Eierlikörtage
Das Buch war mal wieder eine Zufallsentdeckung und ich bin immer noch total begeistert.
Ich habe bisher nur zwei Bücher gelesen, die in Tagebuchform geschrieben sind. Das waren zum einen das „Tagebuch ...
Das Buch war mal wieder eine Zufallsentdeckung und ich bin immer noch total begeistert.
Ich habe bisher nur zwei Bücher gelesen, die in Tagebuchform geschrieben sind. Das waren zum einen das „Tagebuch der Anna Frank“ und zum anderen dieses hier.
Selten habe ich ein so wunderbares Buch gelesen, selten war ich von einem Roman so begeistert wie von diesem hier. Von den ersten Seiten an war ich total in die Geschichte hineingezogen, war von Anfang an quasi an der Seite von Hendrik Groen im Altenheim unterwegs.
Hendrik Groen ist 83 Jahre alt, als er beschließt, ein Tagebuch zu führen und so sein Leben im Altenheim zu beleuchten.
Dieses Buch ist so herrlich skurril geschrieben ist, so lebensecht und vor allen Dingen so humorvoll – ich musste so oft schmunzeln und teilweise auch laut loslachen. Das hätte ich – ganz ehrlich gesagt – bei einem so alten Menschen nicht erwartet.
Seine Sicht auf die Dinge, das Leben im Altenheim, die Gebrechen seiner „Mitbewohner“, die ständige Anwesenheit des Todes, aber auch der Langeweile, der man als „Abgeschobener“ im Altenheim ausgesetzt ist – ich glaube dieses Buch sollte zur Pflichtlektüre werden.
Gerade auch die Sparmaßnahmen des Altenheimes, die Willkür die die Leiterin an den Tag legt. Da fragt man sich hin und wieder, ob alte Menschen nicht ein Recht auf einen schönen Lebensabend ohne Einschränkungen haben.
Traurig war ich, wenn es zum Beispiel um die Wochenenden ging – darüber, dass die Familien zu Besuch kommen. Aus welchen Gründen auch immer, denn nicht immer bringen die Angehörigen Zeit mit, kommen gerne oder „freiwillig.“ Hendrik bekommt keinen Besuch – er hat schlichtweg niemand mehr.
Wunderbar fand ich auch, dass immer wieder das tagesaktuelle Geschehen mit eingestreut wird – teils direkt auf die Niederlande bezogen – teilweise auch weltweit. Zum Beispiel die Krönung des neuen niederländischen Königs; die Papstwahl im Vatikan etc.
Zum Anfang bin ich – warum auch immer – davon ausgegangen, dass dies eine fiktive Geschichte ist. Zu skurril sind manchmal die Einträge. Aber das Leben schreibt die besten Geschichten und Hendrik Groen ist ein Mensch aus Fleisch in Blut.
Der Piper-Verlag schreibt auf seiner Homepage dazu:
Hendrik Groen veröffentlichte die ersten Einträge seines Tagebuchs auf der Website des »Torpedo Magazines«, bevor es in Holland zu einem überragend erfolgreichen Buch wurde und sich im ganzen Land Hendrik-Groen-Fanclubs gründeten. Er sagt über seine Romane: »Kein Satz ist eine Lüge, aber nicht jedes Wort ist wahr. « Die Fortsetzung ist soeben in den Niederlanden erschienen.
Ich würde zu gern einmal mit Hendrik Groen einen Kaffee trinken und Krokette essen. Er hat bestimmt viel zu erzählen und ich würde auch so gern noch ein paar Fragen stellen.
Zum Anfang hatte ich mit kleinen Fähnchen besonders schöne Stellen markiert, aber ich habe dann beizeiten aufgehört damit. Nicht, weil ich nichts gefunden habe, sondern weil es irgendwann zu viel geworden wäre.
Der erste Eintrag im Tagebuch lautet
»Auch im neuen Jahr hab ich für Senioren nichts übrig. Dieses Geschlurfe hinter Rollatoren, diese völlig deplatzierte Ungeduld, dieses ewige Gejammer, diese Kekse zum Tee, dieses Geseufze und Gestöhne. Ich bin 83 ¾ Jahre alt. « (Seite 5)
Es geht das ganze Buch über weiter mit solchen Betrachtungen – Hendrik Groen nimmt weder sich noch seine „Mitbewohner“ tiefernst. Hier noch ein paar kleine Appetithappen aus dem Buch:
»Einer der spannendsten Momente des Tages: Was für Kekse gibt es heute? « (Seite 8)
»Das Leben besteht hier aus Nie oder Immer. Das Essen ist an einem Tag „nie pünktlich und immer zu heiß“, am nächsten Tag wieder „immer zu früh und nie warm“. « (Seite 10)
»Heute Morgen konnte ich meinen Schlüssel nirgends finden. Ich habe mein Zimmer, das ja doch nicht allzu groß ist, mitsamt dem eingebauten Schlafzimmer auf den Kopf gestellt. Gott sei Dank hatte ich es nicht eilig. Senioren verlieren ständig irgendwas, genau wie Kinder, aber sie haben keine Mutter mehr, die weiß, wo alles liegt. « (Seite 98)
Um der Langenweile zu entgehen gründet Hendrik Groen mit einigen anderen den Verein Alanito (Alt-aber-nicht-tot) und sie unternehmen gemeinsame wunderbare Dinge, um sich noch des Lebens zu erfreuen. Nicht jedem gefällt das, aber für ihn und seine Freunde ist es ein Lichtblick im tristen Alltag.
Ganz besonders süß: die späte Liebe. Das späte Glück, das man noch einmal findet. Ich habe gelacht und geweint – ich habe mich mit Hendrik gefreut und war an seiner Seite traurig.
Ich würde mir sehr wünschen, dass es vielmehr solcher Senioren gibt. Senioren, die so lebenslustig und lebensbejahend sind. Ich würde mir aber auch wünschen, dass die Mitmenschen mehr auf Senioren eingehen, sie mit anderen Augen sehen und vielleicht auch mal fragen, wie ihr Leben verlaufen ist. Denn es gibt bestimmt sehr viel zu erzählen und man wäre dann nicht so einsam.
Dass es eine Fortsetzung in den Niederlanden bereits gibt, freut mich sehr und ich hoffe, dass der Piper-Verlag dieses Buch einkauft und es auch auf Deutsch erscheinen wird.
Von mir bekommt dieses Buch volle 5 Sterne – es ist definitiv ein Lesetipp von mir.