5 Gründe, "Geister" zu lesen
GeisterStatt einer klassischen Buchbesprechung gibt's von mir eine Aufzählung: 5 Gründe, "Geister" von Nathan Hill zu lesen
1) Die Geschichte
Wenn Bücher mit Argumenten wie "Der Autor verwebt die Geschichte ...
Statt einer klassischen Buchbesprechung gibt's von mir eine Aufzählung: 5 Gründe, "Geister" von Nathan Hill zu lesen
1) Die Geschichte
Wenn Bücher mit Argumenten wie "Der Autor verwebt die Geschichte des Landes auf beeindruckende Weise mit dem Schicksal einer Familie" empfohlen werden, bin ich raus. Ein Garant für Langeweile, denke ich, und lege das Buch wieder zurück. Das mag etwas ignorant sein. Und ja, sicher sollte ich bei meiner Lektüreauswahl etwas offener sein, mich auf neue Themen einlassen und überhaupt ... auch mal die Komfort-Zone verlassen. Aber man kommt mit dem Lesen ja ohnehin kaum hinterher. Da bleibt mir nicht die Zeit, auch noch die Bücher zu lesen, die mich nicht interessieren.
Ich bin sehr froh, dass "Geister" nicht mit dieser oder einer ähnlichen Floskel beworben wurde. Denn sonst wäre mir dieses Buch am Ende noch entgangen. Und das wäre nicht nur schade, weil es tatsächlich die amerikanische Geschichte auf beeindruckende Weise mit dem Schicksal einer Familie verwebt, sondern vor allem auch weil mich die Handlung schon nach wenigen Seiten gepackt hat. Sie ist spannend, bietet Tiefe, ist originell und steckt voller unerwarteter Wendungen, ohne je befremdlich zu wirken oder abgedroschene Gemeinplätze zu bedienen.
2) Die Charaktere
Als gefrusteter Universitätsdozent, der seine Freizeit damit verbringt, stundenlang vorm Computer zu sitzen und World of Elfscape zu spielen, ist Samuel wahrlich kein klassischer Held. Der Ärger über seine Studenten, seine Antriebslosigkeit und seine Sorge, sein Leben am Ende verwirkt zu haben, machen ihn zwar zu einem angenehmen, aber nicht unbedingt zu einem sympathischen Protagonisten. Als Junge weinerlich, immer darum besorgt, etwas Unerwünschtes zu tun, als Mann voller Wut und Trauer darüber, vor Jahren von seiner Mutter verlassen worden zu sein und keine Chance bei der Frau zu haben, die er seit seiner Kindheit liebt. Ein Mann ohne Ziele, ohne jeden Tatendrang, ohne Energie. Ein Mann, der es sich in seinem trübseligen Leben gemütlich gemacht hat. Man möchte ihn rütteln, ihn schubsen, ihn handeln sehen und gleichzeitig weiß man "Genau so ist der Mensch." Wir lassen Chancen verstreichen, bleiben sitzen, wenn wir aufstehen sollten. Und ärgern uns darüber.
Und auch Samuels Mutter ist eine Frau, die von einer tiefen Angst vor Ablehnung gezeichnet ist, die sich vor Fehlern fürchtet, aber impulsiv ist und Entscheidungen trifft, die sie später bereut. Die mit den Konsequenzen lebt, egal wie sie aussehen, und nicht dagegen ankämpft.
Es sind Menschen, wie wir ihnen jeden Tag begegnen. Sie halten sich selbst und dem Leser einen Spiegel vor.
3) Die Dialoge
Guy Periwinkle ist wohl die schillerndste Figur in "Geister". Samuels Lektor ist ein extrovertierter, begeisterungsfähiger Mann, der den Dozenten dazu bringen will, endlich das Buch zu schreiben, für das er schon vor Jahren einen ordentlichen Vorschuss bekommen hat. Doch eigentlich interessiert Periwinkle sich nicht sonderlich für Samuel. Meist driftet er schon nach der Begrüßung ab und verliert sich in Monologen über andere Klienten (er ist schon lange nicht mehr nur für Bücher zuständig, sondern ist – wie es seine Visitenkarte hergibt – für „die Produktion von Interessen“ verantwortlich) und Marketingclous (da kann das kurze Lob über einen gelungenen Werbeslogan (z.B. „Brauchst du neuen Schwung im Snack-Einerlei“) innerhalb weniger Sätze in einem Vortrag über die Malereien in der Chauvet-Höhle und die Entwicklung der amerikanischen Zivilisation abdriften). Samuel dagegen, dankbar darüber, dass er nicht über sein Buch sprechen muss, geht liebend gerne auf die verbalen Ergüsse seines Lektors ein, begreift absurdeste Gedankensprünge als Chance, das Gespräch möglichst lange von seinen Schreibfortschritten fernzuhalten, und gibt hier und da ein paar ernstgemeinte Ratschläge. Die Telefongespräche entwickeln sich schnell zu skurrilen Dialogen voller rasanter Wortwechsel und erfrischendem Humor.
4) Die Erzählweise
Weder der in den Feuilletons immer wiederkehrende Vergleich zu Jonathan Safran Foer noch der zu Jonathan Franzen erscheint mir passend. Während Foer zwar vor allem in "Extrem laut und unglaublich nah" Originalität beweist, schwingt in seinen Romanen doch auch stets ein leiser Kitsch mit, der ihnen die Glaubwürdigkeit nimmt. Franzen dagegen ist zwar bekannt für große Familienepen, doch mit der kurzweiligen Erzählweise von Hill lassen sich seine Geschichten schwer vergleichen. Der amerikanische Autor hat es geschafft, ein fast 900-seitiges Werk wie einen kurzen Roman wirken zu lassen. Seine Sprache lebt von einer Leichtigkeit, sie ist ungezwungen, locker, ohne je belanglos zu sein. Hills Metaphern sind geistreich, seine Bilder und Vergleiche ungewöhnlich. Für ein Kapitel übernimmt der Protagonist die Rolle des Autors und erzählt die Geschichte in Form einer "Wähle-dein-eigenes-Abenteuer"-Buch weiter, dann vergleicht Hill die vier Typen von Quests bei World of Elfscape mit den Herausforderungen im realen Leben. Hill ist ein Autor, der nicht nur mit einer tollen Geschichte aufwartet, sondern sie auch überzeugend und abwechslungsreich zu erzählen weiß.
5) Das Cover
Ja, schon klar. Das ist nicht wirklich ein guter Grund, um das Buch zu lesen. Aber vielleicht um es zu kaufen. Große Blockbuchstaben und geprägte Konturen einer Hochhauslandschaft auf einem hellen Hintergrund - das Cover ist zurückhaltend und unaufdringlich. Und besticht gerade durch diese Schlichtheit.