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Veröffentlicht am 20.04.2021

Blieb hinter meinen Erwartungen zurück

Du hättest es wissen können
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Dein Mann hat dich belogen und betrogen? Er hat dich gedemütigt, herabgewürdigt, schlecht behandelt? Du stehst unmittelbar vor einer schmutzigen Scheidung oder bist gar mittendrin? Tja, Mädchen, selbst ...

Dein Mann hat dich belogen und betrogen? Er hat dich gedemütigt, herabgewürdigt, schlecht behandelt? Du stehst unmittelbar vor einer schmutzigen Scheidung oder bist gar mittendrin? Tja, Mädchen, selbst schuld. Denn: „Du hättest es wissen können“!

Davon ist zumindest Grace, eine erfolgreiche New Yorker Therapeutin, überzeugt. Und ihre Erkenntnisse möchte sie fortan nicht nur mit ihren Klientinnen, sondern mit einem breiten Publikum teilen: Die Premiere ihres Buches steht unmittelbar bevor, alle Zeichen stehen auf Erfolg. Denn Grace hat ihrerseits – selbstverständlich – in dieser Hinsicht alles richtig gemacht. Ihr Mann Jonathan, ein aufopferungsvoller Kinderonkologe, ist ein Musterexemplar von einem Ehemann, der gemeinsame Sohn die Krönung ihres Lebens. Okay, Jonathan hält so manche Verabredung nicht ein, verschwindet bisweilen unangekündigt zu Medizinerkongressen – aber hey!, was sind Graces Bedürfnisse und Befindlichkeiten schon im Vergleich zur Rettung eines Kinderlebens? Eben!
Dass in ihrer Ehe vielleicht doch nicht alles so ist, wie es scheint, dämmert Grace, als die Mutter eines Mitschülers ihres Sohnes ermordet aufgefunden wird und Jonathan spurlos verschwindet. Sollte sie, die doch ein absoluter Profi auf dem Gebiet ist, sich tatsächlich in ihm geirrt haben? Gibt es da etwas, was sie hätte wissen können? Man ahnt es schon bald: ja, sogar eine ganze Menge.

„You Should Have Known“, wie der Originaltitel lautet, ist nicht nur ein New-York-Times-Bestseller, sondern wurde von der US-amerikanischen Presse gefeiert: „Ein ausgebuffter psychologischer Spannungsroman“ sei das Buch, „absolut faszinierend“ sei es, „mitreißend“ oder „unfassbar gut“. Nun ja …

Ich kann die Begeisterungsstürme leider nicht teilen. Ja, der Roman hat seine guten Momente, er ist zweifelsohne kurzweilig und unterhaltsam. Dass Jonathan nicht der ist, der er zu sein scheint, ist zwar schnell – vielleicht etwas zu schnell – erkannt, doch die sich langsam enthüllenden Hintergründe sind wirklich spannend zu lesen. Was meinem Lesegenuss indes einen Abbruch getan hat, war die Protagonistin Grace, die in ihrer Naivität und Verblendung auf Dauer, pardon, eine echte Nervensäge wurde und mein Mitgefühl letztlich etwas überstrapazierte. Auch die meiner Ansicht nach etwas betuliche Übersetzung ließ mich das eine oder andere Mal die Stirn runzeln. Mein persönliches Fazit: Alles in allem ist der Roman ein Regenwetter-Couch-Wolldecke-Buch, das durchaus unterhält, dem man aber nicht mit einer allzu hohen Erwartungshaltung begegnen sollte.

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Veröffentlicht am 17.12.2020

Trotz einiger Déjà-vus spannend und unterhaltsam

Die gefährliche Mrs. Miller
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Er ist ihr höchst suspekt, dieser Lieferwagen, der seit geraumer Zeit immer wieder – und stets ziemlich lange, wie ihr scheint – in ihrer Straße parkt. Doch vielleicht liegt das auch an Phoebe Millers ...

Er ist ihr höchst suspekt, dieser Lieferwagen, der seit geraumer Zeit immer wieder – und stets ziemlich lange, wie ihr scheint – in ihrer Straße parkt. Doch vielleicht liegt das auch an Phoebe Millers Nerven, die blank liegen. Ihr verstorbener schwerreicher Vater hatte seine Finger nicht von den Frauen lassen können, was die Medien nach seinem Tod ausgeschlachtet haben. Ihre Ehe kriselt und droht an der Kinderfrage zu scheitern. Phoebe hat sich aus dem väterlichen Unternehmen zurückgezogen und sich zu Hause eingeigelt; es ist ein luxuriöses Zuhause, keine Frage, doch wirklich glücklich ist sie nicht. Und so schlägt sie die Zeit in Jogginghose und mit reichlich Wein tot. Bis dieser Lieferwagen auftaucht. Und nicht nur der: In das Haus gegenüber zieht eine neue Familie ein. Mit der Mutter freundet Phoebe sich rasch an, der Vater ist ihr höchst suspekt (und scheint überdies ein gewaltiges Aggressionsproblem zu haben). Und der Sohn … der achtzehnjährige Jake ist gutaussehend, charmant, überaus liebenswert. Phoebe und er verlieben sich Hals über Kopf ineinander und beschließen, gemeinsam abzuhauen. Doch Phoebe hat die Rechnung ohne die Frau in dem Lieferwagen – und alle anderen Beteiligten – gemacht …

„Die gefährliche Mrs. Miller“ spielt mit vielen thrillerüblichen Versatzstücken: Da ist die vereinsamte junge Frau, die mit ihrem Leben hadert, ein enttäuschter Ehemann, eine dysfunktionale Familie mit undurchsichtigen Motiven und die große Unbekannte, die in all dies hineinspielt. Ich hatte während der Lektüre wiederholt das Gefühl, alles irgendwie irgendwo schon einmal gelesen zu haben – doch ganz ehrlich? Das macht nichts. Denn der Roman ist trotz der Déjà-vus ein handwerklich solide gemachter, kurzweilig und spannend erzählter Thriller, der mir einige unterhaltsame Lesestunden beschert hat. Deshalb mein Fazit: Es wird vielleicht nicht das Thriller-Rad neu erfunden, aber für einen gemütlichen Sonntag auf der Couch ist das Buch allemal zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 08.09.2020

Solide (Krimi-)Unterhaltung

Abgrund
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Wenn es um gut erzählte, spannende (Krimi-)Unterhaltung geht, ist Yrsa Sigurdardóttir für mich immer eine sichere Bank. Ich mag ihre Krimireihe um Þóra Guðmundsdóttir ebenso sehr wie ihre Island-Krimis, ...

Wenn es um gut erzählte, spannende (Krimi-)Unterhaltung geht, ist Yrsa Sigurdardóttir für mich immer eine sichere Bank. Ich mag ihre Krimireihe um Þóra Guðmundsdóttir ebenso sehr wie ihre Island-Krimis, die keiner Reihe zuzuordnen sind. Sie hat ein Talent für lebensnahe Figuren, verblüffende Auflösungen und natürlich für ganz viel „Island-Feeling“.

„Abgrund“ (aus dem Isländischen von Tina Flecken), der vierte Band der Krimireihe um den Kommissar Huldar und die Psychologin Freyia, bildet da keine Ausnahme. Im aktuellen Fall gibt ein merkwürdiger Todesfall der Kripo Reykjavik Rätsel auf. Der vermögende Investmentbanker Helgi wird erhängt in einem Lavafeld – ehedem eine Hinrichtungsstätte – aufgefunden. In seiner Brust steckt ein Zimmermannsnagel, der eine leider abgerissene Nachricht fixierte. Zur gleichen Zeit wird Freyia zu einem Notfall gerufen. In einer Luxuswohnung in einem exklusiven Wohnhaus wird ein kleiner Junge gefunden. Wie er dorthin gelangt ist, weiß er nicht, wo seine Eltern sind, auch nicht. Das Brisanteste ist jedoch die Wohnung: sie gehört dem toten Helgi …

„Abgrund“ ist sicherlich kein spannungsgeladener Pageturner wie etwa die Thriller von Sebastian Fitzek, dessen Lektüre seine LeserInnen atemlos von Cliffhanger zu Cliffhanger treibt. Yrsa Sigurdardóttir lässt sich Zeit, die Geschichte, die hinter dem mysteriösen Mordfall und das noch mysteriösere Auffinden des kleinen Jungen aufzurollen und auszuerzählen. Der Spannungsbogen ist eher subtil, gleichwohl stetig. Und die Hintergründe der Tat sowie die Auflösung sind in der Tat verblüffend.

Fazit: „Abgrund“ ist ein solider, unterhaltsamer Krimi, perfekt für einen Sonntag auf der Couch.

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Veröffentlicht am 08.06.2020

Vielleicht nicht die spannendste, aber doch eine lohnenswerte Lektüre

Das Netz
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Sonja, Bragi, Agla: drei Personen, deren Leben schicksalhaft miteinander verknüpft werden. Bragi, Zollbeamter am Flughafen von Reykjavik: Seine Frau ist im Pflegeheim, seine Pensionierung steht kurz bevor, ...

Sonja, Bragi, Agla: drei Personen, deren Leben schicksalhaft miteinander verknüpft werden. Bragi, Zollbeamter am Flughafen von Reykjavik: Seine Frau ist im Pflegeheim, seine Pensionierung steht kurz bevor, doch noch mag er den Dienst nicht quittieren, noch will er seinen Platz nicht für einen jüngeren Kollegen räumen. Agla: ehemalige Bankerin. Seit dem Finanzcrash in Island blickt sie zunehmend nervös einer Ermittlung entgegen, die ihre Rolle bei einigen fragwürdigen Deals beleuchtet. Sonja: geschieden und finanziell am Ende. Um das Sorgerecht für ihren Sohn erstreiten zu können, lässt sie sich auf einen gefährlichen Auftrag ein, dem viele weitere, ebenso gefährliche folgen. Bald schon kreuzen sich Sonjas, Bragis und Aglas Wege. Sie haben ihre jeweils eigenen Pläne und Missionen, die sie jedoch zusehends tiefer in ein dichtgewebtes Netz der Kriminalität verstricken, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt.

„Das Netz“ ist der Auftakt einer isländischen Krimitrilogie und wurde vom New York Journal of Books bereits als „Thriller des Jahres“ gefeiert. Wie so oft bei Superlativen würde ich dem nur bedingt zustimmen wollen. Es ist zweifellos ein guter Thriller, der meiner Meinung nach jedoch weniger von seinen überraschenden Wendungen und seiner Spannung, sondern in erster Linie von seinen Figuren und der kühlen Sprache lebt.

Ein Beispiel: Gemeinhin genießen die Protagonisten eines Romans, gleich welchen Genres, das Privileg, sympathisch dargestellt zu werden. Sie sollen den Lesern bzw. Leserinnen oftmals als Identifikationsfigur dienen und so eine größere Anteilnahme an ihrem Schicksal ermöglichen. Lilja Sigurdardottir unterläuft diesen Mainstream auf höchst gekonnte Weise. Nein, Sonja ist keine reine Sympathieträgerin, zumindest habe ich sie nicht als solche empfunden. Ihre Motive mögen lauter sein, ihr Ziel, nach der schmutzigen Scheidung das Sorgerecht für den geliebten Sohn von ihrem schmierigen, niederträchtigen Ehemann zurückzuerlangen, ebenso. Selbst den Weg, den sie dazu einschlägt, mag man noch irgendwie gutheißen – was tut eine verzweifelte Mutter nicht alles, um ihr Kind bei sich zu haben? Aber macht sie das zum vom Schicksal gebeutelten, tief im Inneren unschuldigen Opfer widriger Umstände, dem man alles, alles Gute wünscht? Nein, eigentlich nicht. Denn dazu ist Sonja letzten Endes zu kaltblütig, zu kaltherzig, zu kaltschnäuzig. Und genau das ist das Faszinierende und Erfrischende an dieser literarischen Figur!

Der zweite große Pluspunkt dieses Thrillers ist seine Sprache (aus dem Isländischen von Anika Wolff): Sezierend, distanziert und schnörkellos erzählt die Autorin, wie Sonja sich immer tiefer in einen kriminellen Sumpf strampelt, wie Bragi bereitwillig sein Berufsethos über Bord wirft, wie Agla zusehends den Halt verliert. Ich habe während der Lektüre förmlich gefröstelt, so kühl werden die zunehmenden Verstrickungen und Gefahren, die Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen geschildert. Allein das ist ein Leseerlebnis auf hohem Niveau.

Fazit: Eine lohnenswerte Lektüre für Island-Fans, SprachästhetInnen und LeserInnen, die wenig sympathische Figuren zu schätzen wissen.

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Veröffentlicht am 08.06.2020

Netter Schmöker nach bewährtem Muster

Die verlorene Frau
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1960. Es ist eine stürmische Nacht, in der die Eltern der damals 13-jährigen Rebecca in dem malerischen, am Meer gelegenen Cottage „Seaview“ gewaltsam ums Leben kommen. Wie viel hat das zutiefst verstörte ...

1960. Es ist eine stürmische Nacht, in der die Eltern der damals 13-jährigen Rebecca in dem malerischen, am Meer gelegenen Cottage „Seaview“ gewaltsam ums Leben kommen. Wie viel hat das zutiefst verstörte Mädchen mitbekommen? Und wer war der geheimnisvolle Besucher, der kurz zuvor an die Tür geklopft hat? Gibt es ihn überhaupt?
2014. Unmittelbar nach der Entbindung verschwindet Jessie mit ihrem Neugeborenen aus der Klinik in die eisige Novermberkälte. Die junge Frau befindet sich in einer seelischen Ausnahmesituation, das Baby braucht dringend medizinische Hilfe. Jede Sekunde zählt.
Jessies Halbschwester, die Journalistin Iris, macht es sich zur Aufgabe, Mutter und Kind zu finden. Doch dazu ist sie auf die Hilfe ihrer gemeinsamen Mutter angewiesen: Rebecca. Sie ist die Einzige, die weiß, was in jener schicksalhaften Nacht vor über fünfzig Jahren wirklich geschehen ist. Und sie ist die Einzige, die wertvolle Hinweise auf den möglichen Verbleib ihrer älteren Tochter und des Enkelkindes geben kann. Doch dazu muss sie ihr jahrzehntelanges Schweigen brechen.

Emily Gunnis‘ Roman „Die verlorene Frau“ (Deutsch von Carola Fischer) wird, wie schon ihr vorheriger Roman „Das Haus der Verlassenen“, auf verschiedenen Zeitebenen erzählt. Und das macht den Einstieg in die Geschichte etwas schwer, denn auch innerhalb der unterschiedlichen Zeitebenen werden Zeitsprünge vollführt. Auch die damit einhergehende Vielzahl an Figuren erschwert es, der Handlung von Anfang an zu folgen. Allerdings gibt sich das Problem mit fortschreitender Lektüre, nach den ersten Kapiteln findet man sich in den Handlungssträngen gut zurecht. Das ist jedoch nicht das Einzige, was die beiden Romane der Autorin miteinander verbindet. Hier wie dort steht eine junge Journalistin im Fokus, die eine lange zurückliegende tragische Familiengeschichte aufdecken muss, um die Ereignisse der Gegenwart zu begreifen. Des ungeachtet ist „Die verlorene Frau“ ein Schmöker, der insbesondere ab der zweiten Hälfte zu fesseln vermag und angenehme Lesestunden beschert. Allerdings würde ich empfehlen, die Romane nicht in kurzer Zeit aufeinanderfolgend zu lesen, dafür ähneln sie sich in ihrem Aufbau und der Figurenzeichnung dann doch zu sehr.

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