Männliche Abgründe
Endlich! Neun Jahre hat es bis zur Rückkehr von Jackson Brodie gedauert, obwohl er im fünften Band der Reihe nur eine Nebenrolle einnimmt. Mittlerweile führt der Ex-Polizist, Privatermittler und Teilzeitvater ...
Endlich! Neun Jahre hat es bis zur Rückkehr von Jackson Brodie gedauert, obwohl er im fünften Band der Reihe nur eine Nebenrolle einnimmt. Mittlerweile führt der Ex-Polizist, Privatermittler und Teilzeitvater ein ziemlich unspektakuläres Leben in Yorkshire, spricht noch immer mit seinen Hund und setzt sich mit seinem pubertierenden Sohn auseinander. Einige Kilometer weiter gehen in Whitby die drei gutsituierten Freunde Tommy, Andy und Steve unter dem Deckmantel der Wohlanständigkeit ihren schmutzigen Geschäften nach.
Soweit der Rahmen innerhalb dessen Kate Atkinson eine Story entwickelt, deren Bezug zu einem realen Missbrauchsskandal offensichtlich ist. In den Jahren zwischen 2012 und 2015 wurden im Zuge der „Operation Yewtree“ damals ein Pädophilenring gesprengt und zahlreiche prominente Personen verhaftet, angeklagt und verurteilt.
„Weiter Himmel“ ist kein Kriminalroman, obwohl die Autorin schon allein aufgrund der Thematik Anleihen bei diesem Genre macht. Sie zeigt uns die Abgründe, die innerhalb wohlanständiger Familien lauern, und das macht sie äußerst geschickt. Es dauert, bis ein roter Faden erkennbar ist und alle Akteure ihren Platz finden. Auf den ersten hundert Seiten gibt es viele Andeutungen, Informationen, deren Relevanz sich erst allmählich erschließt. Manch eine/r mag es als Detailverliebtheit bezeichnen, aber was mich immer wieder begeistert ist die Sorgfalt, mit der die Autorin den Charakter der jeweiligen Person ausarbeitet. Jede/r hat eine Vergangenheit, Geheimnisse, eine persönliche Geschichte, die sein/ihr Handeln im banalen Alltag prägen und nachvollziehbar machen. Besonders deutlich wird das im Fall von Crystal und Harry.
Atkinson ist eine ausgezeichnete Autorin und versteht es, ein ernstes Thema mit Fingerspitzengefühl in eine gut durchdachte Handlung einzuarbeiten. Passend dazu die Schilderungen einer Region, die schon bessere Tage gesehen hat, sowie die melancholischen Rückblicke in die Vergangenheit der Akteure. Dazu eine gehörige Prise englisch-trockener Humor, und fertig ist ein großartiger Roman, den ich in einem Rutsch gelesen habe.