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Veröffentlicht am 30.09.2021

Unaufhaltsam gnadenlos herannahende Unausweichlichkeit

SCHWEIG!
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Weihnachten. Friede, Freude, oder eben auch nicht… Die Schwestern Esther und Sue haben ein gespanntes Verhältnis zueinander. Besonders nach dem letzten Weihnachtsfest. Eigentlich wollte Esther nicht erneut ...

Weihnachten. Friede, Freude, oder eben auch nicht… Die Schwestern Esther und Sue haben ein gespanntes Verhältnis zueinander. Besonders nach dem letzten Weihnachtsfest. Eigentlich wollte Esther nicht erneut einen „ersten Schritt“ wagen, aber es ist doch ihre Schwester und so setzt sie sich am Tag vor Heiligabend doch in den Wagen, um Sue mit einem kleinen Mitbringsel zu überraschen und zu schauen, ob es ihr gut geht.

Was beginnt wie „nur“ ein unerwünschter Besuch weitet sich dramatisch und unvorhersehbar aus. Zunächst ist nicht klar, wer die Wahrheit sagt, wem ich glauben kann. Zunehmend gewinne ich den Eindruck, dass mindestens eine der Schwestern psychisch schwer krank sein muss. Anders lässt sich diese widersinnige Kommunikation gar nicht erklären. Eingeschlossen vom Schneesturm, abgeschnitten von jeglicher Kommunikation nach außen, werden jahrelang verborgene Worte gefunden und ausgesprochen. Gefangen in einer sich aufschaukelnden Stimmung strebt die Handlung ihrem unweigerlichen Ende entgegen.

„Schweig!“ ist ein großartiger Thriller. Judith Merchant nimmt mich mit an den Schauplatz der Geschichte. Ich sitze mit am Küchentisch, schaue mir den Tannenbaum im Wohnzimmer an und spüre etwas Großes, Bedrohliches gnadenlos, unaufhaltsam herannahen. Ich kann es jedoch nicht wirklich fassen, es entgleitet mir wieder und als ich endlich eine Ahnung davon bekomme, was die Wahrheit ist, kommt alles ganz anders…

Das Cover passt m. E. wunderbar zum Plot. Eine Reihe von Bäumen, alle in einem Wort, auf einer Grundlage verbunden, in der Mitte tief verwurzelt. Nur ein Baum ist anders. Kann man ihn eingliedern oder wäre es besser, ihn zu fällen?!?

Ein Muss für Thrillerfans!


Judith Merchant, Schweig!, Thriller, flexibler Einband, KiWi Verlag, 15,00 €, 352 Seiten, Erscheinungstermin 09.09.2021

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Veröffentlicht am 29.08.2021

Irland, unberechenbar wie das Moor

Der Sucher
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Cal Hooper ist nach Irland ausgewandert. Im Westen hat er sich ein schönes Stück Land mit einem baufälligen Haus gekauft, welches er eigenhändig instand setzt. Seine Idylle wird gestört, als Trey Reddy ...



Cal Hooper ist nach Irland ausgewandert. Im Westen hat er sich ein schönes Stück Land mit einem baufälligen Haus gekauft, welches er eigenhändig instand setzt. Seine Idylle wird gestört, als Trey Reddy sich in sein Leben schleicht. Scheu wie ein wildes Tier, aber verlässlich erscheint Trey, um Zeit mit Cal zu verbringen. Schließlich bricht Trey das Schweigen; der ältere Bruder Brendan, verlässliche Bezugsperson und Lebensanker in schwierigen Familienverhältnissen, ist verschwunden. Irgendwie hat Trey herausgefunden, dass Cal Polizist war und fordert seine Hilfe.

Tana French hat mit „Der Sucher“ einen soliden Thriller verfasst, welcher mich von Anfang an interessiert und in seinen Bann zieht. Ich befinde mich in Irland, sitze auf der Stufe am Haus und blicke über Schafs- und Kuhweiden, höre das Keckern der Krähen und schmunzle über eigenwillige Freundschaftsangebote oder hartnäckige Verkupplungsversuche seitens der Einheimischen gegenüber Hooper. Die wellenförmige Spannungskurve lässt mich Angst im Nacken spüren, um mich dann wieder in seichtes Fahrwasser zurückzuführen.

Der Plot gefällt mir, ist gut verortet und interessant ausgearbeitet. Die Protagonisten sind „Typen“, aber letztlich doch nur „normale“ Menschen, die ich mag. Es gibt für mich völlig unerwartete Wendungen und Einblicke, wo unter der Oberfläche – wie im tückischen, irischen Moor – Gefahr lauern kann. Das Cover, wo über einer Wiese in sanftem Wind dunkle Wolken aufziehen, passt auch mit seinen roten Buchstaben warnend zum Inhalt.

„Der Sucher“ ist aus meiner Sicht eine unbedingte Lese-Empfehlung für Thriller-Fans!


Dieses eBook habe ich im Rahmen einer jellybooks-Leseaktion vorab lesen dürfen.


Tana French, Der Sucher, Roman, eBook, Fischer E-Books, 18,99 €, 496 Seiten in der Print-Ausgabe, Erscheinungstermin 29.09.2021

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Veröffentlicht am 04.05.2021

Fiktion trifft Realität im Nahen Osten

Jaffa Road
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„Eine Villa am Meer unter Palmen: Die Berliner Archäologin Nina reist nach Palermo, um das Erbe ihres verschollenen Großvaters Moritz anzutreten. Dort begegnet sie ihrer jüdischen Tante Joëlle - und einem ...

„Eine Villa am Meer unter Palmen: Die Berliner Archäologin Nina reist nach Palermo, um das Erbe ihres verschollenen Großvaters Moritz anzutreten. Dort begegnet sie ihrer jüdischen Tante Joëlle - und einem mysteriösen Mann, der behauptet, Moritz’ Sohn zu sein. Elias, ein Palästinenser aus Jaffa.
Haifa, 1948: Unter den Bäumen der Jaffa Road findet das jüdische Mädchen Joëlle ein neues Zuhause. Für das palästinensische Mädchen Amal werden die Orangenhaine ihres Vaters zur Erinnerung an eine verlorene Heimat. Beide ahnen noch nichts von dem Geheimnis, das sie verbindet, in einer außergewöhnlichen Lebensreise rund ums Mittelmeer.“ – Zitat Buchrücken

„Jaffa Road“ wird aus der Perspektive von Nina erzählt. Sie ist es, die versucht, die Fäden der Familiengeschichte ans Licht zu bringen und zusammen zu spinnen, um ein möglichst vollständiges Bild vom Leben ihres Großvaters entstehen zu lassen. Dies gestaltet sich zunächst nicht leicht, da Joëlle und Elias einander aus dem Weg zu gehen versuchen und nicht an einer Annäherung interessiert zu sein scheinen.

Es entfaltet sich nach und nach die außergewöhnliche Biografie von Moritz Reincke, welche mehrere Lebensgeschichten zu sein scheint. Unter verschiedenen Identitäten hat er seinen Lebensweg beschritten. An unterschiedlichsten Wirkungsstätten ist er mit Menschen zusammengekommen, welche – abgesehen von ihrer Zeit in Begleitung von Moritz –
aufgrund Herkunft, Kultur und Religion nichts gemein haben.

Daniel Speck präsentiert mit „Jaffa Road“ die Fortsetzung seines Buches „Piccola Sicilia“, welches ich nicht gelesen habe, was jedoch dem Verständnis des Romans keinerlei Abbruch tut. Neben der Gegenwart in Palermo befinden sich die Hauptschauplätze im „Gelobten Land“ nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Aus unterschiedlichen Perspektiven erfahre ich, wie Juden und Araber unter unvorstellbaren Lebensbedingungen zwischen Flucht, Vertreibung und dem Wunsch nach Heimat in Unruhen bis hin zu Krieg und Terror gezwungen wurden.

Dieses Buch verbindet reale Weltgeschichte mit fiktiven, persönlichen Schicksalen zu einem lesenswerten, fesselnden, aber auch verstörenden Ganzen.

Das eher schlicht gestaltete Cover bietet eine gute Perspektive auf den Inhalt zwischen gepacktem Koffer, Familie, Wüstensand und Orangenhainen; eine Sicht, welche sich erst nach dem Lesen vollends erschließt. In Grundzügen war mir die Historie um Israel und Palästina bekannt. Durch dieses Buch, welches auf sorgfältige Recherchen im Umfeld von Zeitzeugen fußt, habe ich neue Erkenntnisse hinsichtlich der Lage im Nahen Osten gewonnen.


Daniel Speck, Jaffa Road, Roman, broschiert, Fischer Taschenbuch Verlag, 16,99 €, 672 Seiten, Erscheinungstermin 24.03.2021

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Veröffentlicht am 03.04.2021

Weil nicht sein darf, was nicht sein kann

Der Verdacht
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„Violet ist ein Wunschkind, und Blythe möchte die liebevolle Mutter sein, die ihr selbst so sehr fehlte. Doch als man ihr das Neugeborene in den Arm legt, fühlt sich alles falsch an. Da ist nur Ablehnung, ...

„Violet ist ein Wunschkind, und Blythe möchte die liebevolle Mutter sein, die ihr selbst so sehr fehlte. Doch als man ihr das Neugeborene in den Arm legt, fühlt sich alles falsch an. Da ist nur Ablehnung, und je älter das Mädchen wird, desto mehr wächst die Angst vor Violet und ihrem feindseligen Verhalten, das sich Blythe nicht erklären kann. Alles nur Einbildung? Oder ist das Mädchen tatsächlich absichtsvoll böse? Fox, der seine Tochter von ganzem Herzen liebt, beobachtet seine Frau mit wachsendem Misstrauen. Bis eines Tages das größtmögliche Unglück über die Familie hereinbricht – und Blythe sich ihrer Wahrheit stellen muss.
Wenn man sein Kind bedingungslos lieben möchte, aber die Angst das überwältigendere Gefühl ist. »Der Verdacht« erzählt von schicksalhaften Familienbanden, von Obsession und der Zerbrechlichkeit von Glück – ein zutiefst aufwühlender Roman von großer Sogkraft, erschütternder Klarheit und stilistischer Brillanz.“ – Zitat Klappentext

Den vollständigen Klappentext habe ich hier vorangestellt, weil ich es als schwierig erachte, über dieses Buch zu sprechen, ohne zwangsläufig Inhalte zu verraten, was einen Lesegenuss schmälern könnte. Die Buchbeschreibung verrät schon recht viel.
Was sie nicht transportiert ist die großartige Umsetzung des thematisch schwierigen Plots. Der Autorin gelingt es, eine Spannungskurve zu zeichnen, welche mich in ihren Bann zieht, mir andererseits Entspannung gönnt, um mich im Finale „einfach stehen zu lassen“.

Die Handlung selbst bewegt sich auf drei Ebenen: Großmutter, Mutter und Blythe in der Gegenwart als Hauptprotagonistin. Die Herkunft eines Menschen macht ihn zu dem, was er ist. Insofern hilft mir die generationsüberschreitende Erzählung, die Gefühls- und Gedankenwelt sowie das Handeln von Blythe zu verstehen.

Könnte diese Geschichte Realität sein? Ich kann es nicht beurteilen. Dafür weiß ich zu wenig über Mutterschaft, wie sich ein Lebewesen entwickelt oder welche Faktoren für die Ausbildung eines Charakters greifen.

„Der Verdacht“ ist ein rundum gelungener Debüt-Roman, mit dem Ashley Audrain in das Thema „Mutterschaft“ eintaucht, welches in meiner Wahrnehmung im Außen oft rosarot geschildert wird, im Inneren jedoch auch eine große Schwere bergen kann, was eine Mutter keinesfalls abwertet. Dass es „das Böse“ an sich geben könnte, mag ich in dieser Form jedoch nicht glauben.

Eine begeisternde Lese-Erfahrung, welche klassische Denkmuster hinterfragt und Raum für Diskussion, auch in der Gesellschaft, bietet.

Das Cover, welches in der Grundform schlicht, durch das Rot auf Grau jedoch auch kontrastreich, erscheint, spielgelt in der Zartheit und Zerbrechlichkeit der Mohnblumen den Inhalt gut wider.


Dieses eBook habe ich im Rahmen des Angebots von PenguinRandomhouse-Testleser vorab lesen dürfen.


Ashley Audrain, Der Verdacht, Roman, eBook, Penguin Verlag, 17,99 €, 320 Seiten in der Print-Ausgabe, Erscheinungstermin 29.03.2021

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Veröffentlicht am 21.03.2021

Wenn Träume fliegen lernen

Es war einmal in Italien
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Italien, 1870 – Was könnten ein Waisenjunge, eine Gräfin und ein Zirkusmädchen gemein haben?!? Und doch kreuzen und verbinden sich die Lebenspfade von Pietro, Nella und Marta in Rom. Die „Ewige Stadt“ ...

Italien, 1870 – Was könnten ein Waisenjunge, eine Gräfin und ein Zirkusmädchen gemein haben?!? Und doch kreuzen und verbinden sich die Lebenspfade von Pietro, Nella und Marta in Rom. Die „Ewige Stadt“ leidet unter der Knute des päpstlichen Staates und des Einflusses der Adligen. Das gemeine Volk lebt in Armut; Gewalt und Elend sind an der Tagesordnung. Im Untergrund bildet sich Widerstand; das Volk kämpft für die Wiedervereinigung Italiens durch die Befreiung Roms.

„Es war einmal in Italien“ schildert deutlich und ohne Weichzeichner die Lebensumstände der römischen Bürger in jenen Tagen. Dessen ungeachtet gelingt es Luca di Fulvio mit seiner Sprache Bilder der Hoffnung, des Aufbruchs und der Liebe zu zeichnen, welche Not und Elend stellenweise vergessen lassen. Ich erfahre, wie wichtig es ist, seine Herkunft sowie seinen Platz im Leben zu kennen.

Was stellenweise wie ein schönes Märchen daherkommt, verschont mich nicht mit knallharter Realität. Dem Autor gelingt der Spagat zwischen diesen extremen Gegensätzen, so dass ich das Elend hinnehmen und mit den Protagonisten ihre Träume leben kann. Ich befinde mich in Rom, bin ganz nah am Geschehen und es entstehen wunderschöne, aber auch brutale Bilder. Im Finale keimt das Pflänzchen Hoffnung, dass Träume in Erfüllung gehen und sich alles zum Guten wenden mag.

Die Protagonisten entspringen sicherlich der Fantasie di Fulvios. Die Revolution zur Befreiung Roms mit ihrem Vorgeplänkel und ihren Folgen sind Geschichte. Die Lebensumstände der Menschen sowie die historischen Gegebenheiten scheinen mir sehr gut recherchiert und gelungen transportiert.

Das Cover, schlicht und doch wunderschön gestaltet, verbirgt seinen großartigen, bildgewaltigen, emotionalen Inhalt auf diesen ersten Blick. Absolute Leseempfehlung!


Luca di Fulvio, Es war einmal in Italien, Roman, eBook, Lübbe Verlag, 11,99 €, 720 Seiten in der Print-Ausgabe, Erscheinungstermin 12.10.2020

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