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Veröffentlicht am 13.04.2021

Bewegender Roman auf zwei Zeitebenen mit den Themen Demenz und Rassismus nach dem Zweiten Weltkrieg

Stay away from Gretchen
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Der Roman „Stay away from Gretchen – eine unmögliche Liebe“ von Susanne Abel spielt auf zwei Zeitebenen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Greta Monderath. Im Sommer 2015 ist sie 84 Jahre alt. Sie wird ...

Der Roman „Stay away from Gretchen – eine unmögliche Liebe“ von Susanne Abel spielt auf zwei Zeitebenen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Greta Monderath. Im Sommer 2015 ist sie 84 Jahre alt. Sie wird zunehmend dement, aber in ihren klaren Momenten erzählt sie ihrem Sohn Tom erstmalig von ihrer Kindheit und Jugend in Ostpreußen, die jäh mit Vertreibung zu Beginn des Jahres 1945 endete. Das Ziel der Familie bei ihrer Flucht waren Verwandte in Heidelberg, welches damals von der US-Armee eingenommen war. Der Titel nimmt Bezug auf das Fraternisierungsverbot, das die militärische Führung der US-Streitkräfte erlassen hatte. In diesem Rahmen sollen sich ihre Soldaten selbstverständlich auch von den schamlosen deutschen Frauen fernhalten. Aber nicht nur deswegen ist die Liebe von Greta zum GI Robert Cooper, eine unmögliche Liebe, sondern auch weil er afroamerikanisch ist.

Tom Monderath ist ein bekannter Nachrichtenmoderator im Fernsehen. Nach einigen Jahren im Ausland ist er in seine Heimat Köln zurückgekehrt. Um seine Mutter hat er sich bisher kaum Sorgen gemacht, sie wohnt allein in der elterlichen Wohnung und versorgt sich selbst. Nachdem sie mit dem Auto einen unvorhergesehenen Ausflug gemacht hat, beginnt Tom zu ahnen, dass Greta ihm über ihren Gesundheitszustand einiges vorgeflunkert hat. Sie wird von bestimmten Dingen getriggert, die bei ihr Erinnerungen auslösen und sie dazu veranlassen, ihrem Sohn von ihrer Vergangenheit zu erzählen. Durch Zufall entdeckt Tom in einem Dokument seiner Mutter das Foto eines kleinen Mädchens mit dunkler Haut. Aufgrund seiner guten Recherchefähigkeiten erfährt er bald mehr über die Herkunft des Kinds und dessen Zusammenhang mit seiner Familie.

Durch den furiosen Start mit der Irrfahrt von Greta wurde ich als Leser in die Geschichte hineingesogen. Mit Tom hat Susanne Abel eine moderne interessante Figur geschaffen. Tom ist alleinstehend mit wechselnden Partnerschaften. Er interviewt Politiker mit Rang und Namen und berichtet täglich von den aktuellsten Ereignissen zu denen auch das Thema der syrischen Flüchtlinge gehört. Zunächst wirkte er leicht hochnäsig und genervt auf mich. Im Laufe der Erzählung wurde er mir, auch aufgrund seiner tatsächlichen Sorge und sein Kümmern um seine Mutter sympathischer, auch weil ihm sein Bild in der Öffentlichkeit zunehmend weniger wichtig wurde.

Die Autorin hat ein Händchen dafür, das Tun und Handeln ihrer Charaktere authentisch abzubilden. Dabei lässt sie bei der Erkrankung von Greta persönliche Erfahrungen einfließen. Sie verdeutlicht, dass Demenz das Schwinden der Erinnerungen der betroffenen Person mit sich bringt aber auch für die Angehörigen nicht mehr greifbar sein wird.

Susanne Abel zeigt mir einerseits mit dem Rassismus in der US-Armee und andererseits mit dem Umgang der Deutschen mit sogenannten „Brown Babys“ zwei Themen auf, die mir bisher von ihrer Bedeutung nicht bewusst waren. Bestürzt verfolgte ich die Schilderungen, die realistisch im Beispiel die tatsächlichen Begebenheiten wiedergeben. Es gelingt der Autorin, Fakten auch in einem längeren Zusammenhang anregend einzubauen.

Mit dem Buch „Stay away from Gretchen“ hat Susanne Abel einen ansprechenden, bewegenden Roman geschrieben, der eine Verbindung zwischen der heutigen Flüchtlingskrise und den Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg zieht. Mit der Rassentrennung innerhalb der US-Armee und dem Umgang mit alleinerziehenden Frauen und ihren Babys, mit der besonderen Variante von Kindern mit dunkler Hautfarbe, im Nachkriegsdeutschland bindet sie heute wenig kommunizierte, aber wichtige Themen in ihre Geschichte ein. Mich hat die ergreifende Erzählung sehr berührt und daher empfehle ich sie gerne uneingeschränkt weiter.

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Veröffentlicht am 04.04.2021

Durchgehend spannend, auch aufgrund der persönlichen Verwicklung des Protagonisten in den Fall

DUNKELKAMMER
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Bernhard Aichner hat mit dem Buch „Dunkelkammer“ den ersten Teil einer Kriminalserie veröffentlicht, in der David Bronski, Mitte vierzig, im Mittelpunkt steht. Bronski ist alleinstehend, lebt in Berlin, ...

Bernhard Aichner hat mit dem Buch „Dunkelkammer“ den ersten Teil einer Kriminalserie veröffentlicht, in der David Bronski, Mitte vierzig, im Mittelpunkt steht. Bronski ist alleinstehend, lebt in Berlin, arbeitet für eine Tageszeitung und hat eine ganz besondere Passion, denn er ist fasziniert vom Ausdruck auf den Gesichtern toter Menschen und hält diesen mit einer analogen Kamera fest. Die Momente, in denen sich das Bild auf dem Papier langsam abzeichnet bei der Entwicklung der Fotos in seiner Dunkelkammer fordern ihm Ruhe und Geduld ab und bilden damit einen Gegenpol zu seiner oft stressigen Arbeit als Pressefotograf.

Bronski ist in Tirol aufgewachsen. Eines Tages wird er von einem ehemaligen Kollegen, der inzwischen obdachlos ist, angerufen. Dieser bietet ihm die Gelegenheit seinen zufälligen Fund, eine mumifizierte Leiche in einer Ferienwohnung zu fotografieren. Die unter unbekannten Umständen Verstorbene ist beiden bekannt und sie wittern eine große Story. In der Geldbörse der Toten findet er ein Foto, das ihn unmittelbar selbst betrifft und ihn aufwühlt. Allerdings möchte er darüber nichts an die Öffentlichkeit bringen und beginnt selbst weitere Hintergründe zu recherchieren. Seine Kollegin Svenja aus dem Kulturressort wird Bronski von der Zeitung her zur Seite gestellt zum Verfassen eines Textes zu seinen Fotos. Zunächst jedoch hält er Svenja für nicht unbedingt kompetent genug.

Bernhard Aichner hat mit Bronski eine Figur geschaffen, in die er seine eigenen Erfahrungen als Fotograf einfließen lässt und daher begegnet man im Laufe der Geschichte einigen Stationen im Lebenslauf des Protagonisten, die der Autor selbst so oder so ähnlich erlebt hat. Bronski ist ein eher mürrischer Mensch, dem man mit viel Geduld und Verständnis begegnen sollte, denn man muss sein Vertrauen gewinnen, damit er von sich selbst erzählt, was nicht vielen gelingt. An seiner Seite stehen mit der Journalistin Svenja und seiner Schwester Anna zwei Frauen, die zwar bereit sind sich in Situationen anzupassen, die es aber auch verstehen, ihren eigenen Willen durchzusetzen. Nicht immer läuft alles nach Plan und es zeigt sich, dass auch Bauchgefühle täuschen können, was den Charakteren eine gewisse Wandlungsfähigkeit abverlangt.

Ohne große Beschreibung der Umgebung und der Gegebenheiten, nur unter Angabe der handelnden Personen als Überschrift, lässt Bernhard Aichner seine Figuren in Dialog treten und dennoch entstanden bei mir sofort Bilder im Kopf auf denen ich die Personen vor Ort vor mir gesehen habe und ich konnte mir ihre Ausdrucksweise gut vorstellen. Auf diese Art wurde die Handlung schnell vorangetrieben. In weiteren wechselnden Perspektiven schildert Bronski selbst einige Situationen und legt dabei seine Gefühle dem Leser offen. Damit aber auch andere handelnde Personen besser verstanden werden übernimmt ein allwissender Erzähler einige Kapitel. Neben den aufregenden Ermittlungen ist auch eine Liebesgeschichte eingebunden.

„Dunkelkammer“ von Bernhard Aichner hält durchgehend den Spannungsbogen, auch durch die persönliche Verwicklung des Pressefotografens Bronski in den Fall. Ich freue mich schon auf weitere Folgebände, in denen Bronski sein Können als Fotograf und Ermittler zeigen kann. Gerne empfehle ich den Thriller an Leser des Genres weiter.

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Veröffentlicht am 26.03.2021

Der unvergessliche Sommer eines 16-Jährigen zu Beginn der 1980er - einfühlsam erzählt

Der große Sommer
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Ewald Arenz schreibt in seinem Roman „Der große Sommer“ über eine Zeit unserer Jugend, die viele von uns kennen, zu denen ich mich zähle, und die verbunden ist mit den Ferien der wärmsten Jahreszeit in ...

Ewald Arenz schreibt in seinem Roman „Der große Sommer“ über eine Zeit unserer Jugend, die viele von uns kennen, zu denen ich mich zähle, und die verbunden ist mit den Ferien der wärmsten Jahreszeit in unseren Gefilden. Es ist der Sommer, in dem unsere Gefühle wie in einem Knäuel verwirrt scheinen, das wir stückweise aufdröseln müssen und dabei einen weiten Schritt vom Kind zum Erwachsenen gehen. Die Erinnerungen des Protagonisten Frieder an diesen Sommer sind verknüpft mit manchem Freibadabenteuer und dem Wagemut von immer weiter oben vom Turm aus zu springen und tief einzutauchen, genauso wie in die neue Welt die sich dem Adoleszenten öffnet.

Frieder, der Ich-Erzähler der Geschichte, streift über den Friedhof seiner Heimat, auf der Suche nach einem Grab, was bei mir die Neugier weckte zu erfahren, wer dort wohl beerdigt liegt. Immer noch wohnt Frieder vor Ort, dort wo er mit fünf Geschwistern aufgewachsen ist. Bei seiner Suche schweifen seine Gedanken zurück an den Sommer, als er 16 Jahre alt war und aufgrund seiner schulischen Defizite nicht mit der Familie in Urlaub fahren durfte, sondern zur Vorbereitung auf die Nachprüfung bei seiner geliebten Großmutter und ihrem Mann, dem unbeliebten Stiefvater der Mutter bleiben musste.

Was zunächst auf Frieder wie ein Desaster wirkt, werden Wochen voller Emotionen, geprägt von Liebe, Freundschaft, Zusammenhalt, Angst, Unverständnis, das zunehmende Begreifen schwieriger Gemütslagen und das allmähliche Aufbringen von Verständnis für andere Meinungen. An seiner Seite sind seine jüngere Schwester Alma, sein bester Freund Johann und Beate, die er unter besonderen Umständen im Freibad kennenlernt.

Es machte mir Freude, mich von Frieder in den Sommer Anfang der 1980er Jahre mitnehmen zu lassen und mich an die damaligen Gegebenheiten in Bezug auf Technik, Kultur und den Umgang miteinander zu erinnern. Der Autor ließ mich an der Seite seines Protagonisten zeitlich noch weiter zurückgehen bis zu den Anfängen der Liebe von Frieders Großmutter. Einerseits ist in diesem Kontext zu begreifen, warum dieser seinen Großvater als Kind lange siezen musste, andererseits möchte Frieder aus diesem Verständnis heraus für sich Schlüsse ziehen im richtigen Umgang mit seinen aufkeimenden Gefühlen für Beate. Schnell merkt er, dass seine bisherige spontane, unbefangene und unbeholfene Art verletzend sein kann. In diesem für ihn großen Sommer lernt er einiges über sein Einfühlungsvermögen, entwickelt Ambiguitätstoleranz und behält sich seinen offenen und weiten Blick in die Welt. Seine Ansichten zu Fragen, wie sie ihn im Alltag begleiten, festigen sich auch durch die Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen und dem Einblick in andere Familien wie beispielsweise die seines Freunds Johann, die finanziell deutlich besser abgesichert ist wie seine eigene.

Ewald Arenz hat mit „Der große Sommer“ einen einfühlsamen Roman geschrieben, der mich Zurückerinnern ließ an meine eigene Jugend. Der Autor hat persönliche Erfahrungen in seine Geschichte einfließen lassen, die auch gerade deshalb authentisch wirkt. Ich konnte darin am Auf und Ab der Gefühle des 16-jährigen Frieder teilzuhaben, der an der Seite seiner Freunde einen unvergleichbaren und unvergesslichen Sommer zu Beginn der 1980er Jahre erlebte. Gerne empfehle ich das Buch uneingeschränkt weiter.

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Veröffentlicht am 25.03.2021

Die "Wunderfrauen" in den 1960er Jahren - mit ungebrochenem Willen sich selbst zu behaupten

Die Wunderfrauen
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„Die Wunderfrauen – von allem nur das Beste“ ist der zweite Band einer Romantrilogie von Stephanie Schuster bei der die vier Frauen Luise, Marie, Helga und Annabel, die im oberbayrischen Starnberg oder ...

„Die Wunderfrauen – von allem nur das Beste“ ist der zweite Band einer Romantrilogie von Stephanie Schuster bei der die vier Frauen Luise, Marie, Helga und Annabel, die im oberbayrischen Starnberg oder in der Nähe leben, im Mittelpunkt stehen. Nachdem der erste Teil in den 1950er Jahren spielt, ist die vorliegende Handlung zu Beginn der 1960er Jahre angesiedelt. Der vorliegende Band kann auch unabhängig von der Kenntnis des ersten gelesen werden, was aber schade wäre, weil man dann interessante Details aus der Vergangenheit der Frauen verpasst.

Der Prolog macht neugierig auf das, was die Vier im Folgenden erleben werden und welche Antwort es darauf geben wird, warum Helga gerade im Gefängnis festsitzt. Ganz sicher ist aber, dass die Freundschaft die Jahre überdauert hat, denn die Freundinnen und ihre Kinder setzen sich füreinander ein. Für jede von ihnen hat sich auf eine bestimmte Weise erfüllt, so zu leben wie gewünscht und auch weiterhin streben die Freundinnen nach Selbstverwirklichung auf ihre je eigene Art. Dabei entwickeln sie sich weiter, nicht immer habe ich ihr Handeln gutgeheißen, aber dennoch blieben sie mir sympathisch.

Luise, inzwischen Mitte 30, ist weiterhin erfolgreich mit ihrem Gemischtwarenladen, während Marie gelernt hat ein bäuerliches Anwesen neben der Erziehung ihrer drei Kinder zu bewirtschaften. Für Helga ist der Wunsch, Ärztin zu werden, Wirklichkeit geworden. Eine Anstellung an der Starnberger Seeklinik ermöglicht es ihr, sich weitgehend selbst um die Erziehung ihres Sohns zu kümmern. Annabel ist im fortgeschrittenen Alter nochmal schwanger und freut sich sehr auf ihr zweites Kind.

Auch im zweiten Band räumen die Frauen viele Steine zur Seite, die ihnen im übertragenen Sinn in den Weg gelegt werden. Es ist eine Zeit, in der Frauen verstärkt für Gleichberechtigung eintreten. Die Einführung der Antibabypille ist dabei ein Meilenstein zur Selbstbestimmtheit. Auch in der Klinik ist neuer Wind zu spüren und Helga ist gerne bereit, ihre Tätigkeit entsprechend danach auszurichten.

Luise hält in ihrem Ladenkunde-Buch, wie bereits im ersten Teil der Trilogie, eine bunte Mischung an Fakten und Anekdoten fest, auch Rezepte sind dabei. Dadurch wird die Widergabe des Zeitgeists, der sich schon in der Geschichte vor allem in Form der gängigen Musik unter Hervorheben des Trends zum Rock’n’Roll-Tanzen widerspiegelt, nochmals verstärkt. Das Angebot ständig neuer Produkte und die Präsentation der Artikel in modernen Supermärkten mit Selbstbedienung bringt die Ladenbesitzerin zum Grübeln. Sie erkennt die Vor- und Nachteile einer solchen Einkaufsmöglichkeit und ihr wird klar, dass sie ihren eigenen Verkaufsstil daran anpassen muss. Weitere damals aktuelle Themen, von denen die Figuren mittel- oder unmittelbar betroffen sind, finden Eingang in die Erzählung und sorgen für eine Bereicherung des Geschehens, dazu gehörten ein medizinischer Skandal, die Flurbereinigung, Frauen am Steuer und der erste Mensch im All.

Im zweiten Teil der Trilogie über ihre „Wunderfrauen“ Luise, Annabel, Helga und Marie baut Stephanie Schuster die Stärken der Freundinnen aus und zeigt ihren ungebrochenen Willen sich selbst auf ihre jeweils eigene Weise zu behaupten. Der Roman endet mit einem Cliffhanger, der mich und bestimmt viele andere ungeduldig auf die Fortsetzung warten lässt, daher vergebe ich gerne eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 09.03.2021

Schicksalsschwere, aber herzerwärmende Geschichte über eine junge Frau in den 1960er Jahren

Das Fräulein mit dem karierten Koffer
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Der Titel des Romans „Das Fräulein mit dem karierten Koffer“ von Claudia Kaufmann nimmt Bezug auf Sabine, eine der Protagonistinnen der Geschichte, die mehrmals in ihrem Leben in einem eben solchen Koffer ...

Der Titel des Romans „Das Fräulein mit dem karierten Koffer“ von Claudia Kaufmann nimmt Bezug auf Sabine, eine der Protagonistinnen der Geschichte, die mehrmals in ihrem Leben in einem eben solchen Koffer ihre Habseligkeiten eingepackt und damit zu neuen Ufern aufgebrochen ist. Der Hintergrund des Covers zeigt den Marienplatz in München, denn die Erzählung spielt in der bayrischen Landeshauptstadt. Während in den 1960ern die Emanzipation fortschreitet, sind in einigen bedeutenderen beruflichen Positionen noch Bürger mit früherer nationalsozialistischer Gesinnung zu finden. Für die nachfolgende Generation ist eine Aufarbeitung, auch im privaten Umfeld zwar schwierig, aber wichtig.

Sabine ist 19 Jahre alt im für sie schicksalhaften Jahr 1964. Ihre Mutter Brigitte ist verwitwet und hat mit Heinz einen neuen Ehemann gefunden. Weil Sabine noch nicht volljährig ist, hat Brigitte bestimmt, dass sie keine eigene Wohnung haben darf, doch das Verhältnis zu Heinz ist getrübt. Sie verliebt sich in den Sohn einer angesehenen betuchten Familie und wird schon bald sie von ihm schwanger. Ihre Hoffnung, dass der Vater des erwarteten Kinds sie heiraten wird, zerschlägt sich recht schnell. Sie verlässt ihre Mutter im Streit. Auf sich allein gestellt bringt sie ihre Tochter Andrea zur Welt und kämpft darum, dass sie ihr Kind selbst erziehen darf.

Claudia Kaufmann stellt in ihrem Roman mit dem Kampf der Frauen für ihre Rechte ein wichtiges Thema im in den Mittelpunkt. Sie zeigt die Ohnmacht der weiblichen Singles in den 1960ern, wenn es darum ging, die Erziehung ihres Kinds selbst zu übernehmen. Vom Jugendamt wurde ihnen nach Nichtehelichenrecht ein Vormund zugewiesen, der seine eigenen Ansichten zum richtigen Umgang mit dem Nachwuchs kundtun konnte, eine Alternative war die Heimunterbringung des Minderjährigen. Die Autorin beschreibt im Hintergrund ihrer Geschichte die Entwicklung der Rechtslage. Gut nachvollziehbar arbeitet sie im weiteren Verlauf ihrer Schilderung auch die Vor- und Nachteile einer strengeren im Gegensatz zu einer eher antiautoritären Erziehung heraus.

Im Fokus steht zwar Sabine aber auch ihre Mutter Brigitte und ihre Tochter Andrea stehen beispielhaft für viele Frauen ihrer jeweiligen Zeit. Jede der Frauen beansprucht für sich, dass Richtige wohlüberlegt für den Nachwuchs getan zu haben. Sabine ist zu Beginn der Geschichte stark geprägt von ihrem Elternhaus und hat oft für die Handlungen ihrer Mutter kein Verständnis. Brigitte ist in der Lebenseinstellung aufgewachsen, dass Liebe für eine Ehe nicht unbedingt wichtig ist, sondern gewisse Kompromisse dabei zum Erfolg führen. Durch den Kampf für ihre Rechte wird aus Sabine eine selbständige, mutige Frau und dennoch haben sich einige Ansichten aus ihrer Jugend so verfestigt, dass sie nachwirken. Andrea profitiert von der Erziehungshaltung ihrer Mutter, findet darin aber auch Kritikpunkte.

Claudia Kaufmann erzählt im Roman „Das Fräulein mit dem karierten Koffer“ eine schicksalsschwere, aber herzerwärmende Geschichte über eine junge Frau in den 1960ern, die als Alleinerziehende für sich und die Rechte ihrer Tochter kämpft. Die Autorin schont dabei ihre Protagonistin nicht. Ich war von der Erzählung gefesselt und fand sie unterhaltsam, aber auch berührend. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter.

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