Magisch, mystisch, düster, spannend
Das Geheimnis der SternenuhrImogen ist ziemlich oft von ihrer kleinen Schwester Marie genervt. Ständig meckert sie, dass sie in Imogens Theaterstücken nicht die Rolle erhält, die sie gerne hätte. Heute ist Imogen (11) besonders genervt, ...
Imogen ist ziemlich oft von ihrer kleinen Schwester Marie genervt. Ständig meckert sie, dass sie in Imogens Theaterstücken nicht die Rolle erhält, die sie gerne hätte. Heute ist Imogen (11) besonders genervt, denn ihre Mutter hat mal wieder einen neuen Verehrer und sie dürfen mit Oma in das Café in der Villa Haberdash. Der Neue ist furchtbar und im Café macht Marie ihr alles nach! Wutentbrannt rennt Imogen in den Park hinter dem Tor, und folgt dort einem Nachtfalter, der sie zu rufen scheint. Tatsächlich führt er sie zu einer Tür in einem alten Baum, durch die sie tritt und sich staunend umsieht, als sie das Geräusch einer krachenden Tür hört: Marie ist ihr heimlich gefolgt und hat die Tür geschlossen. Es gibt kein Zurück! Der Falter führt sie aus dem Baum in ein fremdes, abweisendes Reich bis zu einer Stadtmauer. Überall hängen dort die Schädel von Monstern, die die Stadt Jaroslaw stets nach Sonnenuntergang heimsuchen. Der junge Prinz Miroslaw bietet ihnen Schutz, denn ihm ist langweilig und er hat keine Freunde. Je genauer sie sich umsehen, desto stärker spüren sie, dass hier etwas nicht stimmt und das Königreich ernsthaft bedroht ist. Wenn Miro ihnen hilft, den Weg zurück zu finden, helfen ihm die Schwestern, die Schrecken der unheimlichen Skret zu beenden.
Als die Mädchen mit dem jungen Prinzen den Freundschafts- und Hilfspakt besiegeln, ahnen sie nicht, wie eng alles miteinander verbunden ist, und dass der Falter sie zur Hilfe gerufen hat, aber nicht für den Prinzen.
Super angenehm sind die extrem kurzen Kapitel, die den häufigen Szenen- und Perspektivwechseln entsprechen. Das beschleunigt das Lesen ungemein, da man immer denkt: ach, ein Kapitel geht noch! Sehr motivierend. Auch durch den hohen Dialoganteil fliegt man nahezu durch die Geschichte und es ist sehr lebendig. Gerade diese Lebendigkeit in dieser dem Untergang geweihten Welt wirkt sehr atmosphärisch. Obwohl alles so fremd ist, fühlt man sich gleich als Teil des Ganzen und wird Teil der Geschichte. Wir fanden die Geschichte unglaublich ansprechend erzählt, gerade auch wegen dieser immer wieder aufflammenden Genervtheit der Schwestern voneinander, die aber immer wenn es darauf ankommt fest zusammenhalten! Dennoch ist Familie in diesem Abenteuer nicht immer positiv. Dass die Mutter so viele wechselnde „Männerbekanntschaften“ hat, hat mir für die Mädchen wirklich leid getan, meine Tochter hat es sehr irritiert. Sie merken aber auch in Jaroslaw, wo sie den Heimweg nicht kennen, wie sehr ihnen ihre Mutter fehlt. Miro hingegen hat seine Eltern verloren und lebt bei seinem Onkel, der aktuell das Reich an seiner Statt regiert. Doch in der letzten Zeit scheint er das Interesse an seinem Neffen verloren zu haben und ganz in seiner Sammelleidenschaft für seltene Kostbarkeiten und der Aufmerksamkeit der jungen, schönen Anneschka aufzugehen.
Mit Imgoen und Marie kommt ein neuer Blickwinkel in das Reich. Sie hinterfragen erstmals, was es mit den Skret und den Lesni, dem Volk, das einst im Wald lebte, auf sich hat. In ihrer Neugier fragen sie nicht nur nach, sie beobachten und hinterfragen auch, was Miro bislang als gegeben betrachtete. Sind die Skret wirklich Monster, nur weil sie abstoßend aussehen, oder sind die Lesni wirklich minderwertige Menschen? Interessante Frage, die man sich nicht früh genug stellen kann, auch nicht in unserer Welt!
Ich habe das Buch gemeinsam mit meiner fast 12 jährigen jüngsten Tochter gelesen. Der hat diese unheilschwangere Atmosphäre sehr gut gefallen, weil es auch mal so anders ist. Sie ist eigentlich sehr empfindsam und mag auch gerne Bücher, in denen es um Alltägliches geht und für meinen Geschmack „nichts passiert“, aber hier fand sie es toll, dass so viele geheimnisvolle, unvorhersehbare und spannende Dinge passierten. Außerdem haben alle der Beteiligten so ihre Macken, wobei sie mit der „nervigen“ kleinen Schwester Marie am meisten mitgefühlt hat und es nur schwer vorstellbar fand, ein kleiner, einsamer, reicher Prinz zu sein. Aber dass das bisweilen herrisch macht, das war ihr schon klar.
Was uns beide allerdings wirklich störte: irgendwie muss bei der Lektorierung die Auflösung des Geheimnisses der Sternenuhr verloren gegangenen sein. Ja, es kommt immer wieder eine Sternenuhr vor, auch wer sie geschaffen hat, aber nicht, welches Geheimnis sie nun in sich birgt und was sie mit dem fulminanten Finale auf sich hat. Da fehlte uns der Bezug zum Titel. Im Englischen kamen dann auch noch die Schattenfalter mit ins Spiel, deren Geheimnis für uns gelöst wurde, die im deutschen Titel aber leider keine Erwähnung finden. Für diejenigen, die sich über die düstere Stimmung dieses Buches ärgern: das kann man doch eigentlich schon am Cover erkennen, dass das kein Buch der reinen Glücksgefühle sein wird. Diese kommen aber schon vor, auch die Dankbarkeit, die die Kinder am Ende für ihr Schicksal und ihre Familie empfinden.
Ein wirklich ungewöhnliches und spannendes Buch voller Magie, aber auch echten Gefahren, dessen Ende nicht nur eitler Sonnenschein ist und eine Fortsetzung ermöglicht.