit, dass er nicht nur das aller atypischste Beispiel einer sozialen Phobie ist, von dem ich jemals gelesen habe, sondern dass er sie sich auch noch selbst diagnostiziert hat (Arrrrgggh, wenn schon Mental-Health-Themen miteinbinden, dann doch bitte richtig!!!). Als sehr nervig habe ich auch die vielen Technikvergleiche und Metaphern in seiner Erzählperspektive empfunden. Neben dem "festplattenzerstörenden Kuss, der jeden gesunden Menschenverstand in den Papierkorb verschob", "nicht kompatiblen Schaltplänen", "durchbrennende Elektroden" hat der Gute auch regelmäßig Formulierungen wie "zerstörte Motherboards" im Angebot, wenn er seine Gedanken oder Gefühle beschreibt. Das mag ja bei der einmaligen Erwähnung ganz nett sein, die vielen technischen Wortbilder sind hier aber so aufdringlich, dass ich schon nach wenigen Kapiteln dachte "jaaaa, ich habe jetzt verstanden, dass Xavier ein Techniknerd ist, das muss man mir nicht auf jeder Seite unter die Nase reiben!". Auch der Rest seiner Charakterisierung hat bei mir einige Fragen aufgeworfen. Seinem unbeholfenen Technik-Genie steht nämlich ein ziemlich übertriebenes Alpha-Mann-Getue gegenüber, sodass ich ihn schon bald nicht mehr ernstnehmen konnte. Wenn man jedes mal einen Shot trinken würde, wenn er selbst mit seinen Fähigkeiten im Schlafzimmer prahlt, oder Peyton wiederholt, was für ein dominanter Sexgott er ist, hätte man schon nach vier Kapiteln ordentlich einen im Tee. Dieses extreme sexuelle Selbstbewusstsein hat einfach so überhaupt nicht zu dem schüchternen, familienfreundlichen Nerd-Gutmenschen gepasst, als den Kelly Moran ihn ansonsten darstellt, dass Sofia und ich ihn nur noch scherzhaft Mr. Fingerfertigkeit genannt haben.
Peyton ist da schon ein bisschen greifbarer gezeichnet, auch wenn natürlich auch sie nicht wirklich das perfekte Abbild eines tiefgründigen Charakters ist. Sehr gelacht habe ich über ihren Aspirin-Konsum (I mean... 2 Aspirin sind schon viel, aber das auch noch vorbeugend und in Kombination mit Alkohol und auf gefühlt jeder zweiten Seite? Verstehe ich nicht, ist das so ein Ami-Ding?) und darüber, dass sie gerne mal Dinge wie "Rrrrr" oder "Gah" denkt. Ausdrücke wie "weinende Eierstöcke", "heiliges Wow" und "Atome wurden gespalten, und es war durchaus möglich, dass seine Knochen splittern" komplettieren dann das echt schräge Gesamtbild. Schon in "Redwood Love" bin ich mit Kelly Morans Schreibstil nicht ganz warmgeworden und habe angemerkt, dass viele Formulierungen für meinen Geschmack viel zu plump waren und die teilweise sehr wörtlichen Übersetzungen den Lesefluss stören. Hier nimmt die cringyness aber nochmal ein ganz anderes Level an und viele Formulierungen sind seltsam, heillos übertrieben und überzuckert. Auch hier sind mir wieder viele gleiche Redewendungen und Beschreibungen ins Auge gestochen, die man aus vorherigen Szenen oder einem ihrer anderen Bücher schon kannte, sodass manchmal ganze Dialoge oder auch Teile der Sexszenen sehr formelhaft wirken. Ich halte also fest, dass Kelly Moran sich mit "When you look at me" aus ihrem typischen Bereich der Cozy Romances herausgewagt hat, sie mich in diesem etwas anderen Untergenre aber auch nicht überzeugen konnte. Für mich war es das deshalb erstmal mit Büchern von ihr...
"Wir stehen noch ganz am Anfang, Süße. Bitte tritt nicht auf die Bremse, bevor wir richtig Fahrt aufgenommen haben."
Fazit:
"When You Look At Me" ist eine unterhaltsame, aber heillos übertriebene und furchtbar überzuckerte Office Romance voller seltsamer Formulierungen. Lässt man einige süße Szenen und den sehr hohen Unterhaltungswert beiseite, können Figuren, Schreibstil und Handlung leider nicht überzeugen.