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Veröffentlicht am 16.04.2021

Erschreckend realistisch, berührend menschlich und beeindruckend rasant...

Dry
0

Neal Shusterman hat mich bislang vor allem mit seinem Jugendroman "Kompass ohne Norden" und seinen beiden Dystopie-Reihen "Vollendet" und "Scythe" überzeugen können. Mit "Dry" nimmt er sich gemeinsam mit ...

Neal Shusterman hat mich bislang vor allem mit seinem Jugendroman "Kompass ohne Norden" und seinen beiden Dystopie-Reihen "Vollendet" und "Scythe" überzeugen können. Mit "Dry" nimmt er sich gemeinsam mit seinem Sohn eines weitaus realistischeren und in näherer Zukunft liegenden Themas an: dem Klimawandel und dessen verheerenden Folgen. Verarbeitet zu einem hochspannenden Apokalypse-Jugendbuch machen er und sein Sohn Jarrod darauf aufmerksam, was in schon naher Zukunft passieren könnte und wie dünn das Rinnsal ist, dass uns von einer humanitären Katastrophe trennt...

Passend zum Thema ist die Geschichte all denjenigen gewidmet, die "sich anstrengen, die katastrophalen Folgen des Klimawandels rückgängig zu machen." Wie der knappe und sehr passende Titel schon verrät, rückt hier die anhaltende Dürre in Südkalifornien in den Mittelpunkt, in der die elementarste Ressource überhaupt knapp wird: Wasser. Passend dazu ist auf dem Cover vor einem krisseligen, dunklen Farbverlauf ein Streichholz zu sehen, welches statt einer Flamme einen Wasserspritzer enthält. Innerhalb der Buchdeckel finden sich neben 56 Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven und sechs große Gesamtabschnitte mehrere "Snapshots". Letztere werden regelmäßig eingebunden, um ein vollständigeres Bild der Krise zu erhalten und auch auf die gesamtgesellschaftlichen Folgen der Wasserknappheit und des Tap Outs einzugehen.


Alyssa: "Für eine Wasserkrise gibt es keine Radarbilder. Keine Sturmfluten, keine Trümmerfelder. Der Tap-Out ist so lautlos wie Krebs."


Im Gegensatz zu anderen Apokalypse-Geschichten wie zum Beispiel "Black-Out" oder "Der Schwarm", die eher auf ein breites Bild abziehen, dabei aber die emotionale Bindung etwas aus den Augen verlieren, konzentriert sich "Dry" bis auf die wenigen Snapshot-Ausflüge auf eine einzige Gruppe Jugendlicher und deren Weg durch die Krise, was einen noch intensiveren Bezug des Lesers zur Handlung schafft. Dabei nutzen die beiden Autoren vier Ich-Perspektiven: Alyssa, Kelton, Jacqui und Henry, die nach und nach mit zunehmender Eskalation auftreten. Trotz dass "Dry" relativ langsam startet, hat mich die rasant erzählte Geschichte über das Schicksal von fünf Jugendlichen, die unterschiedlicher nicht sein könnten aber in ihrem Kampf ums Überlegen vereint sind, von der ersten Seite in ihren Bann gezogen. Von der ersten Seite an liegt eine dunkle Vorahnung in der Luft, während wir zunächst zusammen mit der 16jährigen Alyssa bemerken, dass aus dem Wasserhahn kein Wasser mehr kommt. Zwar ist die Situation zuerst eine recht alltägliche, als aufmerksamer Leser ahnt man jedoch, dass der Weg zur humanitären Katastrophe nicht weit ist. Denn mitten im kalifornischen Hochsommer kein Wasser mehr zu haben, entpuppt sich als großer Albtraum und die aller wenigsten sind darauf vorbereitet. Für Alyssa, ihre Eltern und ihren kleinen Bruder Garrett bedeutet das: so schnell wie möglich an Wasser gelangen - doch das wollen leider alle...


Alyssa: "Irgendwas fühlt sich komisch an. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber es hängt in der Luft wie ein Geruch. Es ist die Ungeduld der Menschen vor den Kassen. Fast wie mit einem Rammbock bahnen sich die Leute mit ihren Einkaufswagen einen Weg durch die Schlangen. Es herrscht eine Art primitive Ur-Feindlichkeit, nur verdeckt von einer dünnen Schicht aus vorstädtischer Höflichkeit, die langsam fadenscheinig wird."


Alyssas Nachbar Kelton - unser zweiter Erzähler - und dessen Familie haben es besser, denn als Hobby-Prepper sind die McCrackens seit Jahren auf jede Form der Apokalypse vorbereitet. Doch dass ein Notfallaggregat, ein Wassertank hinter dem Haus und angelegte Vorräte Neider anlockt und verzweifelte Menschen vor fast nichts zurückschrecken, wird auch ihnen zum Verhängnis. So sitzen Kelton, Alyssa und Garrett schnell in einem Boot und versuchen, die Ausuferungen des Chaos´ um sie herum zu umgehen. Geplünderte Supermärkte, gescheiterte Nachbarschaftshilfen und umherirrende "Wasserzombies" sind die ersten Vorzeichen. Nach mehreren Tagen spitzt sich die Lage doch zusehends zu und es geht für unsere Protagonisten ums nackte Überleben. "Dry" wird von Seite zu Seite ernster und enthält auch einige sehr heftige Szenen, bei denen mir der Atem stockte. So klebte ich beinahe an den Seiten, während ich mit unseren Protagonisten durch verlassene Straßen, von Unterschlupf zu Unterschlupf reiste, sie durch Wälder, über verstopfte Autobahnen und durch ausgetrocknete Kanäle begleitete, immer auf der Suche nach dem nächsten Schluck Wasser...


Kelton: "Es passiert alles genauso, wie es in den Survival-Büchern steht. Aber das tröstet mich nicht. Nicht im Geringsten. Weltuntergangsszenarien machen nur Spaß, solange der Weltuntergang theoretisch ist. Jetzt wünschte ich, sie hätten sich alle geirrt."


Doch die Kleinigkeit, die die Geschichte wirklich schlimm macht, ist der wahre Kern. Man würde die Geschehnisse gerne der blühenden Fantasie von Neal und Jarrod Shusterman zuschreiben, doch was alles so erschüttern macht, ist dass ich mir mir ohne Probleme vorstellen könnte, von genau dieser Krise im Sommer in den Nachrichten zu sehen. Erschreckend realistisch wird das Buch auch dadurch, dass die Shustermans sehr gut recherchiert haben. Von Katastrophenpläne über die typischen Abläufe einer Krise bis zum Zusammenbruch der gesellschaftlichen Strukturen und einem anarchischen Zustand - die beiden Autoren erzählen hier einen Ablauf, der genau so passieren könnte, untermauert mit mir bekannten Theorien der Psychologie.


Alyssa: "Es ist so ruhig", sage ich. "Da kann man fast vergessen, was da draußen los ist." "Dort ist nichts, nur Menschen", erklärt Henry. "Menschen können Monster sein. Egal ob wegen ihrer Handlungen oder ihres wahren Wesens, das tut nichts zur Sache. Das Ergebnis ist dasselbe." Henry zuckt mit den Schultern, als würde ihn das nicht stören. Ich frage mich, ob er tatsächlich so unbekümmert ist oder ob er mir zuliebe so tut. "Manchmal muss man ein Monster sein, um zu überleben", sagt er."


Neben der Spannung, die aus dem ständigen Kampf ums Nackte Überleben resultiert, machen in "Dry" genau wie in Neal Shustermans "Vollendet"-Reihe zwischenmenschliche Konflikte, Beobachtungen, Manipulationen und Machtkämpfe - also kurz: die Gruppendynamik zwischen den Jugendlichen - ebenfalls einen Teil der Spannung aus. Bei einigen Zwischenstopps erhalten wir zwei zusätzliche Mitglieder des durch das Schicksal zusammengeschweißten Überlebensteams, die ebenfalls aus ihrer Geschichte erzählen dürfen. Die 19jährige Jacqui bringt dabei zwar eine Menge Straßenerfahrung und ihre Fahrkünste mit ins Team, erschwert den Umgang in der Gruppe jedoch dadurch, dass sie ein laufendes Pulverfass ist. Richtig ins Rollen kommt der Strudel aus Misstrauen, Achtsamkeit und Verrat innerhalb der Gruppe aber erst, als der berechnende Henry aus gutem Hause dazu stößt, der in der Krise vor allem eins sieht: eine Möglichkeit Profit zu schlagen...


Henry: "Das Geheimnis der erfolgreichen Zusammenarbeit in einer Gruppe ist ein dynamischer, ansprechbarer Anführer. Und der Schlüssel, ein guter Anführer zu sein, ist genaue Beobachtung und subtile Manipulation - so subtil, dass niemand merkt, dass er manipuliert wird. Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist das auch der Schlüssel für eine erfolgreiche Regierung."


Die Mitfühlende, das Nesthäkchen, der Nerd, die Draufgängerin und der Snob - die fünf Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein, dennoch verbindet sie eines: sie werden vom Autorenduo Shusterman mit wenigen Worten als starke Teenager charakterisiert, die vor allem eines sind, Menschen. Menschen, die Angst haben, Rache wollen, lieben, hassen, zweifeln, trauern, hoffen und leben wollen. Auch wenn das Buch an einigen Stellen hart und kompromisslos erscheint, hat es mich doch tief berührt. Ich liebe Bücher, die mich zum Nachdenken anregen, egal in welchem Genre sie angesiedelt und dieses hat mich zu ausschweifenden Grübeleien verholfen. Allein an der Anzahl der Flaschen Wasser, die ich beim Lesen getrunken habe, merkt man vermutlich, wie nah mir die Geschehnisse gingen. Darüberhinaus ließ mich der Gedanke einfach nicht los, wie schlecht ich selbst auf eine derartige Krise vorbereitet wäre und ich konnte nicht aufhören mich zu fragen, wie weit ich bereit wäre für mein eigenes Überleben zu gehen...


Alyssa: “Entweder man öffnet die Türen weit oder man schließt sie ab”, sage ich wehmütig. “Die Menschen sind zu kompliziert, um auf irgendetwas dazwischen zu vertrauen.”


Auch einige wirklich berührende Szenen schmücken den Plot, der sonst vor allem auf Action, Gewissensfragen und die starken Charaktere baut. Es ist so unendlich schön und bitter mitzuerleben, wie die fünf sich zusammen durchkämpfen und alle Seiten der Not kennenlernen. Auch die Entwicklung der Figuren folgt einer psychologischen Theorie: ganz nach dem Motto "In drei Tagen vom Mensch zum Tier" offenbart die Katastrophe in jedem der Figuren neue Abgründe... Man merkt jedoch nicht nur an den jugendlichen Figuren, dass es sich hier um ein Jugendbuch handelt. Zwar wird hier nichts beschönigt, dennoch hätte man noch zu extremeren Mitteln greifen und wirkliches Elend zeigen können. So werden zwar ab und zu von Todesopfern berichtet, Leichensäcke genannt oder Totkranken wird der Tod prophezeit, die Menschen verdursten und sterben aber im Off und belasten die jugendlichen LeserInnen nicht zusätzlich. Da die Lage dank des meisterhaft direkten, schonungslosen Schreibstil, der uns einen gruseligen Gänsehautmoment nach dem anderen beschert ohne grausam oder blutig zu sein, schwer genug zu ertragen ist, würde ich das Buch aber erst ab 14 bis 16 Jahren empfehlen.


Kelton: "Wenn es ums Überleben geht, gibt es keine Preise für zweite und dritte Plätze, sondern nur Gold oder Grab. Und ich glaube, den anderen ist nicht klar, wie nah wir am Verlieren sind."


Der einzige Kritikpunkt, den ich bei diesem Meisterwerk vorzubringen habe, ist das Ende. Dieses war mir nach der sich langsam immer stärker aufbauenden Spannung hin zur Eskalation viel zu zahm und auch zu knapp abgehandelt. Vom absoluten Tiefpunkt, an dem ich mir sicher war "jetzt ist alles aus", bis zu "alles wieder normal" muss man leider nur dreimal umblättern. Hier hätte ich mir eine langsamere, ausführlichere Entwicklung gewünscht, die den Leser emotional zurück zur Normalität führt und auch die zwischen Beinahe-Tod und Happy-End vergangene Handlung (Zurückkehr der Eltern, Auflösung des Konflikts, Rückführung in den Normalzustand) genauer ausführt. Zwar kann ich schon verstehen, weshalb das Shusterman´sche Autorenduo diesen krassen Sprung gewagt hat - um auch den Lesern zu verdeutlichen, wie verloren sich die Figuren auch nach dem Ende der Krise noch fühlen und wie solche Extremsituationen nie so wirklich vorbei zu sein scheinen -, mir persönlich war das aber zu knapp und hat nicht ganz zum sich langsam aufbauenden Rest der Geschichte gepasst. Dass am Ende alle vergleichsweise glimpflich davonkommen kann ich dagegen unter dem Gesichtspunkt, dass es sich hier um ein Jugendbuch handelt, nachvollziehen.

Ich könnte hier noch viele Gründe mehr angeben, wieso mich dieses Buch so sehr fasziniert und so gefesselt hat, aber am besten du machst dir selbst ein Bild und liest diesen wirklich tollen Roman. Beenden möchte ich meine Rezension mit einem schönen Gedanken....


Alyssa: "Mir wird klar, dass dies der wahre Kern des menschlichen Wesens ist: Auch wenn wir die Energie verloren haben, uns selbst zu retten, finden wir noch irgendwie die Kraft, uns gegenseitig zu helfen."




Fazit:

Jarrod und Neal Shusterman haben in "Dry" den Klimawandel und dessen verheerenden Folgen zu einem hochspannenden Apokalypse-Jugendbuch verarbeitet. Der Kampf ums Überleben ist so erschreckend realistisch, die Figuren so berührend menschlich und die Dynamik so beeindruckend rasant, dass ich die Geschichte bis zum Ende nicht aus der Hand legen konnte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.04.2021

Erschreckend realistisch, berührend menschlich und beeindruckend rasant...

Dry
0

Neal Shusterman hat mich bislang vor allem mit seinem Jugendroman "Kompass ohne Norden" und seinen beiden Dystopie-Reihen "Vollendet" und "Scythe" überzeugen können. Mit "Dry" nimmt er sich gemeinsam mit ...

Neal Shusterman hat mich bislang vor allem mit seinem Jugendroman "Kompass ohne Norden" und seinen beiden Dystopie-Reihen "Vollendet" und "Scythe" überzeugen können. Mit "Dry" nimmt er sich gemeinsam mit seinem Sohn eines weitaus realistischeren und in näherer Zukunft liegenden Themas an: dem Klimawandel und dessen verheerenden Folgen. Verarbeitet zu einem hochspannenden Apokalypse-Jugendbuch machen er und sein Sohn Jarrod darauf aufmerksam, was in schon naher Zukunft passieren könnte und wie dünn das Rinnsal ist, dass uns von einer humanitären Katastrophe trennt...

Passend zum Thema ist die Geschichte all denjenigen gewidmet, die "sich anstrengen, die katastrophalen Folgen des Klimawandels rückgängig zu machen." Wie der knappe und sehr passende Titel schon verrät, rückt hier die anhaltende Dürre in Südkalifornien in den Mittelpunkt, in der die elementarste Ressource überhaupt knapp wird: Wasser. Passend dazu ist auf dem Cover vor einem krisseligen, dunklen Farbverlauf ein Streichholz zu sehen, welches statt einer Flamme einen Wasserspritzer enthält. Innerhalb der Buchdeckel finden sich neben 56 Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven und sechs große Gesamtabschnitte mehrere "Snapshots". Letztere werden regelmäßig eingebunden, um ein vollständigeres Bild der Krise zu erhalten und auch auf die gesamtgesellschaftlichen Folgen der Wasserknappheit und des Tap Outs einzugehen.


Alyssa: "Für eine Wasserkrise gibt es keine Radarbilder. Keine Sturmfluten, keine Trümmerfelder. Der Tap-Out ist so lautlos wie Krebs."


Im Gegensatz zu anderen Apokalypse-Geschichten wie zum Beispiel "Black-Out" oder "Der Schwarm", die eher auf ein breites Bild abziehen, dabei aber die emotionale Bindung etwas aus den Augen verlieren, konzentriert sich "Dry" bis auf die wenigen Snapshot-Ausflüge auf eine einzige Gruppe Jugendlicher und deren Weg durch die Krise, was einen noch intensiveren Bezug des Lesers zur Handlung schafft. Dabei nutzen die beiden Autoren vier Ich-Perspektiven: Alyssa, Kelton, Jacqui und Henry, die nach und nach mit zunehmender Eskalation auftreten. Trotz dass "Dry" relativ langsam startet, hat mich die rasant erzählte Geschichte über das Schicksal von fünf Jugendlichen, die unterschiedlicher nicht sein könnten aber in ihrem Kampf ums Überlegen vereint sind, von der ersten Seite in ihren Bann gezogen. Von der ersten Seite an liegt eine dunkle Vorahnung in der Luft, während wir zunächst zusammen mit der 16jährigen Alyssa bemerken, dass aus dem Wasserhahn kein Wasser mehr kommt. Zwar ist die Situation zuerst eine recht alltägliche, als aufmerksamer Leser ahnt man jedoch, dass der Weg zur humanitären Katastrophe nicht weit ist. Denn mitten im kalifornischen Hochsommer kein Wasser mehr zu haben, entpuppt sich als großer Albtraum und die aller wenigsten sind darauf vorbereitet. Für Alyssa, ihre Eltern und ihren kleinen Bruder Garrett bedeutet das: so schnell wie möglich an Wasser gelangen - doch das wollen leider alle...


Alyssa: "Irgendwas fühlt sich komisch an. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber es hängt in der Luft wie ein Geruch. Es ist die Ungeduld der Menschen vor den Kassen. Fast wie mit einem Rammbock bahnen sich die Leute mit ihren Einkaufswagen einen Weg durch die Schlangen. Es herrscht eine Art primitive Ur-Feindlichkeit, nur verdeckt von einer dünnen Schicht aus vorstädtischer Höflichkeit, die langsam fadenscheinig wird."


Alyssas Nachbar Kelton - unser zweiter Erzähler - und dessen Familie haben es besser, denn als Hobby-Prepper sind die McCrackens seit Jahren auf jede Form der Apokalypse vorbereitet. Doch dass ein Notfallaggregat, ein Wassertank hinter dem Haus und angelegte Vorräte Neider anlockt und verzweifelte Menschen vor fast nichts zurückschrecken, wird auch ihnen zum Verhängnis. So sitzen Kelton, Alyssa und Garrett schnell in einem Boot und versuchen, die Ausuferungen des Chaos´ um sie herum zu umgehen. Geplünderte Supermärkte, gescheiterte Nachbarschaftshilfen und umherirrende "Wasserzombies" sind die ersten Vorzeichen. Nach mehreren Tagen spitzt sich die Lage doch zusehends zu und es geht für unsere Protagonisten ums nackte Überleben. "Dry" wird von Seite zu Seite ernster und enthält auch einige sehr heftige Szenen, bei denen mir der Atem stockte. So klebte ich beinahe an den Seiten, während ich mit unseren Protagonisten durch verlassene Straßen, von Unterschlupf zu Unterschlupf reiste, sie durch Wälder, über verstopfte Autobahnen und durch ausgetrocknete Kanäle begleitete, immer auf der Suche nach dem nächsten Schluck Wasser...


Kelton: "Es passiert alles genauso, wie es in den Survival-Büchern steht. Aber das tröstet mich nicht. Nicht im Geringsten. Weltuntergangsszenarien machen nur Spaß, solange der Weltuntergang theoretisch ist. Jetzt wünschte ich, sie hätten sich alle geirrt."


Doch die Kleinigkeit, die die Geschichte wirklich schlimm macht, ist der wahre Kern. Man würde die Geschehnisse gerne der blühenden Fantasie von Neal und Jarrod Shusterman zuschreiben, doch was alles so erschüttern macht, ist dass ich mir mir ohne Probleme vorstellen könnte, von genau dieser Krise im Sommer in den Nachrichten zu sehen. Erschreckend realistisch wird das Buch auch dadurch, dass die Shustermans sehr gut recherchiert haben. Von Katastrophenpläne über die typischen Abläufe einer Krise bis zum Zusammenbruch der gesellschaftlichen Strukturen und einem anarchischen Zustand - die beiden Autoren erzählen hier einen Ablauf, der genau so passieren könnte, untermauert mit mir bekannten Theorien der Psychologie.


Alyssa: "Es ist so ruhig", sage ich. "Da kann man fast vergessen, was da draußen los ist." "Dort ist nichts, nur Menschen", erklärt Henry. "Menschen können Monster sein. Egal ob wegen ihrer Handlungen oder ihres wahren Wesens, das tut nichts zur Sache. Das Ergebnis ist dasselbe." Henry zuckt mit den Schultern, als würde ihn das nicht stören. Ich frage mich, ob er tatsächlich so unbekümmert ist oder ob er mir zuliebe so tut. "Manchmal muss man ein Monster sein, um zu überleben", sagt er."


Neben der Spannung, die aus dem ständigen Kampf ums Nackte Überleben resultiert, machen in "Dry" genau wie in Neal Shustermans "Vollendet"-Reihe zwischenmenschliche Konflikte, Beobachtungen, Manipulationen und Machtkämpfe - also kurz: die Gruppendynamik zwischen den Jugendlichen - ebenfalls einen Teil der Spannung aus. Bei einigen Zwischenstopps erhalten wir zwei zusätzliche Mitglieder des durch das Schicksal zusammengeschweißten Überlebensteams, die ebenfalls aus ihrer Geschichte erzählen dürfen. Die 19jährige Jacqui bringt dabei zwar eine Menge Straßenerfahrung und ihre Fahrkünste mit ins Team, erschwert den Umgang in der Gruppe jedoch dadurch, dass sie ein laufendes Pulverfass ist. Richtig ins Rollen kommt der Strudel aus Misstrauen, Achtsamkeit und Verrat innerhalb der Gruppe aber erst, als der berechnende Henry aus gutem Hause dazu stößt, der in der Krise vor allem eins sieht: eine Möglichkeit Profit zu schlagen...


Henry: "Das Geheimnis der erfolgreichen Zusammenarbeit in einer Gruppe ist ein dynamischer, ansprechbarer Anführer. Und der Schlüssel, ein guter Anführer zu sein, ist genaue Beobachtung und subtile Manipulation - so subtil, dass niemand merkt, dass er manipuliert wird. Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist das auch der Schlüssel für eine erfolgreiche Regierung."


Die Mitfühlende, das Nesthäkchen, der Nerd, die Draufgängerin und der Snob - die fünf Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein, dennoch verbindet sie eines: sie werden vom Autorenduo Shusterman mit wenigen Worten als starke Teenager charakterisiert, die vor allem eines sind, Menschen. Menschen, die Angst haben, Rache wollen, lieben, hassen, zweifeln, trauern, hoffen und leben wollen. Auch wenn das Buch an einigen Stellen hart und kompromisslos erscheint, hat es mich doch tief berührt. Ich liebe Bücher, die mich zum Nachdenken anregen, egal in welchem Genre sie angesiedelt und dieses hat mich zu ausschweifenden Grübeleien verholfen. Allein an der Anzahl der Flaschen Wasser, die ich beim Lesen getrunken habe, merkt man vermutlich, wie nah mir die Geschehnisse gingen. Darüberhinaus ließ mich der Gedanke einfach nicht los, wie schlecht ich selbst auf eine derartige Krise vorbereitet wäre und ich konnte nicht aufhören mich zu fragen, wie weit ich bereit wäre für mein eigenes Überleben zu gehen...


Alyssa: “Entweder man öffnet die Türen weit oder man schließt sie ab”, sage ich wehmütig. “Die Menschen sind zu kompliziert, um auf irgendetwas dazwischen zu vertrauen.”


Auch einige wirklich berührende Szenen schmücken den Plot, der sonst vor allem auf Action, Gewissensfragen und die starken Charaktere baut. Es ist so unendlich schön und bitter mitzuerleben, wie die fünf sich zusammen durchkämpfen und alle Seiten der Not kennenlernen. Auch die Entwicklung der Figuren folgt einer psychologischen Theorie: ganz nach dem Motto "In drei Tagen vom Mensch zum Tier" offenbart die Katastrophe in jedem der Figuren neue Abgründe... Man merkt jedoch nicht nur an den jugendlichen Figuren, dass es sich hier um ein Jugendbuch handelt. Zwar wird hier nichts beschönigt, dennoch hätte man noch zu extremeren Mitteln greifen und wirkliches Elend zeigen können. So werden zwar ab und zu von Todesopfern berichtet, Leichensäcke genannt oder Totkranken wird der Tod prophezeit, die Menschen verdursten und sterben aber im Off und belasten die jugendlichen LeserInnen nicht zusätzlich. Da die Lage dank des meisterhaft direkten, schonungslosen Schreibstil, der uns einen gruseligen Gänsehautmoment nach dem anderen beschert ohne grausam oder blutig zu sein, schwer genug zu ertragen ist, würde ich das Buch aber erst ab 14 bis 16 Jahren empfehlen.


Kelton: "Wenn es ums Überleben geht, gibt es keine Preise für zweite und dritte Plätze, sondern nur Gold oder Grab. Und ich glaube, den anderen ist nicht klar, wie nah wir am Verlieren sind."


Der einzige Kritikpunkt, den ich bei diesem Meisterwerk vorzubringen habe, ist das Ende. Dieses war mir nach der sich langsam immer stärker aufbauenden Spannung hin zur Eskalation viel zu zahm und auch zu knapp abgehandelt. Vom absoluten Tiefpunkt, an dem ich mir sicher war "jetzt ist alles aus", bis zu "alles wieder normal" muss man leider nur dreimal umblättern. Hier hätte ich mir eine langsamere, ausführlichere Entwicklung gewünscht, die den Leser emotional zurück zur Normalität führt und auch die zwischen Beinahe-Tod und Happy-End vergangene Handlung (Zurückkehr der Eltern, Auflösung des Konflikts, Rückführung in den Normalzustand) genauer ausführt. Zwar kann ich schon verstehen, weshalb das Shusterman´sche Autorenduo diesen krassen Sprung gewagt hat - um auch den Lesern zu verdeutlichen, wie verloren sich die Figuren auch nach dem Ende der Krise noch fühlen und wie solche Extremsituationen nie so wirklich vorbei zu sein scheinen -, mir persönlich war das aber zu knapp und hat nicht ganz zum sich langsam aufbauenden Rest der Geschichte gepasst. Dass am Ende alle vergleichsweise glimpflich davonkommen kann ich dagegen unter dem Gesichtspunkt, dass es sich hier um ein Jugendbuch handelt, nachvollziehen.

Ich könnte hier noch viele Gründe mehr angeben, wieso mich dieses Buch so sehr fasziniert und so gefesselt hat, aber am besten du machst dir selbst ein Bild und liest diesen wirklich tollen Roman. Beenden möchte ich meine Rezension mit einem schönen Gedanken....


Alyssa: "Mir wird klar, dass dies der wahre Kern des menschlichen Wesens ist: Auch wenn wir die Energie verloren haben, uns selbst zu retten, finden wir noch irgendwie die Kraft, uns gegenseitig zu helfen."




Fazit:

Jarrod und Neal Shusterman haben in "Dry" den Klimawandel und dessen verheerenden Folgen zu einem hochspannenden Apokalypse-Jugendbuch verarbeitet. Der Kampf ums Überleben ist so erschreckend realistisch, die Figuren so berührend menschlich und die Dynamik so beeindruckend rasant, dass ich die Geschichte bis zum Ende nicht aus der Hand legen konnte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.04.2021

Erschreckend realistisch, berührend menschlich und beeindruckend rasant...

Dry
0

Neal Shusterman hat mich bislang vor allem mit seinem Jugendroman "Kompass ohne Norden" und seinen beiden Dystopie-Reihen "Vollendet" und "Scythe" überzeugen können. Mit "Dry" nimmt er sich gemeinsam mit ...

Neal Shusterman hat mich bislang vor allem mit seinem Jugendroman "Kompass ohne Norden" und seinen beiden Dystopie-Reihen "Vollendet" und "Scythe" überzeugen können. Mit "Dry" nimmt er sich gemeinsam mit seinem Sohn eines weitaus realistischeren und in näherer Zukunft liegenden Themas an: dem Klimawandel und dessen verheerenden Folgen. Verarbeitet zu einem hochspannenden Apokalypse-Jugendbuch machen er und sein Sohn Jarrod darauf aufmerksam, was in schon naher Zukunft passieren könnte und wie dünn das Rinnsal ist, dass uns von einer humanitären Katastrophe trennt...

Passend zum Thema ist die Geschichte all denjenigen gewidmet, die "sich anstrengen, die katastrophalen Folgen des Klimawandels rückgängig zu machen." Wie der knappe und sehr passende Titel schon verrät, rückt hier die anhaltende Dürre in Südkalifornien in den Mittelpunkt, in der die elementarste Ressource überhaupt knapp wird: Wasser. Passend dazu ist auf dem Cover vor einem krisseligen, dunklen Farbverlauf ein Streichholz zu sehen, welches statt einer Flamme einen Wasserspritzer enthält. Innerhalb der Buchdeckel finden sich neben 56 Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven und sechs große Gesamtabschnitte mehrere "Snapshots". Letztere werden regelmäßig eingebunden, um ein vollständigeres Bild der Krise zu erhalten und auch auf die gesamtgesellschaftlichen Folgen der Wasserknappheit und des Tap Outs einzugehen.


Alyssa: "Für eine Wasserkrise gibt es keine Radarbilder. Keine Sturmfluten, keine Trümmerfelder. Der Tap-Out ist so lautlos wie Krebs."


Im Gegensatz zu anderen Apokalypse-Geschichten wie zum Beispiel "Black-Out" oder "Der Schwarm", die eher auf ein breites Bild abziehen, dabei aber die emotionale Bindung etwas aus den Augen verlieren, konzentriert sich "Dry" bis auf die wenigen Snapshot-Ausflüge auf eine einzige Gruppe Jugendlicher und deren Weg durch die Krise, was einen noch intensiveren Bezug des Lesers zur Handlung schafft. Dabei nutzen die beiden Autoren vier Ich-Perspektiven: Alyssa, Kelton, Jacqui und Henry, die nach und nach mit zunehmender Eskalation auftreten. Trotz dass "Dry" relativ langsam startet, hat mich die rasant erzählte Geschichte über das Schicksal von fünf Jugendlichen, die unterschiedlicher nicht sein könnten aber in ihrem Kampf ums Überlegen vereint sind, von der ersten Seite in ihren Bann gezogen. Von der ersten Seite an liegt eine dunkle Vorahnung in der Luft, während wir zunächst zusammen mit der 16jährigen Alyssa bemerken, dass aus dem Wasserhahn kein Wasser mehr kommt. Zwar ist die Situation zuerst eine recht alltägliche, als aufmerksamer Leser ahnt man jedoch, dass der Weg zur humanitären Katastrophe nicht weit ist. Denn mitten im kalifornischen Hochsommer kein Wasser mehr zu haben, entpuppt sich als großer Albtraum und die aller wenigsten sind darauf vorbereitet. Für Alyssa, ihre Eltern und ihren kleinen Bruder Garrett bedeutet das: so schnell wie möglich an Wasser gelangen - doch das wollen leider alle...


Alyssa: "Irgendwas fühlt sich komisch an. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber es hängt in der Luft wie ein Geruch. Es ist die Ungeduld der Menschen vor den Kassen. Fast wie mit einem Rammbock bahnen sich die Leute mit ihren Einkaufswagen einen Weg durch die Schlangen. Es herrscht eine Art primitive Ur-Feindlichkeit, nur verdeckt von einer dünnen Schicht aus vorstädtischer Höflichkeit, die langsam fadenscheinig wird."


Alyssas Nachbar Kelton - unser zweiter Erzähler - und dessen Familie haben es besser, denn als Hobby-Prepper sind die McCrackens seit Jahren auf jede Form der Apokalypse vorbereitet. Doch dass ein Notfallaggregat, ein Wassertank hinter dem Haus und angelegte Vorräte Neider anlockt und verzweifelte Menschen vor fast nichts zurückschrecken, wird auch ihnen zum Verhängnis. So sitzen Kelton, Alyssa und Garrett schnell in einem Boot und versuchen, die Ausuferungen des Chaos´ um sie herum zu umgehen. Geplünderte Supermärkte, gescheiterte Nachbarschaftshilfen und umherirrende "Wasserzombies" sind die ersten Vorzeichen. Nach mehreren Tagen spitzt sich die Lage doch zusehends zu und es geht für unsere Protagonisten ums nackte Überleben. "Dry" wird von Seite zu Seite ernster und enthält auch einige sehr heftige Szenen, bei denen mir der Atem stockte. So klebte ich beinahe an den Seiten, während ich mit unseren Protagonisten durch verlassene Straßen, von Unterschlupf zu Unterschlupf reiste, sie durch Wälder, über verstopfte Autobahnen und durch ausgetrocknete Kanäle begleitete, immer auf der Suche nach dem nächsten Schluck Wasser...


Kelton: "Es passiert alles genauso, wie es in den Survival-Büchern steht. Aber das tröstet mich nicht. Nicht im Geringsten. Weltuntergangsszenarien machen nur Spaß, solange der Weltuntergang theoretisch ist. Jetzt wünschte ich, sie hätten sich alle geirrt."


Doch die Kleinigkeit, die die Geschichte wirklich schlimm macht, ist der wahre Kern. Man würde die Geschehnisse gerne der blühenden Fantasie von Neal und Jarrod Shusterman zuschreiben, doch was alles so erschüttern macht, ist dass ich mir mir ohne Probleme vorstellen könnte, von genau dieser Krise im Sommer in den Nachrichten zu sehen. Erschreckend realistisch wird das Buch auch dadurch, dass die Shustermans sehr gut recherchiert haben. Von Katastrophenpläne über die typischen Abläufe einer Krise bis zum Zusammenbruch der gesellschaftlichen Strukturen und einem anarchischen Zustand - die beiden Autoren erzählen hier einen Ablauf, der genau so passieren könnte, untermauert mit mir bekannten Theorien der Psychologie.


Alyssa: "Es ist so ruhig", sage ich. "Da kann man fast vergessen, was da draußen los ist." "Dort ist nichts, nur Menschen", erklärt Henry. "Menschen können Monster sein. Egal ob wegen ihrer Handlungen oder ihres wahren Wesens, das tut nichts zur Sache. Das Ergebnis ist dasselbe." Henry zuckt mit den Schultern, als würde ihn das nicht stören. Ich frage mich, ob er tatsächlich so unbekümmert ist oder ob er mir zuliebe so tut. "Manchmal muss man ein Monster sein, um zu überleben", sagt er."


Neben der Spannung, die aus dem ständigen Kampf ums Nackte Überleben resultiert, machen in "Dry" genau wie in Neal Shustermans "Vollendet"-Reihe zwischenmenschliche Konflikte, Beobachtungen, Manipulationen und Machtkämpfe - also kurz: die Gruppendynamik zwischen den Jugendlichen - ebenfalls einen Teil der Spannung aus. Bei einigen Zwischenstopps erhalten wir zwei zusätzliche Mitglieder des durch das Schicksal zusammengeschweißten Überlebensteams, die ebenfalls aus ihrer Geschichte erzählen dürfen. Die 19jährige Jacqui bringt dabei zwar eine Menge Straßenerfahrung und ihre Fahrkünste mit ins Team, erschwert den Umgang in der Gruppe jedoch dadurch, dass sie ein laufendes Pulverfass ist. Richtig ins Rollen kommt der Strudel aus Misstrauen, Achtsamkeit und Verrat innerhalb der Gruppe aber erst, als der berechnende Henry aus gutem Hause dazu stößt, der in der Krise vor allem eins sieht: eine Möglichkeit Profit zu schlagen...


Henry: "Das Geheimnis der erfolgreichen Zusammenarbeit in einer Gruppe ist ein dynamischer, ansprechbarer Anführer. Und der Schlüssel, ein guter Anführer zu sein, ist genaue Beobachtung und subtile Manipulation - so subtil, dass niemand merkt, dass er manipuliert wird. Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist das auch der Schlüssel für eine erfolgreiche Regierung."


Die Mitfühlende, das Nesthäkchen, der Nerd, die Draufgängerin und der Snob - die fünf Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein, dennoch verbindet sie eines: sie werden vom Autorenduo Shusterman mit wenigen Worten als starke Teenager charakterisiert, die vor allem eines sind, Menschen. Menschen, die Angst haben, Rache wollen, lieben, hassen, zweifeln, trauern, hoffen und leben wollen. Auch wenn das Buch an einigen Stellen hart und kompromisslos erscheint, hat es mich doch tief berührt. Ich liebe Bücher, die mich zum Nachdenken anregen, egal in welchem Genre sie angesiedelt und dieses hat mich zu ausschweifenden Grübeleien verholfen. Allein an der Anzahl der Flaschen Wasser, die ich beim Lesen getrunken habe, merkt man vermutlich, wie nah mir die Geschehnisse gingen. Darüberhinaus ließ mich der Gedanke einfach nicht los, wie schlecht ich selbst auf eine derartige Krise vorbereitet wäre und ich konnte nicht aufhören mich zu fragen, wie weit ich bereit wäre für mein eigenes Überleben zu gehen...


Alyssa: “Entweder man öffnet die Türen weit oder man schließt sie ab”, sage ich wehmütig. “Die Menschen sind zu kompliziert, um auf irgendetwas dazwischen zu vertrauen.”


Auch einige wirklich berührende Szenen schmücken den Plot, der sonst vor allem auf Action, Gewissensfragen und die starken Charaktere baut. Es ist so unendlich schön und bitter mitzuerleben, wie die fünf sich zusammen durchkämpfen und alle Seiten der Not kennenlernen. Auch die Entwicklung der Figuren folgt einer psychologischen Theorie: ganz nach dem Motto "In drei Tagen vom Mensch zum Tier" offenbart die Katastrophe in jedem der Figuren neue Abgründe... Man merkt jedoch nicht nur an den jugendlichen Figuren, dass es sich hier um ein Jugendbuch handelt. Zwar wird hier nichts beschönigt, dennoch hätte man noch zu extremeren Mitteln greifen und wirkliches Elend zeigen können. So werden zwar ab und zu von Todesopfern berichtet, Leichensäcke genannt oder Totkranken wird der Tod prophezeit, die Menschen verdursten und sterben aber im Off und belasten die jugendlichen LeserInnen nicht zusätzlich. Da die Lage dank des meisterhaft direkten, schonungslosen Schreibstil, der uns einen gruseligen Gänsehautmoment nach dem anderen beschert ohne grausam oder blutig zu sein, schwer genug zu ertragen ist, würde ich das Buch aber erst ab 14 bis 16 Jahren empfehlen.


Kelton: "Wenn es ums Überleben geht, gibt es keine Preise für zweite und dritte Plätze, sondern nur Gold oder Grab. Und ich glaube, den anderen ist nicht klar, wie nah wir am Verlieren sind."


Der einzige Kritikpunkt, den ich bei diesem Meisterwerk vorzubringen habe, ist das Ende. Dieses war mir nach der sich langsam immer stärker aufbauenden Spannung hin zur Eskalation viel zu zahm und auch zu knapp abgehandelt. Vom absoluten Tiefpunkt, an dem ich mir sicher war "jetzt ist alles aus", bis zu "alles wieder normal" muss man leider nur dreimal umblättern. Hier hätte ich mir eine langsamere, ausführlichere Entwicklung gewünscht, die den Leser emotional zurück zur Normalität führt und auch die zwischen Beinahe-Tod und Happy-End vergangene Handlung (Zurückkehr der Eltern, Auflösung des Konflikts, Rückführung in den Normalzustand) genauer ausführt. Zwar kann ich schon verstehen, weshalb das Shusterman´sche Autorenduo diesen krassen Sprung gewagt hat - um auch den Lesern zu verdeutlichen, wie verloren sich die Figuren auch nach dem Ende der Krise noch fühlen und wie solche Extremsituationen nie so wirklich vorbei zu sein scheinen -, mir persönlich war das aber zu knapp und hat nicht ganz zum sich langsam aufbauenden Rest der Geschichte gepasst. Dass am Ende alle vergleichsweise glimpflich davonkommen kann ich dagegen unter dem Gesichtspunkt, dass es sich hier um ein Jugendbuch handelt, nachvollziehen.

Ich könnte hier noch viele Gründe mehr angeben, wieso mich dieses Buch so sehr fasziniert und so gefesselt hat, aber am besten du machst dir selbst ein Bild und liest diesen wirklich tollen Roman. Beenden möchte ich meine Rezension mit einem schönen Gedanken....


Alyssa: "Mir wird klar, dass dies der wahre Kern des menschlichen Wesens ist: Auch wenn wir die Energie verloren haben, uns selbst zu retten, finden wir noch irgendwie die Kraft, uns gegenseitig zu helfen."




Fazit:

Jarrod und Neal Shusterman haben in "Dry" den Klimawandel und dessen verheerenden Folgen zu einem hochspannenden Apokalypse-Jugendbuch verarbeitet. Der Kampf ums Überleben ist so erschreckend realistisch, die Figuren so berührend menschlich und die Dynamik so beeindruckend rasant, dass ich die Geschichte bis zum Ende nicht aus der Hand legen konnte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.04.2021

Intensiv, warmherzig und mit toller Message - genau so sollte New Adult sein! "

Only One Letter
0

Als "Only One Song" mich total positiv überrascht hat, stand es für mich außer Frage, dass ich auch die weiteren Teile von Anne Goldbergs neuer Reihe lesen werde. Auch "Only One Letter" hält wieder um ...

Als "Only One Song" mich total positiv überrascht hat, stand es für mich außer Frage, dass ich auch die weiteren Teile von Anne Goldbergs neuer Reihe lesen werde. Auch "Only One Letter" hält wieder um einiges mehr bereit, als Cover, Klapptext oder Genre vermuten ließen und wurde zum überraschenden Monatshighlight!

Das Cover ist mit dem lila eingefärbten Close-Up eines Paares und dem sehr großen Titel zwar sehr hübsch anzusehen, hat aber meiner Meinung nach keinen besonderen Wiedererkennungswert. Auch der Titel hat mich nicht unbedingt vom Hocker gehauen. "Only One Letter" ist ein so typischer Titel, dass ich ihn selbst beim Lesen ein paar Mal vergessen habe und nachdem ich das Buch beendet hatte, mich immer noch frage, welcher eine Brief hier so wichtig war, dass er im Titel verewigt werden musste. Dasselbe habe ich schon bei Band 1 kritisiert, positiv anmerken muss ich aber, dass die beiden Teile optisch ganz wunderbar zusammenpassen und im Bücherregal nebeneinander ein schönes Bild abgeben. Schmerzlich vermisst habe ich hier allerdings wieder eine Triggerwarnung, die meines Erachtens aufgrund des Themas angebracht gewesen wäre.


Erster Satz: "Anfänge sind schwierig."


Besonders an der inneren Gestaltung der Geschichte ist, dass Anne Goldberg sich hier für eine interessante Erzählweise auf zwei Zeit- und Reflexionsebenen entschieden hat, welche gegen Ende langsam ineinanderlaufen. In der Gegenwart erleben wir die beiden Hauptfiguren Nate und Liz als Paar, das auf dem Heimatbesuch bei Nates Eltern in der USA auf die Probe gestellt wird. Abwechselnd zu diesen Kapiteln bekommen wir durch Einträge aus "Nates Logbuch", in welchem Liz tagebuchartig die Geschehnisse seit ihrer ersten Begegnung festgehalten hat, den Beginn ihrer Liebesgeschichte nacherzählt. In der Vergangenheit geht es dabei in erster Linie um Liz Probleme, während in der Gegenwart durch die Reise Nates alte Wunden wieder aufgerissen werden. Das Kennenlernen der beiden Figuren läuft Theo und Winstons erstem Treffen (in "Only One Song"), welchem ich in meiner Rezension feierlich dem Titel des "wohl witzigsten erste Treffens in der Geschichte der lustigen ersten Treffen" verliehen habe, beinahe den Rang ab, dennoch wird bald klar, dass die Autorin hier einen deutlich ernsthafteren Ton anschlägt als bei ihrem Auftaktband.

Das erste schwierige, aber starke Standbein der Geschichte, welche die Heiterkeit der jungen Liebe im Vergangenheitspart etwas dunkler einfärbt, ist Liz´ Umgang mit ihrer posttraumatischen Belastungsstörung, welche in "Only One Letter" sehr anschaulich und treffend umgesetzt wurde. Hier waren die nötige Präzision und Fingerspitzengefühl vorhanden, die ich bei "The Story of a Love Song", welches ich beinahe zeitgleich gelesen habe, vermisst hatte. Was bei Band 1 noch als leise spannungserzeugende Vorahnung in der Luft hing, ist hier bereits passiert und wirkt auf die Figuren zurück. Wer "Only One Song" also noch nicht gelesen hat und noch lesen will, sollte am besten JETZT damit aufhören, meine Rezension weiterzulesen! Es gibt zwar bis auf ein Ereignis nur kleine Überschneidungen mit dem ersten Teil, da das überraschend kommende Ende von "Only One Song" einen Großteil des Reizes der Geschichte ausmacht, würde ich das ungern spoilern. Aufmerksame Leser werden feststellen, dass Theo und Winston ganz kurz vorkommen und Nate und Theo am selben Projekt arbeiten. Ansonsten gibt es außer der Tatsache, dass beide Paare in London wohnen keinen Zusammenhang zwischen den beiden Geschichten, sodass man sie auch getrost unabhängig voneinander lesen kann.


"Ich glaube, der dümmste Zustand eines Menschen ist der, in dem er meint, etwas zu begreifen, wovon er gar keine Ahnung haben kann"


Auch im Gegenwarts-Teil geht es alles andere als heiter zu, da sich hier Nate seinen Dämonen stellen muss, als die beiden für die Hochzeit seiner Schwester an seinen Geburtsort zurückkehren. Zusehen, wie die beiden sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart wieder vor eine Zerreißprobe ihrer noch jungen Liebe stehen, sich gegenseitig unterstützt, dabei mal ganz wundervoll und manchmal auch ganz schrecklich verhalten, aber immer wieder einen Schritt aufeinander zu machen und verstehen wollen, was im anderen vorgeht, ist so schön wie herzzerreißend. Die Autorin zeigt hier, dass eine gesunde Beziehung nicht bedeutet, dass es keine Probleme gibt, dass man sich nicht streitet oder auch mal aneinander vorbeiredet. Eine gesunde Beziehung bedeutet, dass man zwar mal wütend ist, aber trotzdem versucht, den anderen zu verstehen, dass man mal eine Auszeit nimmt, aber trotzdem immer wieder einen Schritt auf den anderen zugeht, dass man nicht immer einer Meinung ist, aber sich trotzdem bei allem Wichtigen zur Seite steht! Genau solche Vorbilder braucht New Adult!

Genau dieses Kompliment kann ich auch den Figuren machen. Klar, dass eine Hauptfigur eine "dunkle Vergangenheit" hat oder mit einem Trauma kämpft, ist häufig der Fall in diesem Genre. Ich finde es aber wichtig, dass dies nicht nur als Motiv genutzt wird, um Drama mit einzubringen, Probleme zu erklären und Spannung aufzubauen, sondern dass das Thema auch wirklich genutzt, behandelt und auserzählt wird. Und das macht Anne Goldberg hier definitiv! Sowohl Liz als auch Nate haben ihre liebenswürdigen Eigenheiten, aber auch ihre Fehler. Sie machen vieles richtig, verhalten sich aber auch ab und zu so, dass man sie gerne an die Wand klatschen würde. Eben wie Menschen im richtigen Leben auch. Der Weg, den die beiden zusammen und auch jeder für sich gehen, geht ans Herz und erzählt von der Bedeutung kleiner Gesten, der Akzeptanz, dass es in Ordnung ist, mal nicht klarzukommen und wie man Hilfe von Menschen annimmt, die man liebt. Wie die beiden zusammengefunden haben ist hier mit relativ wenigen Worten erzählt, dennoch ist "Only One Letter" unbestreitbar eine Liebesgeschichte, nur eben eine, die erzählt, wie es nach dem "und sie lebten glücklich..." weitergeht!


"Die Sache ist nämlich die: Angst unterliegt den Gesetzen der Schwerkraft. wenn sie von einem abfällt, fällt sie nach unten. Und sie nimmt einen immer ein Stück weit mit."


Das Gleichgewicht zwischen schön und traurig hat die Autorin dabei grandios gut getroffen. "Only One Letter" ist zwar absolut kein Wohlfühlbuch, aber auch nicht wirklich harte Kost, denn Anne Goldberg versprüht mit ihrem lebendigen, spritzigen Humor immer mal wieder gute Laune. Der sehr lockere, sarkastische Erzählstil sollte sich eigentlich mit den schwermütigen Themen und der Figurentiefe beißen, seltsamerweise wirkt die Leichtigkeit des Schreibstils jedoch eher als passendes Gegengewicht und macht die Geschichte erst richtig rund. Dennoch: nachdem mir Anne Goldberg versichert hat, "Only One Letter" sei der "cozy Teil" der Reihe, habe ich aber eindeutig Angst, was mich im Finale der Trilogie erwartet...

Und wenn wir schon gerade von Enden reden... Das Ende der Geschichte ist das einzige Manko, das mich nach längerem Nachdenken dazu veranlasst hat, einen halben Stern abzuziehen. Hier ging mir alles nämlich einfach etwas zu schnell. Im letzten Viertel ist der Weg von "alles ist scheiße, wir schaffen das nicht" zu "es wird schon alles gut werden" sehr kurz, sodass das eigentlich recht positive Ende sich eher neutral und so gar nicht nach Happy End oder Ende allgemein anfühlt. Die Auflösung bleibt so offen und knapp, dass Vieles in der Luft hängen bleibt. Gerade auch die allerletzten Sätze haben bei mir Verwirrung ausgelöst. Zwei oder drei zusätzliche Kapitel hätte "Only One Letter" gegen Ende also meiner Meinung nach gut vertragen können.





Fazit:


Intensiv, warmherzig und mit toller Message - genau so sollte New Adult sein! "Only One Letter" punktet nicht nur mit einer interessanten Erzählweise auf zwei Zeit- und Reflexionsebenen, vielschichtigen Figuren und einer gesunden Beziehung - Anne Goldberg ist auch zwei schwierige Mental Health Themen mit der die nötige Präzision und Fingerspitzengefühl angegangen und hat das Gleichgewicht zwischen schön und traurig grandios gut getroffen. Nur das etwas zu knappe Ende trübt das Gesamtbild minimal ein.

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  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.04.2021

Intensiv, warmherzig und mit toller Message - genau so sollte New Adult sein! "

Only One Letter
0

Als "Only One Song" mich total positiv überrascht hat, stand es für mich außer Frage, dass ich auch die weiteren Teile von Anne Goldbergs neuer Reihe lesen werde. Auch "Only One Letter" hält wieder um ...

Als "Only One Song" mich total positiv überrascht hat, stand es für mich außer Frage, dass ich auch die weiteren Teile von Anne Goldbergs neuer Reihe lesen werde. Auch "Only One Letter" hält wieder um einiges mehr bereit, als Cover, Klapptext oder Genre vermuten ließen und wurde zum überraschenden Monatshighlight!

Das Cover ist mit dem lila eingefärbten Close-Up eines Paares und dem sehr großen Titel zwar sehr hübsch anzusehen, hat aber meiner Meinung nach keinen besonderen Wiedererkennungswert. Auch der Titel hat mich nicht unbedingt vom Hocker gehauen. "Only One Letter" ist ein so typischer Titel, dass ich ihn selbst beim Lesen ein paar Mal vergessen habe und nachdem ich das Buch beendet hatte, mich immer noch frage, welcher eine Brief hier so wichtig war, dass er im Titel verewigt werden musste. Dasselbe habe ich schon bei Band 1 kritisiert, positiv anmerken muss ich aber, dass die beiden Teile optisch ganz wunderbar zusammenpassen und im Bücherregal nebeneinander ein schönes Bild abgeben. Schmerzlich vermisst habe ich hier allerdings wieder eine Triggerwarnung, die meines Erachtens aufgrund des Themas angebracht gewesen wäre.


Erster Satz: "Anfänge sind schwierig."


Besonders an der inneren Gestaltung der Geschichte ist, dass Anne Goldberg sich hier für eine interessante Erzählweise auf zwei Zeit- und Reflexionsebenen entschieden hat, welche gegen Ende langsam ineinanderlaufen. In der Gegenwart erleben wir die beiden Hauptfiguren Nate und Liz als Paar, das auf dem Heimatbesuch bei Nates Eltern in der USA auf die Probe gestellt wird. Abwechselnd zu diesen Kapiteln bekommen wir durch Einträge aus "Nates Logbuch", in welchem Liz tagebuchartig die Geschehnisse seit ihrer ersten Begegnung festgehalten hat, den Beginn ihrer Liebesgeschichte nacherzählt. In der Vergangenheit geht es dabei in erster Linie um Liz Probleme, während in der Gegenwart durch die Reise Nates alte Wunden wieder aufgerissen werden. Das Kennenlernen der beiden Figuren läuft Theo und Winstons erstem Treffen (in "Only One Song"), welchem ich in meiner Rezension feierlich dem Titel des "wohl witzigsten erste Treffens in der Geschichte der lustigen ersten Treffen" verliehen habe, beinahe den Rang ab, dennoch wird bald klar, dass die Autorin hier einen deutlich ernsthafteren Ton anschlägt als bei ihrem Auftaktband.

Das erste schwierige, aber starke Standbein der Geschichte, welche die Heiterkeit der jungen Liebe im Vergangenheitspart etwas dunkler einfärbt, ist Liz´ Umgang mit ihrer posttraumatischen Belastungsstörung, welche in "Only One Letter" sehr anschaulich und treffend umgesetzt wurde. Hier waren die nötige Präzision und Fingerspitzengefühl vorhanden, die ich bei "The Story of a Love Song", welches ich beinahe zeitgleich gelesen habe, vermisst hatte. Was bei Band 1 noch als leise spannungserzeugende Vorahnung in der Luft hing, ist hier bereits passiert und wirkt auf die Figuren zurück. Wer "Only One Song" also noch nicht gelesen hat und noch lesen will, sollte am besten JETZT damit aufhören, meine Rezension weiterzulesen! Es gibt zwar bis auf ein Ereignis nur kleine Überschneidungen mit dem ersten Teil, da das überraschend kommende Ende von "Only One Song" einen Großteil des Reizes der Geschichte ausmacht, würde ich das ungern spoilern. Aufmerksame Leser werden feststellen, dass Theo und Winston ganz kurz vorkommen und Nate und Theo am selben Projekt arbeiten. Ansonsten gibt es außer der Tatsache, dass beide Paare in London wohnen keinen Zusammenhang zwischen den beiden Geschichten, sodass man sie auch getrost unabhängig voneinander lesen kann.


"Ich glaube, der dümmste Zustand eines Menschen ist der, in dem er meint, etwas zu begreifen, wovon er gar keine Ahnung haben kann"


Auch im Gegenwarts-Teil geht es alles andere als heiter zu, da sich hier Nate seinen Dämonen stellen muss, als die beiden für die Hochzeit seiner Schwester an seinen Geburtsort zurückkehren. Zusehen, wie die beiden sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart wieder vor eine Zerreißprobe ihrer noch jungen Liebe stehen, sich gegenseitig unterstützt, dabei mal ganz wundervoll und manchmal auch ganz schrecklich verhalten, aber immer wieder einen Schritt aufeinander zu machen und verstehen wollen, was im anderen vorgeht, ist so schön wie herzzerreißend. Die Autorin zeigt hier, dass eine gesunde Beziehung nicht bedeutet, dass es keine Probleme gibt, dass man sich nicht streitet oder auch mal aneinander vorbeiredet. Eine gesunde Beziehung bedeutet, dass man zwar mal wütend ist, aber trotzdem versucht, den anderen zu verstehen, dass man mal eine Auszeit nimmt, aber trotzdem immer wieder einen Schritt auf den anderen zugeht, dass man nicht immer einer Meinung ist, aber sich trotzdem bei allem Wichtigen zur Seite steht! Genau solche Vorbilder braucht New Adult!

Genau dieses Kompliment kann ich auch den Figuren machen. Klar, dass eine Hauptfigur eine "dunkle Vergangenheit" hat oder mit einem Trauma kämpft, ist häufig der Fall in diesem Genre. Ich finde es aber wichtig, dass dies nicht nur als Motiv genutzt wird, um Drama mit einzubringen, Probleme zu erklären und Spannung aufzubauen, sondern dass das Thema auch wirklich genutzt, behandelt und auserzählt wird. Und das macht Anne Goldberg hier definitiv! Sowohl Liz als auch Nate haben ihre liebenswürdigen Eigenheiten, aber auch ihre Fehler. Sie machen vieles richtig, verhalten sich aber auch ab und zu so, dass man sie gerne an die Wand klatschen würde. Eben wie Menschen im richtigen Leben auch. Der Weg, den die beiden zusammen und auch jeder für sich gehen, geht ans Herz und erzählt von der Bedeutung kleiner Gesten, der Akzeptanz, dass es in Ordnung ist, mal nicht klarzukommen und wie man Hilfe von Menschen annimmt, die man liebt. Wie die beiden zusammengefunden haben ist hier mit relativ wenigen Worten erzählt, dennoch ist "Only One Letter" unbestreitbar eine Liebesgeschichte, nur eben eine, die erzählt, wie es nach dem "und sie lebten glücklich..." weitergeht!


"Die Sache ist nämlich die: Angst unterliegt den Gesetzen der Schwerkraft. wenn sie von einem abfällt, fällt sie nach unten. Und sie nimmt einen immer ein Stück weit mit."


Das Gleichgewicht zwischen schön und traurig hat die Autorin dabei grandios gut getroffen. "Only One Letter" ist zwar absolut kein Wohlfühlbuch, aber auch nicht wirklich harte Kost, denn Anne Goldberg versprüht mit ihrem lebendigen, spritzigen Humor immer mal wieder gute Laune. Der sehr lockere, sarkastische Erzählstil sollte sich eigentlich mit den schwermütigen Themen und der Figurentiefe beißen, seltsamerweise wirkt die Leichtigkeit des Schreibstils jedoch eher als passendes Gegengewicht und macht die Geschichte erst richtig rund. Dennoch: nachdem mir Anne Goldberg versichert hat, "Only One Letter" sei der "cozy Teil" der Reihe, habe ich aber eindeutig Angst, was mich im Finale der Trilogie erwartet...

Und wenn wir schon gerade von Enden reden... Das Ende der Geschichte ist das einzige Manko, das mich nach längerem Nachdenken dazu veranlasst hat, einen halben Stern abzuziehen. Hier ging mir alles nämlich einfach etwas zu schnell. Im letzten Viertel ist der Weg von "alles ist scheiße, wir schaffen das nicht" zu "es wird schon alles gut werden" sehr kurz, sodass das eigentlich recht positive Ende sich eher neutral und so gar nicht nach Happy End oder Ende allgemein anfühlt. Die Auflösung bleibt so offen und knapp, dass Vieles in der Luft hängen bleibt. Gerade auch die allerletzten Sätze haben bei mir Verwirrung ausgelöst. Zwei oder drei zusätzliche Kapitel hätte "Only One Letter" gegen Ende also meiner Meinung nach gut vertragen können.





Fazit:


Intensiv, warmherzig und mit toller Message - genau so sollte New Adult sein! "Only One Letter" punktet nicht nur mit einer interessanten Erzählweise auf zwei Zeit- und Reflexionsebenen, vielschichtigen Figuren und einer gesunden Beziehung - Anne Goldberg ist auch zwei schwierige Mental Health Themen mit der die nötige Präzision und Fingerspitzengefühl angegangen und hat das Gleichgewicht zwischen schön und traurig grandios gut getroffen. Nur das etwas zu knappe Ende trübt das Gesamtbild minimal ein.

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