1938 begegnet der deutsche Matrose Karl Schnitter in Argentinien seiner großen Liebe Helena, die seinetwegen ihren Vater und ihr Heimatland verlässt, um mit Karl in Neu Boltenhagen an der Ostsee auf dem Hof seiner Familie zu leben. Doch Karls Familie ist von Helena nicht gerade begeistert, vor allem Karls Schwester Elsa macht ihr das Leben zur Hölle. Als der Zweite Weltkrieg beginnt, wird auch Karl eingezogen. Helena wird von der Familie wie eine Aussätzige behandelt, und als dann die Meldung von Karls Tod kommt, hält Helena und ihren inzwischen geborenen Sohn Robert nichts mehr in Deutschland.
70 Jahre später erhält Robert über einen Anwalt das Erbe seiner Mutter und wundert sich über deren Vermächtnis. Ein alter Bernstein sowie deren Wunsch, in Deutschland nach seinen Wurzeln zu suchen, bringen Robert aus Argentinien an die Ostsee. Was wird er dort finden?
Hans Meyer zu Düttingdorf hat mit „Das Bernsteinmädchen“ einen sehr unterhaltsamen Roman vorgelegt, der Vergangenheit und Gegenwart miteinander vereint und eine berührende Geschichte über eine vergangene Liebe zu erzählen weiß. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil nimmt den Leser von der ersten Seite an gefangen und lässt ihn regelrecht an den Seiten kleben. Zwei geschickt miteinander verwobene unterschiedliche Zeitebenen lassen den Leser mal die Gegenwart an Roberts Seite die Reise vom argentinischen Buenos Aires an die Ostsee sowie dessen Spurensuche miterleben, mal in der Vergangenheit Helenas Schicksal kennenlernen, wobei beide Handlungsstränge so lebendig und spannend gestaltet sind, dass die Seiten nur so dahinfliegen und der Leser hautnah am Geschehen beteiligt ist. Helenas Aufenthalt während des Zweiten Weltkrieges ist gezeichnet von viel Ablehnung und Missgunst. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie einsam und allein sie sich ohne Karl gefühlt haben muss und dem Gutdünken ihrer Schwiegerfamilie ausgesetzt war. Der Mut, zu jener Zeit mit einem kleinen Kind zurück in die alte Heimat Argentinien zurückzukehren, ist bewundernswert. Aber auch Roberts Suche nach eventuell noch lebenden Familienangehörigen ist unterhaltsam beschrieben. Robert, der seinen Vater nie kennengelernt hat und auch sonst nichts von der Vergangenheit der Mutter wusste, steht vor einem großen Rätsel, das es zu lösen gilt und auch ihn und sein Leben verändern wird. Mit unvorhersehbaren Wendungen treibt der Autor den Leser an, den Dingen auf die Spur zu kommen und beweist einmal mehr sein großes Talent als Geschichtenerzähler.
Die Charaktere sind facettenreich und liebevoll inszeniert, wirken mit ihren glaubhaften menschlichen Eigenschaften sehr authentisch. Der Leser fühlt sich schnell als Teil von ihnen und darf mit ihnen leiden, hoffen, bangen und fiebern. Helena ist eine sehr sympathische und freundliche Frau, die einiges ertragen muss. Schon immer eine Außenseiterin hat sie sich zu einer Kämpferin entwickelt, die zwar vieles schluckt, doch irgendwann die Konsequenz zieht. Robert ist eine offener, realistischer und ehrlicher Mann, der erst im letzten Drittel seines Lebens einiges über seine Familie erfährt. Während Karl seine Helena aufrichtig liebt, ist seine Schwester Elsa ein Ausbund an Unfreundlichkeit und Gehässigkeit. Aber auch Chauffeur Rico und einige weitere Protagonisten tragen zum Unterhaltungswert dieser Geschichte bei.
Mit „Das Bernsteinmädchen“ bekommt der Leser eine Einladung, in die Vergangenheit zu reisen, um dort neben Liebe, Familiengeheimnissen, Intrigen auch einiges an Tragik mitzuerleben. Wunderbar bildhaft und spannend erzählt, ist hier eine absolute Leseempfehlung mehr als verdient!