Die Geschichte kommt zu oft vom Weg ab
Meinung
Die Autorin Romina Casagrande hat sich einem unpopulären und schrecklichen Thema angenommen, den Schwabenkindern. Jahrhunderte lang wurde Kinder der armen Bergbauern aus Südtirol an reichen Großbauern ...
Meinung
Die Autorin Romina Casagrande hat sich einem unpopulären und schrecklichen Thema angenommen, den Schwabenkindern. Jahrhunderte lang wurde Kinder der armen Bergbauern aus Südtirol an reichen Großbauern in Schwaben verkauft. Manche Kinder sahen ihre Heimat und ihre Eltern nie wieder. Auch als unter Mussolini dieser Handel untersagt wurde, gab es weiterhin illegale Wanderungen über die Alpen. Federführend war dabei die katholische Kirche, deren Dorfpfarrer meinten, sie täten den Armen etwas Gutes. In Schwaben angekommen, wurden die Kinder wie Sklaven angeboten. Auf den Höfen erwartete die Kinder nicht nur schwere, harte Arbeit, sondern auch Missbrauch und Demütigung.
Dem war damals auch Edna ausgesetzt. Glücklicherweise fand sie einen guten Freund, Jacob, der auf sie aufpasste. Jacob war ihr Halt, auch wenn er sie nicht vor allem beschützen konnte. In Rückschauen erinnert sie Edna an die Zeit auf dem Hof und an Jacob. So erfahren wir Leser:innen, wie das Leben der Schwabenkinder auf dem Hof aussah und was Edna als zehnjährige erlebte. Eines Tages ersteht Jacob einen Papagei, einen Paradiesvogel, der zur lebendig gewordenen Hoffnung der beiden Kinder wird. Sie schmieden einen Plan um fortzulaufen. Sie wollen mit Emil um die Welt ziehen. Doch es kommt anders.
Ednas Erinnerungen verlaufen meist chronologisch, sodass wir auch erst zum Schluss erfahren, warum Jacob und Edna auf ihrer Flucht getrennt wurden. Die Erlebnisse auf dem Hof schildert die Autorin oftmals aus der naiven Sichtweise der zehnjährigen Edna. Dadurch wirkt das Geschehene nicht weniger schrecklich und grausam, doch es mildert die harten Worte, die Erwachsene dafür hätten, ab. Ich habe bei den Episoden der Vergangenheit sehr mitgelitten und musste das Buch öfters aus der Hand legen, um das Schicksal sacken zu lassen. Die Handlungen heute und damals fließen wunderbar ineinander über, ohne zu verwirren.
Ednas Reise entbehrt nicht allerlei skurriler Begegnungen. Von einem, im Wohnwagen lebenden, Motorradfahrer über eine Schamanin mit Jura Studium oder einem Städter, der pilgert, um über den Verlust seines Partners hinwegzukommen. Den größten Teil der Strecke, dieser beschwerlichen Reise, geht sie zu Fuß. Natürlich kann man darüber streiten, ob es überhaupt möglich ist, dass eine Neunzigjährige den Weg über die Alpen schafft, dennoch halte ich es für durchaus denkbar. Edna hat viel erlebt in ihrem Leben, sie ist zäh, sie hat einen starken Willen und der versetzt bekanntlich Berge – oder überwindet sie. Allerdings wird es manchmal etwas abstrus und wirr, sowie ihre Fahrt im Gepäckraum eines Busses oder die ungeklärte Verfolgungsjagd mit der Polizei.
Im letzten Drittel eröffnet die Autorin einen unnötigen Erzählstrang um Adeles Familie. Sinn und Zweck dieses Strangs hat sich mir bis zum Schluss nicht erschlossen. Mich hat er verwirrt, den Fokus der Geschichte verrückt und alles künstlich in die Länge gezogen. Edna stellt sich ihren Dämonen der Vergangenheit, damit hätte das Buch beendet sein sollen. Ich verstehe, dass die Autorin Zuversicht vermitteln möchte, aber das hätte auf andere, kürzere Weise geschehen können. Max und Lukas sind für mich auf dieser Reise zwei vollkommen unnötige Charaktere, ebenso wie deren Probleme. Die reine Konzentration auf Edna und Jacob wäre ausreichend und richtig gewesen, so habe ich mich streckenweise ziemlich gelangweilt, weil ich kein Verständnis hatte, warum ich mich mit Adeles Familie beschäftigen soll. Ich war davon so genervt, dass ich die letzten Seiten nur noch überflogen habe.
Die Rückblenden sind absolut gelungen. Ich konnte mir das Leben auf dem Hof gut vorstellen. In der Gegenwart fehlt es mir oftmals an Tiefgang. So hätte ich gerne mehr über Ednas Leben nach ihrer Rückkehr nach Südtirol erfahren. Die alte Dame bleibt mir das Buch über fremd. Sie ist für mich nicht greifbar, weil es ihr an Kontur, an wahrem Charakter fehlt. Nur weil ich über ihre Liebe zum Garten oder ihre Sternsammlung Bescheid weiß, ist das für mich noch kein tiefer gehendes Kennenlernen. Zu Beginn hatte ich den Eindruck sie sei etwas senil, dann hielt ich sie trotz ihres Alters für ziemlich naiv, aber richtig warm wurde ich mit der alten Edna nie. Mir fehlen die Verknüpfungspunkte von der jungen zu der alten Edna. Auch bei den Abenteuern und Begegnungen auf ihrer Reise wäre weniger mehr gewesen. Es ist etwas zu viel des Guten, wie beispielsweise die Fahrt im Gepäckraum und die darauffolgende Jagd nach Emil.
Fazit
Die grauenhaften Bedingungen, unter denen die Schwabenkinder zu leiden hatten, sollten öfters Platz in Romanen finden. Der Roman konnte mich nicht vollends überzeugen. Teils zu oberflächliche Charaktere, teils fehlt mir die Sinnhaftigkeit. Die Erzählung verlor sich immer wieder in Nebenstränge, was dazu führte, dass sie kein Ende zu finden schien. Guter Ansatz, leider kommt die Geschichte zu oft vom Weg ab.