Hautfarbe von Hellbraun bis Tiefschwarz
Das Buch "Mädchen, Frauen etc" von Bernadine Evaristo ist ein Buch, dass mich um den Schlaf brachte. Nachts um 3 Uhr bin ich wieder aufgestanden, um weiter zu lesen, was mich dermaßen begeisterte. Der ...
Das Buch "Mädchen, Frauen etc" von Bernadine Evaristo ist ein Buch, dass mich um den Schlaf brachte. Nachts um 3 Uhr bin ich wieder aufgestanden, um weiter zu lesen, was mich dermaßen begeisterte. Der Roman ist faszinierend, zeigt uns ein Abbild unserer euroäischen Welt, wie wir Weiße es nicht auf dem Schirm haben!
Aufmerksam auf dieses Buch wurde ich durch das farbenprächtige Cover. So bunt stelle ich mir Afrika vor. Meine Neugierde war geweckt. Doch die Leseprobe ließ mich unschlüssig zurück. Ein Roman bei dem es weder Punkt am Ende, noch Großschreibung am Anfang eines Satzes gibt - finde ich mich da in die Handlung? Oder lege ich dieses Buch nach 30 Seiten entnervt zur Seite, weil es mir zu anstrengend ist?
Nichts dergleichen! An die Schreibweise hatte ich mich nach wenigen Seiten gewöhnt. Jedes Satzende ergab sich durch den Sinn.
Im Mittelpunkt des Romans stehen Frauen. Theaterregisseurin, erfolgreiche Investmentbankerin, Lehrerin, Unternehmerin usw. Im Grunde alles Menschen, wie sie uns Tag für Tag irgendwo auf der Straße begegnen können und die wir im Alltagstrott nicht mehr wahrnehmen. Doch diese Frauen sind anders. Sie haben alle eine Gemeinsamkeit: Ihre Hautfarbe ist nicht Weiß sondern von hellem Braun bis hin zu tiefem Schwarz. Sie kamen aus der ganzen Welt - nicht nur aus Afrika - und leben nun in oder in der Nähe von London. In einer weißen Gesellschaft fallen sie auf, obwohl sie alles dafür tun akzeptiert und möglichst auch übersehen zu werden. Sie haben Abschlüsse in ihrer Heimat gemacht, kamen nach London in der Hoffnung auf ein gutes Leben, nur um erkennen zu müssen, dass ihre Abschlüsse in der weißen Welt nichts wert sind. Trotzdem beißt sich jede von ihnen durch.
S. 212: "...sie erzählte ihm von Carol, die als Bankerin in der City arbeitete, und von Freddy, der aus der englischen High Society stammte
sie gestand ihm, wie erschüttert sie gewesen war, als Carol ihr erzählte, sie werde einen Weißen heiraten, es war der Anfang vom Ende ihrer rein nigerianischen Abstammungslinie
ihre Kinder werden hellere Haus haben, und deren Kinder werden aussehen wie Weiße
nach nur zwei Generationen zu verschwinden
ist es das, wofür wir nach England gekommen sind?"
Zu Beginn die Theaterregisseurin Amma, die lt. ihrer Tochter Yess mit keiner Liebhaberin zweimal ins Bett geht. Amma ist kraftvoll und hat Durchsetzungsvermögen. Nach vielen Jahren der Arbeit und Entbehrung wird ihr Stück im London Theater aufgeführt. Sie hat es endlich geschafft, bekommt die Anerkennung für die sie kämpfte und die ihr trotzdem so lange verwehrt blieb.
Amma und Yess, zwei Biographien die es in sich haben und ganz sicher nicht als alltäglich zu bezeichnen sind. Doch es geht auch recht bürgerlich zu mit der Lehrerin Shirley, die sich in ihrem Bemühen aufreibt, ihren Schülerinnen zu einem guten Start ins Leben zu verhelfen. Am Ende bleibt sie selbst ausgebrannt zurück und zweifelt am Sinn all dessen, wofür sie einst brannte. Jede der vorgestellten Frauen ist auf ihre Art besonders.
Wer jetzt glaubt, es ginge nur um Probleme, der irrt. Es gibt viele lustige Begebenheiten und das Buch bringt einen mehr als einmal zum Schmunzeln. Und manchmal bleibt einem auch das Lachen im Hals stecken. Die Frauen kämpfen nicht nur mit Schwierigkeiten in ihrem Leben, bzw. ihren Beziehungen, sondern auch immer auf die ein oder andere Weise mit ihrer Hautfarbe.
Für diesen Roman bekam Bernadine Evaristo 2019 den Booker Prize. Ich finde, für diesen Roman hat sie es auch verdient, denn es ist ein gewaltiges Werk. Manchmal dachte ich, das Buch sei zu überladen. Doch je öfter ich darin las war ich überzeugt, es ist genau richtig, wie es geschrieben wurde. Es beunruhigt den Leser, treibt ihn aus seinem Schneckenhaus, von der Couch auf der man es sich bequem gemacht hat. Diese unterschiedlichen Lebensentwürfe wie sie hier beschrieben werden sind kraftvoll bunt und manchmal äußerst ungewöhnlich, aber nie eintönig oder langweilig.