Ein mutiges Statement
„Ich habe einen Namen“, mit diesen Worten holt sich Chanel Miller aka. Emily Doe ihre Identität wieder. Es ist eine Identität, die über monatelange Berichterstattung auf eine Opferrolle reduziert wurde, ...
„Ich habe einen Namen“, mit diesen Worten holt sich Chanel Miller aka. Emily Doe ihre Identität wieder. Es ist eine Identität, die über monatelange Berichterstattung auf eine Opferrolle reduziert wurde, eine Frau, die auf einer Party zu viel getrunken hat und vergewaltigt wurde. Ich denke, dieses Buch ist ein großer Teil der Heilung dieser jungen Frau.
Chanel ist 22 Jahre alt, als sie mit ihrer Schwester Tiffany auf eine Party an der Stanford University geht. Sie trinkt Alkohol, bekommt einen Filmriss, und das nächste, woran sie sich erinnert, ist dass sie im Krankenhaus aufwacht. Sie wird untersucht und erhält die Info, sie sei angegriffen worden. Sie befindet sich noch inmitten ihres Schockzustandes, als ihre Schwester sie aus dem Krankenhaus nach Hause bringt. Erst in den nächsten Tagen erhält sie ein genaueres Bild dessen, was mit ihr passiert ist. Sie wurde von dem 19-jährigen Brock Turner hinter einem Müllcontainer fast vollständig ausgezogen, und er führte seine Finger in die bewusstlose Frau ein. Gerettet wurde sie von zwei schwedischen Studenten, die auf Fahrrädern vorbeifuhrend die Tat beobachteten und den Täter festhielten.
Erst langsam setzt sich für Chanel ein Bild des Tathergangs zusammen. Sie muss vor Gericht aussagen und diese Momente noch einmal erleben. Im weiteren Verlauf ihres Buches beschreibt sie das, was in ihr vorgeht, und was keine Berichterstattung wiedergibt, denn Chanel bleibt als Emily Doe anonym. Sie beschreibt Panikattacken, Weinkrämpfe und tiefgreifende Enttäuschungen darüber wie sie als Opfer und damit ihr Privatleben auseinandergenommen und ausschließlich bruchstückhaft beleuchtet wird. Ihre Geschichte ist aber auch die Chronik ihrer Gesundung, an deren Ende sie womöglich noch nicht angekommen ist. Aus Emily wurde wieder Chanel, sie hat sich ihren Namen zurückerobert und mit ihm Zuversicht und Selbstbestimmung.
Am Schluss der Geschichte ihres Übergriffs und aller weiterer Folgen ist das Statement abgedruckt, das sie am Ende ihrer Gerichtsverhandlung gelesen hat. Dieses Statement rührt zu Tränen.
Ich kann für dieses Buch gar keine Empfehlung aussprechen, weil jeder selbst wissen muss, ob er sich dieser Geschichte und dieses Themas annehmen will. Ich spreche für mich persönlich, wenn ich sage, dass mich Chanels Geschichte, ihr Durchhaltevermögen und ihr Mut in vieler Hinsicht bereichert hat.