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Veröffentlicht am 16.06.2021

Ein krankhaftes Selbstbild

Die Beichte einer Nacht
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Seit sieben Monaten befindet sich Heleen nun schon in einer Nervenklinik. Mit dem Arzt möchte die Frau nicht reden. Doch eines Nachts beginnt sie, sich einer Schwester anzuvertrauen. Sie legt die Beichte ...

Seit sieben Monaten befindet sich Heleen nun schon in einer Nervenklinik. Mit dem Arzt möchte die Frau nicht reden. Doch eines Nachts beginnt sie, sich einer Schwester anzuvertrauen. Sie legt die Beichte ihres dramatischen Lebens ab und offenbart, womit sie sich Schuld aufgeladen hat.

„Die Beichte einer Nacht“ ist ein Roman der verstorbenen Autorin Marianne Philips, der bereits 1930 entstanden ist.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus zwei Teilen. Diese wiederum sind in Absätze, jedoch nicht in Kapitel untergliedert. Beide Teile sind als lange Monologe angelegt. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht der Protagonistin. Diese Idee gefällt mir, wobei die Umsetzung manchmal ein wenig bemüht wirkt.

Die Sprache ist unauffällig und recht simpel. Der Stil ist geprägt von nüchternen Beschreibungen und einigen kurzen Wortwechseln. Negativ sticht der geringe sprachliche Variantenreichtum hervor.

Ein großes Manko des Romans ist die charakterliche Ausgestaltung der Protagonistin, die zwar authentisch wirkt und über psychologische Tiefe verfügt, aber auch wenig Mitgefühl bei mir hervorgerufen hat. Heleen ist zwar ehrlich und stark, zugleich jedoch auch eine äußerst oberflächliche, eitle, egoistische und berechnende Persönlichkeit.

An der Lektüre hat mich das Setting sehr gereizt. Was mag eine psychisch kranke Frau zu beichten haben? Worin besteht ihr Leiden? Wie ist sie in der Anstalt gelandet? Leider ist die Geschichte allerdings schon früh recht durchsichtig. Die eigentliche Beichte habe ich bereits im ersten Viertel geahnt. Dadurch hat der Spannungsbogen für mich nicht funktioniert. Zudem enthält das letzte Viertel ein unglaubwürdiges esoterisches Element, das nicht zum Rest der Geschichte und dem Charakter der Protagonistin passen will.

Ganz interessant ist das von Judith Belinfante, der Enkelin der Autorin, im Jahr 2019 verfasste Nachwort. Es zeigt Parallelen zum Leben von Marianne Philips auf und erläutert die Entstehung des Romans. Dabei wird deutlich, wie ungewöhnlich das Schreiben für eine Frau ihrer Zeit war, noch dazu so offen und konkret über psychische Leiden. Der Roman ist für die damalige Verhältnisse also sehr modern und progressiv, was man der Autorin positiv anrechnen muss.

Das auf dem Cover abgebildete Gemälde passt sehr gut zur Protagonistin. Der deutsche Titel ist etwas irreführend, weil sich die Beichte über zwei Nächte erstreckt. Der prägnante Originaltitel („De biecht“) ist daher treffender.

Mein Fazit:
„Die Beichte einer Nacht“ von Marianne Philips ist ein für seine Entstehungszeit bemerkenswerter Roman, der mich in Gänze aber nicht überzeugen konnte. Eine nur bedingt zu empfehlende Lektüre.

Veröffentlicht am 05.05.2021

Das Rätsel des menschlichen Glücks

Der Algorithmus der Menschlichkeit
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Berlin in der Zukunft: Als „Fembot“ arbeitet der Roboter Mari im Rotlichtmilieu. Im „Pygmalion“ ist sie den Kunden zu Diensten. Doch ein Zwischenfall mit dem Arzt Dr. Thaddeus Gottsein bringt die Künstliche ...

Berlin in der Zukunft: Als „Fembot“ arbeitet der Roboter Mari im Rotlichtmilieu. Im „Pygmalion“ ist sie den Kunden zu Diensten. Doch ein Zwischenfall mit dem Arzt Dr. Thaddeus Gottsein bringt die Künstliche Intelligenz plötzlich in einen Konflikt mit dem Gesetz. Für Mari beginnen ein Abenteuer und die Suche nach einer Antwort auf die Frage: Was macht menschliches Glück aus?

„Der Algorithmus der Menschlichkeit“ ist ein Roman von Vera Buck.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus etlichen kurzen Kapiteln. Sie erstrecken sich über drei Teile. Vorangestellt sind zwei Kapitel, die etwas vom späteren Geschehen vorwegnehmen und zunächst ein wenig verwirren. Ansonsten wird in chronologischer Reihenfolge aus auktorialer Perspektive erzählt. Ein schlüssiger Aufbau.

Der Schreibstil ist anschaulich und - dank vieler Dialoge - recht lebhaft. Der Roman ist zudem voller Wortwitz, der manchmal jedoch ein bisschen bemüht wirkt. Das Erzähltempo ist relativ schnell.

Obwohl Mari kein Mensch ist, gibt sie eine interessante und sympathische Protagonistin ab. Schön herausgearbeitet ist, inwiefern sich ihr Denken und Handeln von menschlichen Wesen unterscheidet. Die übrigen Charaktere werden eher überspitzt dargestellt.

Die Handlung an sich ist amüsant und voller kreativer Einfälle, aber auch ziemlich skurril bis absurd. Die Geschichte ist an manchen Stellen zum Schmunzeln, an anderen Stellen für meinen Geschmack zu realitätsfern.

Zwar machen die humorvollen Passagen den Roman sehr unterhaltsam und kurzweilig. Allerdings überlagert die Komik leider die inhaltlich interessanten Fragen, die zwar aufgeworfen, aber nicht genügend ausgeführt werden: Kann Künstliche Intelligenz ein Bewusstsein entwickeln? Vor welche moralischen Konflikte stellt uns eine KI? Und was unterscheidet menschliche und technische Intelligenz? Auch die immer wieder hervorblitzende Gesellschaftskritik geht beinahe unter. Insgesamt verschenkt die Geschichte Potenzial und kratzt zu sehr an der Oberfläche, um mit Tiefgang zu beeindrucken.

Die Botschaft des Romans, die ich absolut unterschreiben kann, kommt dagegen am Schluss umso plakativer und ausführlicher mit dem Holzhammer daher. Auch dies lässt die Geschichte ein wenig platt erscheinen. Allerdings: Zum Ende hin konnte sie mich noch mit einer unerwarteten Wendung überraschen.

Das stilisierte Cover ist optisch gelungen, wenn auch etwas kitschig. Der Titel klingt ein bisschen zu hochtrabend, ist aber nicht unpassend.

Mein Fazit:
„Der Algorithmus der Menschlichkeit“ von Vera Buck ist ein Roman mit viel Humor und hohem Unterhaltungswert, der mir amüsante Lesestunden beschert hat. Leider schöpft die Geschichte jedoch ihr ganzes Potenzial nicht aus und wird wohl nicht lange im Gedächtnis bleiben.

Veröffentlicht am 30.04.2021

Der verlorene Sohn

Eines Tages für immer
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Gerade erst ist Luke (27) Vater seines Söhnchens Samuel geworden. Mit seiner Freundin Hannah genießt er das frische Familienglück. Doch eine Frage treibt ihn seit der Kindheit um: Wer sind seine leiblichen ...

Gerade erst ist Luke (27) Vater seines Söhnchens Samuel geworden. Mit seiner Freundin Hannah genießt er das frische Familienglück. Doch eine Frage treibt ihn seit der Kindheit um: Wer sind seine leiblichen Eltern? Tatsächlich gelingt es ihm, seine Mutter Alice Garland ausfindig zu machen, die ihn zur Adoption freigegeben hat, als sie als 19-jährige Kunststudentin in London ungewollt schwanger geworden war. Die Begegnung mit dem verlorenen Sohn reißt bei Alice jedoch alte Wunden auf und lässt bei Luke einige Fragen offen...

„Eines Tages für immer“ ist ein Roman von Clare Empson.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus kurzen Kapiteln, die im Präsens abwechselnd in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Luke und Alice erzählt werden. Dadurch entstehen zwei Erzählstränge, wovon einer im Jahr 2000 („Heute“) und einer im Jahr 1972 („Damals“) spielt, jeweils in London. Der Roman endet mit einem Epilog. Der Aufbau ist durchdacht und funktioniert gut.

Der Schreibstil ist anschaulich, einfühlsam und aufgrund von viel direkter Rede sehr lebhaft.

Sowohl Luke als auch Alice sind zwei interessante Charaktere. Mir gefällt es gut, dass es nicht um Mutter und Tochter, sondern Mutter und Sohn geht, was wesentlich seltener in solchen Romanen der Fall ist. Luke ist ein durchweg authentischer und nicht unsympathischer Charakter mit Ecken und Kanten. Während Alice mir im Jahr 1972 noch zugesagt hat, wirkt ihre Person in der jüngeren Vergangenheit inkonsistent und hat mich zunehmend mit rücksichts- und verantwortungslosem Verhalten geärgert. Ihre Aktionen im aktuelleren Erzählstrang stehen in starkem Kontrast zur Vergangenheit und sind für mich nicht nachvollziehbar.

Das Thema Adoption und die Schwierigkeiten, die damit und mit Familienzusammenführungen einhergehen, bieten viel Stoff zum Nachdenken. Außerdem geht es um psychische Krankheiten und andere heftige Erfahrungen, die eine etwas düstere und schwermütige Atmosphäre schaffen. Zwar beinhaltet der Roman auch eine Liebesgeschichte. Dennoch nimmt die Romantik nicht zu viel Platz ein. Ein weiterer Aspekt, der eine Rolle spielt, ist die Kunst. Das alles macht den Roman facettenreich und tiefgründig.

Der Einstieg ist etwas zäh. Auch im weiteren Verlauf hat die rund 440 Seiten umfassende Geschichte ein paar Längen. Das Tempo nimmt in der zweiten Hälfte zu. Die Handlung gewinnt an Dramatik. Zum Schluss gelingt der Autorin zudem eine überraschende Wende, die für einen alles in allem zufriedenstellenden Ausgang sorgt. In weiten Teilen ist die Geschichte aber weniger geheimnisvoll als erhofft und sogar ziemlich durchsichtig, wenn auch stimmig.

Der deutsche Titel erschließt sich mir leider nicht, der englischsprachige („Mine“) dagegen schon besser. Die Gestaltung des Taschenbuches ist optisch ansprechend, hat aber keinerlei erkennbaren Bezug zum Inhalt.

Mein Fazit:
„Eines Tages für immer“ von Clare Empson ist ein Roman mit mehreren Stärken, aber auch Schwächen. Auch wenn mich die Geschichte nicht in allen Punkten überzeugen konnte, habe ich das Buch gerne gelesen.

Veröffentlicht am 19.04.2021

Fassadenpolitik

Der ehemalige Sohn
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Minsk im Jahr 1999: Der 16-jährige Franzisk Lukitsch soll nach dem Willen seiner Großmutter Elvira einmal Berufsmusiker werden. Mit seinen Altersgenossen bereitet er sich auf dieses Karriereziel vor und ...

Minsk im Jahr 1999: Der 16-jährige Franzisk Lukitsch soll nach dem Willen seiner Großmutter Elvira einmal Berufsmusiker werden. Mit seinen Altersgenossen bereitet er sich auf dieses Karriereziel vor und übt Cello auf den Druck seiner Babuschka. Zur Ablenkung will er mit seinen Freunden ein Rockkonzert besuchen. Bevor er aber der Musik zuhören kann, gerät er in eine Massenpanik und wird in dem Gedränge so schwer verletzt, dass er ins Koma versetzt werden muss...

„Der ehemalige Sohn“ ist der Debütroman von Sasha Filipenko, der erstmals schon 2014 erschienen ist.

Meine Meinung:
Der Roman ist in Abschnitte, nicht jedoch in Kapitel eingeteilt. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge, wobei es mehrere Zeitsprünge gibt, da die Handlung mehr als zehn Jahre umfasst.

Der Schreibstil ist - wie vom Autor gewohnt - recht schnörkellos und nüchtern, aber eindringlich und anschaulich. Es gibt immer wieder lange Monologe und Dialoge, jedoch verhältnismäßig wenige beschreibende Passagen. Außerdem sind zwischendurch Gedichte und Liedtexte eingefügt.

Mit Franzisk hat der Schriftsteller einen ziemlich gewöhnlichen, allerdings nicht langweiligen Charakter in den Mittelpunkt des Romans gestellt. Er wirkt realitätsnah. Mehrere der sonstigen Figuren erscheinen dagegen ziemlich überzeichnet, zum Teil auch ein wenig schablonenhaft.

Inhaltlich dreht sich der Roman vor allem um die Politik in Belarus, insbesondere um das diktatorische Regime des Präsidenten. Fast prophetisch wird beschrieben, wie die autoritäre Macht die Bürger einschüchtert, vertreibt und mürbe macht. Dies macht für mich die Stärke des Romans aus und verleiht der Geschichte sieben Jahre nach der Erstveröffentlichung eine größere Aktualität denn je. Schon alleine deshalb lohnt die Lektüre. Allerdings kommt die Regimekritik bisweilen ziemlich plakativ daher.

Wahre Fakten wie die Massenpanik werden mit Fiktion verwoben. Als außenstehende Leserin fiel es mir jedoch in einigen Punkten schwer zu beurteilen, bei welchen Teilen des Romans übertrieben wurde, was als Satire zu verstehen ist und was tatsächliche Begebenheiten sind. Besser verständlich wird der Inhalt durch die Anmerkungen der Übersetzerin, die an den Roman anschließen, aber meiner Ansicht nach eigentlich vor der Geschichte gelesen werden sollten. Interessant ist auch das Vorwort des Autors, das er aufgrund aktueller Ereignisse nachträglich geschrieben hat.

Auf rund 300 Seiten konnte mich die Geschichte mehrfach emotional bewegen. Das recht offene Ende lässt viel Raum für Interpretationen und gleich mehrere Fragen unbeantwortet.

Das vom Verlag gewohnt reduzierte Design des Covers mit dem Männerporträt ist durchaus passend. Auch der Titel erschließt sich beim Lesen. Als völlig missraten bewerte ich die unnötig ausführlichen Klappentexte, die schon vorab zu viel von der Geschichte preisgeben.

Mein Fazit:
Mit „Der ehemalige Sohn“ ist Sasha Filipenko ein Debüt gelungen, mit dem er sein Heimatland auch Westeuropäern nahebringt. Trotz mehrerer Schwächen ist der Roman lesenswert, weil er die Aufmerksamkeit auf die Missstände in Belarus lenkt und zurecht den Finger in die Wunde legt.

Veröffentlicht am 15.02.2021

Wenn Liebe manchmal nicht reicht

Die Jahre ohne uns
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Sie ist Ende 60, einsam und genießt die Gartenarbeit. Er ist in seinen Siebzigern und ein ehemaliger Schauspieler. In einer englischen Hotelbar treffen die beiden zufällig aufeinander. Der Mann erzählt ...

Sie ist Ende 60, einsam und genießt die Gartenarbeit. Er ist in seinen Siebzigern und ein ehemaliger Schauspieler. In einer englischen Hotelbar treffen die beiden zufällig aufeinander. Der Mann erzählt ihr dort die Geschichte einer langen Suche.

„Die Jahre ohne uns“ ist ein Roman von Barney Norris.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus drei Teilen, denen jeweils ein Zitat aus der Literatur vorangestellt ist. Der erste und der dritte Teil werden aus der Sicht der Frau, der zweite aus der Sicht des Mannes erzählt - immer in der Ich-Perspektive. Dieser Aufbau funktioniert gut.

Der unaufgeregte Schreibstil ist teilweise etwas verschachtelt und erfordert viel Aufmerksamkeit beim Lesen. Er ist aber auch bildstark und atmosphärisch. Darüber hinaus zeugt er von Sprachgewandtheit und einem besonderen Ausdrucksvermögen. Einige Abschnitte sind wie Einträge einer Enzyklopädie formuliert, was ich für eine schöne Idee halte.

Die beiden Protagonisten sind durchaus interessante und authentisch dargestellte Charaktere. Ein wenig gestört hat mich, dass sie namenlos bleiben. Weitere Figuren treten nur indirekt in Erscheinung.

Die Geschichte kommt im ersten Teil nur langsam in Gang und ist recht handlungsarm. Der zweite Teil gefällt mir schon besser. Die Wendung zum Schluss war für mich leider bereits ab der Mitte recht vorhersehbar. Insgesamt ist der Roman aufgrund von einigen Ausschweifungen zudem stellenweise etwas langatmig.

Inhaltlich ist die Geschichte anders als von mir gemäß des etwas irreführenden deutschen Klappentextes erwartet. Allerdings ist sie stark philosophisch angehaucht und regt immer wieder zum Nachdenken an - auch über das eigene Leben. Darin liegt eine Stärke des Romans. Es geht unter anderem um wichtige Entscheidungen, verpasste Chancen und Reue. Außerdem konnte mich die Geschichte immer wieder berühren.

Das Cover ist erfrischend anders und passt gut zum Inhalt. Der deutsche Titel weicht vom englischsprachigen Original („The Vanishing Hours“) ab und verrät leider recht viel.

Mein Fazit:
Auch wenn „Die Jahre ohne uns“ von Barney Norris in meinen Augen mehrere Schwächen aufweist und meine Erwartungen nicht ganz erfüllt hat, ist der Roman durchaus eine besondere Lektüre.