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Veröffentlicht am 22.04.2017

Eiskalte Berechnung

Minus 18 Grad
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„Sein merkwürdiges Nichttotsein, oder was es nun war, ließ ihm keine Ruhe. Er hatte Schwierigkeiten, im Ablauf der Geschehnisse auch nur ein einziges, annähernd logisches Detail zu erkennen. Er ahnte, ...

„Sein merkwürdiges Nichttotsein, oder was es nun war, ließ ihm keine Ruhe. Er hatte Schwierigkeiten, im Ablauf der Geschehnisse auch nur ein einziges, annähernd logisches Detail zu erkennen. Er ahnte, dass dies der Anfang von etwas viel Größerem war.“

Inhalt

Das Team der schwedischen Polizei bekommt durch Zufall Zugriff auf ein recht ominöses Tötungsdelikt. Denn der millionenschwere Unternehmer Peter Brise rast mit voller Geschwindigkeit über die Kaimauer und geht im eiskalten Wasser unter. Doch laut erfolgtem Obduktionsbericht, war der Verstorbene schon wesentlich länger tot und wurde in der Zwischenzeit bei Minusgraden konserviert.

Fabian Risk stößt in seinem 3. Fall auf einen brutalen Mörder, der die Identitäten wohlhabender, schwedischer Bürger annimmt, um sich ihr Vermögen unerkannt einzuverleiben und diese nach und nach erledigt. Doch so simpel wie es zunächst scheint, ist es nicht, denn während die Ermittler diese Spur verfolgen und tatsächlich eine Zielperson ausfindig machen, tauchen weitere Opfer auf, deren Ermordung bereits vor Jahren erfolgte und ein anderes Ziel zu haben schien. Und als plötzlich eine weibliche Täterin in den Fokus rückt, wird klar, dass es zwischen den losen Enden des Falls eine mörderische Verbindung geben muss, die bisher von keinem aufgedeckt wurde …

Meinung

Der schwedische Autor Stefan Ahnhem schafft mit seinem 3. Kriminalroman um den Ermittler Fabian Risk wieder eine spannende, abwechslungsreiche Szenerie, die ein gekonnter Mix zwischen polizeilicher Ermittlungsarbeit, mörderischer Energie und privaten Ereignissen ist.

Mir gefällt dieser Teil noch besser als der zweite, während ich den ersten noch nicht gelesen habe. Leider empfand ich die vielen Protagonisten, die man zwar im Laufe der hiesigen Erzählung näher kennenlernt, nicht so einprägsam, als dass sie mir aus den Vorgängerromanen in Erinnerung geblieben wären. Dementsprechend empfehle ich ein zeitnahes konsumieren dieser Reihe, beginnend mit dem ersten Band – andernfalls muss man so wie ich, auf die zwischenmenschlichen Hintergründe verzichten, weil sie unter Berücksichtigung des aktuellen Falls nicht gänzlich zur Entfaltung kommen.

Der Autor arbeitet mit einer sehr ausgewogenen Erzähltechnik, die gleichermaßen spannungsaufbauend und erklärend wirkt. Sobald man ein weiteres Detail erfahren hat, ergibt sich eine neue Perspektive, die ihrerseits informative Aspekte ins Gespräch bringt.

Die kurzen Kapitel, die oft einen anderen Protagonisten in den Mittelpunkt rücken, liefern letztlich wie kleine Puzzleteile das Gesamtbild des Kriminalfalls, bei dem man bis zum Schluss zwar eine Vermutung hat, aber keine genauen Anhaltspunkte. Das offene Ende, trägt dazu bei, dass man als Leser einerseits sobald wie möglich vom Fortgang der Geschichte lesen möchte, lässt einen aber andererseits fragend zurück, warum die Aufklärung allein nicht genügt, sondern ganz bewusst einige Fragen offenlässt, die man gerne noch geklärt hätte.

Positiv bewerte ich den Spannungsbogen, die Blickwinkel, die sich ergeben und eine intensive, vielschichtige Erzählweise, die dauerhaft das Interesse weckt und die Neugier des Lesers nicht nur weckt, sondern auch aufrecht erhält.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für alle Liebhaber schwedischer Kriminalromane, die sich auf einen gut durchdachten Fall freuen, der ihnen möglicherweise neue Sichtweisen und ungewöhnliche Aspekte der menschlichen Psyche offenbart. Das Hauptaugenmerk liegt auf der klassischen Ermittlungsarbeit und beschäftigt sich nur zweitrangig mit der Perspektive des Mörders, dennoch bietet die Erzählung ausreichend Einblicke in die kranke Seele eines Menschen, dem es in erster Linie um die Verwirklichung seiner speziellen Ansichten geht. Ich werde die Reihe um den Ermittler Fabian Risk auf jeden Fall weiterverfolgen.

Veröffentlicht am 22.04.2017

Dem Vergessen entrissen

Das Gedächtnis der Insel
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„Wer weggeht und wieder zurückkommt, der findet nicht mehr denselben Ort vor. Alles war in Bewegung und das, was wir kennen, eine Illusion.“

Inhalt

Yann Schneider kehrt nach 20 Jahren Abstinenz an seinen ...

„Wer weggeht und wieder zurückkommt, der findet nicht mehr denselben Ort vor. Alles war in Bewegung und das, was wir kennen, eine Illusion.“

Inhalt

Yann Schneider kehrt nach 20 Jahren Abstinenz an seinen Heimatort auf einer abgelegenen Insel in der Bretagne zurück. Jenem Ort, der ihm als Kind seine Mutter nahm und nun seinen Vater holte. Direkt an der stürmischen Atlantikküste trotzen nur wenige den Kräften des Meeres, Menschen verschwinden und tauchen nicht mehr auf und andere tragen bittere Geheimnisse mit sich herum.

Yann nimmt die bevorstehende Beerdigung seines Vaters als Anlass dazu, ein allerletztes Mal an den Ort der Verdammnis zurückzukehren, um die wahre Geschichte hinter dem tragischen Tod seiner Mutter herauszufinden. Denn an Schicksal mag er nicht glauben, ebenso wenig wie an die Unschuld seiner Stiefmutter und gemeinsam mit seiner Jugendliebe Gwenn, die bei der Gendarmerie tätig ist, begibt er sich auf eine Reise in die Vergangenheit.

Doch während ein gigantisches Sturmtief über das Eiland hinwegfegt, eröffnen sich neue Perspektiven auf ein längst verjährtes Verbrechen. Die Frage ist nur, ob Yann schneller Licht ins Dunkel bringen kann als dass sein Leben verlischt, getilgt durch die monströsen, unmenschlichen Naturgewalten in Kombination mit mörderischer Energie …

Meinung

Auf dieses Buch bin ich sowohl wegen seines gelungenen Coverbildes als auch wegen der stimmigen Beschreibung, die einen beeindruckenden Roman über die dunklen Mächte der Liebe verspricht, aufmerksam geworden. Und beide Aspekte finden sich in zahlreichen Formulierungen des Textes wieder, so dass allein die erzeugte Stimmung beim Lesen eine Wucht ist. Der Autor vermag es auf grandiose Art und Weise das Leben auf einer ausgesprochen eigenen, minimalistischen Insel darzustellen, auf der jeder jeden kennt und die Gerüchteküche brodelt.

Seine Charaktere sind geradlinig, klar strukturiert und glaubwürdig. Und die entworfene Geschichte, die sich gerade zu Beginn des Buches mit der Vergangenheitsbewältigung eines Mannes beschäftigt, der schon sehr lange als Einzelgänger durch die Welt streift, führt den Leser in eine Welt voller Geheimnisse, Intrigen und Ungereimtheiten.

Begleitet von einem heraufziehenden Unwetter, welches unheimlich bedrohlich geschildert wird, erkennt der Leser, dass hinter dem Tod zweier Verstorbener nicht zwangsläufig die Naturgewalt steckt sondern über die Jahre ein Verbrechen verschleiert werden sollte, dessen Schuldige noch immer an gleicher Stelle ein bis dato unbehelligtes Leben führen. Christian Buder verbindet Mystik mit Aberglauben und Rache mit Mord und balanciert die kriminalistische Erzählung gekonnt durch eine Handlung voller Atmosphäre und undurchschaubarer Zusammenhänge.

Im zweiten Teil des Buches gefiel mir persönlich der gewählte Spannungsbogen nicht mehr so ganz, was in erster Linie an der Aufklärung der Vorgänge aus den letzten drei Jahrzehnten lag. Eine Wendung, die ich so nicht erwartet hatte, nahm der bis dahin wahnsinnig spannenden Erzählung den Wind aus den Segeln und ließ die Verbindungen etwas fragwürdig erscheinen. Ganz in Anlehnung an den Sturm der an der Küste tobt, flaut auch hier der Inhalt nach Bekanntgabe der Hintergründe merklich ab. Hier hätte mir eine etwas geheimnisvollere Auflösung wohl deutlich besser gefallen. Insbesondere weil der Schreibstil diese Undurchsichtigkeit und Abhängigkeit von den äußeren Umständen geradezu herausfordert.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen intensiven, naturverbundenen Roman, der den Leser in die Unwirtlichkeit entführt und ihm eine kriminalistische Erzählung in Verbindung mit tollen Landschaftsbildern bietet. Der Text wäre auch eine gelungene Vorlage für einen Film, vor allem weil die Sprache voller Bilder ist und regelrecht Lust auf die Bretagne mit ihren isolierten, zerklüfteten Küsten und einer rauen See macht.

Ein Roman, dem ich gerne 5 Sterne gegeben hätte, allein schon wegen der Lesestimmung, die sich entwickelt hat. Wer subtile Kriminalromane mit besonderen Schauplätzen mag, sollte hier unbedingt zugreifen. Ich persönlich werde mich mit weiteren Romanen des Autors beschäftigen, weil mir der Erzählstil unheimlich gut gefallen hat.

Veröffentlicht am 20.04.2017

Wie geht es Ihnen heute?

Fuchsteufelsstill
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„Genauso stellte ich mir Liebe vor. Manchmal war sie da, auch wenn niemand sonst sie sehen konnte, und manchmal war sie auch da, obwohl ich sie nicht sehen konnte. Wenn ich mich fragte, ob ich jemanden ...

„Genauso stellte ich mir Liebe vor. Manchmal war sie da, auch wenn niemand sonst sie sehen konnte, und manchmal war sie auch da, obwohl ich sie nicht sehen konnte. Wenn ich mich fragte, ob ich jemanden liebte, wusste ich allein durch die Frage schon, dass ich es nicht tat. Vielleicht fühlten wir doch schneller als wir dachten.“

Inhalt

Für Juli gestaltet sich jeder Tag anders, obgleich sie immer dieselben Handlungen vollzieht. Jede Abweichung vom gewohnten Rhythmus versetzt sie in Angst und Schrecken, ebenso wie grelle Farben, fremde Menschen und unkontrollierbare Gefühle. Juli wird von einem Fuchs begleitet, der ihr seine Krallen in den Rücken gräbt und weich um ihre Beine schleicht, doch niemand kann ihn sehen. Aber egal, denn Juli weiß, dass sie psychisch krank ist und dennoch fast jede Antwort auf naturwissenschaftliche Fragen beantworten kann, ihr ganzes Universum stützt sich auf logisch bewiesene Erklärungen, während ihr nicht einmal ein ironischer Gesichtsausdruck gelingt. Als sie auf zwei andere Patienten der Psychiatrie trifft, die ebenso in ihren Zwangshandlungen gefangen sind, beginnt sie, aus den gewohnten Verhaltensmustern auszubrechen und lebt ein Wochenende jenseits ihrer Wohlfühlzone, um zu erkennen, dass jeder verrückt sein kann, solange er andere Individuen akzeptiert, selbst wenn deren Beweggründe unvorstellbar weit weg von der eigenen Lebensvorstellung liegen.

Meinung

Die junge Autorin Niah Finnik, die selbst zu den Betroffenen des Asperger-Syndroms zählt, beschreibt in ihrem Debütroman sehr eindringlich und greifbar die innere Zerrissenheit von psychisch Kranken, die sich nicht nur auf ihr seltsames Empfinden und ganz unerklärliche Verhaltensweisen konzentriert, sondern in erster Linie mit öffentlichem Unverständnis und ständiger Erklärungsnot konfrontiert sieht.

Oft fragt man sich als Leser, was das Fremde vom Bekannten unterscheidet und wie gestört ein unangepasstes Verhalten tatsächlich empfunden wird. Auch die gewählte Erzählperspektive, die uns unmittelbar am Geschehen teilhaben lässt und die Grenzen zwischen genormten Gedankengängen und aufgedrängten Empfindungen verwischt, lässt den Leser sehr nah ran an die Hauptprotagonistin und ihre seltsamen Erkenntnisse.

Dadurch gelingt es der Autorin eine ungeahnte Nähe herzustellen, zu Dingen und Empfindungen, die man als psychisch „gesunder“ Mensch nicht kennt. Immer wieder erscheinen die Handlungen in einem vollkommen abstrusen Licht, während die Beweggründe seltsam klar wirken. Diesen schriftstellerischen Spagat meistert Frau Finnik hervorragend, denn trotz aller Unterschiede wirkt das Krankheitsbild ganz klar und absolut glaubwürdig, und wird durch die bildhafte Sprache sehr greifbar.

Darüber hinaus werden menschliche Verhaltensweisen hinterfragt und aus ganz verschiedenen Perspektiven beleuchtet, Normales erscheint nun bitter und Unnormales nur allzu menschlich. So dass man sich am Ende des Buches fragt, wie es wäre in einer anderen Haut zu stecken, von der man genau weiß, wie fehlerhaft und außergewöhnlich ihre Außenwirkung ist.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen frischen, außergewöhnlichen Roman, der den Leser tief in ein unbekanntes Krankheitsbild blicken lässt und die Besonderheit jedes Menschen hervorhebt. Letztlich ist es weder ein mitleiderregender noch ein sentimentaler Roman, sondern vielmehr eine kleine Studie über das Normale, das Andersartige und die Chance, die sich aus gemeinsamer Interaktion ergibt. Humorvoll, erschreckend, ehrlich aber in erster Linie lesenswert!

Veröffentlicht am 21.03.2017

Die Aasgeier auf der politischen Bühne

Die Zeit der Ruhelosen
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„Wenn man an der Macht war, wandte man die Regeln der Kriegskunst an. Man griff zu den Waffen, wenn man erobern wollte, und tat dies auch, um sich seinen Platz zu sichern. Man ließ geliebte Menschen fallen. ...

„Wenn man an der Macht war, wandte man die Regeln der Kriegskunst an. Man griff zu den Waffen, wenn man erobern wollte, und tat dies auch, um sich seinen Platz zu sichern. Man ließ geliebte Menschen fallen. Man verriet, man verletzte. Man tötete, auch das. Unser Leben gegen euren Tod.“

Inhalt

Drei Menschen kämpfen hier den Kampf ihres Lebens, jeder auf seiner eigenen Bühne, mit ganz persönlichen Dramen, inneren Ängsten, äußeren Beschränkungen und ständig unter der Beobachtung einer ominösen Menschenmenge, die stets die Opposition bildet und doch nie ganz in Erscheinung tritt. Der Unternehmer Vély, der Kunst liebt und als geborener Jude nicht bedenkt, welche Folgen es hat, als er sich auf einem Stuhl in Form einer nackten schwarzen Frau setzt. Der traumatisierte Afghanistan-Soldat Romain, der nur Frieden findet, wenn er Vélys Frau besitzt und der farbige Politiker Osman, dessen politische Felle immer mehr davonschwimmen, nachdem er ein echtes Problem mit rassistischen Bemerkungen zu haben scheint. Sie alle spielen eine Rolle, stehen im Rampenlicht der Öffentlichkeit und fühlen sich doch unendlich einsam. Als sie gemeinsam auf einer Tagung im Irak sind, zerstört der Zufall ihr Leben auf ganz andere Art und Weise, als sie bis dato dachten …

Meinung

Die französische Autorin Karine Tuil setzt sich in diesem weltpolitischen Roman mit großer Aktualität ein kleines Denkmal, denn sie sensibilisiert den Leser für die unsichtbaren, zweitrangigen Belange, mit denen sich Menschen im Rampenlicht tagtäglich auseinandersetzen müssen. Ganz offensichtlich wählt sie die Politik als Auslöser dafür, wie vielfältig und intensiv ein persönliches Schicksal verlaufen kann, welches nur dadurch entsteht, dass ihre Protagonisten dem Rampenlicht zugewandt sind, manch einer ganz bewusst, ein anderer nur durch sein Erscheinen zur falschen Zeit am falschen Ort.

Sie thematisiert dabei viele gesellschaftsrelevante Begriffe wie Moral, Loyalität, Verrat, Macht und Erfolgsstreben, zeigt aber gleichzeitig, welchem Werteverfall die breite Masse ausgesetzt ist. Angefangen von öffentlichen Beleidigungen, Diffamierungen in der Presse und Ausgrenzung aus einem sehr fragwürdigen Freundeskreis, der sich nicht mehr an Menschlichkeit, sondern Prestige orientiert. Doch im gleichen Atemzug geht sie auch in die Tiefe und erörtert, wie sich der Charakter einer Person ändert, wenn sie meint ihr Wert reduziert sich auf das Bild der Anderen.

Ein sehr gekonnter Einstieg und ein hochdramatisches Finale lassen das Buch zu einem spannenden Schmöker werden, dem auch ein etwas schwächerer Mittelteil nur bedingt etwas anhaben kann. Leichte Probleme hatte ich eine Weile mit den drei Protagonisten, deren Einzelschicksale zwar sehr detailliert und umfassend beschrieben werden, deren Zusammenspiel aber wirklich erst im letzten Drittel des Romans ersichtlich wird. So kam mir der Text nicht ganz so flüssig und chronologisch sinnvoll vor, die verschiedenen Handlungsstränge hatten zeitweise keinen gemeinsamen Nenner, dies soll mein Hauptkritikpunkt bleiben in einer Story, die mich in ihrer Gesamtheit überzeugen konnte.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen differenzierten, aktuellen, doch zeitlosen Roman über Menschen, die in ihrem Leben falsche Akzente gesetzt haben und in Folge mehrerer Dramen den festen Boden unter den Füßen verlieren. Menschen, die innere Zerrissenheit spüren und der Übermacht ihres geschaffenen Gesellschaftsbildes nicht mehr gerecht werden können. Sehr treffend formuliert, sehr raffiniert geschrieben und mit viel Stoff zum Nachdenken. Empfehlenswert für alle Leser, die sich mit Sachverhalten gedanklich auseinandersetzen und einen Blick hinter die Kulissen des schönen Scheins werfen möchten.

Veröffentlicht am 17.03.2017

Übernachten will ich bei dir!

Unsere Seelen bei Nacht
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„Ich will nur friedlich vor mich hin leben und darauf achten, was Tag für Tag passiert. Und abends herkommen und bei dir schlafen.“

Inhalt

Addie und Louis leben Haus an Haus in einer Kleinstadt in Colorado. ...

„Ich will nur friedlich vor mich hin leben und darauf achten, was Tag für Tag passiert. Und abends herkommen und bei dir schlafen.“

Inhalt

Addie und Louis leben Haus an Haus in einer Kleinstadt in Colorado. Beide sind über 70 und allein, weil die jeweiligen Ehepartner verstorben sind und die Kinder längst aus dem Haus. Addie mag ihren Nachbarn und fragt ihn, ob er bereit wäre sie abends und nachts zu besuchen um gemeinsam mit ihr in einem Bett zu schlafen – natürlich ohne sexuelle Hintergedanken sondern allein deswegen, weil sich so die Einsamkeit der Nacht besser überstehen lässt. Louis findet die Idee nicht schlecht und möchte es zumindest probieren. Schon bald merken die beiden, dass es sich zu zweit auch im Alter viel entspannter lebt und weiten ihre Treffen auch auf den Tag aus. Doch in Holt, rümpft man die Nase und stößt sich am unkonventionellen Verhalten von Addie und Louis. Überall stoßen sie auf Ablehnung und Unverständnis. Als Addies Sohn von seiner Mutter fordert, dass sie den Nachbarn nicht mehr trifft, weil sie sonst ihren geliebten Enkel verliert, muss sie sich entscheiden …

Meinung

Auf 197 Seiten entwirft der mittlerweile verstorbene amerikanische Autor Kent Haruf eine schöne, leichte und stille Geschichte über die Wünsche und Hoffnungen im Alter, auch diejenigen, die eine Liebe, eine tiefe innere Verbundenheit ausdrücken und die Menschen daran erinnern, dass es für Gefühle und Warmherzigkeit niemals zu spät ist. Die beiden Protagonisten wirken sehr lebensecht, tief verwurzelt in ihren Ansichten und wunderbar ausgeglichen. Beide haben etwas für sich entdeckt, was ihnen wieder mehr Lebensfreude und Energie schenkt und sie sehen es nicht ein, sich in ihrem Alter noch Gedanken darüber zu machen, was andere von ihnen denken. Mit dieser Ausgangssituation fängt der Autor den Leser und bietet im Folgenden eine Geschichte mit Höhen und Tiefen, mit guten und schlechten Entscheidungen und zeichnet dabei ein sehr interessantes Bild über die Möglichkeiten, die sich eröffnen, wenn man dem Glück nur ein wenig die Tür öffnet.

Der Schreibstil von Haruf ist sehr einfach, konzentriert sich auf das Wesentliche und vermittelt dadurch für mich zu wenig echte Emotionen. Was mir z.B. gänzlich gefehlt hat war die Selbstreflexion von Addie aber auch von Louis – als Leser kennt man sie mehr aus zweiter Hand, was zwar objektiv richtig ist, mich aber nicht wirklich teilhaben lässt am inneren Prozess der Gefühlsfindung. Dadurch plätschert das Geschehen etwas dahin und die Aussagekraft des Buches bleibt minimal, denn beide gehen einen gemeinsamen Weg, lassen sich aber wieder voneinander abbringen – wohlgemerkt ohne damit glücklich zu sein. Tatsächlich finde ich den Plot der Geschichte besser geeignet für einen Film, als für ein Buch, schon allein weil es dann den Schauspielern obliegt Gefühle zu transferieren.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen naturverbundenen, einfachen und stillen Roman, der wenig braucht um etwas zu vermitteln und der vielleicht auch an die jüngere Generation appelliert, wie sie mit ihren Eltern und Großeltern in der späten zweiten Lebenshälfte umgehen möchte. Ganz klar und deutlich erscheint mir die Aussage, dass jedes Individuum einen anderen Traum von Glück und Zufriedenheit hat und dass es normalerweise niemanden geben dürfte, der Gefühle nur auf Grund gesellschaftlicher Konventionen abwertet oder sogar verbietet. Lesenswert!