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Veröffentlicht am 19.04.2021

Indisches Fast Food im besten Sinne

Einfach indisch – Kochen mit 7 Zutaten
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Indisches Essen? Sehr lecker. Indisch kochen? Sehr aufwendig. Komplexe Zutatenlisten, gespickt mit Gewürzen, deren Beschaffung endlos Zeit in Anspruch nimmt, sowie Kochzeiten, die es fast unmöglich machen, ...

Indisches Essen? Sehr lecker. Indisch kochen? Sehr aufwendig. Komplexe Zutatenlisten, gespickt mit Gewürzen, deren Beschaffung endlos Zeit in Anspruch nimmt, sowie Kochzeiten, die es fast unmöglich machen, auf die Schnelle eine warme Mahlzeit auf den Tisch zu bringen. Aber dies gehört nun glücklicherweise seit Monisha Bharadwajs „Einfach indisch – Kochen mit 7 Zutaten“ der Vergangenheit an, denn die mehrfach ausgezeichnete Kochbuch-Autorin hat ihre Rezepte den Anforderungen der Zeit angepasst und eine Vielzahl von Gerichten kreiert, deren Zubereitung sich weitgehend problemlos in den Alltag integrieren lässt.

Vorausschicken muss man allerdings noch, dass es zusätzlich drei Basis-Zutaten gibt, die zwar in den Auflistungen nicht vorhanden sind, aber häufiger in den Zubereitungsempfehlungen auftauchen, als da wären Sonnenblumenöl, Salz sowie Ingwer-Knoblauch-Paste, für deren Herstellung es eine Anleitung gibt. Auf DIY kann/muss man auch bei dem öfter verwendeten und nicht überall erhältlichen indischen Frischkäse Panir (oder Paneer) zurückgreifen. Hier fehlt leider das Rezept (Vollmilch plus Zitronensaft), ist aber in anderen indischen Kochbüchern oder im Internet zu finden.

Zur Einleitung gibt es eine kleine Gewürzkunde sowie einen Blick in den Vorratsschrank. Die Rezepte sind nach ihren Eigenschaften gegliedert: Frisch, Tröstlich, Schnell, Herzhaft, Süß. Einzig One Pot und Vegan tanzen hier aus der Reihe. Currys und Eintöpfe mit viel Gemüse überwiegen, die Zutatenlisten sind durch die Verknappung auf 7 Komponenten übersichtlich und die Zutaten preiswert(oft Hülsenfrüchte). Die Zubereitung ist gut beschrieben und unkompliziert, erfordert keine besonderen Kenntnisse. Der Zeitaufwand ist übersichtlich, und so steht nach maximal 60 Minuten ein leckeres indisches Essen auf dem Tisch. Indisches Fast Food im besten Sinne. Guten Appetit!

Veröffentlicht am 18.04.2021

Lesenswerter historischer Krimi aus dem besetzten Paris

Die Toten vom Gare d’Austerlitz
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Am 14. Juni 1940 marschieren die Nationalsozialisten in Paris ein und übernehmen die Kontrolle. Ausgangssperre, massive Eingriffe in das öffentliche Leben, Sanktionen. Fluchtartig verlassen die Einwohner ...

Am 14. Juni 1940 marschieren die Nationalsozialisten in Paris ein und übernehmen die Kontrolle. Ausgangssperre, massive Eingriffe in das öffentliche Leben, Sanktionen. Fluchtartig verlassen die Einwohner die Stadt, nur wenige bleiben zurück. Unter ihnen Eddie Giral, Kommissar der Pariser Polizei, der sich in seinem aktuellen Fall mit den neuen Machthabern in Gestalt des ambitionierten Major Hochstetter auseinandersetzen muss. Auf dem Gelände des Gare d’Austerlitz werden vier Tote in einem Eisenbahnwaggon gefunden, offenbar polnische Flüchtlinge, vergiftet mit Gas. Kurze Zeit später setzt ein weiterer Pole seinem Leben durch einen Sprung aus dem Fenster seinem Leben ein Ende und nimmt seinen kleinen Sohn mit in den Tod. Beiden Fällen gemeinsam ist die Verbindung zu der polnischen Stadt Bydgoszcz, in der die Nazis 1939 unvorstellbare Gräueltaten begangen haben.

Lloyd arbeitet mit zwei Erzählsträngen. Da ist zum einen die 1940er Gegenwart, die sich mit Girals Ermittlungen und seiner Suche nach Antworten auseinandersetzt. Gleichzeitig zeichnet er das authentische Bild einer Metropole, deren Alltag von vielerlei Einschränkungen, Schikanen und Erniedrigungen geprägt ist. In der die Besatzer unmissverständlich zeigen, wer das Sagen hat. Aber Giral hat seinen eigenen Kopf, schert sich wenig um Befehle und bringt sich so immer wieder in die Bredouille. Er scheut kein Risiko, was wohl auch seiner latenten Todessehnsucht geschuldet ist. Das bringt uns zur zweiten Zeitebene im Jahr 1925. Der Erste Weltkrieg ist vorbei, in dem Giral Soldat war. Zwar hat er überlebt, kann sich aber von den peinigenden Erinnerungen nicht befreien. Sie zerstören seine Familie, nehmen ihm alles, was ihm wichtig ist. Aber vielleicht hat er ja doch noch eine Chance zur Wiedergutmachung.

Ein lesenswerter historischer Kriminalroman zwischen Besatzung und Widerstand, gekonnt mit Fakten und Fiktion spielend, atmosphärisch in Szene gesetzt, der einmal mehr den Fokus auf ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte richtet.

Veröffentlicht am 11.04.2021

Ein rauer Noir aus Manchester

Kill Time
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In „Kill Time“, dem abschließenden Band der Aidan Waits-Trilogie, nimmt uns der Autor wieder mit nach Manchester. Er zeigt uns die Schattenseiten dieser Industriestadt im Nordwesten Englands und beweist, ...

In „Kill Time“, dem abschließenden Band der Aidan Waits-Trilogie, nimmt uns der Autor wieder mit nach Manchester. Er zeigt uns die Schattenseiten dieser Industriestadt im Nordwesten Englands und beweist, dass ein düsterer Thriller aus dem United Kingdom nicht zwingend in Schottland verortet sein muss, obwohl mich Waits stellenweise doch sehr an Alan Parks‘ Glasgower Detective Harry McCoy erinnert. Wie dieser ist er eine gebrochene Figur, seine psychische Verfassung ist fragil, die Dämonen seiner Vergangenheit lauern in jedem Winkel.

Drogen und Alkohol gehören zu seinem Alltag, Grenzüberschreitungen während seiner Einsätze sind keine Ausnahme, sondern die Regel. Unkonventionell, hart, oft die Legalität vernachlässigend, aber immer getrieben von seiner eigenen Moral, seinem Mitgefühl für die Opfer. Und das gibt ihm die Richtung vor. Ob er damit Vorgesetzten auf die Füße tritt, kümmert ihn nicht. Verpflichtet fühlt er sich nur seinem eigenen Empfinden von Gerechtigkeit.

Versetzt in die Tagschicht und kürzlich zum DS befördert, soll sich Aidan Waits um den Fall des im Sterben liegenden Martin Wick alias „der Schlafwandler“ kümmern, der eine komplette Familie abgeschlachtet hat. Aber Lizzie Moore, eines der Kinder fehlt, ist nicht unter den Opfern zu finden. Bisher gibt es keinerlei Spuren, aber Waits hofft darauf, dass ihm der Killer Hinweise zum ihrem Verbleib geben wird. Vergebens, denn trotz einer Wache vor der Tür verschafft sich jemand Zutritt zu dem Krankenzimmer und tötet Wick, der mit seinen letzten Atemzügen seine Unschuld beteuert.

Misstrauisch geworden verbeißt sich Waits in den Fall, schaut sich nicht nur die Ermittlungen zum Mord an der Familie Moore genauer an, sondern auch die Umstände rund um Wicks Tod. Hätte er mal lassen sollen, denn das, was er zutage fördert, passt so manchem Vorgesetzten nicht in den Kram.

Veröffentlicht am 07.04.2021

Die Hoffnung bleibt

Frühling
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Ali Smith‘ Jahreszeitenquartett als Romane zu bezeichnen, wird diesen Büchern nicht gerecht. Es sind Chroniken, außergewöhnliche Belletristik, die von der Lage der Nation, von Strömungen und Stimmungen ...

Ali Smith‘ Jahreszeitenquartett als Romane zu bezeichnen, wird diesen Büchern nicht gerecht. Es sind Chroniken, außergewöhnliche Belletristik, die von der Lage der Nation, von Strömungen und Stimmungen innerhalb der Gesellschaft berichten. Und ihre Aussagen sind, obwohl der Fokus auf Großbritannien liegt, dennoch übertragbar auch auf andere Länder.

„Frühling“, die Zeit der Hoffnung auf Veränderung. Zwei Erzählstränge und vier Menschen bestimmen die Handlung, die sich aus vielen Vignetten zusammensetzt: Paddy, die witzige, intelligente Drehbuchautorin, deren Tod ihren Freund und Kollegen Richard im Innersten erschüttert, ihn sich, sein Tun und sein Leben komplett in Frage stellen lässt. Der ohne konkretes Ziel in einen Zug gen Norden steigt, um seinem Leben dort ein Ende zu setzen.

Brit arbeitet seit kurzem für eine Sicherheitsfirma in einem sogenannten Durchgangszentrum für Asylbewerber nahe der englischen Hauptstadt, das längst seine ursprüngliche Funktion aufgegeben hat. Migranten werden in diesem völlig überfüllten Lager unter unmenschlichen Zuständen über lange Zeiträume interniert. Niemand interessiert sich für sie, für ihre Geschichte, die Gründe ihrer Flucht. Das Auftauchen der zwölfjährigen Florence setzt einen Prozess in Gang, gibt Denkanstöße. Sie überzeugt Brit, das Lager zu verlassen und mit ihr in einen Zug zu steigen. Nach Norden, wo sich ihr Weg mit dem von Richard kreuzen wird.

Die Autorin betrachtet die politische Gegenwart durch die Augen einer Kunstschaffenden, stellt Bezüge her zwischen Gesellschaft und Werken aus Literatur und Malerei, veranschaulicht dies durch Analogien, schleift so auf den ersten Blick die Kanten ab, macht sie aber im genaueren Hinsehen um ein Vielfaches eindrücklicher. Poetisch, empathisch und äußerst kraftvoll erinnert sie uns daran, dass wir zwar nur ein unbedeutendes Rädchen im Getriebe des Jahreslaufs sein mögen, aber dennoch die Möglichkeit haben, die Richtung zu bestimmen und Veränderungen einzuleiten.

Veröffentlicht am 04.04.2021

Was ist Heimat?

Jaffa Road
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Berlin, Tunis, Haifa. Stationen, die den Hintergrund für diesen Roman bilden, der von Überlebensstrategien im Teil einer Welt erzählt, in der das Zusammenleben durch politische Einflussnahme und territorialen ...

Berlin, Tunis, Haifa. Stationen, die den Hintergrund für diesen Roman bilden, der von Überlebensstrategien im Teil einer Welt erzählt, in der das Zusammenleben durch politische Einflussnahme und territorialen Anspruch vergiftet wurde. Wo man Intoleranz, Wut und Hass gesät und damit das friedliche Miteinander von Christen, Juden und Muslimen zerstört hat. Wo die Welt noch immer wegschaut, wenn tagtäglich Unrecht geschieht.

„Jaffa Road“ schreibt die Geschichte des ehemaligen Wehrmachtsfotografen Moritz Reincke fort, die 1942 in „Piccola Sicilia“, dem Einwandererviertel in Tunis, ihren Anfang genommen hat, und dessen Leben und Tod untrennbar mit den drei Personen verbunden ist, die sich in der alten Villa in Palermo begegnen. Nina, seine Enkelin und Erbin, ihre jüdische Tante Joëlle und schließlich Elias, der palästinensische Sohn, von dessen Existenz niemand wusste.

Nun könnte man annehmen, dass aus dieser Konstellation ein Roman nach dem üblichen 08/15 Schema wird, in dem es darum geht, ein lange verborgenes Familiengeheimnis zu lüften. Weit gefehlt, denn die Spurensuche dieser drei Beteiligten führt die Leserinnen mitten hinein in eine krisengeschüttelte Region des Nahen Osten und erzählt von einem Leben, geprägt von Brüchen, Widersprüchen und Geheimnissen.

Der Autor macht daraus einen Episodenroman, lässt seine Protagonisten abwechselnd zu Wort kommen, zeigt die Auswirkungen des Konflikts zwischen Israel und Palästina auf das Private, in dem die Zugehörigkeit nicht nur über Familie sondern auch über Nationalität definiert wird. Dieser Wechsel der Perspektive wirkt sich positiv auf den Spannungsbogen aus, hält das Interesse der Leser
innen bei der Stange und – was bei dieser Thematik nicht unwesentlich ist – vermeidet die Parteinahme. So entsteht aus den unterschiedlichen Steinchen der Erinnerungen nach und nach ein farbenprächtiges Mosaik, dessen zentrales Thema die Frage nach Heimat ist und so Herkunft und Identität eher nebensächlich erscheinen lässt.