Bildhafte und lebendige Familiengeschichte vor dem Hintergrund von Zweitem Weltkrieg, Vertreibung und der Hoffnung auf einen neuen Anfang
Libellenjahre1930 lernt die aus einem Adelsgeschlecht stammende Constanze von Warthenberg bei einer Segelregatta in Königsberg den Polen Clemens Rosanowski kennen. Ein Jahr stehen sie in Briefkontakt, bis sie sich ...
1930 lernt die aus einem Adelsgeschlecht stammende Constanze von Warthenberg bei einer Segelregatta in Königsberg den Polen Clemens Rosanowski kennen. Ein Jahr stehen sie in Briefkontakt, bis sie sich wiedersehen und in einander verlieben. Constanze möchte Clemens heiraten, muss dafür jedoch ihre Familie, insbesondere ihren Vater Karl, überzeugen. Dieser ist in Bezug auf die politische Einstellung Rosanowskis skeptisch, gibt aber nach anfänglichem Widerstand nach und willigt in die Ehe ein. Das Ehepaar zieht nach Danzig, sie bekommen 1933 eine Tochter und erleben glückliche Jahre, auch wenn das politische Pflaster in Danzig heiß ist und sich nach dem Wahlsieg der NSDAP und dem Erstarken Adolf Hitlers die Lage, insbesondere für die jüdische Bevölkerung, aber auch für die Polen, zuspitzt. Clemens hatte als Beamter im Staatsapparat die Gefahr frühzeitig erkannt und war zur deutschen Staatsbürgerschaft gewechselt. Als 1939 der Krieg ausbricht, steht Clemens vor der Wahl, sich der SA anzuschließen oder auf dem Feld gegen das Land seiner Väter zu kämpfen. Clemens entscheidet sich für den Einsatz an der Front und geht an Scham und schlechtem Gewissen fast zugrunde. Und während die sowjetische Armee immer weiter in Richtung Westen rückt, muss sich Constanze die Frage stellen, wie lange sie noch in Danzig würde bleiben können.
Ich habe bereits viele Romane über den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg gelesen, aber dieser hat mir mit den Schauplätzen Königsberg und Danzig eine ganz neue Perspektive aufgezeigt. Die Autorin verbindet geschickt historische Fakten mit der fiktiven Geschichte um eine intelligente, starke und selbstbewusste junge Frau, die es aufgrund ihrer Abstammung bisher leicht im Leben hatte. Ohne ihren Mann und auf sich alleingestellt, wächst sie dann während der Wirren des Krieges über sich hinaus. Gut gefallen hat mir auch die Rolle der Großmutter, Charlotte von Warthenberg, die für Constanze stets Ratgeberin und ein fester Halt war.
Der Schreibstil ist bildhaft und lebendig, die Sprache zeitgemäß, weshalb man sich gut in die damalige Zeit versetzen lassen kann, die Gräueltaten hautnah miterlebt und mit den Protagonisten, insbesondere Constanze, aus deren Sicht der Roman überwiegend erzählt wird, mitfühlen kann. Angst, Verzweiflung und der Blick in eine ungewisse Zukunft sind spürbar. Die Geschichte hat Tiefe, denn die Charaktere beschäftigen sich mit politischen Fragen und das politische Weltgeschehen und die historischen Ereignisse werden harmonisch mit der Familiengeschichte der von Warthenbergs verbunden.
"Libellenjahre" ist der Auftakt der dreiteiligen Familiensaga von dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, von Flucht und Vertreibung. Die Familiengeschichte ist symbolisch für viele Schicksale der damaligen Zeit und sowohl dramatisch als auch spannend geschildert und konnte mir durch die besondere Situation der Hansestadt Danzig neue Aspekte aufzeigen. Der Roman handelt im Zeitraum von 1930 bis 1949 - eine für lange Zeitspanne für den nicht ganz 400 Seiten umfassenden Roman, weshalb nicht alle Ereignisse in der gleichen Intensität dargestellt werden und ich stellenweise das Gefühl hatte, nur einzelne Episoden zu erleben.
Mit dem bereits erschienen Band "Wunderjahre" wird "Libellenjahre" fortgesetzt. Der abschließend dritte Band "Erntejahre" erscheint im Juni 2021.